Die Quangels und der Scheißkrieg
Seit Wochen steht Hans Falladas letzter Roman "Jeder stirbt für sich allein" auf den internationalen Bestsellerlisten. In der Geschichte geht es um den Widerstand von einfachen Leuten im Dritten Reich. Das Hörbuch folgt der Ursprungsfassung von 1947, die die Hauptfiguren in einem widersprüchlicheren Licht erscheinen lässt.
"Wie Quangel so in dies vertraute, jetzt so fremde Gesicht schaut, wie er sein Herz stark und stärker schlagen fühlt, wie er seine völlige Unfähigkeit spürt, ihr ein bisschen Trost zu spenden, packt ihn eine tiefe Angst. Eigentlich eine lächerliche Angst diesem tiefen Schmerz seiner Frau gegenüber, nämlich die Angst, sie könne zu schreien anfangen… Er ist immer für Stille gewesen, niemand sollte etwas von Quangels im Hause merken, und gar Gefühle laut werden lassen: Nein!"
Bloß nicht auffallen: Sie sind die typischen Mitläufer, Otto und Anna Quangel, ein Ehepaar aus dem Berliner Osten, das in der NS-Zeit gerade so durchkommt. Zwar sind sie keine Parteimitglieder, dafür ist ihnen letztlich das Geld zu schade, aber wie die meisten sind sie ein Rädchen in einer der NS-Massenorganisationen. Sogar als sie vom Kriegstod ihres einzigen Sohnes hören, frisst Otto, ein knorrig-kauziger Arbeiter, seine Wut in sich hinein. Erst als Anna in ihrem verzweiflungsvollen Schmerz ihn an seiner Ehre packt –
""Das habt ihr angerichtet, mit euerm Scheißkrieg, du und dein Führer!"
gerät auch er in Aufruhr. Die beiden wagen, vollkommen allein auf sich gestellt, den Widerstand gegen das Nazi-Regime.
"Beim Einschlafen am Sonntag hatte ihr der Mann noch gesagt: 'Sieh zu, dass du aus der Frauenschaft rauskommst. Aber so, dass es keinem auffällt. Ich bin auch meinen Posten bei der Arbeitsfront los.' – 'Oh Gott!', rief sie. 'Wie hast du das denn gemacht, Otto? Wieso haben sie dich gehen lassen'? –' Wegen angeborener Körperdoofheit', hatte Quangel ungewöhnlich aufgeräumt geantwortet."
Falladas Roman beruht auf einer wahren Geschichte. Das Arbeiterehepaar, das auf mehr als zweihundert handgeschriebenen Postkarten, die es in Treppenhäusern von Mietskasernen und öffentlichen Behörden auslegte, gegen den Krieg aufrief, gab es wirklich. Ulrich Noethen liest das Drama um Mut und Verrat mit feinem Gespür für diese zwei Helden, die keine sein wollen, und denen die Gestapo zwei Jahre lang vergeblich auf die Spur zu kommen sucht.
"'Glauben Sie denn, dass hier alle Karten abgegeben werden' - 'Alle nicht, aber die meisten doch. Das deutsche Volk ist schon recht zuverlässig…' – 'Weil sie alle Angst haben!' - 'Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass dieser Mann', er klopfte mit dem Knöchel auf die Karte, 'dass dieser Mann Angst hat.'"
In gerade mal vier Wochen schrieb der Autor von "Kleiner Mann, was nun?" - morphium- und alkoholabhängig - die fast 900 Seiten nieder. Dieser Atemlosigkeit setzt Ulrich Noethen eine geradezu eiserne Ruhe entgegen. In geschickt gesetzten Rhythmuswechseln drosselt er immer wieder das Tempo. Geschmeidig passt er sich dem kargen, rauen, für Fallada so typischen neusachlichen Sprachstil an.
"'Alle haben sie Angst', entschied das Braunhemd verächtlich. –'Warum eigentlich? Es ist ihnen doch so leicht gemacht, sie brauchen nur das zu tun, was wir ihnen sagen.' – 'Das ist, weil die Leute das Denken nicht lassen können. Sie glauben immer, mit Denken kommen sie weiter.' - 'Sie sollen bloß gehorchen.'"
Noethen ist ein Mann für die Zwischentöne. Wie bei Fallada, so gehört auch sein Wohlwollen eher den zwiespältigen Figuren, den tapferen, die dem Terror der Einschüchterung nicht gewachsen sind, den ängstlichen. Doch für die glaubhafte Schilderung der abscheulichen Charaktere greift er schon mal zum Schwarz-Weiß-Zeichner, bei den brutalen Gestapo-Männern, Rumtreibern, und miesen, habgierigen Denunzianten. Aber auch da werden die Akzente, etwa wenn die Berliner Färbung ins Spiel kommt, verhalten gesetzt.
"'Heute begießen wir uns mal die Neese, heute hat Frankreich kapituliert, und heut' Nachmittag gehen wa vielleicht bei de olle Jüdsche in de vierte Etage und det Aas muss uns Kaffee und Kuchen jeben! Ick sare Euch, die Olle muss jetzt, wo Frankreich ooch am Boden liegt, jetzt kenne ick keen Abarmen mehr! Jetzt sind wa die Herren der Welt, und alle müssen kuschen vor uns!'"
Wie sich die Schlinge um den Hals der Quangels unerbittlich zusammenzieht bis zum gewaltsamen Tod der beiden Helden, das intoniert Noethen ohne jedes Pathos. Sparsam in der Modulation, mit gleichwohl wohldosierter Empathie bewegt er sich durch die Dramatik des Geschehens, was dessen Unausweichlichkeit umso eindringlicher erscheinen lässt.
"Escherich – dieser alte Kriminalist war ein echter Jäger. Das steckte ihm im Blut. Er hetzte Menschen, wie andere Jäger Schweine hetzten. Dass die Schweine und die Menschen am Schluss der Jagd sterben mussten, das rührte ihn nicht. Es war dem Schwein bestimmt, auf diese Art zu sterben, wie es auch den Menschen, die solche Karten schrieben, bestimmt war."
Auch wenn der Roman für das Hörbuch fast um die Hälfte und damit um viele Nebenfiguren gekürzt wurde, spiegelt es immer noch eindrucksvoll den Kosmos der kleinen Leute unter einem Unrechtsregime. Eine Wucht in seiner beklemmenden Düsternis, fesselt es, spannend wie ein Thriller, bis zum tragischen Ende.
Besprochen von Edelgard Abenstein
Hans Fallada: Jeder stirbt für sich allein
Gelesen von Ulrich Noethen
Osterwoldaudio im Hörbuch-Hamburg-Verlag 2011
8 CDs, 29,99 Euro
Bloß nicht auffallen: Sie sind die typischen Mitläufer, Otto und Anna Quangel, ein Ehepaar aus dem Berliner Osten, das in der NS-Zeit gerade so durchkommt. Zwar sind sie keine Parteimitglieder, dafür ist ihnen letztlich das Geld zu schade, aber wie die meisten sind sie ein Rädchen in einer der NS-Massenorganisationen. Sogar als sie vom Kriegstod ihres einzigen Sohnes hören, frisst Otto, ein knorrig-kauziger Arbeiter, seine Wut in sich hinein. Erst als Anna in ihrem verzweiflungsvollen Schmerz ihn an seiner Ehre packt –
""Das habt ihr angerichtet, mit euerm Scheißkrieg, du und dein Führer!"
gerät auch er in Aufruhr. Die beiden wagen, vollkommen allein auf sich gestellt, den Widerstand gegen das Nazi-Regime.
"Beim Einschlafen am Sonntag hatte ihr der Mann noch gesagt: 'Sieh zu, dass du aus der Frauenschaft rauskommst. Aber so, dass es keinem auffällt. Ich bin auch meinen Posten bei der Arbeitsfront los.' – 'Oh Gott!', rief sie. 'Wie hast du das denn gemacht, Otto? Wieso haben sie dich gehen lassen'? –' Wegen angeborener Körperdoofheit', hatte Quangel ungewöhnlich aufgeräumt geantwortet."
Falladas Roman beruht auf einer wahren Geschichte. Das Arbeiterehepaar, das auf mehr als zweihundert handgeschriebenen Postkarten, die es in Treppenhäusern von Mietskasernen und öffentlichen Behörden auslegte, gegen den Krieg aufrief, gab es wirklich. Ulrich Noethen liest das Drama um Mut und Verrat mit feinem Gespür für diese zwei Helden, die keine sein wollen, und denen die Gestapo zwei Jahre lang vergeblich auf die Spur zu kommen sucht.
"'Glauben Sie denn, dass hier alle Karten abgegeben werden' - 'Alle nicht, aber die meisten doch. Das deutsche Volk ist schon recht zuverlässig…' – 'Weil sie alle Angst haben!' - 'Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass dieser Mann', er klopfte mit dem Knöchel auf die Karte, 'dass dieser Mann Angst hat.'"
In gerade mal vier Wochen schrieb der Autor von "Kleiner Mann, was nun?" - morphium- und alkoholabhängig - die fast 900 Seiten nieder. Dieser Atemlosigkeit setzt Ulrich Noethen eine geradezu eiserne Ruhe entgegen. In geschickt gesetzten Rhythmuswechseln drosselt er immer wieder das Tempo. Geschmeidig passt er sich dem kargen, rauen, für Fallada so typischen neusachlichen Sprachstil an.
"'Alle haben sie Angst', entschied das Braunhemd verächtlich. –'Warum eigentlich? Es ist ihnen doch so leicht gemacht, sie brauchen nur das zu tun, was wir ihnen sagen.' – 'Das ist, weil die Leute das Denken nicht lassen können. Sie glauben immer, mit Denken kommen sie weiter.' - 'Sie sollen bloß gehorchen.'"
Noethen ist ein Mann für die Zwischentöne. Wie bei Fallada, so gehört auch sein Wohlwollen eher den zwiespältigen Figuren, den tapferen, die dem Terror der Einschüchterung nicht gewachsen sind, den ängstlichen. Doch für die glaubhafte Schilderung der abscheulichen Charaktere greift er schon mal zum Schwarz-Weiß-Zeichner, bei den brutalen Gestapo-Männern, Rumtreibern, und miesen, habgierigen Denunzianten. Aber auch da werden die Akzente, etwa wenn die Berliner Färbung ins Spiel kommt, verhalten gesetzt.
"'Heute begießen wir uns mal die Neese, heute hat Frankreich kapituliert, und heut' Nachmittag gehen wa vielleicht bei de olle Jüdsche in de vierte Etage und det Aas muss uns Kaffee und Kuchen jeben! Ick sare Euch, die Olle muss jetzt, wo Frankreich ooch am Boden liegt, jetzt kenne ick keen Abarmen mehr! Jetzt sind wa die Herren der Welt, und alle müssen kuschen vor uns!'"
Wie sich die Schlinge um den Hals der Quangels unerbittlich zusammenzieht bis zum gewaltsamen Tod der beiden Helden, das intoniert Noethen ohne jedes Pathos. Sparsam in der Modulation, mit gleichwohl wohldosierter Empathie bewegt er sich durch die Dramatik des Geschehens, was dessen Unausweichlichkeit umso eindringlicher erscheinen lässt.
"Escherich – dieser alte Kriminalist war ein echter Jäger. Das steckte ihm im Blut. Er hetzte Menschen, wie andere Jäger Schweine hetzten. Dass die Schweine und die Menschen am Schluss der Jagd sterben mussten, das rührte ihn nicht. Es war dem Schwein bestimmt, auf diese Art zu sterben, wie es auch den Menschen, die solche Karten schrieben, bestimmt war."
Auch wenn der Roman für das Hörbuch fast um die Hälfte und damit um viele Nebenfiguren gekürzt wurde, spiegelt es immer noch eindrucksvoll den Kosmos der kleinen Leute unter einem Unrechtsregime. Eine Wucht in seiner beklemmenden Düsternis, fesselt es, spannend wie ein Thriller, bis zum tragischen Ende.
Besprochen von Edelgard Abenstein
Hans Fallada: Jeder stirbt für sich allein
Gelesen von Ulrich Noethen
Osterwoldaudio im Hörbuch-Hamburg-Verlag 2011
8 CDs, 29,99 Euro