"Die RAF hat mich ein Leben lang begleitet"

Nina Grosse im Gespräch mit Katrin Heise · 09.04.2013
Nina Grosse hat Bernhard Schlinks Roman "Das Wochenende" verfilmt und erzählt die Geschichte eines begnadigten Ex-Terrroristen. "Der Roman war für mich eine seltene Gelegenheit, über meine Generation zu erzählen", sagt Grosse über den Film, der nun in den deutschen Kinos startet.
Katrin Heise: Der Kinofilm "Das Wochenende" erzählt nach dem Bestseller von Bernhard Schlink die Geschichte eines begnadigten Ex-Terroristen namens Jens Kessler, der nach seinem ersten Wochenende nach der Haft mit Schwester und Freunden auf dem Land in seinem neuen Leben ankommen soll. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit geschieht auf allen Seiten nicht unbedingt freiwillig. Am Donnerstag kommt der Film mit Sebastian Koch, Katja Riemann, Sylvester Groth, Barbara Auer und anderen im Kino, also in die deutschen Kinos, und wir hören gleich die Regisseurin Nina Grosse über die fiktive Aufarbeitung der RAF-Geschichte und ihre Filmversion. Aber vorher stellt uns Bernd Sobolla den Film erst mal vor.

Beitrag

Heise: Bernd Sobolla stellte uns den Film "Das Wochenende" vor. Von der Regisseurin Nina Grosse nach dem gleichnamigen Roman von Bernhard Schlink. Er startet am Donnerstag. Und ich freue mich jetzt sehr, dass ich Gelegenheit habe, mit Nina Grosse zu sprechen. Herzlich willkommen im Studio, Frau Grosse!

Nina Grosse: Danke! Hallo!

Heise: Ich hab vor ein paar Jahren den Roman von Bernhard Schlink gelesen über den in dem Roman nach über 20 Jahren begnadigten Ex-Terroristen. Schlink ließ ja seine vielen Figuren, zum Teil ein bisschen exemplarisch, auf jeden Fall sehr intensiv über Gesellschaft, über Terrorismus, eigene Verstrickung diskutieren, streiten oder auch im Stillen sinnieren. Sie haben zwar die Vorlage genommen, aber in dem Film habe ich, und das hat der Kollege ja eben auch kurz angesprochen, vor allem die Familien- und Freundschaftsbeziehungen im Vordergrund gesehen, politische Ideen nur am Rande. Warum dieser Fokus, Frau Grosse?

Grosse: Dass die politischen Ideen nur am Rande sind, bestreite ich jetzt mal, weil sie werden immer wieder thematisiert. Die familiären Konflikte und das Vergessen von Idealen, und was ist aus Lebensentwürfen geworden, was ja auch was Politisches hat, wird zugleich debattiert mit dem Aufbruch, den Jens gewagt hat, und die anderen haben ihn halt nicht gewagt.

Heise: Sie haben auch das Drehbuch geschrieben. In einigen der bisher veröffentlichten Kritiken heißt es auch, Schlinks Vorlage musste entschlackt werden, war zu thesenartig. Was hat Sie besonders gereizt an dem Roman?

Grosse: Der Roman war für mich eine seltene Gelegenheit, über meine Generation zu erzählen. Also, als ich so 17, 18 war, ist die RAF, ist die erste Generation, Ensslin, Baader, Meinhof gerade inhaftiert worden und, auch wie Katja Riemann das ja vorhin gesagt hat, ich war in meiner pubertären Phase auch Sympathisant, und die RAF hat mich ein Leben lang begleitet, auch in der Entidealisierung, als man dann anders, erwachsener darüber nachgedacht hat. Aber sie war immer Thema für mich, und deswegen fand ich es spannend, dass bei Schlink einer von dieser Gruppe ein RAFler ist, und die anderen haben einfach andere Lebensmodelle gewählt, und die Konfrontation von einem, der ausgezogen ist und sich politisch aktiv entschieden hat mit allen Konsequenzen, versus denen, die ein bürgerliches Leben eingeschlagen haben, ist einfach was, was für meine Generation sehr interessant ist, und deswegen hat mich dieser Roman so begeistert.

Heise: Also die Konfrontation der Lebensentwürfe dann auch?

Grosse: Ja genau, und darum geht es ja eigentlich auch. Es geht darum, was ist aus uns geworden, also, wie sind wir gestartet und was ist aus uns geworden.

Heise: Und es sollte keine historische Aufarbeitung sein?

Grosse: Nein, auf gar keinen Fall! Also, der Film spielt heute, hier und jetzt, und er hat ja auch nicht die RAF zum Thema, sondern er hat zum Thema Lebensideale, Lebensmodelle, das Darüber-Sinnieren um die 50 herum. Diese Figuren sind alle um die 50 herum. Ist das eigentlich richtig, wo ich gerade mich befinde – ja, Analyse machen.

Heise: Sebastian Koch spielt ja den entlassenen Ex-Terroristen. Er ist wortkarg, er ist verschlossen, mit der Vergangenheit noch lange nicht fertig, teilweise auch verwirrt ob der vielen Veränderungen, die er jetzt erleben muss. Aber er ist auf keinen Fall zerstört. Wie wichtig war Ihnen das, diese noch spürbare Stärke?

Grosse: Also, das ist wirklich eine Veränderung, die ich zu dem Roman vorgenommen habe. Bei Bernhard Schlink ist Jens Kessler krank, er hat Prostatakrebs, er wird nicht mehr lange leben. Er wird auch körperlich als sehr gebrechlich und zerstört dargestellt. Und ich fand, für die Konfrontation der Gruppe es entscheidend wichtig, dass da jemand raus kommt, der immer noch aggressiv und vehement für diese Ideale eintritt. Also jemand, der erst mal, auf den ersten Blick, nicht gebrochen ist.

Heise: Die anderen wirken ja, na ja, fast ein bisschen auch gelangweilt ob ihrer Vergangenheit, fand ich, also im Gegensatz zu ihm, der sehr kämpferisch ist. Im Bericht eben sprach Sebastian Koch, der Schauspieler, ja auch davon, von diesen Veränderungen durch Haft. War Ihnen das auch ein wichtiger Aspekt, also der Aspekt Sinn von Strafe beispielsweise, was macht die mit einem?

Grosse: Die junge Doro stellt ja genau die Frage, ihr habt Menschen getötet, und war's das wert, und Jens Kessler sagt, das ist mein Leben und ich habe dafür gebüßt. Und ich bin ein Verfechter des Rechtsstaats, der sagt, man verbüßt Strafen und dann müssen zweite Chancen möglich sein.

Heise: Sagt die Regisseurin Nina Grosse, sie ist im Radiofeuilleton zu Gast. Ihr Film "Das Wochenende" läuft ab Donnerstag in den Kinos. Es geht dabei ja um einen begnadigten Terroristen, der sich eben noch sehr stark mit seinen Idealen auseinandersetzt, seine ehemaligen Mitstreiter anklagt wegen ihrer Verbürgerlichung. Er wird im Roman recht stark auch mit dem heutigen Protest und heutigen Protestformen konfrontiert, zu denen er sich verhalten soll. Im Film ist das eine Scheindebatte, nur so eine kurze Sequenz, die wo ganz anders hin führt. Wollten Sie diese beiden politischen Ebenen – damaliger Protest, heutige Protestformen – nicht verknüpfen?

Grosse: Also das stimmt, diesen Strang habe ich weggelassen, weil da war mir da in der Tat wichtiger, diese emotionalen und persönlichen Konflikte herauszustellen, also zum Beispiel, was ja auch ein Eingriff ist, die Geschichte mit Inga, die es im Roman von Bernhard Schlink so nicht gibt. Es gibt sie, aber sie hat sich umgebracht. Und ich fand es unheimlich spannend, diese Figur wieder zum Leben zu erwecken …

Heise: Also Inga im Film hat ein Kind, einen Sohn eben mit dem ehemaligen Terroristen.

Grosse: Genau. Genau. Und die haben sich getrennt aufgrund dieses Kindes, weil sie das Kind wollte und er nicht. Und die beiden treffen aufeinander, und diese Auseinandersetzung von einer ungelebten Liebe, die jetzt, die sich wieder begegnen beide und sich die Frage stellen müssen, haben wir das eigentlich zu Ende gebracht oder müssen wir es jetzt wirklich zu Ende bringen, die war mir dann in der Tat wichtiger wie die Konfrontation, wie bei Schlink mit diesem – Marko heißt er, ja.

Heise: Die filmische Beschäftigung mit der RAF scheint ja häufig in Wellen zu gehen, wobei Sie ja sagen, es ist ja nicht nur die Beschäftigung mit der RAF, es ist ja eigentlich eine Beschäftigung mit Lebensentwürfen. Also wenn man jetzt mal guckt, viele Filme sind um die Jahrtausendwende entstanden, viele dann so zwischen 2008 und 2011 – erkennen sie unterschiedliche Interessen bei Filmemachern, eben gerade in der Beschäftigung mit der RAF?

Grosse: Na ja, es gibt so zwei Arten, also wenn man jetzt so "Baader-Meinhof-Komplex" nimmt oder den von Andres Veiel, das sind ja historische Filme, die irgendwie versuchen, einzutauchen in die Zeit der RAF und so versuchen herauszufinden, was war das Faszinosum, was ist passiert. Sowohl mein Film als auch der Film von Susanne Schneider "Es kommt der Tag" sind ja Beschäftigungen des Heute und wie das Heute konfrontiert wird mit – wie soll man sagen – fast wie Gespenstern der RAF, die plötzlich – wie bei Susanne die Mutter, die entdeckt wird von der Tochter, wie bei mir, einer kommt raus und wird konfrontiert mit seiner Familie und seinen Freunden. Da geht es eher darum, wie wirkt die RAF auf heute nach. Die RAF ist ein Trauma der BRD und deswegen kommt sie immer in Wellen. Die gehört zu unserer bundesrepublikanischen Geschichte.

Heise: Auch zu der Jugend heute noch?

Grosse: Ja, ich war überrascht. Also, als ich die jungen gecastet habe und sie gefragt habe, was kennen Sie von der RAF oder was kennt ihr von der RAF, ist es ein merkwürdig idealisiertes, wie Doro auch in meinem Film sagt, Happening gewesen, wo die Kids mich zum Teil gefragt haben, war das wirklich so aufregend, und warum ist es heute nicht mehr so aufregend. Also, da gibt es noch Nachholbedarf.

Heise: Ab Donnerstag läuft der Film mit Sebastian Koch, Katja Riemann, Sylvester Groth, Barbara Auer und anderen im Kino. Nina Grosse ist die Regisseurin. Vielen Dank, Frau Grosse, für den Besuch hier im Studio!

Grosse: Danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Jens (Sebastian Koch, l-r), Ulrich (Tobias Moretti), Inga (Katja Riemann) und Henner (Sylvester Groth) diskutieren in einer Szene des Kinofilms "Das Wochenende". Das Drama kommt am 11.04.2013 in die deutschen Kinos.
Szene aus dem Film "Das Wochenende" mit Sebstian Koch (links), Tobias Moretti (hinten), Katja Riemann und Sylvester Groth (rechts)© ufa/Stephan Rabold
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