Die Pathologie der Liebe
Eine Geschichte so alt wie die Literatur: Ein Paar entfremdet sich, ein Dritter taucht auf und die Beziehung zerbricht. Doch die Autorin schafft es mit Witz, Ironie und Nebengeschichte, dem Klischee einen eigenen Anstrich zu verpassen, der das Buch "Anatomie einer Affäre" absolut lesenswert macht.
Ihr Tonfall ist schnoddrig, so als ginge es gar nicht um ihr eigenes Leben. Als schaute sie dabei zu, wie sich ihr geordnetes Dasein in ein riesiges Chaos verwandelt: ein Chaos aus Begehren, Sehnsüchten, Verletzungen und Kränkungen. Dass ein Kind mit im Spiel ist, macht die Sache noch brisanter. Aber die Erzählerin gerät immer tiefer hinein in den Strudel ihrer Gefühle, die sie mit sezierender Schärfe auseinander nimmt.
"Anatomie einer Affäre" heißt der neue Roman der irischen Booker-Prize-Trägerin Anne Enright passenderweise. Schon in ihrem letzten Buch "Das Familientreffen" (2008) hatte Enright, Jahrgang 1962, ihre Expertise für seelische Abgründe und zwiespältige Familienbande eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Dieses Mal lässt sie die 32-Jährige Gina erzählen, eine erfolgreiche, kinderlose Managerin, die im Handumdrehen Polnisch lernt, sich gern vergnügt, mit dem gutmütigen Conor verheiratet ist und eines Nachmittags den Ehemann einer Freundin ihrer Schwester kennenlernt. Er heißt Sean. Ein paar Monate später ist es um sie geschehen.
Eine Liebesgeschichte - nun gut, nicht gerade der originellste Stoff. Wie sich ein Paar entfremdet, ein Dritter auftaucht und die Sache dann mehr oder weniger dramatisch auseinander geht, ist seit über 2000 Jahren Stoff der Literatur. Dass man Anne Enrights Roman dennoch mit Gewinn liest, liegt am Geschick der Autorin. Zum einen kann sie über Sex schreiben. Der gnadenlose Blick der Chronistin auf sich selbst und andere verleiht der Geschichte eine gewisse Spannkraft.
Gleichzeitig besitzt Gina viel Ironie, was dem Ganzen den schicksalsschwangeren Unterton nimmt, der bei solchen Angelegenheiten immer mitschwingt. Gina weiß, dass sie mit jeder ihrer Gesten droht, zu einem Klischee zu werden - auch deshalb ist jedes Kapitel mit einem Songtitel versehen. Es geht von Leonard Cohens "Take me to the end of love" bis zu Cole Porters "Ev‘ry time we say goodbye": Alles, was die Heldin erlebt, kam schon vor.
Bereits durch diesen kleinen Kunstgriff fügt Enright einen doppelten Boden ein. Es gibt einen weiteren: Durch den Tod der Mutter erkennt Gina plötzlich Rollenmuster ihrer Kindheit. Und als sie und ihr Geliebter dann auffliegen, gewinnt Seans Tochter Evie an Gewicht. Denn Evie leidet unter Epilepsie, was der Beziehung zwischen Vater und Tochter eine Unbedingtheit verleiht, wie es die zur Freundin nicht besitzt.
Schließlich liefert Enright fast nebenbei eine kleine Studie der irischen Wirtschaftskrise. Die Affäre beginnt 2006 auf dem Höhepunkt des Hedonismus, und die Gier des Paares aufeinander scheint auch ein Ausdruck dessen zu sein: Alle verdienen einen Haufen Geld, schaffen sich Zweithäuser an, tragen Markenkleidung, halten das Alter mit Botox in Schach und essen pausenlos komplizierte Pastagerichte. Vier Jahre später versetzt die Krise den Figuren einen Wirklichkeitsschub. Ganz kann Enright in ihrem Roman die Klischeegefahr nicht bannen - dennoch gelingt ihr eine mitreißende Geschichte über die Pathologien der Liebe.
Besprochen von Maike Albath
Anne Enright: Anatomie einer Affäre
Aus dem Englischen von Petra Kindler und Hans-Christian Oeser
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011
311 Seiten, 19, 99 Euro
Links bei dradio.de
Kritik von Anne Enright: "Das Familientreffen"
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"Anatomie einer Affäre" heißt der neue Roman der irischen Booker-Prize-Trägerin Anne Enright passenderweise. Schon in ihrem letzten Buch "Das Familientreffen" (2008) hatte Enright, Jahrgang 1962, ihre Expertise für seelische Abgründe und zwiespältige Familienbande eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Dieses Mal lässt sie die 32-Jährige Gina erzählen, eine erfolgreiche, kinderlose Managerin, die im Handumdrehen Polnisch lernt, sich gern vergnügt, mit dem gutmütigen Conor verheiratet ist und eines Nachmittags den Ehemann einer Freundin ihrer Schwester kennenlernt. Er heißt Sean. Ein paar Monate später ist es um sie geschehen.
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Gleichzeitig besitzt Gina viel Ironie, was dem Ganzen den schicksalsschwangeren Unterton nimmt, der bei solchen Angelegenheiten immer mitschwingt. Gina weiß, dass sie mit jeder ihrer Gesten droht, zu einem Klischee zu werden - auch deshalb ist jedes Kapitel mit einem Songtitel versehen. Es geht von Leonard Cohens "Take me to the end of love" bis zu Cole Porters "Ev‘ry time we say goodbye": Alles, was die Heldin erlebt, kam schon vor.
Bereits durch diesen kleinen Kunstgriff fügt Enright einen doppelten Boden ein. Es gibt einen weiteren: Durch den Tod der Mutter erkennt Gina plötzlich Rollenmuster ihrer Kindheit. Und als sie und ihr Geliebter dann auffliegen, gewinnt Seans Tochter Evie an Gewicht. Denn Evie leidet unter Epilepsie, was der Beziehung zwischen Vater und Tochter eine Unbedingtheit verleiht, wie es die zur Freundin nicht besitzt.
Schließlich liefert Enright fast nebenbei eine kleine Studie der irischen Wirtschaftskrise. Die Affäre beginnt 2006 auf dem Höhepunkt des Hedonismus, und die Gier des Paares aufeinander scheint auch ein Ausdruck dessen zu sein: Alle verdienen einen Haufen Geld, schaffen sich Zweithäuser an, tragen Markenkleidung, halten das Alter mit Botox in Schach und essen pausenlos komplizierte Pastagerichte. Vier Jahre später versetzt die Krise den Figuren einen Wirklichkeitsschub. Ganz kann Enright in ihrem Roman die Klischeegefahr nicht bannen - dennoch gelingt ihr eine mitreißende Geschichte über die Pathologien der Liebe.
Besprochen von Maike Albath
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Aus dem Englischen von Petra Kindler und Hans-Christian Oeser
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011
311 Seiten, 19, 99 Euro
Links bei dradio.de
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