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Marsch in den Untergang
"Etwas Großes" sollte es sein, hatte Alban Berg bislang doch vor allem kurze Stücke geschrieben. Was dann kam, war länger – und wurde furchterregend groß: Die Drei Orchesterstücke op. 6 setzen die Welt des Jahres 1914 in Töne.
"Meinem Lehrer und Freunde Arnold Schönberg in unermeßlicher Dankbarkeit und Liebe" – so steht es über den Drei Orchesterstücken op. 6, die Alban Berg 1913 begann, im Sommer 1914 vollendete und 1915 ins Reine schrieb. Dass solche Jahreszahlen ins Gewicht fallen, versteht sich in diesem Fall von selbst, dokumentieren die Orchesterstücke die viel beschworene "Welt von Gestern" (Stefan Zweig) in ihrem Untergang doch sozusagen "live".
In Bergs hochexpressiver Musik dämmern die "Letzten Tage der Menschheit" herauf, auch wenn diese von Berg und seinem Umfeld zunächst nicht so klar erkannt wurden wie von Karl Kraus, zu dessen begeisterten Lesern Alban Berg gleichwohl gehörte.
Eine Sinfonie, die keine ist
Präludium, Reigen, Marsch: Diese konzisen Überschriften gab Berg den drei Sätzen, die zusammen eher eine Sinfonie als eine Suite darstellen, überdies eine ausufernde Orchesterbesetzung im Stile Gustav Mahlers aufweisen. Überhaupt ist Mahler, der Widmung an Schönberg zum Trotz, der eigentliche musikalische Bezugspunkt dieser Komposition, die vor allem Mahlers Sechster Sinfonie viel verdankt.
Der orchestralen Fülle entsprechend gehört Bergs Partitur auch auf der strukturellen Ebene zu den reichsten, ja üppigst wuchernden Stücken der Zeit. Theodor W. Adorno, Bergs Kompositionsschüler, brachte es auf den Punkt: "Als er mir die Partitur zeigte und erläuterte, meinte ich, unterm ersten graphischen Eindruck: ‚Das muß klingen, wie wenn man Schönbergs Orchesterstücke und Mahlers Neunte Symphonie zugleich spielt.‘"
Das Fass zum Überlaufen bringen
Unheilvolles kündet sich im schwülen "Präludium" an. Im "Reigen" wird scheinbar heiter auf den Rändern des Vulkans getanzt; Berg dachte hier sicherlich auch an das gleichnamige Theaterstück von Arthur Schnitzler. Mit ungeheurer Wucht geht der finale "Marsch" seinem eigenen Untergang entgegen – Berg war kein Prophet, hatte aber Sensorien für die Stimmung seiner Zeit, in der nur noch der Tropfen fehlte, der das Fass zum Überlaufen brachte. Als dieser beim Attentat 1914 in Sarajewo fiel, marschierte Berg – zumindest kurzzeitig – mit. Wohin das führte, davon hatten die Hammerschläge in seinen Orchesterstücken schon zuvor gekündet.