"Auf der Jagd nach Moneten und Sex"
Zementieren Gangsta-Rapper ihre Ausgrenzung aus der Gesellschaft? Ines Schwerdtner, die ein Hiphop-Special der Philosophie-Zeitschrift "Argument" verantwortet, erklärt in Bezug auf die Rapper Haftbefehl oder Mortel, wie das funktioniert.
Die Auszeichnung der Rapper Kollegah und Farid Bang mit dem Musikpreis Echo im April sorgte für eine heftige Kontroverse. Ihr Album "Jung, Brutal, Gutaussehend 3" wurde als judenfeindlich kritisiert. Renommierte Künstler gaben aus Protest ihre Echos zurück. Die Debatte führte zum Ende des Musikpreises.
Rotlichtviertel und Drogenkonsum
"Der kommerzielle Gangsta-Rap baut darauf, dass er stark provoziert", sagt Ines Schwerdtner. Sie verantwortet als Redakteurin ein Hiphop-Special bei der Philosophie-Zeitschrift "Das Argument" und hat sich mit dieser Musikszene beschäftigt, die einen Schwerpunkt in Offenbach am Main hat. Einer der bekanntesten deutschen Gangsta-Rapper namens Haftbefehl kommt von dort.
Ines Schwerdtner: "Das Besondere ist das Verhältnis zu Frankfurt: das Rotlichtviertel und der Drogenkonsum. Und den Bezug zu Haftbefehl, der das Wort 'Azzlackz' geprägt hat. So heißt sein Label und auch seine eigene Klamottenmarke – als Synonym für 'Asozialer Kanacke'. So bezeichnen sich die jungen Männer auch selbst. Das ist für Rapper insgesamt immer sehr wichtig: Woher kommst du? Dann gibt es Feindschaften zwischen Berlin und Frankfurt und Hamburg."
Die Parallelgesellschaft der Unterschicht
"Auf der Jagd nach Moneten und Sex, dachte dass die Schule nicht sein muss", heißt es in dem Song "PGS" des in Deutschland lebenden Rappers Mortel, in dem auch von einer "Parallelgesellschaft (die Stimme der Unterschicht)" die Rede ist.
In diesem Song werde deutlich, wie Ausgrenzung stattfindet, erklärt Ines Schwerdtner:
"Sie sprechen von der Parallelgesellschaft und drücken aus, inwiefern sie sowohl von der Demokratie als auch von der Schule, vom Rechtssystem und der Polizei usw. schikaniert werden – von allen Institutionen der liberalen Demokratie – und stellen heraus, dass sie damit nichts zu tun haben. Dass ihnen die Moneten auf der Straße wichtiger sind, die ihnen im Leben mehr bringen als die Schule zum Beispiel. Sie reproduzieren dann das, was in dem Song besungen wird, auch in ihrem echten Leben."
"Spaß am Widerstand"
Schwerdtner verweist auf die Studie "Spaß am Widerstand" des Kultursoziologen Paul Willis. Er hatte die "Lads", die weiße, britische Jugendkultur der 70er-Jahre, untersucht und herausgefunden, dass Arbeiterkinder später auch wieder Arbeiterjobs ausüben. Eine seiner wichtigsten Erkenntnisse sei, dass die Ausgrenzung nicht nur von außen kommt, sondern die Jugendlichen selbst auch an ihrer Unterdrückung mitwirken. Sie sieht Parallelen zur heutigen Jugendkultur des Gangsta-Rap:
"Man hat Spaß daran, die Regeln zu unterlaufen, die Lehrkräfte zu veräppeln und kümmert sich nicht um gute Noten, weil man weiß, ich werde hier sowieso nicht aufgenommen. Wir gehen danach in den Pub und nehmen nicht an den Prüfungen teil, weil wir werden sowieso Arbeiter wie unsere Väter. Sie stecken selber fest in dieser Position, die sehr stark auf körperliche Arbeit fokussiert, auf diese Männlichkeit und auch selber auf Rassismus."
Darin, dass die jungen Rapper mit Migrationshintergrund Schimpfwörter wie "Kanak" positiv für sich als Gemeinschaft umdeuten, sieht Schwerdtner auch eine Chance:
"Je bewusster und reflektierter man das macht, kann das schon auch dazu führen, dass die Gruppen gemeinsam eine andere Identität entwickeln, die sich nicht nur negativ über die Mehrheitsgesellschaft oder die Unterdrücker definiert."
(cosa)