Rainer Mühlhoff ist Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich "Affektive Gesellschaften" der FU Berlin. Seine Dissertation über "Immersive Macht. Das Subjekt im Affektgeschehen. Sozialtheorie nach Foucault und Spinoza" erscheint Anfang 2018.
Was tun, Spinoza?
Welche politischen Ideen sind besonders dafür geeignet, uns in einer Welt, die Kopf zu stehen scheint, Halt und Orientierung zu stiften? Das haben wir Denkerinnen und Denker in den vergangenen Wochen gefragt. Heute erklärt uns Rainer Mühlhoff die Affektenlehre Spinozas.
Die Person
Spinoza ist ein 1632 in Amsterdam geborener Philosoph, der einer portugiesisch-jüdischen Diaspora-Gemeinde angehört. Er entstammt einer Fernhandelskaufmannsfamilie und hat dann auch erstmal in dem Unternehmen seines Vaters mitgearbeitet und es dann auch übernommen.
Gleichzeitig hat er sich aber schon als Jugendlicher sehr stark mit Philosophie beschäftigt und wurde dadurch so glaubens- und religionskritisch, dass er schon mit 23 Jahren aus der jüdischen Synagoge verbannt wurde. Und dann hat er sich als Linsenschleifer niedergelassen, um davon leben zu können und nebenbei Philosophie zu machen.
Die Theorie
Ich würde sagen, sein Denken ist grundsätzlich geprägt von einem unerschütterlichen Glauben an die Einsichtskraft der Vernunft jedes einzelnen Menschen. Spinoza wurde erst in den letzten zehn, zwanzig Jahren wieder verstärkt entdeckt, und zwar, ausgehend von seiner sogenannten Affektenlehre, das heißt seiner Theorie der Gefühle und Emotionen. Die Affektenlehre, die eng mit einer Ethik verbunden ist, die nämlich davon getragen ist, dass Affekte etwas sind, was wir potentiell rational verstehen können.
Spinoza ist radikaler Anti-Dualist. Das heißt, für ihn sind Körper und Seele keine verschiedenen Substanzen und Gefühle demnach auch etwas, was nicht irgendwie auf einer niedrigeren Stufe steht gegenüber dem Geist, sondern Gefühle sind sogar eine Form des Denkens. Das hat für ihn einen unmittelbaren ethischen und politischen Wert, der nämlich darin besteht, dass jeder prinzipiell dazu in der Lage ist und auch danach streben sollte, seine Affekte und Emotionen zu verstehen.
Das heißt, dass man nicht, wie er sagt, in der Knechtschaft seiner Gefühle stehen muss, die einen überwältigen, sondern: Nein, ich kann meine Gefühle verstehend zulassen.
Warum jetzt?
In der Debatte, zum Beispiel, zum Populismus überwiegt ja teilweise schon sehr stark die Einstellung, dass das Leute sind, die unvernünftig werden, indem sie von ihren Gefühlen oder Affekten überwältigt werden. Das kann man mit Spinoza nicht so einfach sagen, weil dieser Gegensatz von Affekt und Vernunft in der Weise nicht besteht.
Sondern man kann mit Spinoza in zwei Richtungen gehen, man kann einmal sagen: Affekt ist immer schon konstitutiver Teil von politischer Vergemeinschaftung – auch die sogenannte nicht-populistische Form der Politik ist auch auf eine Weise affektiv, auch wenn wir das vielleicht nicht so richtig sehen. Und zweitens, eine ethische Stoßrichtung, die darin bestehen würde, in dem aufklärerischen Anspruch: Hey Leute, versucht doch mal, eure Affekte zu verstehen, die euch dazu bringen in der Weise politisch zu agieren.
Konkret könnte das also heißen, dass man diese Angst oder dieses Ressentiment oder diese Projektion in irgendeiner Weise an sich selber aufarbeiten kann – woher das eigentlich kommt, zum Beispiel biografisch oder aber auch abgeleitet aus bestimmten sozialen oder politischen Missständen, so dass man dann diesen Ressentiments nicht einfach freien Lauf lassen muss, sondern, indem man sie versteht, verändern sie sich auch schon und verändern ihre politische Gestalt in einer Form, die weniger schlecht für einen selbst und die Gemeinschaft ist.
Es geht immer darum: Ihr Menschen, ihr müsst dem nicht ausgeliefert sein.
Mit dieser fünften Lieferung kommt die Reihe "Was tun? Die philosophische Politikberatung" an ihr Ende. Hier nochmal im Überblick zum Nachhören die vier vorangegangenen Folgen:
Folge 1: Was tun, Sigmund Freud?
von Samo Tomsič
von Samo Tomsič
Folge 2: Was tun, Hannah Arendt?
von Eva von Redecker
Folge 3: Was tun, J.S. Mill?
von Ulrike Ackermann
von Ulrike Ackermann
Folge 4: Was tun, Karl Marx?
von Michael Heinrich
von Michael Heinrich