Die Quadratur des Kreises
Den Architekten, die sich am Wettbewerb um die Gestaltung des Berliner Stadtschlosses beteiligen, sind enge Grenzen gesetzt. Drei der vier Fassaden des Humboldt-Forums sollen barock gestaltet werden. Die vierte, so wünschen sich viele, sollte am besten an die DDR erinnern. Michael Braum, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, hofft dennoch auf einen überraschenden Entwurf.
Ulrike Timm: Keine so attraktive Aufgabe für einen Architekten, einen Entwurf für ein Gebäude zu planen, wenn das Aussehen von drei der vier Seiten schon vorher feststeht. So sind jetzt 30 von gerade mal 85 Vorschlägen in der Endrunde des Wettbewerbs um den Neubau des Berliner Stadtschlosses. Man hatte mit viel mehr Beiträgen gerechnet. Und die Jury, die am Freitag den Sieger küren soll, fremdelt öffentlich mit der eigenen Aufgabe, stehen doch die Juroren selbst statt für Rekonstruktion für neue ambitionierte Architektur. Die ist aber ausdrücklich nur in engen Grenzen gefragt, denn an den Bundestagsbeschluss von 2002 sind alle gebunden. Und dieser Beschluss war ein denkwürdiger Akt. Das Parlament, der demokratische Souverän, entschied im Grundsatz über die symbolischste Baustelle in Deutschland, den Schlossplatz in Berlin. Schwierige Gemengelage? Darüber spreche ich jetzt mit Prof. Michael Braum, Architekt und Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur. Schönen guten Tag!
Michael Braum: Guten Tag!
Timm: Erwarten Sie denn unter diesen Voraussetzungen für die Kür am Freitag noch den großen Wurf?
Braum: Ich bin da sehr vorsichtig. Die Rahmen, das hatten Sie gesagt, sind relativ eng gesteckt. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich habe die Hoffnung, dass es 30 hervorragende Architektinnen/Architekten sind, die sich an dem Wettbewerb beteiligen und ich habe auch die Hoffnung, dass eine Überraschung als Ergebnis prämiert werden kann.
Timm: Nun gibt es im Moment etwas Aufregung. Die Jury hat sich vorab und sehr öffentlich dazu geäußert, dass sie an den Grundlagen ihrer eigenen Arbeit letztlich zweifelt. Der Juryvorsitzende sagt, ich bin ein Gegner der Behauptung, das alte Schloss wäre das Beste, was an dieser Stelle stehen kann. Das ist sehr salomonisch. Die Jury zweifelt öffentlich vor der Entscheidung an der eigenen Aufgabe. Gab es so was schon mal?
Braum: In dieser öffentlichen Diskussionsform, wie es jetzt stattfindet, kann ich mich nicht dran erinnern. Dass jeder zweifelt, dass jeder überlegt, wenn er in der Jury ist, das gab es sicherlich schon immer. Das Problem denke ich, was ich momentan sehe, bei allem Respekt gegenüber inhaltlichen Positionen, die da vertreten werden, die man auch nachvollziehen kann, ist das Problem das, dass wir mit unserer GRW Wettbewerbsrichtlinien haben, die gewisse Verfahrensregeln vorgeben und innerhalb dieser Verfahrensregeln ist u.a. auch geregelt, dass während des Verfahrens ein bestimmtes Verhalten notwendig ist. Inwieweit sich diese öffentlichen Äußerungen der Juryteilnehmer konstruktiv für das weitere Verfahren auswirken, das wage ich zu bezweifeln. Da sind jetzt Kluften eingetreten, die möglicherweise in der Jurysitzung nicht mehr überbrückt werden können. Und das bedauere ich, da hätte man sicherlich erwarten können, dass die Kritik, die jetzt zehn Tage vorher gekommen ist, wesentlich frühzeitiger gekommen wäre, um diesen Dialog zu entspannen.
Timm: Drei Fassaden Barockschloss sind gebongt und bei der vierten wünschen sich viele, dass sie in irgendeiner Weise auch an die DDR erinnert. Hier stand immerhin der berühmte Palast der Republik. Welches Geschichtsbild kann dieses Humboldt-Forum überhaupt transportieren? Wird das nicht ein Potpourri à la Preußen trifft die DDR unter dem Dach der Berliner Republik?
Braum: Ja, wenn es ein Potpourri werden würde, ich würde es anders bezeichnen. Wenn es bei diesem Wettbewerb gelänge, diese immer wieder unterschiedliche Geschichte, die die Berliner Mitte geprägt hat, auch in dem gebauten Umfeld widerzuspiegeln, dann fände ich das eine ausgesprochene Errungenschaft von Baukultur. Das heißt nicht, über einen Platz hinweggehen und die Geschichte sozusagen geschichtslos zu machen, sondern in Augenhöhe die unterschiedlichen Epochen auch baulich zu thematisieren. Das wird nicht passieren, und daran gibt es nichts zu rütteln, weil der Bundestagsbeschluss dazu geführt hat, dass drei dieser Barockfassaden wieder entsprechend hergestellt werden sollen und dass nur diese eine Fassade, von der Sie sprachen, anders interpretiert werden kann. Ich bin mir nur nicht sicher, ob dieses Ergebnis, diesem Geschichtsbewusstsein, was an diesem Ort eigentlich notwendig wäre, ob dieses Ergebnis der Festlegung einen genügenden Spielraum dafür gibt, dass nachfolgende Generationen sehen, das war ein Ort, an dem ist Geschichte gemacht, sowohl im Guten wie im Schlechten, in aller Lebendigkeit. Ich habe die Sorge, da will ich kein Hehl draus machen, dass dieses Geschichtsempfinden möglicherweise durch den neuen Entwurf, der jetzt prämiert wird, nicht wiedergegeben wird. Aber wie gesagt, die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht gibt es einen Genialen oder zwei Geniale, die uns eines Besseren belehren. Warten wir mal ab.
Timm: Am Freitag soll der Siegerentwurf für den Neubau des Berliner Stadtschlosses als Humboldt-Forum mit drei historischen Fassaden gekürt werden. Und das wird eine sehr schwere Geburt werden. Wir sprechen darüber im "Radiofeuilleton" mit dem Architekten und Vorsitzenden der Bundesstiftung Baukultur, mit Prof. Michael Braum. Herr Braum, der Casus Knacktus in dieser schier endlosen Diskussion um diese nationale Großbaustelle, der scheint immer wieder dieser zu sein. Die Architekten sehnen sich nach moderner Architektur, die sie nicht dürfen. Weite Teile der Bevölkerung und das Parlament wünschen sich ausdrücklich Historisches. Das muss den Vertretern der modernen Architektur eigentlich schwer zu denken geben, dass man ihnen so wenig zutraut?
Braum: Ja, das gibt schwer zu denken. Das heißt, ich glaube, da muss man auch ein Stück weit selbstkritisch mit sich umgehen. Die Moderne hat in ihrer Rigorosität und in ihrer, ich möchte auch sagen, Dogmatik und Ideologie sehr, sehr viel zerstört, als dass sie, ich will nur den International Style nennen, die Globalisierung in der Architektur vorweggenommen hat. Das heißt, sie hat sich relativ wenig im Durchschnitt um die Qualität der spezifischen Orte gekümmert. Dass dies dazu führt, dass unter denen, die dieses letztendlich nutzen, große Ressentiments bestehen, ist für mich vollkommen außer Zweifel. Und von daher ist die Profession zum großen Teil auch mit dafür verantwortlich, dass diese Vorbehalte heute existieren. Und daran müssen wir arbeiten. Wir haben uns, mit Fug und Recht kann man das sagen, 20, 30, vielleicht 40 Jahre überhaupt nicht um die Geschichte in der Intensität gekümmert. Das heißt ja nicht, dass es auch bei den Modernen Architekten gibt, in Berlin zahllose, wenn wir beispielsweise an die Bebauung des Breitscheidplatzes denken, die sich trotz einer modern anmutenden Architektur mit historischen Elementen auseinandergesetzt haben. Aber wenn wir in die Breite gehen, wenn wir in den Durchschnitt gehen, wenn wir in unsere Großsiedlungen gehen, wenn wir in die ganz normale Baukultur des Alltäglichen gehen, da sind dort Defizite.
Timm: Machen wir es noch mal konkret und bezüglich auf den Neubau des Schlosses. Unabhängig von der Geschichte bringt ja das Wort Schloss die Menschen zum Träumen. Sie finden das erst mal schön, ob Sie das als Architekt nun mögen oder nicht. Verschließt sich die moderne Baukunst solchen Wünschen vielleicht zu sehr oder hat sie schlicht nichts Gleichwertiges zu bieten?
Braum: Ich glaube das nicht, dass sie sich zu sehr verschließt. Das sind sicherlich jetzt möglicherweise sogar Geschmacksdiskussionen, die ich ungern führe. Aber wir haben im Kanzleramt einen neuen Typ von Schloss gebaut bekommen. Das heißt, wir haben hier hervorragende Architekten in Deutschland, die diese träumerische Architektur durchaus realisieren können.
Timm: Aber warum teilt sich das den Menschen, die auf der Straße spazieren gehen, so schwer mit?
Braum: Ich glaube, da muss man noch mal anders überlegen. Ich glaube, dass, und das ist gerade die gegenwärtige Zeit, eine allgemeine Verunsicherung aufgrund ganz vieler Faktoren eintritt. Und diese allgemeine Verunsicherung bringt bei jedem eine gewisse Sehnsucht nach Geschichte hervor. Wenn jeder in sich guckt, sind ganz viele da, die sagen, na ja, das war ja vielleicht früher doch vielleicht einfacher, das war überschaubarer, das war griffiger, da hatte ich meinen Platz gehabt. Und heute in dieser globalisierten Welt hat man keinen Platz und dann geht einem noch die Existenz zugrunde oder ist zumindest so angespannt, dass man nicht mehr weiß, wie das weitergeht. Und dass man da eine Sehnsucht nach einer Zeit hat, in der es den Leuten, die heute die Sehnsucht haben, wahrscheinlich auch nicht besser gegangen wäre als heute, das ist aber etwas, was in den Köpfen läuft und was nicht in der Realität sich abbildet, führt dazu, dass diese Sehnsucht da ist. Wir haben als Architekten und Planer die Aufgabe, da mit Argumenten andere zu überzeugen. Wir können nicht davon ausgehen, dass wir durch unser fertiges Wissen diesen Konflikt aufbrechen können.
Timm: Am Freitag wird erst mal der Siegerentwurf gekürt werden. Sie, Prof. Braum, haben die Stiftung Baukultur als Vermittler ins Spiel gebracht, falls eine Entscheidung fällt, mit der dann mal wieder alle öffentlich unglücklich sind. Aber was kann das noch bringen? Alles wieder von vorn? Der Bundestagsbeschluss, der steht doch.
Braum: Der Bundestagsbeschluss steht. Ich denke auch, dass es eine Entscheidung ist, die auf der höchsten demokratischen Ebene mehrheitsfähig war. Gleichsam bleibt für mich als Vertreter der Baukultur die Frage, können baukulturelle Fragen ausschließlich über demokratische Mehrheitsverhältnisse entschieden werden. Das heißt, die Diskussion und das Unbehagen, was jetzt da ist, zeigt mir, dass einige Fragen noch offen sind. Und ich denke, auch unter Anbetracht der gegenwärtigen finanziellen Krise und Situation, die wir haben, bin ich mir nicht sicher, ob ein Zeitdruck tatsächlich entsteht, diese Mittel kurzfristig zu realisieren. Ich glaube, man wäre gut beraten, noch mal darüber nachzudenken, ob und was die Argumente für das und das andere wären. Und diesen ganzen Prozess der letzten 20 Jahre, 20 Jahre wird das diskutiert, noch mal dahingehend zu überprüfen, an welchen Stellen welche Entscheidungen getroffen werden. Ich frage mich beispielsweise, ohne das nicht ganz ernst zu meinen, wieso ist die Entscheidung da zu sagen, wir machen die barocken Fassaden? Warum machen wir nicht die gesamte Geschichte des Schlosses?
Timm: Schwierige Gemengelage vor der Entscheidung über den Siegerentwurf zum Humboldt-Forum am Freitag. Darüber sprach ich mit Prof. Michael Braum, Architekt und Vorsitzender der Bundesstiftung Baukultur. Herzlichen Dank fürs Gespräch!
Braum: Bitte sehr!
Michael Braum: Guten Tag!
Timm: Erwarten Sie denn unter diesen Voraussetzungen für die Kür am Freitag noch den großen Wurf?
Braum: Ich bin da sehr vorsichtig. Die Rahmen, das hatten Sie gesagt, sind relativ eng gesteckt. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich habe die Hoffnung, dass es 30 hervorragende Architektinnen/Architekten sind, die sich an dem Wettbewerb beteiligen und ich habe auch die Hoffnung, dass eine Überraschung als Ergebnis prämiert werden kann.
Timm: Nun gibt es im Moment etwas Aufregung. Die Jury hat sich vorab und sehr öffentlich dazu geäußert, dass sie an den Grundlagen ihrer eigenen Arbeit letztlich zweifelt. Der Juryvorsitzende sagt, ich bin ein Gegner der Behauptung, das alte Schloss wäre das Beste, was an dieser Stelle stehen kann. Das ist sehr salomonisch. Die Jury zweifelt öffentlich vor der Entscheidung an der eigenen Aufgabe. Gab es so was schon mal?
Braum: In dieser öffentlichen Diskussionsform, wie es jetzt stattfindet, kann ich mich nicht dran erinnern. Dass jeder zweifelt, dass jeder überlegt, wenn er in der Jury ist, das gab es sicherlich schon immer. Das Problem denke ich, was ich momentan sehe, bei allem Respekt gegenüber inhaltlichen Positionen, die da vertreten werden, die man auch nachvollziehen kann, ist das Problem das, dass wir mit unserer GRW Wettbewerbsrichtlinien haben, die gewisse Verfahrensregeln vorgeben und innerhalb dieser Verfahrensregeln ist u.a. auch geregelt, dass während des Verfahrens ein bestimmtes Verhalten notwendig ist. Inwieweit sich diese öffentlichen Äußerungen der Juryteilnehmer konstruktiv für das weitere Verfahren auswirken, das wage ich zu bezweifeln. Da sind jetzt Kluften eingetreten, die möglicherweise in der Jurysitzung nicht mehr überbrückt werden können. Und das bedauere ich, da hätte man sicherlich erwarten können, dass die Kritik, die jetzt zehn Tage vorher gekommen ist, wesentlich frühzeitiger gekommen wäre, um diesen Dialog zu entspannen.
Timm: Drei Fassaden Barockschloss sind gebongt und bei der vierten wünschen sich viele, dass sie in irgendeiner Weise auch an die DDR erinnert. Hier stand immerhin der berühmte Palast der Republik. Welches Geschichtsbild kann dieses Humboldt-Forum überhaupt transportieren? Wird das nicht ein Potpourri à la Preußen trifft die DDR unter dem Dach der Berliner Republik?
Braum: Ja, wenn es ein Potpourri werden würde, ich würde es anders bezeichnen. Wenn es bei diesem Wettbewerb gelänge, diese immer wieder unterschiedliche Geschichte, die die Berliner Mitte geprägt hat, auch in dem gebauten Umfeld widerzuspiegeln, dann fände ich das eine ausgesprochene Errungenschaft von Baukultur. Das heißt nicht, über einen Platz hinweggehen und die Geschichte sozusagen geschichtslos zu machen, sondern in Augenhöhe die unterschiedlichen Epochen auch baulich zu thematisieren. Das wird nicht passieren, und daran gibt es nichts zu rütteln, weil der Bundestagsbeschluss dazu geführt hat, dass drei dieser Barockfassaden wieder entsprechend hergestellt werden sollen und dass nur diese eine Fassade, von der Sie sprachen, anders interpretiert werden kann. Ich bin mir nur nicht sicher, ob dieses Ergebnis, diesem Geschichtsbewusstsein, was an diesem Ort eigentlich notwendig wäre, ob dieses Ergebnis der Festlegung einen genügenden Spielraum dafür gibt, dass nachfolgende Generationen sehen, das war ein Ort, an dem ist Geschichte gemacht, sowohl im Guten wie im Schlechten, in aller Lebendigkeit. Ich habe die Sorge, da will ich kein Hehl draus machen, dass dieses Geschichtsempfinden möglicherweise durch den neuen Entwurf, der jetzt prämiert wird, nicht wiedergegeben wird. Aber wie gesagt, die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht gibt es einen Genialen oder zwei Geniale, die uns eines Besseren belehren. Warten wir mal ab.
Timm: Am Freitag soll der Siegerentwurf für den Neubau des Berliner Stadtschlosses als Humboldt-Forum mit drei historischen Fassaden gekürt werden. Und das wird eine sehr schwere Geburt werden. Wir sprechen darüber im "Radiofeuilleton" mit dem Architekten und Vorsitzenden der Bundesstiftung Baukultur, mit Prof. Michael Braum. Herr Braum, der Casus Knacktus in dieser schier endlosen Diskussion um diese nationale Großbaustelle, der scheint immer wieder dieser zu sein. Die Architekten sehnen sich nach moderner Architektur, die sie nicht dürfen. Weite Teile der Bevölkerung und das Parlament wünschen sich ausdrücklich Historisches. Das muss den Vertretern der modernen Architektur eigentlich schwer zu denken geben, dass man ihnen so wenig zutraut?
Braum: Ja, das gibt schwer zu denken. Das heißt, ich glaube, da muss man auch ein Stück weit selbstkritisch mit sich umgehen. Die Moderne hat in ihrer Rigorosität und in ihrer, ich möchte auch sagen, Dogmatik und Ideologie sehr, sehr viel zerstört, als dass sie, ich will nur den International Style nennen, die Globalisierung in der Architektur vorweggenommen hat. Das heißt, sie hat sich relativ wenig im Durchschnitt um die Qualität der spezifischen Orte gekümmert. Dass dies dazu führt, dass unter denen, die dieses letztendlich nutzen, große Ressentiments bestehen, ist für mich vollkommen außer Zweifel. Und von daher ist die Profession zum großen Teil auch mit dafür verantwortlich, dass diese Vorbehalte heute existieren. Und daran müssen wir arbeiten. Wir haben uns, mit Fug und Recht kann man das sagen, 20, 30, vielleicht 40 Jahre überhaupt nicht um die Geschichte in der Intensität gekümmert. Das heißt ja nicht, dass es auch bei den Modernen Architekten gibt, in Berlin zahllose, wenn wir beispielsweise an die Bebauung des Breitscheidplatzes denken, die sich trotz einer modern anmutenden Architektur mit historischen Elementen auseinandergesetzt haben. Aber wenn wir in die Breite gehen, wenn wir in den Durchschnitt gehen, wenn wir in unsere Großsiedlungen gehen, wenn wir in die ganz normale Baukultur des Alltäglichen gehen, da sind dort Defizite.
Timm: Machen wir es noch mal konkret und bezüglich auf den Neubau des Schlosses. Unabhängig von der Geschichte bringt ja das Wort Schloss die Menschen zum Träumen. Sie finden das erst mal schön, ob Sie das als Architekt nun mögen oder nicht. Verschließt sich die moderne Baukunst solchen Wünschen vielleicht zu sehr oder hat sie schlicht nichts Gleichwertiges zu bieten?
Braum: Ich glaube das nicht, dass sie sich zu sehr verschließt. Das sind sicherlich jetzt möglicherweise sogar Geschmacksdiskussionen, die ich ungern führe. Aber wir haben im Kanzleramt einen neuen Typ von Schloss gebaut bekommen. Das heißt, wir haben hier hervorragende Architekten in Deutschland, die diese träumerische Architektur durchaus realisieren können.
Timm: Aber warum teilt sich das den Menschen, die auf der Straße spazieren gehen, so schwer mit?
Braum: Ich glaube, da muss man noch mal anders überlegen. Ich glaube, dass, und das ist gerade die gegenwärtige Zeit, eine allgemeine Verunsicherung aufgrund ganz vieler Faktoren eintritt. Und diese allgemeine Verunsicherung bringt bei jedem eine gewisse Sehnsucht nach Geschichte hervor. Wenn jeder in sich guckt, sind ganz viele da, die sagen, na ja, das war ja vielleicht früher doch vielleicht einfacher, das war überschaubarer, das war griffiger, da hatte ich meinen Platz gehabt. Und heute in dieser globalisierten Welt hat man keinen Platz und dann geht einem noch die Existenz zugrunde oder ist zumindest so angespannt, dass man nicht mehr weiß, wie das weitergeht. Und dass man da eine Sehnsucht nach einer Zeit hat, in der es den Leuten, die heute die Sehnsucht haben, wahrscheinlich auch nicht besser gegangen wäre als heute, das ist aber etwas, was in den Köpfen läuft und was nicht in der Realität sich abbildet, führt dazu, dass diese Sehnsucht da ist. Wir haben als Architekten und Planer die Aufgabe, da mit Argumenten andere zu überzeugen. Wir können nicht davon ausgehen, dass wir durch unser fertiges Wissen diesen Konflikt aufbrechen können.
Timm: Am Freitag wird erst mal der Siegerentwurf gekürt werden. Sie, Prof. Braum, haben die Stiftung Baukultur als Vermittler ins Spiel gebracht, falls eine Entscheidung fällt, mit der dann mal wieder alle öffentlich unglücklich sind. Aber was kann das noch bringen? Alles wieder von vorn? Der Bundestagsbeschluss, der steht doch.
Braum: Der Bundestagsbeschluss steht. Ich denke auch, dass es eine Entscheidung ist, die auf der höchsten demokratischen Ebene mehrheitsfähig war. Gleichsam bleibt für mich als Vertreter der Baukultur die Frage, können baukulturelle Fragen ausschließlich über demokratische Mehrheitsverhältnisse entschieden werden. Das heißt, die Diskussion und das Unbehagen, was jetzt da ist, zeigt mir, dass einige Fragen noch offen sind. Und ich denke, auch unter Anbetracht der gegenwärtigen finanziellen Krise und Situation, die wir haben, bin ich mir nicht sicher, ob ein Zeitdruck tatsächlich entsteht, diese Mittel kurzfristig zu realisieren. Ich glaube, man wäre gut beraten, noch mal darüber nachzudenken, ob und was die Argumente für das und das andere wären. Und diesen ganzen Prozess der letzten 20 Jahre, 20 Jahre wird das diskutiert, noch mal dahingehend zu überprüfen, an welchen Stellen welche Entscheidungen getroffen werden. Ich frage mich beispielsweise, ohne das nicht ganz ernst zu meinen, wieso ist die Entscheidung da zu sagen, wir machen die barocken Fassaden? Warum machen wir nicht die gesamte Geschichte des Schlosses?
Timm: Schwierige Gemengelage vor der Entscheidung über den Siegerentwurf zum Humboldt-Forum am Freitag. Darüber sprach ich mit Prof. Michael Braum, Architekt und Vorsitzender der Bundesstiftung Baukultur. Herzlichen Dank fürs Gespräch!
Braum: Bitte sehr!