Die Pferdeflüsterin

20.10.2010
Dieser Jugendroman erzählt von einer jungen Frau, die im 19. Jahrhundert auszieht, um ihr eigenes Leben zu finden. Pferde sind ihre große Liebe. Meg Rosoffs Schilderungen des Pferdehandels jener Zeit verhindern ein Abgleiten in romantische Rösser-Schwärmerei.
Die Amerikanerin Meg Rosoff hat nicht nur ein gutes Gespür für berührende Themen, sondern besitzt auch die Gabe, sie so aufzubereiten, dass nicht nur Jugendliche, sondern auch Erwachsene ihre Bücher mit großer Begeisterung lesen. Mit bisher drei Romanen für Jugendliche hat sie sich ein breites Publikum und viele Preise erschrieben. Nun ist der vierte Jugendroman der in London lebenden Amerikanerin auf Deutsch erschienen: "Davon, frei zu sein".

Südengland im 19. Jahrhundert: In der Nacht vor ihrer Hochzeit verlässt die junge Pell Ridley ihr Zuhause. Mit ihrem behinderten Halbbruder reitet sie auf ihrem Lieblingspferd Jack einfach davon. Sie kann sich nicht vorstellen, ihre Zukunft mit einem mittelmäßigen Mann, vielen Kindern, und in Armut schuftend zu verbringen. Die Flucht vor der Unfreiheit führt allerdings ins Unglück. Pell wird betrogen, verliert Pferd und kleinen Bruder, lebt zeitweise bei einem Wilderer und bei Zigeunern. Für ihre beschwerliche Suche nach dem Bruder und einem eigenen Leben gibt es kein Happy End, aber einen realistischen und kraftvollen Schluss – in Freiheit.

Der preziöse Titel und der lindgrüne Umschlag, geschmückt mit schnörkeligen Buchstaben und der Abbildung einer langhaarigen jungen Frau auf schlankem Schimmel, suggerieren, dass wir es mit einem kitschigen Mädchen-liebt-Pferde-Buch zu tun haben. Doch das Gegenteil ist wahr: Meg Rosoffs jüngster Roman ist eine bemerkenswerte, handfeste, manchmal auch harte Geschichte über das Erwachsenwerden.

Pferde sind Pells große Liebe, man könnte sie eine "Pferdeflüsterin" nennen. Sie hat einen intuitiven Blick für deren Begabung, Temperament und Charakter. Meg Rosoffs präzise, sachkundige Schilderungen des Pferdehandels jener Zeit verhindern ein Abgleiten in romantische Rösser-Schwärmerei. Dazu kommt, dass Pell alles andere als sentimental veranlagt ist. Nur ihrem zupackenden, bodenständigen Wesen ist es zu verdanken, dass sie Hunger, körperliche und seelische Verletzungen heil übersteht.

Steht die junge Frau mit dem großen Herzen und dem noch größeren Freiheitsdrang im Mittelpunkt des Romans, so ist das Buch zugleich eine Liebeserklärung an die beglückend schöne südenglische Landschaft. Sie strömt Ruhe aus und bietet heimatliche Geborgenheit. Drastisch dagegen schildert Rosoff Trostlosigkeit und verzweifelte Armut auf dem Land, den Dreck in den Städten, die Lebensbedingungen von Armenhäuslern, Handwerkern und Zigeunern. Wobei niemals ein Dickensscher Dauerschrecken aufkommt, sondern die Menschen ihre harten Lebensumstände mit Gleichmut und einer gewissen Würde tragen.

Meg Rosoffs Geschichte von der jungen Frau, die auszog, um ihr eigenes Leben zu finden, fließt in leicht altmodisch anmutender Sprache dahin, doch nicht schnörkelig, sondern mit leisem Humor, in schwebend leichten Sätzen und klaren Bildern. Sie nimmt sich viel Zeit für die Schilderung von Gefühlen und Gedanken, Menschen und Natur. Pells heitere Gelassenheit bestimmt den Grundton und die Atmosphäre des Romans, auch über dramatischen Ereignissen liegt ein Schimmer von Hoffnung.

"Davon, frei zu sein" steht in der Tradition des Reise- und Abenteuerromans, verbindet diesen aber mit einer ungewöhnlichen Emanzipationsgeschichte. Rau und zärtlich zeigt er, dass es möglich ist, frei zu sein, auch da, wo die Grenzen eng sind. Und das nicht nur im 19. Jahrhundert.


Besprochen von Sylvia Schwab



Meg Rosoff: Davon, frei zu sein
Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit
S.Fischer Verlag, Frankfurt 2010
240 Seiten, 14,95 Euro. Ab 14 Jahren