Die psychologische Erforschung der Einsamkeit

Die Soldaten in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs mochten nicht mehr. Statt auf die anderen Kerle auf der anderen Seite zu schießen, schlichen sie hin und teilten Brot und Zigaretten.
Wenn man Menschen im Zoo unterbringen würde, so erklären der Neurowissenschaftler John C. Cacioppo und sein Koautor William Patrick in ihrem neuen Buch "Einsamkeit", müssten Zoowärter "obligat gesellig" auf das Schild daneben schreiben. Wir wollen, lieben, brauchen einander und meinen es damit ziemlich ernst.

Allerdings reicht es nicht aus, im Altersheim zwei x-beliebige Rollstuhlfahrer nebeneinander zu setzen und gute Laune auszurufen. Nur gewachsene Beziehungen, in denen wir uns verstanden wissen, schenken uns das Gefühl existenzieller Geborgenheit. Darum kann ein Mensch in der eigenen Familie einsam sein, neben einem fremd gewordenen Ehepartner, oder am ungeliebten Arbeitsplatz.

In drei Abschnitten arbeiten sich die Autoren durch ihr schwieriges Thema, von dem sie sich wohltuend begeistert zeigen. Sie beleuchten Ursachen und Folgen der Einsamkeit und weisen Wege zurück in die Gemeinschaft, alles das untermauert mit packenden Studien aus der Einsamkeitsforschung. Ein besonderes Anliegen des Buches ist es, auf den sprunghaften Anstieg sozialer Isolation aufmerksam zu machen. In den USA geben in Umfragen immer mehr Menschen an, keinerlei Freundschaft zu pflegen. Einsamkeit aber bedeutet chronischer Stress - mit ähnlich gravierenden Folgen für die Gesundheit wie das Rauchen, konnte John T. Cacioppo mit seiner Forschung beweisen.

Einsame sind keine Sonderlinge, auch das betonen die Autoren. Die quälende Seelenlage habe sich im Laufe der Evolution sinnvoll herausgebildet, um den obligat geselligen Homo sapiens in die Gemeinschaft zurückzutreiben. Wer seine Isolation aufbrechen möchte, dem empfehlen die Autoren eine Politik der kleinen Schritte. Erst einmal täglich den Mann im Zeitungskiosk grüßen und dann größeres Terrain erobern.

Um es dazu zu sagen: Dieses Buch hat seine Mängel. Immer wieder bricht es aus der an sich klaren Gliederung aus, dreht sich im Kreis oder doziert über Kulturgeschichte, ohne historisch bewandert zu sein. Das egoistische Gen wird einmal mehr überstrapaziert, und dass die Gehirne lebender Menschen sich elektrischen Aktivitäten hingeben, ist inzwischen so sattsam bekannt wie wenig aussagekräftig. Das Kerngeschäft John C. Cacioppos jedoch - die psychologische Erforschung der Einsamkeit – liest sich so mitreißend, dringlich, Geist und Hirn öffnend, dass man die Schlenker gerne verzeiht.

Entscheidende Sympathiepunkte erobern die Autoren, wenn sie offene Worte über den fahrlässigen Umgang mit sozialen Bindungen finden. Gewachsene Stadtviertel werden abgerissen. Klassenverbände in den Schulen müssen Kurssystemen weichen. Arbeitnehmer werden zu Nomaden degradiert, ohne Heimat, ohne Menschen, ohne Ort. Flexibilität heißt das Zauberwort. Doch wir Menschen, das können die Autoren in ihrem Buch eindrücklich belegen - wir sind nicht so.

Besprochen von Susanne Billig

John T. Cacioppo, William H. Patrick: Einsamkeit - Woher sie kommt, was sie bewirkt, wie man ihr entrinnt
Übersetzt von Jorunn Wissmann
Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2011
386 Seiten, 19,95 Euro