Die rettende Ironie
Weihnachten steht auf der Agenda der Konsum- und Leistungsgesellschaft – und allüberall macht sich auf den Bühnen wieder Märchenzauber breit. Auch die Aschenputtel-Oper von Jules Massenet (1842–1912) verheißt viel tröstlichen Schein.
Bei der Vorlage für das Libretto von Henri Cain handelt es sich um die schauerlich schöne Geschichte des Aschenbrödels, wie sie in den "Acht Märchen" von Charles Perrault (1697) überliefert wird. Über deren Fortschreibung von Massenet, neben Berlioz und Offenbach wohl der bedeutendste französische Komponist des 19. Jahrhunderts, heißt es in der repräsentativen Enzyklopädie des Musiktheaters: "Massenets 'Cendrillon' unterscheidet sich von anderen Bearbeitungen des Stoffs für die Opernbühne durch die unverhohlene Offenheit, mit der das Märchen dem erwachsenen Publikum der Belle Epoque als Fluchtmöglichkeit aus einer prosaischen Realität angeboten wird."
Der Regisseur Laurent Pelly widerstand der nahe liegenden Versuchung, "Cendrillon" in die Fantasy-Sphären zu entrücken; er beordert die wundersame Geschichte der Lucette in eine literarische Welt (zurück): Auf den verschiebbaren Wänden der Brüsseler Bühne und auf den Türen prangt die Reproduktion eines alten Drucks der Geschichte – und aus diesem Reich der Buchstaben gibt es für das Aschenbrödel so wenig ein Entkommen wie für die übrigen Mitglieder ihrer Familie oder für den alten und den jungen König. Die Fee ist eine Königin der Nacht und am Ende, bei ihrer dritten Erscheinung, schiebt man sie wie eine französische Freiheitsgöttin auf einer Bücherbarrikade herein. Das von unseren westlichen Nachbarn zeitweise überstrapazierte Freiheitspathos wird durch Übertreibung ironisiert.
Generell ist dies die Methode, mit der Pelly die aufkeimende vorweihnachtlichen Rührungstendenzen unterläuft: die selbstsüchtige und von mangelndem Realitätssinn geprägte Stiefmutter zeigt eine ausladende Gesäßpartie und ihre beiden blasierten Töchter stellen noch viel unförmigere Hinterteile zur Schau. Das Tänzeln der Höflinge verrät nicht eben royalistische Gesinnung und das Defilee der Brautbewerberinnen ist eines durch die Kunst- und Stilgeschichte – und in ihm die Kurt-Schwitters-Parodien vielleicht die gelungensten Momente. Der Feenforst lässt Pelly zu einem Wald von Kaminen und Schornsteinen über den Dächern der Stadt mutieren, in deren Tiefen Lucette (wie alle ihre Leidensgenossinnen) die staubigen Aschekästen zu leeren hatte
Die mit leichter Hand servierte Regie-Technik der wohldosierten Übertreibung und der theatralen Selbstironie kontrapunktiert das musikalische Trostpotential aus den 1890er-Jahren, das Alain Altinoglu mit dem Orchestre symphonique de la Monnaie auskostet. Da bleibt, was den Fein- und Wohlklang anbetrifft, die Hervorhebung der Anspielungen auf die alte französische Hofmusik und die Kontrapunktik des ausgehenden 17. Jahrhunderts, aber auch das Waldweben und Schwelgen, wenig zu wünschen übrig. Eine besondere Bescherung stellen jedoch die drei tonangebenden Frauenstimmen dar: Eglise Guitiérrez als Fee mit wunderbar leichter und in instrumentaler Virtuosität geführter Sopranstimme, Sophie Marilley als Prinzt und insbesondere Anne-Catherine Gillet in der Titelpartie.
An zwei Abenden hintereinander war in den benachbarten Hauptstädten theatrale Familien-Anamnese zu erleben. Der Kontrast hätte nicht größer sein können: in Amsterdam am Donnerstag der anachronistische Ausflug zu den unglücklichen Nachfahren des Tantalos (mit Kate Mitchells eintönig-kriminologischer Regie für das Kammerspiel über die Blutrache sowie Angstvisionen des Orest und mit der aufdringlich-angestrengten ewiggestrigen Musik eines Düsseldorfer Hochschullehrers, die womöglich dereinst als repräsentativer Ton der Merkel-Ära gefeiert wird) – in Brüssel am Freitag-Abend die virtuose Musik des Meisters Massenets in ironisch gebrochener Opulenz als ein Märchen, das sich in seiner Reflexion von Eitelkeit, Selbstüberschätzung und irrationalen Hoffnungen wohl ganz auf der Höhe der Zeit bewegt.
Die weithin in der Nacht und dem Gedanken der Flüchtigkeit aller Liebe spielende Oper "Cendrillon", der auch die Zonen der Todessehnsucht berührt, stellt das französische Mittellot dar zwischen dem nacht- und todesverbundenen, liebesewigkeitentrunkenen "Tristan" von Richard Wagner und dem gleichfalls mit Motiven aus alter Zeit operierenden "Rosenkavalier" von Hofmannsthal und Richard Strauss. Laurent Pelly erweist sich als hochtalentierter Kunsthandwerker, der auf seine milde Weise möglicherweise mehr Erkenntnis freisetzt als so mancher neudeutsche Regie-Zugriff, der sich als "faustisch" und "eigentlich künstlerisch" missversteht.
Der Regisseur Laurent Pelly widerstand der nahe liegenden Versuchung, "Cendrillon" in die Fantasy-Sphären zu entrücken; er beordert die wundersame Geschichte der Lucette in eine literarische Welt (zurück): Auf den verschiebbaren Wänden der Brüsseler Bühne und auf den Türen prangt die Reproduktion eines alten Drucks der Geschichte – und aus diesem Reich der Buchstaben gibt es für das Aschenbrödel so wenig ein Entkommen wie für die übrigen Mitglieder ihrer Familie oder für den alten und den jungen König. Die Fee ist eine Königin der Nacht und am Ende, bei ihrer dritten Erscheinung, schiebt man sie wie eine französische Freiheitsgöttin auf einer Bücherbarrikade herein. Das von unseren westlichen Nachbarn zeitweise überstrapazierte Freiheitspathos wird durch Übertreibung ironisiert.
Generell ist dies die Methode, mit der Pelly die aufkeimende vorweihnachtlichen Rührungstendenzen unterläuft: die selbstsüchtige und von mangelndem Realitätssinn geprägte Stiefmutter zeigt eine ausladende Gesäßpartie und ihre beiden blasierten Töchter stellen noch viel unförmigere Hinterteile zur Schau. Das Tänzeln der Höflinge verrät nicht eben royalistische Gesinnung und das Defilee der Brautbewerberinnen ist eines durch die Kunst- und Stilgeschichte – und in ihm die Kurt-Schwitters-Parodien vielleicht die gelungensten Momente. Der Feenforst lässt Pelly zu einem Wald von Kaminen und Schornsteinen über den Dächern der Stadt mutieren, in deren Tiefen Lucette (wie alle ihre Leidensgenossinnen) die staubigen Aschekästen zu leeren hatte
Die mit leichter Hand servierte Regie-Technik der wohldosierten Übertreibung und der theatralen Selbstironie kontrapunktiert das musikalische Trostpotential aus den 1890er-Jahren, das Alain Altinoglu mit dem Orchestre symphonique de la Monnaie auskostet. Da bleibt, was den Fein- und Wohlklang anbetrifft, die Hervorhebung der Anspielungen auf die alte französische Hofmusik und die Kontrapunktik des ausgehenden 17. Jahrhunderts, aber auch das Waldweben und Schwelgen, wenig zu wünschen übrig. Eine besondere Bescherung stellen jedoch die drei tonangebenden Frauenstimmen dar: Eglise Guitiérrez als Fee mit wunderbar leichter und in instrumentaler Virtuosität geführter Sopranstimme, Sophie Marilley als Prinzt und insbesondere Anne-Catherine Gillet in der Titelpartie.
An zwei Abenden hintereinander war in den benachbarten Hauptstädten theatrale Familien-Anamnese zu erleben. Der Kontrast hätte nicht größer sein können: in Amsterdam am Donnerstag der anachronistische Ausflug zu den unglücklichen Nachfahren des Tantalos (mit Kate Mitchells eintönig-kriminologischer Regie für das Kammerspiel über die Blutrache sowie Angstvisionen des Orest und mit der aufdringlich-angestrengten ewiggestrigen Musik eines Düsseldorfer Hochschullehrers, die womöglich dereinst als repräsentativer Ton der Merkel-Ära gefeiert wird) – in Brüssel am Freitag-Abend die virtuose Musik des Meisters Massenets in ironisch gebrochener Opulenz als ein Märchen, das sich in seiner Reflexion von Eitelkeit, Selbstüberschätzung und irrationalen Hoffnungen wohl ganz auf der Höhe der Zeit bewegt.
Die weithin in der Nacht und dem Gedanken der Flüchtigkeit aller Liebe spielende Oper "Cendrillon", der auch die Zonen der Todessehnsucht berührt, stellt das französische Mittellot dar zwischen dem nacht- und todesverbundenen, liebesewigkeitentrunkenen "Tristan" von Richard Wagner und dem gleichfalls mit Motiven aus alter Zeit operierenden "Rosenkavalier" von Hofmannsthal und Richard Strauss. Laurent Pelly erweist sich als hochtalentierter Kunsthandwerker, der auf seine milde Weise möglicherweise mehr Erkenntnis freisetzt als so mancher neudeutsche Regie-Zugriff, der sich als "faustisch" und "eigentlich künstlerisch" missversteht.