Heilige oder verfluchte Musik?
"Domine Deus": Am 16. September 1920 steht Enrico Caruso, 47 Jahre alt, vor dem großen Schalltrichter und singt Rossini. Es ist seine letzte Aufnahme und zugleich die erste, die es von Teilen der "Petite messe solennelle" gibt.
Die "Petite messe solennelle" ist gewissermaßen auch das Werk eines Frühvollendeten, denn Gioacchino Rossini schrieb sie 34 Jahre nach seinem Verstummen als Opernkomponist.
Das Werk ist der eindrucksvollste Beleg dafür, dass sich der in Paris lebende, sinnenfrohe Italiener nach der Uraufführung der "Guillaume Tell"-Oper 1829 keineswegs nur noch den Tafelfreuden gewidmet hat. Das Ergebnis beschrieb Rossini so: "Petite Messe solennelle für vier Sänger mit Begleitung von zwei Klavieren und Harmonium. Komponiert während meines Urlaubs in Passy. Zwölf Sänger von drei Geschlechtern – Männer, Frauen und Kastraten – werden genug sein für ihre Aufführung, d.h. acht für den Chor, vier für die Soli, insgesamt also zwölf Cherubine."
Von der komischen Oper zur ernsten Messe
Der Hinweis auf die Kastraten war ebenso ein Witz wie die Angabe, bei dieser mehr als einstündigen Messe handele es sich um ein "kleines" Werk. Und doch erscheint die Originalbesetzung irritierend bescheiden und klanglich apart, auch wenn Rossini seine Messe später für große Besetzungen arrangiert hat, um Bearbeitungen von fremder Hand zuvorzukommen. Und gar nicht bescheiden war der Rahmen der privaten Uraufführung 1864 in einem Pariser Stadtpalais, in dem nicht nur Bankiers, Minister und Diplomaten, sondern auch komponierende Kollegen wie Auber, Massenet, Meyerbeer und Thomas hören wollten, wie ein geistliches Werk aus der Feder des einstigen Opernmeisters klang. Mit seiner Vergangenheit hatte Rossini dabei selbst kokettiert: "Lieber Gott, voilà, nun ist diese arme kleine Messe beendet. Ist es wirklich heilige Musik, die ich gemacht habe, oder ist es verfluchte Musik? Ich wurde für die Opera buffa geboren, das weißt du wohl! Wenig Wissen, ein bisschen Herz, das ist alles. Sei also gepriesen und gewähre mir das Paradies."
Mit Caruso beginnend, durchstreift diese Sendung die vielfältige Diskographie eines ungewöhnlichen Werks, bei dessen Aufführung schon die Wahl der Fassung, des Instrumentariums und der Sängerbesetzung eine Interpretation darstellt.