"Die Ostküste ist besonders gefährdet"

Klaus Linsenmeier im Gespräch mit Joachim Scholl |
In den USA geraten Politiker, die den Klimawandel zum Thema machen, schnell in die linksradikale Ecke. Der Klimawandel werde auch nach "Sandy" kaum diskutiert, berichtet Klaus Linsenmeier, Leiter des Nordamerika-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. In New York sei das anders: "Ich glaube, dass da eine andere Diskussion losbricht", so Linsenmeier.
Joachim Scholl: Die Schäden von "Sandy" waren und sind verheerend und der Wirbelsturm hat an der Ostküste der USA und vor allem in New York City schonungslos offengelegt, wie verwundbar die Weltmetropole ist, wie schlecht die Infrastruktur und wie miserabel der Hochwasserschutz funktioniert. Das Wetter hat aber auch eine Diskussion ins Blickfeld gerückt, ein Wort zurückgebracht, das man in den USA in letzter Zeit eher weniger gehört hat, nämlich den Klimawandel. Setzt nun hier ein Umdenken ein? In Washington am Telefon ist jetzt Klaus Linsenmeier, er leitet dort das Nordamerika-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung, guten Tag, Herr Linsenmeier!

Klaus Linsenmeier: Guten Tag, Herr Scholl!

Scholl: In Europa steht das ja eigentlich nicht mehr zur Debatte, dass der Klimawandel Tatsache ist und die Erderwärmung und die Erwärmung der Meere verantwortlich dafür sind, dass Naturphänomene wie "Sandy" immer heftiger, katastrophaler ausfallen. Dämmert den Amerikanern das jetzt auch?

Linsenmeier: Das glaube ich, dass das langsam kommen wird, aber wir dürfen uns da nicht zu viel erwarten. Die Amerikaner sind gewohnt an schwere Stürme, das liegt einfach ein bisschen an der Geografie hier. Wir haben Nordsüdstrukturen wie die Rocky Mountains oder hier die Appalachen, das heißt, da können Wetter von Norden nach Süden oder Süden nach Norden ungehemmt durchstürmen. Und das ist seit Generationen bekannt, die Amerikaner haben gelernt, damit zu leben. "Sandy" war eine andere Kategorie. "Sandy" war wesentlich stärker als Sturm. Er hat sich aufgebaut in der Karibik durch die warmen Wasser, also, diese Stürme brauchen diese warmen Wasser. Das ist aber auch noch nichts Ungewöhnliches. Normalerweise toben diese Stürme dann an der Küste vorbei und verlaufen sich irgendwann oben im Norden, wenn sie auf kühle Strömungen kommen. "Sandy" war in zwei Hinsichten was Besonderes: Einmal war er besonders heftig und er ist besonders weit nach Norden vorgedrungen. Also, es ist nicht so, dass New York nicht schon früher Stürme hatte, 1938 gab es mal einen Sturm mit 800 Toten, da war New York, es gab noch schlechtere Zeiten der Vorbereitung. Und jetzt kam noch ein anderes Phänomen dazu. Es gab eine Kaltluftfront von Norden und die drückte den Sturm aufs Land, auf New Jersey und auf New York, und hat dann dadurch dazu geführt, dass diese fürchterlichen Verwüstungen angesetzt sind. Die Diskussion – das war Ihre Frage – fängt an, langsam. Und das hat was damit zu tun, dass New York was Besonderes ist. Es ist ja nicht so, dass Klimawandelphänomene hier nicht schon vorher da gewesen wären. Wir hatten im Sommer eine fürchterliche Dürre im mittleren Westen. Wir hatten vor einigen Jahren Katrina, was Teile von New Orleans zerstört hat. Aber New York ist anders, New York ist – ja?

Scholl: Ja, weil Sie gerade Katrina sagen, Herr Linsenmeier, ich meine, das war damals auch eine, ja, der schlimmsten Katastrophen seit Jahrzehnten, die über die USA da hinweggefegt sind, vor allem über New Orleans, vor allem die Golfküste hat es getroffen. Damals wurde schon diskutiert über den Klimawandel, oder das Wort Climate Change zumindest kam immer öfter in den Medien, in den Diskussionen vor. Beobachter aus Europa haben bemerkt, jetzt im Wahlkampf war also Climate Change und Global Warming selbst bei Barack Obama und den Demokraten ihnen fast kein einziges Wort wert! Wie ist das eigentlich zu erklären, dass also die Diskussion darüber anscheinend irgendwie sofort einen als Linken oder Miesmacher stigmatisiert?

Linsenmeier: Ja, das ist gar nicht so einfach zu erklären. Die Amerikaner waren sich relativ früh bewusst über Climate Change. Also, wenn wir daran denken, wo der Katalysator für unsere Autos herkommt: Der kommt aus Kalifornien! Das heißt, es gab schon sehr früh die Diskussion, schon vor Jahrzehnten. Wir haben eine Veränderung der politischen Diskussion hier gehabt, ich glaube, die kann man beschreiben als eine Tendenz zur Wissenschaftsverweigerung oder auch zur Realitätsverweigerung. Und da muss man ein bisschen schauen, das geht tief zurück in die amerikanische Geschichte. Die amerikanische Diskussion, die amerikanische Kultur basiert, wenn man das einfach ausdrückt, auf zwei Säulen. Das eine ist die Aufklärung, Thomas Paine, Jefferson, Washington selber. Das andere sind – das haben die meisten von uns ja in der Schule gelernt – die Pilgrim Fathers. Das heißt, fromme Leute, die aus Europa verfolgt worden sind, hierhin gezogen sind. Und in deren Folge gibt es hier eine sehr konservative Strömung, die Evangelikalen, da gruppiert sich die Tea-Party raus. Und das hat sich in den letzten Jahren zugespitzt, dass die einfach sich weigern, bestimmte wissenschaftliche Erkenntnisse wahrzunehmen.
Ich kann das mal an einem anderen Beispiel deutlich machen, das bezieht sich nämlich nicht nur auf den Klimawandel, sondern auch auf andere Bereiche: Es gab in Missouri einen Kandidaten der Republikaner für den Senat, Todd Akin, und der kam im Sommer mit der Idee raus, dass Frauen, die vergewaltigt sind, gar nicht schwanger werden können. Das sind medizinische Erkenntnisse, die sind schon beeindruckend! Und das zeigt ein bisschen die Mentalität von diesem rechten Bereich, die praktisch ihre religiös verbrämte Ideologie über wissenschaftliche Erkenntnisse stellen. Und das ist eine … Das sind keine Einzelleute, es gibt noch Richard Mourdock, der ähnliche, auch ein Senatskandidat. Es gibt das Heartland Institute, das nichts anderes macht als den Klimawandel zu leugnen und alles Mögliche, alle wissenschaftlichen Zahlen verdreht, um praktisch den Klimawandel gar nicht passieren zu lassen. Und eine große Rolle spielt natürlich, um das massenfähig zu machen, Fox News, der große Sender von Rupert Murdoch, die praktisch … Da gibt es Studien inzwischen, dass Leute, die Fox News schauen, schlechter informiert sind als Leute, die überhaupt kein Fernsehen schauen. Das heißt, es gibt eine breite, reaktionäre Öffentlichkeitsarbeit, da geht sehr viel Geld rein, um praktisch die öffentliche Meinung zu drehen.

Scholl: Kommt die Diskussion über den Klimawandel in den USA durch "Sandy" in Gang? Wir sind hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Klaus Linsenmeier von der Heinrich-Böll-Stiftung in New York. Weil Sie gerade die Medien ansprechen, Herr Linsenmeier: Ich meine, in Europa könnte man in einer solchen Katastrophe davon ausgehen, dass jede Fernseh-Talkshow Ursachenforschung betreiben würde. Die USA sind ja doch auch eine TV-Diskurs-Nation, findet so etwas überhaupt nicht statt?

Linsenmeier: Also, Klimawandel war – Sie haben es eben richtig erwähnt – im Wahlkampf so gut wie kein Thema. Der Präsident hat nach der Wahl noch mal, in seiner Anerkennungsrede, noch mal kurz erwähnt. Klimawandel … die Tendenzen, die ich eben beschrieben habe, haben Klimawandel für Politiker, zum Teil auch für Medien, toxisch werden lassen. Das heißt, wer dieses Thema angreift, steht sofort in der linken Radikalenecke. Und das wird sich jetzt ändern, weil New York anders ist. New York ist ganz eindeutig gefährdet, einmal weil die Stadt – und nicht nur die Stadt, die ganze Ostküste, Boston, New York selber, wir hier unten in Washington – sehr tief liegen, da ist ja Wasser eingedrungen in die Infrastruktur, in die U-Bahn. New York ist die Finanzmetropole. Wir erinnern uns, 2001, nach den Anschlägen ist befürchtet worden, dass das Finanzsystem der USA zusammenbricht. Diesmal stand wieder die Wall Street unter Wasser! Und New York ist die Medienhauptstadt der USA und die intellektuelle Hauptstadt der USA. Das heißt, da findet ein ganz anderer Diskurs statt. Denn, das klingt jetzt vielleicht ein bisschen zynisch, aber es ist so: Wenn in New Orleans ein Stadtteil untergeht, dann zieht man weg, macht Hilfsmaßnahmen, einige bleiben da; New York ist anders, New York ist eine andere Qualität. Ich glaube, dass da eine andere Diskussion losbricht. Aber, um da keine falschen Erwartungen zu wecken, wir haben durch die jetzige Wahl im Grunde die Mehrheitsverhältnisse hier im Kongress bestätigt bekommen, deswegen: Wir erwarten nicht, dass wir jetzt den europäischen Weg gehen mit Klimagesetzgebung, sondern die Diskussion wird anders verlaufen.

Scholl: Das heißt sozusagen, es wird wahrscheinlich mehr darüber diskutiert, wie der Hochwasserschutz sozusagen aktiviert werden kann, verbessert werden kann, das heißt, mehr Geld in technische Neuerungen einzuführen.

Linsenmeier: Das ist richtig, das ist so ein bisschen der amerikanische Weg. Der Bürgermeister von New York ist auch deswegen angegriffen worden, weil der Schutz der Stadt so schlecht ist. Es gibt lange, seit zehn, 15 Jahren Pläne, Schutzmauern zu bauen oder Schleusen zu bauen, um die Stadt zu schützen, die Diskussion ist klassisch. Die Frage ist: Wollen wir diese – das sind einige Dutzend Milliarden, die man da investieren muss –, wollen wir das investieren, obwohl wir gar nicht wissen, ob der Sturm noch mal kommt in unserer Generation? Das heißt, da wird immer eine Kostenkalkulation gemacht, die relativ kurzfristig ist. Der Gouverneur hat das auf den Punkt gebracht, der Gouverneur Cuomo von New York, und hat gesagt, das war ein Jahrhundertsturm. Und das war’s ganz sicher. Und er hat dann gleich hinzugefügt: Aber das Problem ist, wir erleben das jetzt alle zwei Jahre! Das heißt, da gibt es ein Bewusstsein, das stärkt. Und noch mal ein Beispiel hier vielleicht von uns, von Washington: Wir haben hier eine wunderschöne Bucht vor Washington liegen, die Chesapeake Bay, da haben auf kleinen Inseln mal über 250 Menschen gelebt. Die "Washington Post" hat letztes Jahr einen Bericht gebracht, wie das letzte Haus versunken ist. Das heißt, man sieht hier, wie der Meeresspiegel steigt. Die Ostküste ist besonders gefährdet, weil oben die Polareise schmelzen. Dieses Jahr war ja eine Rekordschmelze und das drückt vor allem hier auf den Meeresspiegel. Das heißt, das Wasser wird wärmer, der Meeresspiegel steigt und die ganze Infrastruktur der Ostküste ist ein Problem. Und diese Diskussion, an der wird man nicht vorbeikommen.

Scholl: Das heißt, es wird auch interessant werden, wie werden die Republikaner darauf reagieren sozusagen, die Zugeständnisse an den rechten Rand, also dieser Realitätsverweigerer, die Sie beschrieben haben. Das ist ja wahrscheinlich dann auch nicht mehr politik- und mehrheitsfähig auf die Dauer?

Linsenmeier: Ich glaube, was man so jetzt mitbekommt im republikanischen Feld, ist, da ist ein richtiger Kater unterwegs. Also, man hat gemerkt, dass man sich tatsächlich auch von der Bevölkerung … Die Botschaften der Republikaner sind nicht angekommen, die waren frauenfeindlich, die waren fremdenfeindlich, die waren einfach … haben einen harten Kern erreicht, aber sie konnten nicht mobilisieren. Das geht über den Klimawandel weit hinaus. Trotzdem glaube ich nicht, dass die Republikaner klein beigeben werden. Der harte Kern wird weiter sagen, Romney war einfach nicht konservativ genug, wir brauchen einen richtigen konservativen Kandidaten. Da muss sich die republikanische Partei ein Stück weit neu erfinden. Es gibt ja auch eine Macht der Exekutive hier und das ist ganz interessant: Wer interessanterweise konstant am Klimawandel arbeitet, ist der Sicherheitsbereich, die ganze Sicherheits-Community. Und das geht über die USA hinaus. Wir haben hier von der Homeland Security, also, die für die Heimatsicherheit zuständig ist, eine ganze Reihe Berichte, die sagen, also, wenn der Meeresspiegel, der ist jetzt in den letzten 100 Jahren um 20 Zentimeter gestiegen, bei einem halben Meter, einem Meter liegt hier an der Ostküste entscheidende Infrastruktur unter Wasser. Das ist New York, das ist Boston, das ist Washington, das sind Herzstücke des Landes. Und der CIA hat jetzt gerade am Freitag, also der amerikanische Geheimdienst, am Freitag eine Studie herausgebracht, wo er weltweit auf den Klimawandel, den Zusammenhang von Klimawandel und Unruhe, Migration und Unsicherheit hinweist. Das heißt, dieser Teil der Gesellschaft weiß sehr wohl, worum es geht, und irgendwann wird die Botschaft im harten Kern auch ankommen.

Scholl: Der Klimawandel und die Diskussion darüber in den USA. Am Telefon in Washington war Klaus Linsenmeier, der Leiter des Nordamerika-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. Besten Dank, Herr Linsenmeier!

Linsenmeier: Ich danke Ihnen!


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