Die Quandts und die Krupps

Die NS-Verstrickungen der beiden Industriellen-Familien Quandt und Krupp sind Thema zweier Neuerscheinungen. Maike Albath spricht mit Joachim Scholtyseck, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Bonn, und Sven Murmann, Verleger.
Joachim Scholtyseck: Der Aufstieg der Quandts
Eine deutsche Unternehmensdynastie
C.H. Beck Verlag München 2011

Harold James: Krupp
Deutsche Legende und globales Unternehmen
C.H. Beck Verlag München 2011


Maike Albath: Am Mikrofon begrüßt Sie Maike Albath, heute von der Frankfurter Buchmesse.

"Sparsamkeit, Pflichttreue und Unbestechlichkeit seien Tugenden, die ihn immer geleitet hätten", so beschreibt der Rüstungsunternehmer Günther Quandt seine Handlungsmaximen in seinen Memoiren. Dieser Selbstidealisierung zu glauben, war für die Familie lange Zeit bequemer als den Verstrickungen während des Nationalsozialismus nachzugehen.

Wie sehr die Dynastien Quandt und Krupp von den politischen Verhältnissen profitierten, ist Gegenstand zweier neuer Bücher, über die wir heute diskutieren wollen. Dazu begrüße ich den Historiker Joachim Scholtyseck, Professor für Geschichte an der Universität Bonn, Autor der Studie "Der Aufstieg der Quandts". Guten Tag, Herr Scholtyseck.

Joachim Scholtyseck: Guten Tag, Frau Albath.

Maike Albath: Mit dabei ist außerdem der Verleger Sven Murmann. In seinem Haus werden Sachbücher aus dem Bereich Wirtschaft und Gesellschaft verlegt. Guten Tag, Herr Murmann.

Sven Murmann: Guten Tag.

Maike Albath: Herr Scholtyseck, es handelte sich um eine Auftragsarbeit, die Sie jetzt vorgelegt haben. Der Quandt-Konzern ist immer noch in Deutschland sehr bedeutsam. 46,7 Prozent von BMW gehören der Quandt-Familie. Warum hat die Familie sich jetzt, so lange nach dem Nationalsozialismus, entschieden, diese Studie in Auftrag zu geben?



Joachim Scholtyseck: Das war der öffentliche Druck. Es war der Familie gar nicht anders möglich, als diese Studie in Auftrag zu geben und die eigene Familiengeschichte erforschen zu lassen.

Es gab im Jahr 2007 einen Film, der Furore gemacht hat und in dem die Familie recht stark angegriffen wurde. Der Hauptvorwurf lautete, die Familie habe mit dem Blutgeld geradezu der Zwangsarbeiter ihr Vermögen aufgebaut. Und die Familie sah sich gezwungen und hat sich dem dann auch gebeugt, die Familiengeschichte wissenschaftlich, auf Archivstudien fußend aufzuarbeiten.

Maike Albath: Über 1200 Seiten umfasst Ihre Studie, also ein ganz großes Werk ist es geworden. Sven Murmann, nun herrscht ja in diesen Familienunternehmen oft auch eine ganz bestimmte Ideologie. Wie ist das bei den Quandts? Kann man da auch etwas erkennen?

Sven Murmann: In dem Fall würde ich mich eigentlich nicht so sehr anfreunden mit dem Begriff Ideologie. So eine Familiendynastie ist doch viel vielseitiger und vielschichtiger als wir von außen oft meinen. Ich glaube nicht, dass da immer Harmonie war oder auch Meinungsgleichheit in allen Punkten.

Natürlich, Familienunternehmen, die über viele Generationen es schaffen zusammenzubleiben, haben ein dynastisches Prinzip. Dieses dynastische Prinzip macht sie auch stark und macht sie im Übrigen ja auch unabhängig von den politischen Konstellationen, in denen sie gerade wirtschaften. Ich denke mal, die Quandts sind hier ein Beispiel, das durchaus typologisch ist dafür.

Maike Albath: Ja, denn das Familienunternehmen ist ja dann so eine Art Bollwerk, auch gegen die politischen Verhältnisse, oder eine Möglichkeit, die politischen Verhältnisse auszunutzen.

Herr Scholtyseck, Sie deuteten schon an, dass es ja so etwas wie Blutgeld gegeben habe. Das hängt auch zusammen zum Teil mit Arisierungen. Das ist ein wichtiges Stichwort, also, die Enteignung jüdischer Firmen. Dazu ein Wort.

Joachim Scholtyseck: Ich habe in meinem Buch geschrieben, dass gerade Günther Quandt, der pater familias, der ein Patriarch gewesen ist, eigentlich durchaus auch typisch für Familienunternehmen, ein "man for all seasons" gewesen ist. Das ist eine Bemerkung, die Lothar Gall einmal über Hermann Josef Abs, den Bankier, gemacht hat, der aber genauso auf Günther Quandt zutrifft, ein Mensch, der in allen Regierungsformen erfolgreich sein kann und dann natürlich eben auch im Dritten Reich erfolgreich war. Dazu gehörten auch diese düsteren Kapitel wie die Arisierungen und die Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg.

Maike Albath: War Günther Quandt denn ein überzeugter Nationalsozialist? Was kann man aus der Studie entnehmen?

Joachim Scholtyseck: Wenn man diese Frage so beantworten kann: Er hat sich dem Regime angedient, aber er war kein Ideologe. Er war auch kein Nationalsozialist. Man wird sagen können, dass er ein sehr eindimensionaler Mensch gewesen ist. Er hat sich für das Pekuniäre interessiert, das Geld und sein Unternehmen. Das stand für ihn im Vordergrund.

Und wenn ich das vielleicht noch anfügen darf: Ich habe ja auch über andere Unternehmerpersönlichkeiten geforscht, etwa Robert Bosch. Das ist ein Mensch, der hatte auch ein soziales Gewissen. Der ist ein Mensch, der aus dem 19. Jahrhundert stammt. Günther Quandt ist jemand, der ins 20. Jahrhundert gehört, der aber wenig andere Interessen hatte. Das hat ihn auch anfällig gemacht für das Opportunistische, das im Dritten Reich möglich gewesen ist – ohne dass er ein Nationalsozialist war.

Maike Albath: Er hat dann seine junge Frau Magda so vernachlässigt, dass es zur Scheidung kam und sie dann ausgerechnet Joseph Goebbels heiratete. Also, es gab schon bestimmte Verbindungen auch mit dem nationalsozialistischen Regime, wobei es dann auch zu Streit kam in der Familie.

In der Studie habe ich gelernt, Sven Murmann, dass es doch auch eine gewisse Skrupellosigkeit gab bei Günther Quandt, gerade was das Geschäftliche anging. Wie haben Sie das gelesen?

Sven Murmann: Ja, man liest es so. Herr Scholtyseck, Sie haben ja auch als Autor des Buches da wirklich sehr klare Aussagen getroffen. Ich habe mich gefragt beim Lesen, ob wir es hier sozusagen mit dem Urtypus des apolitischen homo oeconomicus zu tun haben, der sein Geschäft vorantreibt, der seine primäre Verantwortung eigentlich gegenüber seinem Betrieb sieht und nicht gegenüber dem Umfeld oder der Nation in dem Sinne, auch nicht einer politischen Regierung, sondern wirklich eigentlich aus dieser kaufmännischen Verpflichtung heraus seinen eigenen Vorteil verfolgt und dann im Grunde genommen im Zuge dieser Motivlage die soziale Dimension des Unternehmens vielleicht vergessen hat.

Und ich hab mich aber auch gefragt beim Lesen, ich weiß nicht, wie Sie das sehen, das ist ja nicht unbedingt etwas, was nur für Unternehmer gilt. Ich meine, wir haben ja auch Wissenschaftler, Künstler, Intellektuelle, die einfach ihr Geschäft betrieben haben, die ihren eigenen Vorteil gesehen haben und die dann mit dem System kollaboriert haben, obwohl es gar keine bewusste Entscheidung war. Aber ihr Fortkommen war im Grunde genommen die Priorität.

Maike Albath: Das mindert aber nicht die Verantwortung, die Quandt da zu tragen hat. Nicht, Herr Scholtyseck?

Joachim Scholtyseck: Ja, natürlich. Aber ich gebe Herrn Murmann vollkommen Recht. Wenn man sich die Rolle beispielsweise von Journalisten anschaut oder anderen Intellektuellen, die haben natürlich genauso versagt.

Es kommt aber eben dann auf die Machtposition an, die man in so einem Fall hat. Ein Journalist oder vielleicht ein Literat, der dem Nationalsozialismus anheim fällt, das ist relativ unbedeutend. Aber wenn es eben ein Großindustrieller ist, der auch eine gewisse Verantwortung tragen möchte – das ist ja auch dieses, was ein Unternehmer dann auch gerne auf dem Schilde trägt, wenn der fehlt und eben diese ehrliche Kaufmannsmoral, was auch immer das ist, darüber müsste man auch diskutieren, nicht mehr beherrscht, dann ist es schon etwas anderes als wenn man nur ein Intellektueller ist.

Maike Albath: Wie ist er denn mit jüdischen Mitarbeitern umgegangen?

Joachim Scholtyseck: Ja, ganz ambivalent. Auch da muss man sagen, er war kein Nationalsozialist, aber er war auch kein Antisemit. Das brauchte er auch nicht sein. Da ist also eine große Maschinenbaufirma in Erfurt, die 1938 übernommen wurde, da hat er wenig Skrupel gehabt, dieses Unternehmen zu übernehmen. Aber es gibt auch andere Fälle.

Da ist ein Beispiel eines jüdischen Vorstandsmitglieds einer seiner Firmen. Auf Druck der Nationalsozialisten muss dieses Mitglied ausscheiden. Er versucht ihn noch im Betrieb zu halten, aber dieser Georg Sachs, dieses Vorstandsmitglied, entscheidet dann, ich kann in Deutschland nicht mehr bleiben. Und das akzeptiert Günther Quandt, macht aber noch einen Abschiedsbesuch und gibt ihm auch einen großen Scheck, damit er in den USA sein neues Glück finden kann.

Also, das muss sich nicht unbedingt widersprechen. Ein Antisemit war er nicht, aber wenn es die Möglichkeit gab, ein arisiertes Unternehmen in sein eigenes Imperium einzubinden, dann hat er diese Möglichkeit sofort ausgenutzt.

Maike Albath: Wie war das denn mit der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik, Herr Murmann? Wie ist das für die Unternehmen möglich gewesen, sich da zu arrangieren? Wie haben die sich verhalten? War es stark interventionistisch?

Sven Murmann: Mein Eindruck ist, es hing sehr an Personen. Und natürlich gab es eine Ideologie. Der Nationalsozialismus hat gesagt, wir sind das Bollwerk gegen den Bolschewismus. Insoweit war es kein Antikapitalismus.

Auf der anderen Seite gab es natürlich starke Tendenzen, die Wirtschafts- und Produktionskräfte des Landes im Hinblick auf den Krieg auszurichten, aber auch nicht wieder so im Sinne von Rathenau im 1. Weltkrieg, dass sozusagen die Wirtschaft komplett ja eingebaut worden ist in eine große Versorgungsstrategie. So war es auch wieder nicht.

Also, es ist vielschichtig. Und mein Eindruck aus der Lektüre der Bücher ist eigentlich, dass es oft sehr an Personen hing, wie das funktioniert hat zwischen Politik und Wirtschaft. Eins ist klar: Natürlich haben wir es in der Zeit zwischen 1933 und '45 mit einer hohen Politisierung der Märkte zu tun.

Joachim Scholtyseck: Vielleicht kann ich das noch einmal kurz ergänzen. Es gab, wie Herr Murmann ja auch gesagt hat, eine durchaus antikapitalistische Fraktion innerhalb des Nationalsozialismus, was eben auch erklärt, dass Günther Quandt im Frühjahr 1933 für einige Wochen in Einzelhaft in Berlin Moabit eingesperrt wurde.

Das waren diese Kräfte, die dann allerdings auch zurückgedrängt wurden, weil Hitler ganz klar sagte: Wir brauchen die Industriellen für die Aufrüstung und letztlich eben auch für den Krieg. Die Unternehmen, die die Gruppe Quandt dann im Zweiten Weltkrieg sich angeeignet hat, wurden relativ zügig ausgebaut. Das gilt vor allen Dingen für diese Unternehmen, die in Posen, im damaligen Warthegau dann letztlich über 20.000 polnische Arbeiter beschäftigt haben, die unter zwangsarbeiterähnlichen Bedingungen schuften mussten.

Maike Albath: Das ist ein wichtiges Stichwort "Zwangsarbeiter". 50.000 Zwangsarbeiter hat das Unternehmen Quandt beschäftigt in dieser Zeit. Wie war deren Lage?

Joachim Scholtyseck: Man muss zunächst vorausschicken, dass es weltfremd wäre, dass ein Unternehmen Zwangsarbeiter hätte ablehnen können. Aber es kam darauf an, wie man diese Arbeiter beschäftigt hat. Da gibt es also durchaus Handlungsspielräume. Und es gab Handlungsspielräume. Und diese Handlungsspielräume wurden – das muss man eben sagen – in den Quandt-Firmen nicht ausgenutzt. Manchmal machte es das Überleben dann eben auch aus, ob man eine Scheibe Brot mehr oder weniger am Tag bekommen hat.

Auf der anderen Seite kann man sagen, dass gerade bei den KZ-Arbeitern, KZ-Häftlinge wurden ja auch beschäftigt, dass es da in diesen Unternehmen nicht um Vernichtung durch Arbeit ging, wie die SS das vorschlug, sondern unter möglichst geringem Einsatz von eigenen Mitteln diese Menschen dann zur Arbeit anzuleiten.

Maike Albath: Wie steht es mit diesem Menschen Günther Quandt? Wird der einem eigentlich deutlich durch die Studie von Joachim Scholtyseck, Sven Murmann? Haben Sie den begriffen?

Sven Murmann: Ich muss sagen: Nein. Das liegt aber nicht am Autor. Das würde ich gerne von Ihnen, Herr Scholtyseck, erfahren, warum ich als Leser des Buches das Psychogramm dieses Menschen nicht wirklich verstanden habe.

Joachim Scholtyseck: Die Frage ist gut. Und gute Fragen lassen sich wirklich immer sehr schwer beantworten. Ich weiß es nach vier Jahren intensiver Beschäftigung auch nicht, also, was diesen Mann eigentlich angetrieben hat, ich sage es mal etwas salopp, wie er getickt hat. Das ist unklar.

Man weiß, dass er sich für das Geld interessiert hat, dass er sich für seine Unternehmen interessiert hat, dass er gerne früher Architektur studiert hätte, das nicht machen konnte. Aber welche Träume er hatte, welche Ideen, das ist alles relativ unklar.

Es gibt dieses Beispiel, Frau Albath, Sie haben das vorhin schon genannt, dass er ja mit einer Magda verheiratet gewesen ist, ein junges Mädchen. Und es gibt eben dieses weit über das Anekdotische Hinausgehende, dass er tatsächlich Mitte der 20er-Jahre nach einem zwölf- oder 15-Stunden-Arbeitstag nach Hause kommt und, anstatt sich um seine junge Frau zu kümmern, setzt er sich in den Ohrensessel, liest den Berliner Börsenkurier, weil ihn das interessiert, und schläft nach einer halben Stunde ein. Es ist auch daher klar, dass diese Ehe nicht halten konnte.

Maike Albath: Ein entsetzliches Schicksal für eine Ehefrau. Nun hat Ihre Studie schon sehr viel Wirbel gemacht und wurde breit kommentiert. Auch die Erben der Familie haben Stellung genommen in einem Gespräch in der ZEIT vor drei Wochen. Wie geht denn diese neue Generation, die nachgeborene Generation mit dem Faktum um? Wie ist da Ihr Eindruck, Herr Scholtyseck?

Joachim Scholtyseck: Mein Eindruck ist, der hatte sich aber auch schon während der Arbeiten herauskristallisiert, dass die Familie das dann akzeptiert hat, dass eben ein offener Umgang notwendig ist und dass dieser offene Umgang dann letztlich auch Chancen bietet.

Man kann sich vorstellen, in einer Familie ist es schmerzhaft, sich von so einem Bild zu lösen, dass der Großvater eben doch ein ganz großer Held gewesen sei. Und ein solcher Ablösungsprozess ist niemals einfach und kann auch nicht einfach sein. Ich weiß das aus meiner eigenen Familie. Und es gibt sicherlich genügend andere Beispiele.

Und dass man sich dem gestellt hat, das ich auch die Möglichkeit hatte, dieses Familienarchiv zu konsultieren und dass diese Akten jetzt auch in ein öffentliches Archiv gegeben werden und dass die Familie gesagt hat, alles darf geschrieben werden, wir greifen nicht ein, das hatte ich mir auch zusichern lassen, aber dass die Familie es eben auch nicht versucht hat, das ist ein Zeichen meines Erachtens, dass diese Offenheit dann letztlich auch etwas für die Familie oder für die verschiedenen Familienzweige bringt.

Maike Albath: Wir sprachen über die Studie von Joachim Scholtyseck "Der Aufstieg der Quandts. Eine deutsche Unternehmerdynastie", erschienen im C.H. Beck Verlag.

Es gibt noch ein anderes Buch über eine wichtige deutsche Unternehmerfamilie – Krupp. Das verbindet man ja automatisch mit Deutschland. Sven Murmann, was ist das für ein Aufstieg? Da führt uns der Autor Harold James ja erst mal zurück ins 19. Jahrhundert.

Sven Murmann: Es ist erstmal ein ganz anderes Buch als das, was Herr Scholtyseck geschrieben hat. Die Krupps haben auch eine 200 Jahre alte Tradition. Und wir haben es hier mit 330 Seiten zu tun, bei Ihnen mit 1200.
Dementsprechend hat Harold James sich gesagt, ich wähle einige Leitmotive aus und versuche dann anhand dieser Leitmotive diese Familie und den Aufstieg zu verstehen. Das Faszinierende ist auf jeden Fall, dass das Unternehmen Krupp in der Entstehungsgeschichte 25 Jahre kein Geld verdient hat.

Maike Albath: Das hat mich auch verblüfft. Das könnte man sich heute nicht mehr vorstellen.

Sven Murmann: Genau. Das ist so faszinierend zu lesen und das hat Herr James einfach auch toll rausgearbeitet, wie dann der lange Atem, ich schildere das jetzt einfach mal positiv, doch dazu geführt hat, dass dieses Unternehmen schlussendlich reüssieren konnte – beeindruckend.

Maike Albath: Was ist denn der Unterschied von diesem rheinländischen Kapitalisten Krupp zu Quandt? Also, da scheint ja eine ganz andere Unternehmerfigur noch einmal aufs Tapet zu kommen, zumindest in gewisser Hinsicht. Er wirkt sehr paternalistisch, wenn man diese Studie von James sich anschaut.

Joachim Scholtyseck: Ja, aber da muss man sogar sagen, auch Günther Quandt würde in dieses Bild hineinpassen, auch paternalistisch.

Man muss allerdings dazu sagen: Dieses Unternehmen Krupp ist im 19. Jahrhundert schon wirklich groß gewesen im Vergleich zu dem, was Günther Quandt und sein Vater Emil Quandt als Tuchhersteller aufgebaut hat. Also, Krupp hatte schon Mitte des 19. Jahrhunderts über 10.000 Arbeiter in Essen, während die Tuchfabrik von Günther Quandt beziehungsweise seines Vaters noch ein kleiner Betrieb im Brandenburgischen gewesen ist. Da sieht man schon diesen großen quantitativen Unterschied.

Auf der anderen Seite, das hat Herr Murmann gerade gesagt, was auch interessant ist: Unternehmer sind ja auch immer der Gefahr des Scheiterns ausgesetzt. Und das Gemeinsame von Krupp und Quandt oder eines der Dinge, die gemeinsam sind, ist, dass diese Unternehmen überlebt haben und diese Unternehmer überlebt haben. Jedes Unternehmen kann untergehen. Und dieses Risiko, das mit dem Unternehmertum verbunden ist, das wird sehr häufig auch unterschätzt.

Was sicherlich etwas anderes ist, ist dieses soziale Gewissen und auch so etwas, wie man heute sagt, Corporate Identity. Das hat es bei Krupp in stärkerem Maße gegeben als bei Quandt. Also, so ein Quandt-Geist, wie es auch im Unternehmen etwa gegeben hat, einen Bosch-Geist, das gab es nicht. Und bei den Krupps und bei den Arbeitern von Krupp, den Kruppianern, ist so etwas eben ganz deutlich über die Jahrhunderte auch zu erkennen.

Sven Murmann: Könnte man nicht sagen, Herr Scholtyseck, dass sich fast dieser Begriff, den Frau Albath gerade zitierte, "rheinländischer Kapitalismus", der hat sich doch gebildet eigentlich über dieses patriarchalische, paternalistische Verhalten der Krupps. Das ist doch im Grunde genommen der historische Ursprung, oder?

Joachim Scholtyseck: Ja, das ist er auf jeden Fall. Und das Erstaunliche ist, dass gerade der Autor Harold James, der natürlich aus den USA kommt und eine ganz andere Unternehmenskultur in den USA kennt, der natürlich von solchen besonders fasziniert ist, auf diese typisch deutsche Form der Unternehmensbildung, ich will nicht sagen, eine Sonderentwicklung, aber eben doch eine eigene Entwicklung, die dann doch für den deutschen Weg ins 20. und 21. Jahrhundert bis hin zur Deutschland AG typisch ist.

Maike Albath: "Betriebspatriotismus" nennt er es.

Sven Murmann: Der Harold James, der amerikanische Historiker, ist wirklich davon angezogen. Er schreibt das auch, dass es sozusagen eine deutsche Version des Kapitalismus sei, eben auch mal über Jahrzehnte kein Geld zu verdienen. Beziehungsweise schreibt er sogar: "Profit und Geld war nicht der Antrieb der Krupps."

Und das sei im Grunde genommen ein deutsches Phänomen. Und er hebt das dann auch ab vom angelsächsischen Kapitalismus – bis hin zu dem Thema, dass man auch von einer Aktiengesellschaft hin am Ende zu einer Stiftungslösung gekommen ist, was ihn auch unglaublich fasziniert hat als Amerikaner.

Maike Albath: Das findet er ganz großartig. Da sagt er, das sei der Schutz vor den Heuschrecken gewesen. Da merkt man eine tiefe Bewunderung von Harold James, der ja in Princeton lehrt und Jahrgang 56 ist, wenn ich mich nicht irre, also in den 50ern steht.

Wie ist es denn mit der Phase des Nationalsozialismus? Die kommt ja auch vor in diesem Buch. Wie schildert Harold James die?

Sven Murmann: Da bin ich jetzt etwas kritischer. Ich finde, dass er zu wenig dazu schreibt. Ich finde, dass er das zu wenig analysiert. Und ich hab den Eindruck, er möchte da eigentlich so richtig nicht einsteigen. Und die historische Situation und die Quellenlage war ihm vielleicht einfach auch so zu ambivalent. Das hätte er auch auf 300 Seiten nicht geschafft. Dieses Kapitel hat mich eher etwas enttäuscht, muss ich sagen, an dem Buch.

Joachim Scholtyseck: Ich nehme Harold James vielleicht etwas in Schutz, weil die Anlage des Buches auch etwas anderes ist. Das ist ja eben auch ein Buch, das also – ich sag mal – sehr viel stärker bebildert ist. Es geht durchaus sehr gut lesbar und problemorientiert mit der Geschichte Krupps um.

Aber der Nationalsozialismus steht natürlich auch nicht im Zentrum dieses Buches, sondern es ist die "longue durée" der Kruppentwicklung nachgezeichnet. So kann man das vielleicht erklären, weil es natürlich über Krupp auch andere Studien gibt, Werner Abelshauser hat eine große Studie dazu ja auch vorgelegt, so dass vielleicht diese Verschiebung des Zentrums verkraftbar ist.

Bei meiner Studie war es anders. Da musste notgedrungen der Nationalsozialismus bis in seine Verästelungen und die Verstrickungen und mehr als die Verstrickungen eben behandelt werden.

Maike Albath: Ich möchte noch mal zurückkommen auf diese Fähigkeit, zu einer Ikone zu werden. Das ist Krupp ja im Grunde.

Es gibt den berühmten Ausspruch von Hitler, "hart wie Kruppstahl", wobei der Kruppstahl relativ weich ist. Das wusste er offenkundig nicht. Das steht schon in "Mein Kampf" und 1935 hat er's noch mal gesagt. Aber woher kommt diese Fähigkeit, sich so bedeutsam auch zu einer Ikone zu stilisieren? Wodurch gelang das, Sven Murmann?

Sven Murmann: Also, man würde ja wahrscheinlich heute nicht von Ikone sprechen, sondern von einer starken Marke.

Maike Albath: Auch eine Aussage über unsere Zeit.

Sven Murmann: Und Krupp war natürlich, wie Herr Scholtyseck schon sagte, eben schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein bedeutendes Unternehmen, war wirtschaftlich hoch relevant, sowohl in punkto Umsatz als auch in punkto Mitarbeiter.

Und ich glaube, wenn Sie dann die richtigen Gesichter haben, wenn Sie gesellschaftlich präsent sind, dann werden Sie eben auch eine Ikone im Sinne sozusagen einer Persönlichkeit, die für ein Unternehmen steht, oder eine Familie, die für ein Unternehmen steht.

Und ich denke mal, die Nazis haben das ja im Grunde dann einfach missbraucht mit dem Satz, den Sie von Hitler eben zitiert haben, der in der Tat ja sachlich gar nicht zutrifft.

Joachim Scholtyseck: Quandt ist natürlich etwas ganz anderes. Also, von einer Ikone kann man auf gar keinen Fall sprechen. In der NS-Zeit gibt es dann einen Rüstungspolitiker, der sagt, Quandt sei ja schon so etwas wie ein kleiner Krupp geworden.

Dann ist das als Auszeichnung gemeint, zeigt aber eben auf der anderen Seite, dass Quant doch, zumindest in der Öffentlichkeit, noch ganz unbekannt gewesen ist, was ihm übrigens dann – anders als den Krupps – 1945 in der Besatzungszeit genützt hat.

Denn während die Krupps sofort mehr oder weniger auf die Anklagebank gesetzt wurden, blieb das Günther Quandt erspart, weil er eben als unbekannt galt, zwar mal auf ein, zwei amerikanischen Listen stand, aber sonst diesem Erfassungsnetz der Alliierten entgangen ist.

Maike Albath: Er hat sich ja sogar als Opfer des Nationalsozialismus zu stilisieren gewusst. Auch das ist eine Anpassungsfähigkeit, die wieder das, was Sie eingangs sagten, bestätigt.

Bei Krupp ist etwas auffällig, was mich sehr verblüfft hat, gerade weil es uns zurzeit so beschäftigt. Er war ganz skeptisch Banken gegenüber. Das war auch eine Eigenschaft, die dann die Erben lange Zeit begleitet hat. Woher kam das?

Sven Murmann: Das muss auch aus seiner Persönlichkeit gekommen sein. Beim Lesen des Buches ist mir nur aufgefallen, dass auch da Harold James sehr viel Wert drauf legt auf dieses Streben nach Bankenunabhängigkeit.

Na gut, die Verschuldung eines Privatunternehmers ist immer für jeden ein großes Thema. Das war wohl auch echt ein starker Charakterzug von Krupp. Und Harold James betont das sehr.

Was das mit heute zu tun, hat, um auf Ihre Frage einzugehen? Ja, also, das finde ich gut, dass Sie das ansprechen. Ich habe mich auch gefragt, welche Transfermöglichkeiten haben wir eigentlich mit diesen beiden Büchern? Da möchte ich eigentlich auch noch mal an Sie, Herr Scholtyseck die Frage richten: Dieses Versagen von Unternehmern und Industriellen in totalitären Regimen, verfolgen Sie da als Historiker einen strukturellen Ansatz oder ist das eher eine Frage der individuellen Biografie?

Joachim Scholtyseck: Ich denke, man kann schon sagen, dass es auch ein Lehrstück ist, sowohl was Krupp als auch Quandt angeht. In einer funktionieren Sozialen Marktwirtschaft gibt es Mechanismen, idealerweise, die ein solches Fehlverhalten eindämmen können oder einhegen können.

Und deswegen bin ich auch ein großer Verfechter unser Sozialen Marktwirtschaft, weil ich den Eindruck habe, dass solche Auswüchse und solche Verbrechen, wie sie in der NS-Zeit möglich waren, weil die Unternehmer eben auch diese Möglichkeiten hatten, in unserer funktionierenden Demokratie – ich will nicht sagen – ausgeschlossen werden kann, aber dass es die Möglichkeit gibt, darüber nachzudenken.

Und es gibt eben einen kritischen Journalismus, der die Finger in die Wunde legt. Und das ist eben in einer totalitären Diktatur nicht möglich. Also, insofern müssen wir, glaub ich, auch wirklich stolz sein und eben auch darauf achten, dass wir diese funktionierende Demokratie erhalten.

Das hört sich jetzt vielleicht zu staatstragend an, aber das ist so meine Lehre aus diesen vier Jahren Beschäftigung mit Günther Quandt.

Maike Albath: Noch einen Blick möchte ich werfen auf die Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Denn das Buch von Harold James führt ja bis weit in die Gegenwart. Er versucht so einen Abriss auch zu machen von diesen Phasen dann in der Nachkriegszeit. Was passierte dann?

Sven Murmann: Das ist dann die Phase des überragenden Berthold Beitz, der auch, wie ich finde in diesem Buch trotz der Kürze hervorragend geschildert wird und charakterisiert wird. Auch hier spürt man, dass der Autor als Amerikaner sich sehr anziehen lässt von der internationalen Ausrichtung von Beitz.

Krupp war ja sehr früh schon ein internationaler Konzern, aber Beitz hat eigentlich nach dem Weltkrieg diesen Konzern im Prinzip salonfähig gemacht auf der Welt. Und dafür stand er als Gentleman, als Manager, als Unternehmer, als Vertrauter der Familie. Und das ist die überragende Figur der Nachkriegsgeschichte.

Maike Albath: Etwas, das mir an diesem Buch von Harold James sehr gefallen hat, ist, dass er immer wieder kulturgeschichtliche Betrachtungen anstellt und zum Beispiel Heinrich Mann ins Spiel bringt und Beziehungen sieht auch zur Kultur- und Literaturgeschichte.

Joachim Scholtyseck, es gibt ja ein großes Narrativ in der deutschen Tradition, nämlich der Aufstieg und der Fall. Bei den Buddenbrooks von Thomas Mann haben wir das so. Aber bei beiden, Quandt und Krupp, ist das nicht der Fall. Da ist es eigentlich anders gegangen. Was haben diese Unternehmen mal dann richtig gemacht?

Joachim Scholtyseck: Sie haben Recht. Dieser Buddenbrook-Effekt, der ist nicht eingetreten. Und das hat sicherlich auch mit Geschick und dem, was der Wirtschaftstheoretiker Joseph Schumpeter "schöpferischen Geist" genannt hat, zu tun, aber auch viel mit Glück. Und das ist ein Faktor, der auch Günther Quandt immer bewusst gewesen ist.

Maike Albath: Also, da spielten dann auch die Dinge so ganz gut ineinander. Sie wussten die Chancen zu nutzen, beide Unternehmer, offenkundig. Ist Ihnen denn dieser Krupp dann nahe gerückt, weil wir ja diskutierten darüber, ob uns Günther Quandt nahe gerückt ist?

Sven Murmann, konnten Sie mit den Kruppianern, es sind ja eine ganze Reihe, es ist nicht nur einer, sondern es sind dann auch die Nachfahren bis zu Alfred Krupp, konnten Sie mit denen etwas anfangen?

Sven Murmann: Ja. Ich finde, dass Harold James es wirklich gut gelöst hat das Thema, auf drei Seiten im Grunde genommen die Großväter, Väter, Söhne bis hin zu Berthold Beitz zu schildern – in sehr prägnanten, kurzen Charakteristika, die er hier liefert, ist ihm wirklich gut gelungen. Und, wie gesagt, wir hatten es eben schon anklingen lassen, der alte Krupp quasi als so eine Ikone, eigentlich Personifizierung des rheinischen Kapitalismus, das ist Harold James gut gelungen.

Maike Albath: Wir sprachen über Harold James "Krupp. Deutsche Legende und globales Unternehmen", aus dem Englischen übersetzt von Karl Heinz Silber, erschienen bei C.H. Beck.

Jetzt haben wir noch Zeit für einen Buchtipp. Joachim Scholtyseck, was möchten Sie unseren Hörern empfehlen?

Joachim Scholtyseck: Ich muss sagen, wenn man sich vier Jahre mit so einem Typus eines Unternehmers beschäftigt, dann verblödet man geradezu: Und man freut sich, wenn man nach vielen Jahren dann eben auch wieder belletristische Werke lesen kann. Ich könnte jetzt ganz viel nennen, was ich in den letzten Monaten, wo es etwas ruhiger war, gelesen habe.

Aber etwas, wo ich viel von profitiert habe, das ist ein Buch von Annette Pehnt, die ich schon mal kennen gelernt hatte mit einem Buch "Ich muss los". Und sie hat jetzt ein neues Buch geschrieben. Das heißt: "Hier kommt Michelle". Das ist so eine Art Campus-Roman, so etwas wie Schwanitz jetzt für das Jahr 2010, 2011.

Da geht es um diese neue Studentengeneration, die etwas hilflos ist. Und das ist mit einem ganz großen Humor geschrieben. Und das ist im josfritz Verlag erschienen. Liest sich auch relativ schnell und gut und man hat einen schönen Tag, wenn man dieses Buch gelesen hat.

Maike Albath: Hatten Sie auch einen schönen Tag mit der Empfehlung, Sven Murmann, die Sie jetzt noch loswerden wollen?

Sven Murmann: Ja, ich beschäftige mich gerade mit Glück und mit Glücksstrategien und wie wir in unserer Konsumgesellschaft, materialistischen Gesellschaft mit Glück umgehen können. Vor allen Dingen, was mich auch sehr interessiert, ist unsere Verbotskultur.

Wir dürfen ja ganz viel nicht mehr. Wir dürfen nicht mehr genießen und wir dürfen nicht mehr rauchen. Wir dürfen nicht mehr schnell fahren. Wir müssen uns überall anschnallen.

Da gibt es einen Kulturphilosophen, der heißt Robert Pfaller, der hier ein sehr schönes Buch zu geschrieben hat, erschienen im Fischer Verlag. Das Buch heißt: "Wofür es sich zu leben lohnt."

Maike Albath: Ich bedanke mich herzlich bei meinen Gästen Joachim Scholtyseck und Sven Murmann. Das war Lesart Spezial von der Frankfurter Buchmesse. Es verabschiedet sich Maike Albath.