Moderne Jazz-Rebellin
Mit einem Anruf von Dizzy Gillespie änderte sich alles. Die Posaunistin Melba Liston war eine der wenigen Instrumentalistinnen, die sich im männerdominierten Jazz der 50er- und 60er-Jahre durchsetzen konnte. Vor 20 Jahren ist sie gestorben.
Melba Liston hatte bereits aufgegeben, 1949, nach einer zermürbenden Tour mit Billie Holiday durch die Südstaaten, erst vor halb und in South Carolina schließlich ganz leeren Häusern. Komplett pleite hatte sie auf der Rückfahrt trockene Haferflocken gegessen. Nun, in den Fünfzigern, hielt sich Melba Liston mit Statistenrollen in Hollywood über Wasser, und ihre Rolle als Mitglied des Palastorchesters im Film "Die Zehn Gebote" muss ihr wie blanker Hohn vorgekommen sein. Sie selbst beschrieb ihre Anfänge später so: "In den Dreißigern und Vierzigern hatte man als Schwarzer kaum Aussichten auf eine musikalische Karriere - und als schwarze Frau schon gar nicht. Ich war keine Kämpferin, hatte keine hochfliegenden Träume. Es zog mich mehr zu den Partys, dem Tanz, zu der Musik, die ich in meinem Umfeld hörte."
Anruf von Dizzy Gillespie
Und nein, mit dem Anruf im Sommer 1956 hatte Melba Liston ganz und gar nicht gerechnet. Am anderen Ende war ein gewisser Dizzy Gillespie, der genau wusste, dass diese Frau eine erstklassige Posaunistin – und eine weit bessere Arrangeurin als er selbst war. In Gillespies Autobiografie "To be or Not to Bop" erinnerte sich Melba Liston an die ersten Tage mit seiner Band: "Ein paar der Musiker maulten hinter vorgehaltener Hand, wieso er eine hergelaufene Posaunenschlampe aus Kalifornien geholt hatte. Aber als wir schließlich miteinander probten, hatte sich der Bullshit schnell erledigt. Plötzlich hieß es: ‚Mama ist echt okay.’ Tja, so schnell kann’s gehen. Als Schlampe bezeichnete mich jedenfalls niemand mehr."
Kein einziger Ton zu viel
Spätestens nach Listons Auftritt mit Dizzy Gillespie in Newport 1957 war Melba Liston in aller Munde. Art Blakey, Charles Mingus, Quincy Jones, Duke Ellington, Randy Weston – die Namen der Musiker, die sich ihre Dienste sicherten, lesen sich wie ein Who’s Who des Jazz. Als Bandleaderin kann man sie auf ihrem Album "Melba Liston and Her 'Bones'" von 1959 hören – eine Posaunistin, die die Bop-Idiome beherrscht wie nur wenige andere, ganz bei sich und der Musik ist, keinen einzigen Ton zu viel spielt. 1999 gestorben, ist Liston vielleicht keiner der ganz großen Namen im Jazz. Im Londoner Tomorrow’s-Warriors-Workshop aber gilt sie als moderne Rebellin und Virtuosin. Auch die junge amerikanische Jazzposaunistin Natalie Cressman, die etwa mit Carlos Santana und Joe Lovano gespielt hat, beruft sich auf sie: "Man sieht in ihre Augen, die Augen einer zierlichen Frau mit Posaune, und gleichzeitig hört man ihren Sound, diese Kühnheit, diese Lebendigkeit, wenn Sie mich fragen, ließ sie ihre Musik für sich selbst sprechen, und damit hat sie den anderen Musikern eins klar gemacht: dass sie genauso viel Respekt verdiente wie ein Mann."
"Sie konnte einfach alles"
"Diese Frau", so der Bandleader Gerald Wilson, "war unglaublich: Sie konnte komponieren, arrangieren, orchestrieren – sie konnte einfach alles." Aufgewachsen war Melba Liston in den Zwanziger- und Dreißigerjahren, jener Ära, "als Harlem en vogue gewesen war", wie der Dichter Langston Hughes es formuliert hatte. Das reizende amerikanische Kinderbuch "Little Melba and Her Big Trombone" – Die kleine Melba und ihre große Posaune – schildert jene frühen Tage, in denen sich die siebenjährige Melba in Jenkins’ Musikalienhandlung in Kansas City in das so verführerisch glänzende Instrument verguckte. Darin wird Melba Liston so beschrieben: "Seit sie denken konnte, liebte Melba all die Klänge: das Plink der Gitarre, das Brummen des Basses, das Taram-taram der Trommel, das Pling-plong des Pianos." Eine schöne Vorstellung: So fing alles an.