Die Pilnitzer Kamelie

Von Konrad Lindner |
Die über 200 Jahre alte Kamelie im Schlosspark Pilnitz bei Dresden ist ein Besuchermagnet. Also widmete ihr auch die renommierte englische Gartenzeitung "The Garden" in ihrer Februarausgabe eine zweiseitige Reportage. Die Kamelie aus der Zeit des Barock ist in ihren Ausmaßen und ihrem Alter ein Superstar. Könnte die Pflanze erzählen, würden ihre Geschichten dicke Bücher füllen, denn sie überstand Dürre und Feuer, Revolutionen und Kriege.
Dresden. Die Stadt.
Dresden-Pillnitz. Der Park.
Die Kamelie. Die Pillnitzer Kamelie. Die Camellia japonica L.

Besucher: "Hätte ich auch nicht gedacht, dass Pillnitz so schön ist."

Der Sachse mag das Majestätische. Früher verehrte er seinen König, heute bewundert er seine Kamelie. In Pillnitz kann er sogar beidem frönen: hinter die Kulissen vergangener königlicher Macht blicken und die prachtvolle Kamelie genießen. Um beide ranken sich Legenden, beide haben ihre Geschichte.

Camellia japonica. Sie gehört zur Familie der Teegewächse. Beheimatet in Ostasien.
Die Kamelie gehört zu den sehr langlebigen Gewächsen.

Camellia japonica L. Wildform der Camellia japonica. Blüht im Frühjahr. Von Februar bis April bis zu 35.000 karminrote Blüten. Die glockenförmigen Blüten bleiben geruchlos. "Wenn die ersten Blätter abgefallen am Boden liegen und sich immer wieder neue Knospen öffnen" - dies soll der schönste Moment sein.

Pillnitz. Anno 1335 als Dorf "Belennewitz" erstmals erwähnt. 1403 taucht der Schlossbau in Dokumenten auf. Sachsens Herrscher wie Johann Georg IV. und August der Starke vermachen das Schloss ihren Mätressen. Mit dem Tod der Gräfin Cosel wird Schloss Pillnitz 1765 die Sommerresidenz des Sächsischen Hofes.

Anno 1770 - der Park wird durch einen Englischen Landschaftsgarten erweitert. Die Königin des Englischen Gartens wird die Camellia japonica L.

Aber der Star in Pillnitz ist ein vermutlich 300 Jahre alter Zitrusbaum. Er stammt noch aus dem Besitz von August dem Starken. Ein leidenschaftlicher Sammler wie so manch anderer Herrscher. Gartenmeister Wolfgang Friebel:

"August der Starke hat gesammelt, um besitzen zu können, um zu zeigen, was er hat. Also zu seiner Zeit gab es im Zwinger, der Zwinger ist ursprünglich als Orangerie gebaut worden, gab es im Zwinger einen Bestand von über 1.200 Zitrusbäumen. Das muss man sich mal vorstellen heute. Das ist erst mal ein riesenfinanzielles Vermögen gewesen. Und aber auch logistisch das alles immer zu händeln, raus und rein und zu pflegen, das ist gigantisch. Aber für ihn war einfach das Besitzen und das nach außen zeigen wichtig. Die botanischen Aktivitäten, die kamen erst viel später."

Der Botaniker unter den sächsischen Königen war Kurfürst Friedrich August III. Er konzipierte 1782 in Pillnitz den Englischen Garten, in dem die Kamelie steht, verwandelte den weitläufigen Schlosspark in einen botanischen Garten.

Wolfgang Friebel: "Er hat eine große Leidenschaft gehabt: das waren die Insekten. Und über die Insekten und deren Futterpflanzen ist er zur Botanik gekommen. Und die Botanik war eben damals auch eine - heute würden wir sagen - Schlüsseltechnologie. Das war eine ganz wichtige Wissenschaft. Wer ein bisschen was auf sich gehalten hat und das Interesse hatte, der hat sich mit Botanik beschäftigt. So hat sie auch am sächsischen Hof eine große Rolle gespielt. Die Wissenschaftler damaliger Zeit, Reichenbach hier zum Beispiel in Dresden, Carus, die haben sich auch mit diesen Dingen beschäftigt und haben sich gegenseitig befruchtet. Er hat es wirklich als Wissenschaft betrieben. Er hat die Pflanzen von seinen Gärtnern anziehen lassen. Er hat die bestellt, aber immer auf Privatrechnung geholt. Er hat das nie als König gemacht, sondern als Privatmann gemacht. Und es ist überliefert, dass er regelmäßig seine Botanikstunden abgehalten hat. Seine Gärtner mussten ihm dann die Pflanzen vorführen, mussten ihm die hinstellen. Und er hat dann an Hand seiner vielen, vielen Bücher versucht, diese zu bestimmen und hat seine Wissenschaft betrieben."

Fast 40. 000 Besucher kommen allein im Frühjahr, um das Blütenkleid der Kamelie zu bewundern. Ist es verblüht, erlischt keineswegs die Neugier für die Königin des Englischen Parks. Vielleicht sind es die glänzenden Blätter, die den besonderen Reiz der Kamelie ausmachen. Sicher ist es aber auch das Alter der Pflanze, das ihr frisches Grün zu jeder Jahreszeit in einem besonderen Licht erstrahlen lässt. Die Pillnitzer Kamelie stammt noch aus dem "Goldenen Zeitalter" der Botanik. Und wirkt auch verwandelnd auf jene, die sie täglich sehen können wie die Leiterin von Schloss und Park Pillnitz, Sybille Gräfe.

"In gewisser Weise bin ich ehrfürchtig vor ihrem Alter und ihrer Vitalität. Und auch dieser Gedanke, dass sie seit 1801 hier an dieser Stelle steht, dass sie gehegt und gepflegt worden ist und sich so prachtvoll entwickelt hat, dass sie jedes Jahr das uns auch dankt mit einer reichen Blütenfülle, so dass in manchen Jahren sogar bis zu 35.000 Blüten und Knospen zu bewundern sind."

Die Kamelie ist ein Kind aus der Zeit, in der Friedrich August der Gerechte Botanikstunden hielt. Nun steht sie grün und gesund, groß und geborgen im Englischen Garten, aber sie hüllt sich in Schweigen - in Schweigen darüber, woher sie genau stammt; in Schweigen darüber, wie sie nach Sachsen kam.

Ihr botanischer Artname ist genau definiert: Camellia japonica L. Das "L." verweist auf Carl von Linné. Der schwedische Botaniker führte das lateinische Urzeichen für diese ursprüngliche Kamelienart ein.

War die Pillnitzer Kamelie nun aber auch ein Steckling, der durch einen der Schüler des Linné aus Japan nach Europa gelangte? Die Geschichte wäre schön, doch wirklich beweisen lässt sie sich bis heute nicht. Dafür gibt es ein verschmitztes Lächeln.

Sybille Gräfe: "Man vermutet, dass der Thunberg, ein Schüler Linnés, vier Exemplare von Kamelien - Camellia japonica - aus Japan mit nach Europa gebracht hat. Er brachte sie als erstes nach Kew Gardens in London. Dort ist ein Exemplar verblieben. Ein weiteres kam nach Herrenhausen in Hannover. Das dritte Exemplar nach Schönbrunn in Wien. Und die vierte Kamelie nach Pillnitz in der Nähe von Dresden, heute zu Dresden gehörig. Die Pillnitzer Kamelie ist die einzige dieser vier Exemplare, die diese Wirren der Zeit überdauert hat und sich sehr prachtvoll entwickelt hat, so dass man vermutet, dass sie heute das einzige überlebende Exemplar dieser Exkursion ist und auch die älteste Kamelie nördlich der Alpen."

Im Königlichen Botanischen Garten zu London gibt es keine Dokumente, die belegen, dass Carl Peter Thunberg Pflanzen an Kew Gardens bei London abgegeben hat. Doch Botaniker und Genetiker der TU Dresden haben kürzlich nachweisen können, dass von den heute in Europa noch vorhandenen Uralt-Kamelien die Pillnitzer die authentischste, den japanischen Wildpflanzen genetisch ähnlichste Kamelie ist. Und während der genaue Weg der Camellia japonica nach Pillnitz im Dunkeln bleibt, gilt das Datum ihrer Auspflanzung im Englischen Garten als gesichert. Wolfgang Friebel.

"Das wissen wir nun ziemlich genau. Das war 1801 von einem Gärtnergehilfen Terscheck hieß der damals. Ob er sie aus pflanzen sollte oder ob er einfach satt war, die Pflanze jedes Jahr raus und rein tragen zu müssen. Das wissen wir nicht. Er hat sie an den Fleck gepflanzt, wo sie heute noch steht. Und damit steht sie über 200 Jahre im freien Grund hier in Pillnitz."

Carl Adolph Terscheck wurde später Hofgärtner in Dresden und Pillnitz. Der junge Terscheck war während seiner Wanderjahre in bekannten Gärten, wie zum Beispiel in Paris. Er führte die Hortensien nach Sachsen ein. Die Thunberg-Geschichte der Kamelie geht auf Terscheck zurück. Vielleicht steckt in dieser Überlieferung wenigstens indirekt mehr Wahrheit, als die Historiker annehmen. Die im Vergleich zu Italien und Portugal weit nördliche Auspflanzung einer Kamelie auf freiem Grund machte jedenfalls in Fachkreisen noch zu Lebzeiten Terschecks Schlagzeilen. Sybille Gräfe liest aus einer Chronik vor.

"Ich habe hier einen ganz interessanten Ausschnitt aus einem Beitrag in der 'Gartenflora Deutschlands und der Schweiz' von 1853. Da wird folgendes geschrieben: 'Der königliche Botanische Garten zu Pillnitz unter Herrn Hofgärtner Terschecks Direction in reizender Gegend am rechten Elbufer gelegen, mit herrlichen Anlagen in englischem Geschmack und mit schönen Blumenparthien am Palaisplatz ist ausgezeichnet. Der Park durch prächtige alte, zum Theil nordamerikanische Bäume und durch ein Winterhaus geziert, in welchem schöne große alte Exemplare von Magnolien, Vitex Agnus, Cactus, Laurus nobilis, einer großen Camellia japonica (wohl eine der ältesten in Deutschland) und vieler anderer Prachtexemplare, die im Sommer eine Parthie im Freien bilden, in Erstaunen setzen und Bewunderung erregen'."

"Im Schlosspark
Verlieren sich Pärchen
Im Irrgarten eines
Vergangenen Jahrhunderts"

Der Lyriker Heinz Czechowski über Pillnitz. Dort, wo sich bis heute Pärchen verabreden. Junge und alte Pärchen.

Zwischen 1780 und 1790 kommt die Kamelie an den Dresdner Hof. Wie und in welcher Größe, das ist nicht bekannt. Anfangs wird sie im Gewächshaus gepflegt. 1792: Der kurfürstliche Hofgärtner Johann Heinrich Seidel bringt die erste Kamelie in Sachsen zur Blüte.

1801 pflanzt der Hofgärtner Carl Adolf Terschek eine Camellia japonica L. dort an, wo sie noch heute steht und zur Pillnitzer Kamelie wurde. Wie groß sie bei der Auspflanzung gewesen ist, das ließ sich bisher nicht rekonstruieren, weil ihr genaues Alter unbekannt ist.

1802: "In meiner Sammlung hat (die einfach blühende Kamelie) im Frühjahr 1800 geblüht", notiert Friedrich Gottlieb Dietrich im "Vollständigen Lexikon der Gärtnerei und Botanik", Weimar 1802.

Ab 1813 macht der Kameliengärtner Seidel aus der Nähe von Dresden die Kamelie über Sachsens Grenzen hinaus als Gartenpflanze populär. Die Kamelie erlebt im 1900 Jahrhundert ihren modischen Höhepunkt in adligen und großbürgerlichen Kreisen.

Um 1900. Der "Camelienbaum" wird auf einer Postkarte abgebildet. Dazu wird mitgeteilt: "Stammumfang 150 cm. Höhe 7 m."

1905. Am 2.Januar brennt das Holzhaus, das die Pillnitzer Kamelie vor Frost schützt, ab. Bei Minus 20 Grad Celsius gefriert das Löschwasser sofort und bildet einen schützenden Panzer aus Eis um die Pflanze. Die Zeitungen berichten, die Kamelie sei zerstört worden. Im Frühjahr melden sie dann, dass der Teestrauch wieder anfängt auszutreiben.

1992. für die kalten Monate erhält die Kamelie erstmals ein fahrbares Schutzhaus. Die Monate von Mitte Oktober bis Mitte Mai verbringt sie im Glashaus.

Zu diesem Zeitpunkt ist die Pillnitzer Kamelie ca. 230 Jahre alt und hat eine Höhe von 8,5 Meter und einen Kronendurchmesser von 12 Meter.

2008. Der buschige Kamelienbaum ist fast 10 Meter hoch gewachsen. Mit einem Kronendurchmesser von 11 Meter ist die Pillnitzer Kamelie eine der schönsten in Europa. Mit etwa 245 Jahren ist sie die wahrscheinlich älteste Kamelie des Kontients.

Als die Camellia japonica L. nach Dresden kommt, fürchtet sich Sachsens Obrigkeit vor der Französischen Revolution. In ihre Zeit fallen der Untergang der Sächsischen Monarchie und anderer Herrschaftsformen. Und Erhebungen wie 1848 und 1989.

Haikal: "Ja, Sie müssen sich doch mal vorstellen, dass dort eine empfindliche, exotische Schönheit nach Dresden gebracht wurde. Und dass es dann eben Menschen gab, die sich um diese Pflanze kümmerten und so viel Freude an ihrem Beruf hatten, dass sie versucht haben, diese Pflanze auch über die Generationen hinweg am Leben zu erhalten. Was also viel Arbeit und Mühe gemacht hat. Und mich hat vor allem interessiert, dass es hier sozusagen einen Punkt gab, wo über die Generationen hinweg man sich verantwortlich gefühlt hat für eine Pflanze und versucht hat, die selbst in den schwierigsten Zeitläufen, ich denke jetzt mal an die Bombardierung von Dresden, am Leben zu erhalten."

Der Historiker Mustafa Haikal hat ein Buch über einige Geschichten der Pillnitzer Kamelie geschrieben. Und zur Galerie der Gärtner, die sich um die "Königin" im Englischen Garten kümmerten, gehört Wolfgang Friebel. In Görlitz, in einer Genossenschaft, lernte er Gärtner für Zierpflanzenbau. Nach der Lehre verschlug es ihn nach Pillnitz, weil dort zu DDR-Zeiten der Gartenbau kräftig florierte. Aber weder zu DDR-Zeiten noch danach rechnete er damit, eines Tages die Traditionslinie berühmter Hofgärtner fortzusetzen.

"Wollte eigentlich früher nie nach Pillnitz kommen, weil immer wenn ich hier war, das Wetter schlecht war und die Berge so in Wolken lagen, aber es hat mich doch hierher verschlagen und es sind inzwischen daraus schon 38 Jahre geworden. Und ich habe 26 Jahre in einem Betrieb Produktionsgartenbau betrieben, in allen Positionen. Habe zwischendurch ein Studium absolviert. Ja und dann nach den Irrungen der Wende, Nachwendezeit, wo alles den Bach runter ging, hatte ich irgendwann mal die Chance, hier in Pillnitz mich zu bewerben. Und beim zweiten Anlauf hat es geklappt. Seitdem bin ich in Pillnitz Gartenmeister."

Der Kamelienexperte pflegt und bewahrt die Camellia japonica L., die Pillnitzer Kamelie für die Besucher als einen lebenden Schatz.

"Wir haben ja wirklich schwere Zeiten hinter uns. Wir haben Kriege, wir haben Kälteperioden, wir haben Hungersnöte und so eine Pflanze, die ja eigentlich dann das Unwichtigste ist, um zu überleben zu wollen - trotzdem hat man sich immer darum gekümmert. Und das ist für uns auch die wichtige Aufgabe, die wir haben, das wir das, was wir ererbt haben, auch möglichst unsern Nachkommen weiter vererben können, so gut es uns gelingt."

Pillnitz. Seinen Aufstieg verdankte das Dorf seiner Nähe zum königlichen Dresden. Seit 1950 ist Pillnitz ein Stadtteil von Dresden.

Am liebsten kommen die Besucher mit dem Elbdampfer. Erst entdecken sie die Landschaft, dann die Schlösser. Im Bergpalais blicken sie in den Festsaal mit den lebensgroßen Wandmalereien. Vom Wasserpalais steigen sie die breite Freitreppe zur Elbe hinunter. Dann begeben sie sich in den Englischen Park.
Wenn August der Starke "indianisch" sagte, dann meinte er damit orientalisch und fernöstlich. Das asiatische Flair blieb in Pillnitz nicht auf die Architektur beschränkt. Auch die Heimat der Kamelien liegt im fernen Osten. Die ersten Kamelien gelangten aus China nach Europa, im 16. Jahrhundert durch portugiesische Seefahrer, die sie angeblich für Teepflanzen hielten.

Könnte die Kamelie erzählen, würden ihre Geschichten dicke Bücher füllen. Sie müsste über die vielen Gärtner berichten, die sie im Laufe ihres langen Lebens im Englischen Park pflegten. Sie könnte aber auch über die vielen, vielen Menschen plaudern, die sie Jahr für Jahr besuchten.

Werner: "Wir besuchen die jedes Jahr. Das ist nicht das erste mal heute. ( ... ) Wir waren im März da. Zweimal. Mit Besuch. Und jetzt machen wir einen Spaziergang. Da gehen wir natürlich an der Kamelie vorbei. Das gehört dazu."

Der fernöstliche Reiz der Pillnitzer Kamelie lockt viele Besucher in den Schlosspark. Und auch Experten. So widmete der Vielbewunderten kürzlich auch die englische Zeitschrift "The Garden" eine Reportage. Der Titel: "Run for cover".
Ihre Geschichte hat die Pillnitzer Kamelie nie ganz offenbart, dafür aber ihre Schönheit.