"Die Quote ist ein Türöffner"
Als Justizsenatorin in Hamburg und Berlin hat Lore Peschel-Gutzeut die deutsche Rechtspolitik mitbestimmt. Im Interview spricht sie über ihr neues Buch "Selbstverständlich gleichberechtigt", den Führungsstil weiblicher Chefs - und Erfolgsstrategien für Frauen.
Frank Meyer: Schon mit 27 Jahren ist sie Richterin geworden, oft war sie die erste Frau überhaupt auf ihrer Position. Als Justizsenatorin in Hamburg und Berlin hat sie die deutsche Rechtspolitik mitbestimmt. Und heute, mit 80 Jahren, ist sie nach wie vor sehr aktiv als Rechtsanwältin: Lore Peschel-Gutzeit. Von ihrem Leben erzählt sie nun in dem Buch "Selbstverständlich gleichberechtigt", einer "autobiografischen Zeitgeschichte". Und jetzt ist sie bei uns im Studio, herzlich willkommen!
Lore Maria Peschel-Gutzeit: Ja, guten Tag!
Meyer: Sie zitieren nach wenigen Seiten schon in Ihrem Buch ein denkwürdiges Kompliment, ich habe es schon genannt: Über lange Zeit war sie, also waren Sie der einzige Mann an der Kammer. Das ist ein Kompliment von Manfred Engelschall, dem vorsitzenden Richter an der Hamburger Pressekammer damals. Dieses Lob hat Sie offenbar sehr gefreut. Warum das?
Peschel-Gutzeit: Na, gefreut weiß ich nicht. Man muss es ja in der damaligen Zeit sehen: Das gehört in den Anfang der 70er-Jahre und die Justiz war damals noch sehr viel mehr als heute außerordentlich männlich geprägt. Und dieser Vorsitzende, den Sie zitieren, Herr Engelschall, wurde im Gericht dafür zitiert, dass er keine Frau nähme. Na, das, fand ich, gehört überprüft! Und das Ende dieser Überprüfung war, dass ich an seine Kammer kam. Und wir haben sehr gestraffte Dialoge miteinander gehabt und als ich dann ausschied aus der Kammer, bekam ich, wie es ja selbstverständlich ist, ein Zeugnis, und darin stand eben dieses "Sie war über lange Strecken der einzige Mann in der Kammer", womit er, ein He-Man, ausdrücken wollte: Sie war die Einzige, die sozusagen mir auch Pari bieten konnte, das steckt ja dahinter. Insofern habe ich es durchaus als Kompliment verstanden und meine auch heute noch ... Das kann man ja heute auch durchaus noch hören. Wenn Männer so etwas sagen, meinen sie nicht, das ist ein Mannweib, sondern die ist uns irgendwie ebenbürtig. Und das soll ja in Ordnung gehen.
Meyer: Das Zitat ist auch interessant, weil Sie über diese Frage – in welchen Rollen bewege ich mich als Frau, wie gehe ich in die Männerrolle auch rein – öfter nachdenken. Sie sagen zum Beispiel, Frauen sollten das Männerspiel mitspielen, sollten die Männerregeln auch kennen und beachten und ausnutzen, ...
Peschel-Gutzeit: So ist es.
Meyer: ... bis sie ganz oben angekommen sind, ...
Peschel-Gutzeit: So ist es.
Meyer: ... weil, erst dann können sie die Regeln selbst ändern.
Peschel-Gutzeit: Das ist genau richtig. Also, einmal muss man die Hierarchie kennen, das beschreibe ich, weil ich weiß, einfach aus vielfältigen Begegnungen weiß, dass Frauen mit Hierarchien Schwierigkeiten haben. Sie sind, anders als Männer, nicht seit Jahrtausenden daran gewöhnt, dass einer voranmarschiert und die anderen folgen, sondern Frauen saßen in der Höhle und mussten niemandem folgen, sondern mussten da ihre Aufgaben erfüllen. Und das wirkt sich bis heute aus.
Wir haben in der Wirtschaft, in den Ministerien, in den Gerichten, wo auch immer, haben wir absolut hierarchische Strukturen. Und wenn frau die nicht erkennt, begreift und sich in gewisser Weise da hineinfindet, kann und wird sie nicht reüssieren. Das ist meine Erfahrung. Und das heißt ja noch lange nicht, dass man alles mitmacht. Das heißt erst recht nicht, dass frau sozusagen sich einverleiben lässt. Aber sie muss die Regeln kennen. Und wie oft höre ich heute noch: Wir wollen ja nicht werden wie die Männer und das kann man doch nicht machen! – Da kann ich nur sagen: Ändern kann ich nur etwas, wenn ich oben angekommen bin, das muss ich leisten!
Meyer: Sie sind ja dann mehrfach oben angekommen, als vorsitzende Richterin, als Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes, als Justizsenatorin dann vor allem. Was haben Sie denn dann geändert, welche weiblichen Regeln haben Sie eingeführt, als Sie an der Spitze waren?
Peschel-Gutzeit: Zunächst einmal geht es ja immer um das Personal. Also, ich war zum Beispiel für mehr als 10.000 Bedienstete verantwortlich und da ist schon ein ganz großer Unterschied, wie ich Personalförderung verstehe. Ich habe selbstverständlich Frauen gefördert, aber ich habe bei meiner Antrittsrede in Hamburg gesagt, Frau sein allein ist keine Qualifikation. Also, ich werde schon darauf achten, dass Frauen ihre Chance bekommen, aber sie müssen es auch bringen! Nur, das tut oder tat jedenfalls damals ein Mann ja nicht so ohne Weiteres als Programm, der stellt sich ja nicht hin und sagt, ich werde auch Frauen fördern.
Aber das war natürlich nicht das Einzige. Ich habe sehr viel Regeln im Umgang miteinander nicht so gestaltet, wie es vielleicht meine Vorgänger und Nachfolger, wenn sie männlich waren, getan haben. Frauen führen anders. Frauen führen mit Sicherheit eher im Team und schrecken eher zusammen, wenn man von ihnen ein Machtwort erwartet. Manchmal muss man es ja tun, aber normalerweise tut eine Frau das nicht, sondern sagt, wir werden gemeinsam eine Lösung finden.
Meyer: Ihr Buch, das sind eigentlich zwei Bücher in einem: Einmal blicken Sie zurück auf Jahrzehnte Gleichstellungspolitik in Deutschland, die Sie begleitet haben sehr intensiv, aber es ist natürlich auch ein Buch über Sie selbst im autobiografischen Teil.
Peschel-Gutzeit: Ja.
Meyer: Und Sie erzählen zum Beispiel, dass Sie einmal vor einer zweitägigen Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht standen, davor hatten Sie zu Hause einen Unfall, Sie haben sich die Beine verbrüht, und sind dann trotzdem dahingefahren, habe mit dicken Verbänden da gesessen, mussten die Kleidung wechseln, weil die Brandblasen durchnässten. – Mir war ein bisschen unheimlich, als ich das las! Und wenn Sie heute das aufschreiben und darauf zurückschauen, diese Härte gegen sich selbst, die Sie da gezeigt haben, ist Ihnen die nicht auch unheimlich?
Peschel-Gutzeit: Nein, unheimlich ist sie gar nicht. Das ist vielleicht eher das Preußische in mir. Man muss ja die Situation sich vorstellen, das Ganze passierte an einem Sonntagabend, ich war auf dem Sprung nach Karlsruhe, und dann geschah dieses Unglück mit dem heißen Wasser aus der Heizung. Ich wusste, ich finde am Sonntagabend keinen Ersatz, und am nächsten Morgen ging die Verhandlung los und ich hatte zu plädieren. So, was mache ich? Ich kann weder dem Verfassungsgericht schreiben, wissen Sie was, ich sitze hier mit Brandblasen und kann leider nicht kommen, noch kann ich so schnell jemand anders herbeiholen. Also habe ich mir gesagt, es hilft nichts, jetzt mal los!
Das ist mir auch nicht unheimlich, sondern das ist so ein Verständnis, das ich habe von Pflichterfüllung. Ich war ja als Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes dort und in dieses Amt war ich gewählt worden oder in diese Aufgabe oder Funktion. Also, ich müsste ja später meinen Mitgliedern erklären können, warum ich das dann nicht wahrgenommen habe. Das ist ja immer eine Chance beim Bundesverfassungsgericht selbst plädieren zu dürfen! Und da habe ich gefunden, das kann ich nicht erklären, also fahre ich da hin.
Meyer: Eine erstaunliche Härte gegen sich selbst. Die Juristin Lore Maria Peschel-Gutzeit ist bei uns, wir reden über ihr Buch "Selbstverständlich gleichberechtigt" hier im Deutschlandradio Kultur. Eine ganz wichtige Position in Ihrem Leben war natürlich, Justizsenatorin in Hamburg und Berlin zu sein. Man ist natürlich von Wahlen abhängig, es gab auch Phasen, da waren Sie dann nicht mehr Senatorin. Sie haben sich dann aber nicht mehr vorstellen können, zurückzugehen in Ihren Beruf als Richterin, in ihren vorigen Beruf.
Peschel-Gutzeit: Richtig, richtig.
Meyer: War da auch die Erfahrung wichtig, als Politikerin Macht zu haben und dahinter nicht mehr zurückgehen zu wollen?
Peschel-Gutzeit: Na, das war etwas anders. Ich war ja sehr lange Richterin und war sehr gern Richterin. Also, es war nicht ein Beruf, wo ich mich quälen musste. Und bin ja dann von heute auf morgen auf den Sessel der Justizsenatorin in Hamburg gerufen worden, zu meiner eigenen Verblüffung, und habe gedacht, das kann ja nur schiefgehen! Weil, ich hatte keine Verwaltungserfahrung, die hat man ja als Richterin nicht, und ich dachte, das ist ja auch, wie man immer hört, ein Piranhabecken, ausübende Politik, und du hast keine Erfahrung darin! Na, das wird ja heiter! Dann habe ich mir aber sehr viel Mühe gegeben und es ist auch ganz gut gegangen, das ist gar keine Frage. Meine erste Amtszeit in Hamburg ist ... Im Endeffekt habe ich viel erreicht in der Zeit.
So, und dann ging die Wahl verloren und die SPD musste das Justizressort hergeben, sodass ich draußen war. Und Herr Dr. Voscherau, der war ja der Erste Bürgermeister, sagte zu mir, das ist doch gar kein Problem, du kehrst doch zurück auf deinen Posten als Richterin, du bist eine angesehene Richterin beim Oberlandesgericht, nun mal los! Und dann habe ich in mich reingehorcht und habe festgestellt, ich kann das nicht mehr! Und habe das auch Dr. Voscherau erklärt, indem ich gesagt habe: Mein lieber Henning, das ist so mit dem Uhu und der Tube! Wenn es mal raus ist, kriegst du's nicht mehr rein!
So ist es bei mir auch, ich habe mein Bewusstsein geändert: Als Richterin führen Sie Gesetze aus und entscheiden. Als Politikerin führen Sie nicht in erster Linie Gesetze aus, sondern sind rechtspolitisch tätig. Sie ändern das oder bringen das auf den Weg, von dem Sie meinen, es muss geregelt werden.
Meyer: Sie machen die Gesetze.
Peschel-Gutzeit: So ist es. Die beiden Funktionen sind so diametral, dass ich gemerkt habe, das kriege ich nicht mehr hin, mich in mein Stübchen zu verkriechen und zu sagen, jetzt schreibe ich hier mal ganz brav meine Urteile, sondern das wird nichts, ich muss jetzt was anderes machen.
Meyer: Sie haben ja Ihren Weg gemacht, das begreift man auch wieder, wenn man Ihr Buch liest, in welchen Zeiten Sie angefangen haben, in den 60er-Jahren, ohne Frauenquote und ähnliche Fördermechanismen, zum größten Teil jedenfalls.
Peschel-Gutzeit: Ja.
Meyer: Sie zeigen sich aber in Ihrem Buch als eine sehr kämpferische Verfechterin der Quote, um die ja viel diskutiert wird in der heutigen Zeit. Warum sind Sie, vielleicht auch gegen Ihre eigene Erfahrung, heute für die Quote?
Peschel-Gutzeit: Na, ich habe selbst ja erlebt, dass die Quote etwas bringt. Und zwar nicht die Frauenquote bei dem beruflichen Fortkommen, oder jedenfalls nicht direkt, sondern ich habe es erlebt, als ich Senatorin wurde. Die SPD, der ich angehöre, hatte ebenso wie die Grünen bereits eine Frauenquote in der Besetzung von allen möglichen Posten. So auch bei den Kabinetten. Sodass jeder Regierungschef verpflichtet war, soundso viel Frauen in sein Kabinett aufzunehmen. Das hieß, die Regierungschefs mussten suchen. Und so hat man auch in Hamburg gesucht und hat mich gefunden. Das habe ich doch nie vergessen!
Und ich habe immer gesagt: Natürlich muss ich das dann rechtfertigen. Aber die Quote – damals diese politische Quote – ist ein Türöffner. Du hast die Chance, hinzukommen auf eine Posten, den du sonst nicht bekämst, weil die Männer das unter sich ausmachen würden. So, und nun sitzt du da und nun zeig mal, ob du das kannst! Und wer das erlebt hat, der weiß, diesen Türöffner brauchen wir bis heute, weil Frauen nach wie vor – ich komme gerade von einer solchen Veranstaltung –, nach wie vor nicht ihrem Anteil und ihrem Können entsprechend beteiligt werden, in vielen Bereichen.
Meyer: Also, das Buch ist auch ein Aufruf für die Förderung von Frauen durch die Quote. Es ist aber auch ein Lebensbericht, es geht auch um die Vorliebe für schnelle Autos, die Lore Peschel-Gutzeit auch hat! Über all das könnte man lange reden, lesen Sie es nach in dem Buch! Das hat sie gemeinsam geschrieben mit der Journalistin Nele-Marie Brüdgam, eine "autobiografische Zeitgeschichte", der Titel "Selbstverständlich gleichberechtigt", erschienen im Verlag Hoffmann und Campe. Frau Peschel-Gutzeit, besten Dank für das Gespräch!
Peschel-Gutzeit: Ich danke, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Lore Maria Peschel-Gutzeit: Ja, guten Tag!
Meyer: Sie zitieren nach wenigen Seiten schon in Ihrem Buch ein denkwürdiges Kompliment, ich habe es schon genannt: Über lange Zeit war sie, also waren Sie der einzige Mann an der Kammer. Das ist ein Kompliment von Manfred Engelschall, dem vorsitzenden Richter an der Hamburger Pressekammer damals. Dieses Lob hat Sie offenbar sehr gefreut. Warum das?
Peschel-Gutzeit: Na, gefreut weiß ich nicht. Man muss es ja in der damaligen Zeit sehen: Das gehört in den Anfang der 70er-Jahre und die Justiz war damals noch sehr viel mehr als heute außerordentlich männlich geprägt. Und dieser Vorsitzende, den Sie zitieren, Herr Engelschall, wurde im Gericht dafür zitiert, dass er keine Frau nähme. Na, das, fand ich, gehört überprüft! Und das Ende dieser Überprüfung war, dass ich an seine Kammer kam. Und wir haben sehr gestraffte Dialoge miteinander gehabt und als ich dann ausschied aus der Kammer, bekam ich, wie es ja selbstverständlich ist, ein Zeugnis, und darin stand eben dieses "Sie war über lange Strecken der einzige Mann in der Kammer", womit er, ein He-Man, ausdrücken wollte: Sie war die Einzige, die sozusagen mir auch Pari bieten konnte, das steckt ja dahinter. Insofern habe ich es durchaus als Kompliment verstanden und meine auch heute noch ... Das kann man ja heute auch durchaus noch hören. Wenn Männer so etwas sagen, meinen sie nicht, das ist ein Mannweib, sondern die ist uns irgendwie ebenbürtig. Und das soll ja in Ordnung gehen.
Meyer: Das Zitat ist auch interessant, weil Sie über diese Frage – in welchen Rollen bewege ich mich als Frau, wie gehe ich in die Männerrolle auch rein – öfter nachdenken. Sie sagen zum Beispiel, Frauen sollten das Männerspiel mitspielen, sollten die Männerregeln auch kennen und beachten und ausnutzen, ...
Peschel-Gutzeit: So ist es.
Meyer: ... bis sie ganz oben angekommen sind, ...
Peschel-Gutzeit: So ist es.
Meyer: ... weil, erst dann können sie die Regeln selbst ändern.
Peschel-Gutzeit: Das ist genau richtig. Also, einmal muss man die Hierarchie kennen, das beschreibe ich, weil ich weiß, einfach aus vielfältigen Begegnungen weiß, dass Frauen mit Hierarchien Schwierigkeiten haben. Sie sind, anders als Männer, nicht seit Jahrtausenden daran gewöhnt, dass einer voranmarschiert und die anderen folgen, sondern Frauen saßen in der Höhle und mussten niemandem folgen, sondern mussten da ihre Aufgaben erfüllen. Und das wirkt sich bis heute aus.
Wir haben in der Wirtschaft, in den Ministerien, in den Gerichten, wo auch immer, haben wir absolut hierarchische Strukturen. Und wenn frau die nicht erkennt, begreift und sich in gewisser Weise da hineinfindet, kann und wird sie nicht reüssieren. Das ist meine Erfahrung. Und das heißt ja noch lange nicht, dass man alles mitmacht. Das heißt erst recht nicht, dass frau sozusagen sich einverleiben lässt. Aber sie muss die Regeln kennen. Und wie oft höre ich heute noch: Wir wollen ja nicht werden wie die Männer und das kann man doch nicht machen! – Da kann ich nur sagen: Ändern kann ich nur etwas, wenn ich oben angekommen bin, das muss ich leisten!
Meyer: Sie sind ja dann mehrfach oben angekommen, als vorsitzende Richterin, als Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes, als Justizsenatorin dann vor allem. Was haben Sie denn dann geändert, welche weiblichen Regeln haben Sie eingeführt, als Sie an der Spitze waren?
Peschel-Gutzeit: Zunächst einmal geht es ja immer um das Personal. Also, ich war zum Beispiel für mehr als 10.000 Bedienstete verantwortlich und da ist schon ein ganz großer Unterschied, wie ich Personalförderung verstehe. Ich habe selbstverständlich Frauen gefördert, aber ich habe bei meiner Antrittsrede in Hamburg gesagt, Frau sein allein ist keine Qualifikation. Also, ich werde schon darauf achten, dass Frauen ihre Chance bekommen, aber sie müssen es auch bringen! Nur, das tut oder tat jedenfalls damals ein Mann ja nicht so ohne Weiteres als Programm, der stellt sich ja nicht hin und sagt, ich werde auch Frauen fördern.
Aber das war natürlich nicht das Einzige. Ich habe sehr viel Regeln im Umgang miteinander nicht so gestaltet, wie es vielleicht meine Vorgänger und Nachfolger, wenn sie männlich waren, getan haben. Frauen führen anders. Frauen führen mit Sicherheit eher im Team und schrecken eher zusammen, wenn man von ihnen ein Machtwort erwartet. Manchmal muss man es ja tun, aber normalerweise tut eine Frau das nicht, sondern sagt, wir werden gemeinsam eine Lösung finden.
Meyer: Ihr Buch, das sind eigentlich zwei Bücher in einem: Einmal blicken Sie zurück auf Jahrzehnte Gleichstellungspolitik in Deutschland, die Sie begleitet haben sehr intensiv, aber es ist natürlich auch ein Buch über Sie selbst im autobiografischen Teil.
Peschel-Gutzeit: Ja.
Meyer: Und Sie erzählen zum Beispiel, dass Sie einmal vor einer zweitägigen Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht standen, davor hatten Sie zu Hause einen Unfall, Sie haben sich die Beine verbrüht, und sind dann trotzdem dahingefahren, habe mit dicken Verbänden da gesessen, mussten die Kleidung wechseln, weil die Brandblasen durchnässten. – Mir war ein bisschen unheimlich, als ich das las! Und wenn Sie heute das aufschreiben und darauf zurückschauen, diese Härte gegen sich selbst, die Sie da gezeigt haben, ist Ihnen die nicht auch unheimlich?
Peschel-Gutzeit: Nein, unheimlich ist sie gar nicht. Das ist vielleicht eher das Preußische in mir. Man muss ja die Situation sich vorstellen, das Ganze passierte an einem Sonntagabend, ich war auf dem Sprung nach Karlsruhe, und dann geschah dieses Unglück mit dem heißen Wasser aus der Heizung. Ich wusste, ich finde am Sonntagabend keinen Ersatz, und am nächsten Morgen ging die Verhandlung los und ich hatte zu plädieren. So, was mache ich? Ich kann weder dem Verfassungsgericht schreiben, wissen Sie was, ich sitze hier mit Brandblasen und kann leider nicht kommen, noch kann ich so schnell jemand anders herbeiholen. Also habe ich mir gesagt, es hilft nichts, jetzt mal los!
Das ist mir auch nicht unheimlich, sondern das ist so ein Verständnis, das ich habe von Pflichterfüllung. Ich war ja als Vorsitzende des Deutschen Juristinnenbundes dort und in dieses Amt war ich gewählt worden oder in diese Aufgabe oder Funktion. Also, ich müsste ja später meinen Mitgliedern erklären können, warum ich das dann nicht wahrgenommen habe. Das ist ja immer eine Chance beim Bundesverfassungsgericht selbst plädieren zu dürfen! Und da habe ich gefunden, das kann ich nicht erklären, also fahre ich da hin.
Meyer: Eine erstaunliche Härte gegen sich selbst. Die Juristin Lore Maria Peschel-Gutzeit ist bei uns, wir reden über ihr Buch "Selbstverständlich gleichberechtigt" hier im Deutschlandradio Kultur. Eine ganz wichtige Position in Ihrem Leben war natürlich, Justizsenatorin in Hamburg und Berlin zu sein. Man ist natürlich von Wahlen abhängig, es gab auch Phasen, da waren Sie dann nicht mehr Senatorin. Sie haben sich dann aber nicht mehr vorstellen können, zurückzugehen in Ihren Beruf als Richterin, in ihren vorigen Beruf.
Peschel-Gutzeit: Richtig, richtig.
Meyer: War da auch die Erfahrung wichtig, als Politikerin Macht zu haben und dahinter nicht mehr zurückgehen zu wollen?
Peschel-Gutzeit: Na, das war etwas anders. Ich war ja sehr lange Richterin und war sehr gern Richterin. Also, es war nicht ein Beruf, wo ich mich quälen musste. Und bin ja dann von heute auf morgen auf den Sessel der Justizsenatorin in Hamburg gerufen worden, zu meiner eigenen Verblüffung, und habe gedacht, das kann ja nur schiefgehen! Weil, ich hatte keine Verwaltungserfahrung, die hat man ja als Richterin nicht, und ich dachte, das ist ja auch, wie man immer hört, ein Piranhabecken, ausübende Politik, und du hast keine Erfahrung darin! Na, das wird ja heiter! Dann habe ich mir aber sehr viel Mühe gegeben und es ist auch ganz gut gegangen, das ist gar keine Frage. Meine erste Amtszeit in Hamburg ist ... Im Endeffekt habe ich viel erreicht in der Zeit.
So, und dann ging die Wahl verloren und die SPD musste das Justizressort hergeben, sodass ich draußen war. Und Herr Dr. Voscherau, der war ja der Erste Bürgermeister, sagte zu mir, das ist doch gar kein Problem, du kehrst doch zurück auf deinen Posten als Richterin, du bist eine angesehene Richterin beim Oberlandesgericht, nun mal los! Und dann habe ich in mich reingehorcht und habe festgestellt, ich kann das nicht mehr! Und habe das auch Dr. Voscherau erklärt, indem ich gesagt habe: Mein lieber Henning, das ist so mit dem Uhu und der Tube! Wenn es mal raus ist, kriegst du's nicht mehr rein!
So ist es bei mir auch, ich habe mein Bewusstsein geändert: Als Richterin führen Sie Gesetze aus und entscheiden. Als Politikerin führen Sie nicht in erster Linie Gesetze aus, sondern sind rechtspolitisch tätig. Sie ändern das oder bringen das auf den Weg, von dem Sie meinen, es muss geregelt werden.
Meyer: Sie machen die Gesetze.
Peschel-Gutzeit: So ist es. Die beiden Funktionen sind so diametral, dass ich gemerkt habe, das kriege ich nicht mehr hin, mich in mein Stübchen zu verkriechen und zu sagen, jetzt schreibe ich hier mal ganz brav meine Urteile, sondern das wird nichts, ich muss jetzt was anderes machen.
Meyer: Sie haben ja Ihren Weg gemacht, das begreift man auch wieder, wenn man Ihr Buch liest, in welchen Zeiten Sie angefangen haben, in den 60er-Jahren, ohne Frauenquote und ähnliche Fördermechanismen, zum größten Teil jedenfalls.
Peschel-Gutzeit: Ja.
Meyer: Sie zeigen sich aber in Ihrem Buch als eine sehr kämpferische Verfechterin der Quote, um die ja viel diskutiert wird in der heutigen Zeit. Warum sind Sie, vielleicht auch gegen Ihre eigene Erfahrung, heute für die Quote?
Peschel-Gutzeit: Na, ich habe selbst ja erlebt, dass die Quote etwas bringt. Und zwar nicht die Frauenquote bei dem beruflichen Fortkommen, oder jedenfalls nicht direkt, sondern ich habe es erlebt, als ich Senatorin wurde. Die SPD, der ich angehöre, hatte ebenso wie die Grünen bereits eine Frauenquote in der Besetzung von allen möglichen Posten. So auch bei den Kabinetten. Sodass jeder Regierungschef verpflichtet war, soundso viel Frauen in sein Kabinett aufzunehmen. Das hieß, die Regierungschefs mussten suchen. Und so hat man auch in Hamburg gesucht und hat mich gefunden. Das habe ich doch nie vergessen!
Und ich habe immer gesagt: Natürlich muss ich das dann rechtfertigen. Aber die Quote – damals diese politische Quote – ist ein Türöffner. Du hast die Chance, hinzukommen auf eine Posten, den du sonst nicht bekämst, weil die Männer das unter sich ausmachen würden. So, und nun sitzt du da und nun zeig mal, ob du das kannst! Und wer das erlebt hat, der weiß, diesen Türöffner brauchen wir bis heute, weil Frauen nach wie vor – ich komme gerade von einer solchen Veranstaltung –, nach wie vor nicht ihrem Anteil und ihrem Können entsprechend beteiligt werden, in vielen Bereichen.
Meyer: Also, das Buch ist auch ein Aufruf für die Förderung von Frauen durch die Quote. Es ist aber auch ein Lebensbericht, es geht auch um die Vorliebe für schnelle Autos, die Lore Peschel-Gutzeit auch hat! Über all das könnte man lange reden, lesen Sie es nach in dem Buch! Das hat sie gemeinsam geschrieben mit der Journalistin Nele-Marie Brüdgam, eine "autobiografische Zeitgeschichte", der Titel "Selbstverständlich gleichberechtigt", erschienen im Verlag Hoffmann und Campe. Frau Peschel-Gutzeit, besten Dank für das Gespräch!
Peschel-Gutzeit: Ich danke, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.