Auch die Orthodoxie wird noch eine Aufklärung erleben
"Der Westen gilt in den Augen vieler Orthodoxer als ein Ort des Abfalls", meint der Religionswissenschaftler Vasilios Makrides - einer der Gründe, weshalb es die Gedanken der Aufklärung in den Kirchen des Ostens schwer haben. Doch Rufe nach einer Öffnung werden lauter.
Warum finden die westlichen Kirchen es eigentlich so schwer, mit der Kirche des Ostens, der Orthodoxie, zu reden, und umgekehrt? Der Religionswissenschaftler Vasilios Makrides forscht an der Universität Erfurt zu Orthodoxie und Aufklärung und erklärt im Gespräch die unterschiedlichen Verhältnisse zur Moderne im christlichen Osten und Westen.
Ein zentrales Problem beim Dialog zwischen westlichen Kirchen und orthodoxen Glaubensrichtungen liege in unterschiedlichen Auffassungen bei wichtigen Themen, wie beispielsweise der christlichen Moral. Die Orthodoxie habe hier Probleme vor allem mit den Protestanten, deren Liberalität und "Säkularität" insbesondere der russischen Orthodoxie fremd seien: "Die russisch-orthodoxe Kirche in der post-sowjetischen Zeit hat meistens eine anti-liberale, teilweise auch antimoderne Politik verfolgt." Der Tendenz nach lasse sich eine Ablehnung des Westens beobachten: "Der Westen gilt in den Augen vieler Orthodoxer als ein Ort des Abfalls."
Natürlich gebe es auch viele Orthodoxe, die das nicht so sähen. Gerade die orthodoxe Diaspora, die durch die innereuropäischen Migrationsbewegungen der letzten Jahre gewachsen ist – allein im Zuge der griechischen Finanzkrise seien mehr als 100.000 Griechen nach Deutschland gekommen, in Deutschland gehe man derzeit von etwa 1,8 oder 1,9 Millionen Menschen orthodox christlichen Glaubens aus – sei in vielem liberaler als die Mutterkirchen.
Frauenordination ist noch kein Thema bei den Orthodoxen
"Die orthodoxen Diasporas in der westlichen Welt und darüber hinaus, die entwickeln sich teilweise in einer progressiveren Richtung. Man darf auch nicht vergessen, dass es auch viele Konvertiten gibt, in solchen Gruppen. Und diese bringen manchmal neue Elemente ins Spiel. Um ein konkretes Beispiel zu erwähnen: Viele Orthodoxe aus der Diaspora sprechen positiv für die Frauenordination. Das ist noch kein Thema bei den Orthodoxen, das wird noch grundsätzlich abgelehnt, nicht unbedingt aus theologischen Gründen. Aber die meisten Ansätze in diesem Bereich kommen von diaspora-orthodoxen Christen. Also man sieht schon, dass es positive Effekte gibt in den Beziehungen zwischen Diaspora-Gemeinden und Mutterkirche."
Makrides ist optimistisch, dass sich daraus zumindest in der langfristigen Entwicklung eine Öffnung der Orthodoxie zur Moderne ergeben dürfte.
"Die Aufklärung war mindestens für das westliche Christentum eine wichtige Zäsur. Das ist Teil dieser Begegnung mit der Moderne. Also die beiden großen Kirchen des Westens sind hauptsächlich heute post-aufklärerische Kirchen. Das war natürlich eine schwierige Erfahrung, aber die haben das kritisch aufgearbeitet, und daraus wurde etwas Positives für die spätere Entwicklung und die Identität der beiden Kirchen. Die Orthodoxen haben das noch nicht gemacht. Aus verständlichen Gründen – historischen wie auch anderen. Die Aufklärung ist eine wichtige Epoche und die Orthodoxen brauchen das noch, also genau im Kontext der Moderne sich mit der Aufklärung kritisch auseinanderzusetzen. Und ich denke, das kommt demnächst, denn die positiven Stimmen mehren sich. Es gibt mehr und mehr Orthodoxe, die eine solche zeitgemäße Anpassung der orthodoxen Kirche an die Herausforderungen der Moderne verlangen."
Teaser und Überschrift wurden im Sinne einer Präzisierung überarbeitet und geändert. Der vorherige Titel lautete "Warum die Orthodoxie noch keine Reformation erlebt hat". Der Teasertext lautete: "Der Westen gilt in den Augen vieler Orthodoxer als ein Ort des Abfalls", meint der Religionswissenschaftler Vasilios Makrides - einer der Gründe, weshalb die orthodoxen Kirchen noch keine Reformation erlebt haben. Doch die Stimmen mehren sich, die sich eine Öffnung wünschen.