Die Rätselhaftigkeit der Bilder

Von Rainer Zerbst |
Für Eitels Bilder bedarf es mehrerer Blicke. Kaum hat der Betrachter eine erste Deutung erfasst, wirft bereits der zweite Blick neue Fragen auf und gibt Einsichten in andere Zusammenhänge. Es ist die Spannung zwischen Abstraktem und Gegenständlichem, die Eitels Bilder so rätselhaft macht.
"Die Bewohner" nennt Tim Eitel seine neueste Ausstellung. Bewohner, das trifft auf den ersten Blick auch durchaus zu. Wir sehen Gestalten in einem düsteren Keller, in den aus einem kleinen Fenster von oben etwas Licht dringt, wir sehen eine Gruppe von Jugendlichen, wir sehen ein Paar: einen Mann und eine Frau in einer Art Museumshalle. Und selbst wenn auf einem Bild keine Menschen sind, handelt es von Menschen. Etwa wenn wir einen Rollwagen beladen mit diffusen Plastiktüten sehen. "Habe" nennt Eitel dieses Bild, und er meint die Habe von Obdachlosen. Aber gerade weil der Besitzer dieser wenigen Habseligkeiten nicht auf dem Bild zu sehen ist, eröffnet ein solches Bild ein ganzes Spektrum von Fragen.

"Zum einen ist es natürlich ganz einfach ein abgebildetes Elend, kann es ein Bild von Freiheit sein, und es kann eine Studie über Konsum und was wir eigentlich tatsächlich zum Leben brauchen sein. Da kommen eben sehr viele Dinge zusammen."

Und damit sind wir bei einem, vielleicht sogar dem wesentlichen Aspekt von Eitels Bildern. Man meint auf den ersten Blick, sie voll erfasst zu haben, aber schon der zweite Blick zeigt, dass dem nicht so ist, im Gegenteil. Je länger man sich mit einem solchen Bild befasst, umso vielschichtiger wird es, geradezu unauslotbar, und es kann, so Martin Hellmold, der künstlerische Leiter der Tübinger Kunsthalle, der diese Ausstellung zusammen mit dem Künstler konzipiert hat, die unterschiedlichsten Bedeutungen in sich vereinen.

"Es ist schon so, dass eine gewisse Geheimnisebene in den Bildern liegt, es sind Bilder, mit denen man nicht so schnell fertig wird, es sind Bilder, die stark durch eine Spannung zwischen Abstraktem und Gegenständlichem gekennzeichnet sind und die in einer Weise hart und doch sanft sind."

Eitels Bilder entgleiten einem immer wieder, kaum dass man sich mit einer Deutung festgelegt hat. Die Gruppe Jugendlicher zum Beispiel, offenbar eine Schulklasse auf Museumsbesuch, Eitel malt immer wieder solche Museumsräume. Aber wo sind die Bilder in diesem Museum? Die Wand hinter den Jugendlichen ist kahl, und schon gerät man mit dieser ersten Deutung ins Schwanken. Eines aber ist allen Menschen auf diesen Bildern gemeinsam: Sie sind einsam. Selbst das erwähnte Paar sitzt da, ohne Bereitschaft zur Kommunikation zu zeigen.
"Die Figuren in den Bildern sind sich auch selbst fremd, egal ob sie zu mehreren oder allein sind; man hat den Eindruck, sie kommunizieren nicht wirklich miteinander, sie wissen nicht, was sie sich sagen sollen, oder nicht, wo sie hingehen sollen oder warum sie dahin gehen, wo sie gerade hingehen."

Insofern lassen sich Eitels Bilder als Kommentar zu unserer Gesellschaft deuten. Aber Eitels Bilder beschränken sich nicht darauf, genauer: Die Bilder handeln eigentlich von nichts, es sind in erster Linie einfach nur Bilder. Und wenn man einmal so weit in der Auseinandersetzung mit seinen Arbeiten vorgedrungen ist, dann erscheinen einem diese Gemälde fast surreal. Die Räume zum Beispiel - einerlei ob Wohnhaus oder Museumshalle: Genau genommen sind es keine Räume, zumindest nicht realistisch gemalte, sondern nur Flächen. In dem Saal mit der Gruppe Jugendlicher zum Beispiel geht mitten durch die Wand hinter der Figurengruppe ein Riss. "Öffnung" nennt Eitel dieses Bild denn auch, aber es ist keine Öffnung, hier ist nicht einfach ein Spalt in der Wand, dieser weiße Balken in der grauen Wand ist nichts als ein weißer Farbstrich - und die Wand daher auch nichts als eine graue Fläche. Eitels Bilder kombinieren Figurenmalerei und abstrakte Malerei, manchmal geradezu konstruktivistische.

"Das sind, denke ich, zwei unterschiedliche Wahrnehmungsweisen. Eigentlich ist die Frage, wie viel Informationen braucht man, um einen Raum rekonstruieren zu können - der Betrachter, in seinem Gehirn -, und wie man sieht, ist gar nicht so viel dazu nötig."

Beispiel: Zwei Männer in einem Boot. Sie paddeln nach hinten, als wollten sie die Ferne erreichen. So weit kann einen dieses Bild an Caspar David Friedrich erinnern, auf denen einsame Figuren mit dem Rücken zu uns in die Ferne schauen. Aber die Wasserfläche auf Eitels Bild ist nur auf den ersten Blick ein See, in Wirklichkeit ist es eine diffus grünlich graue Fläche, die plötzlich irgendwo abbricht: realistische Illusionsmalerei und abstrakte Fläche in einem, das macht seine Bilder immer wieder rätselhaft. Auch die Formate tragen zu dieser Rätselhaftigkeit bei. Mal sind Bilder riesig - 2 Meter 50 mal 1 Meter 90 -, dann sind sie wieder winzig, 20 mal 20 Zentimeter. Wobei das Motiv für eitel nicht unbedingt ausschlaggebend dafür ist, ob großes oder kleines Format, das Bild mit dem Titel "Monument" zum Beispiel ist ausgesprochen klein. Martin Hellmold hat dem Rechnung getragen. So hat er an eine große Wand nur ein kleines Bild gehängt.

"Es geht in diesen Bildern, wenn man ein Grundthema ansetzen sollte, nach meiner Einschätzung um ein Gefühl der Ortlosigkeit, und diese Ortlosigkeit ist in den Kompositionen spürbar, sie ist in den Motiven, in der Verortung der Figuren im Bildraum spürbar, und wir haben in der Hängung versucht, diese Ortlosigkeit auch im Raum noch mal für den Betrachter zusätzlich spürbar zu machen. Wir haben es so gehängt, dass die Größe gar nicht so entscheidend ist. Wenn die Bilder genug Platz an der Wand haben, sind sie so stark auch als Kleinformate, dass man zurücktreten kann, und sie wirken gewaltig, obwohl sie nur 20 mal 20 Zentimeter groß sind."