Die Rache der Tiere
Olga Tokarczuks neuer Roman entführt den Leser ins polnisch-tschechische Grenzgebiet, wo die Zeit manchmal stehen geblieben scheint. Die ältere, leicht verwahrloste Janina führt dort ein einfaches Leben - bis plötzlich Menschen sterben. Janina ist sich sicher: Es waren die Rehe.
Der Glatzer Kessel ist eine von Gebirgen umgebene Gegend in Polen, nahe der tschechischen Grenze. Einsam ist es dort, selbst der Empfang der Mobiltelefone nicht immer gewährleistet. Auf einem Hochplateau, in einem der wenigen Häuser, wohnt Janina, eine ältere, leicht verwahrloste Frau. Sie war einmal Brückenbauerin, dann Lehrerin. Hin und wieder unterrichtet sie noch im benachbarten Dorf Kinder in Englisch.
Janina ist die Ich-Erzählerin in "Der Gesang der Fledermäuse", dem neuen Roman von Olga Tokarczuk. Die knapp 50-jährige polnische Autorin, die zu den populärsten ihrer Generation gehört, lebte selbst lange Zeit in dem abgeschiedenen Grenzgebiet, das Schauplatz der Handlung ist. Ein symbolischer Ort, an dem sich "Grenzerfahrungen" machen lassen. Ein Ort, an dem die Zeit manchmal stehen geblieben scheint - da arbeitet ein Zahnarzt nur während des Sommers und im Freien und betäubt seine Patienten noch mit Wodka. Ein Ort aber auch, an dem luxuriöse Jeeps über Waldwege heizen und Computerkurse für Arbeitslose angeboten werden.
Janina übersetzt mit einem ehemaligen Schüler Werke des britischen Naturmystikers William Blake. Wie dieser hat auch sie Visionen, sie unterhält sich mit ihrer verstorbenen Mutter im Heizungskeller, leitet Vorgänge des Alltags vom Stand der Sterne ab. Sie sieht den Tod von Menschen voraus, kommuniziert genauso selbstverständlich mit Natur und Tieren wie mit einem verirrten Insektenkundler oder einer Secondhand-Verkäuferin.
Als eines Tages ihr Nachbar an einem Rehknochen erstickt, bald darauf ein Polizeikommissar in einen Brunnen stürzt und noch weitere Personen auf rätselhafte Weise ums Leben kommen, versucht sie, die Polizei davon zu überzeugen, dass die Tiere sich an den Menschen rächten. Dass die Rehe die Täter seien, da in der Gegend zünftig gejagt und gewildert wird. Man schenkt ihr keinen Glauben, Rehspuren in der Nähe der jeweiligen Tatorte werden ignoriert.
Olga Tokarczuk lässt den Leser lange im Ungewissen, ob ihre Erzählerin nun eine Irre, eine militante Tierschützerin oder zivilisationsmüde Prophetin, eine esoterische Aussteigerin oder bloß eine vom Schicksal Geschlagene ist. Die Begegnungen mit der verstorbenen Mutter, die Erinnerung an die Schritte ihrer "Kleinen" auf der Treppe ziehen sich leitmotivisch durch den Text, ebenso Zitate Blakes. Die Autorin entwirft (wieder einmal) einen Kosmos, in dem nichts profan ist, alles in allem lebt und nichts zufällig geschieht. Dabei verbindet sie Reales mit Mythischem, Rationales und Phantastisches. Es ist eine religiöse Lebens- und Weltauffassung, die den Roman trägt, ein christlicher Gott allerdings kommt nicht darin vor. Vielmehr eine archaische, zornige Rächerin der Unterwelt: Janina.
Tokarczuk verbindet Archetypen und Mythen spielerisch mit satirischen und poetischen Elementen. So ist "Der Gesang der Fledermäuse" Heimat- und Aussteigerroman, Krimi, Persiflage und zivilisationskritisches Pamphlet in einem.
Besprochen von Carsten Hueck
Olga Tokarczuk: Der Gesang der Fledermäuse
Aus dem Polnischen von Doreen Daume
Schöffling Verlag, Frankfurt/Main 2011
345 Seiten, 22,95 Euro
Janina ist die Ich-Erzählerin in "Der Gesang der Fledermäuse", dem neuen Roman von Olga Tokarczuk. Die knapp 50-jährige polnische Autorin, die zu den populärsten ihrer Generation gehört, lebte selbst lange Zeit in dem abgeschiedenen Grenzgebiet, das Schauplatz der Handlung ist. Ein symbolischer Ort, an dem sich "Grenzerfahrungen" machen lassen. Ein Ort, an dem die Zeit manchmal stehen geblieben scheint - da arbeitet ein Zahnarzt nur während des Sommers und im Freien und betäubt seine Patienten noch mit Wodka. Ein Ort aber auch, an dem luxuriöse Jeeps über Waldwege heizen und Computerkurse für Arbeitslose angeboten werden.
Janina übersetzt mit einem ehemaligen Schüler Werke des britischen Naturmystikers William Blake. Wie dieser hat auch sie Visionen, sie unterhält sich mit ihrer verstorbenen Mutter im Heizungskeller, leitet Vorgänge des Alltags vom Stand der Sterne ab. Sie sieht den Tod von Menschen voraus, kommuniziert genauso selbstverständlich mit Natur und Tieren wie mit einem verirrten Insektenkundler oder einer Secondhand-Verkäuferin.
Als eines Tages ihr Nachbar an einem Rehknochen erstickt, bald darauf ein Polizeikommissar in einen Brunnen stürzt und noch weitere Personen auf rätselhafte Weise ums Leben kommen, versucht sie, die Polizei davon zu überzeugen, dass die Tiere sich an den Menschen rächten. Dass die Rehe die Täter seien, da in der Gegend zünftig gejagt und gewildert wird. Man schenkt ihr keinen Glauben, Rehspuren in der Nähe der jeweiligen Tatorte werden ignoriert.
Olga Tokarczuk lässt den Leser lange im Ungewissen, ob ihre Erzählerin nun eine Irre, eine militante Tierschützerin oder zivilisationsmüde Prophetin, eine esoterische Aussteigerin oder bloß eine vom Schicksal Geschlagene ist. Die Begegnungen mit der verstorbenen Mutter, die Erinnerung an die Schritte ihrer "Kleinen" auf der Treppe ziehen sich leitmotivisch durch den Text, ebenso Zitate Blakes. Die Autorin entwirft (wieder einmal) einen Kosmos, in dem nichts profan ist, alles in allem lebt und nichts zufällig geschieht. Dabei verbindet sie Reales mit Mythischem, Rationales und Phantastisches. Es ist eine religiöse Lebens- und Weltauffassung, die den Roman trägt, ein christlicher Gott allerdings kommt nicht darin vor. Vielmehr eine archaische, zornige Rächerin der Unterwelt: Janina.
Tokarczuk verbindet Archetypen und Mythen spielerisch mit satirischen und poetischen Elementen. So ist "Der Gesang der Fledermäuse" Heimat- und Aussteigerroman, Krimi, Persiflage und zivilisationskritisches Pamphlet in einem.
Besprochen von Carsten Hueck
Olga Tokarczuk: Der Gesang der Fledermäuse
Aus dem Polnischen von Doreen Daume
Schöffling Verlag, Frankfurt/Main 2011
345 Seiten, 22,95 Euro