Vom Drehen und Explodieren
Ein Blick in die Rekordbücher beweist: Im Kugelstoßen dominiert nach einer recht langen Anlaufphase die Drehstoßtechnik. Auch für den kleinwüchsigen Athleten Niko Kappel liegt hierin das Geheimnis seines Weltrekords.
"Im ersten Versuch eine 13,60 direkt, was Saisonbestleistung ist - da wusste ich schon, da ist was möglich. Und der zweite Versuch, der ist mir dann genau auf den Fingern gelegen und den habe ich schön getroffen und war sehr schnell gewesen, eine 14,02 - als erster Kleinwüchsiger die 14 Meter als erster geknackt, Weltrekord!" Niko Kappel erlebte am 9. Juni 2018 sein persönliches Highlight: Neuer Weltrekord!
Für den nur 1,35 Meter großen Sindelfinger hat es sich rundum gelohnt, den Drehstoß zu lernen. Liebe auf den ersten Blick war es bei Kappel trotzdem nicht. Bis 2014 nutzte er die Angleit-Technik. Dabei wird die Kugel nach einer Streckbewegung aus gebeugtem Knie geradeaus gestoßen. Kappels neuer Trainer Peter Salzer machte sich für den Technikwechsel stark. Welche Vorteile aber haben Drehstoßer:
"Man sagt ja grundsätzlich, für kleinere Athleten ist die Drehstoßvariante attraktiver, weil man durch die verkürzten Hebel, durch die schnellere Geschwindigkeit mehr gut machen kann. Davon bin ich überzeugt und kann es vielen nur empfehlen. Vor allem den Kleinwüchsigen."
Was nicht heißt, dass ein 1,85 Meter großer Athlet im Nachteil wäre. Siehe Jan Josef Jeuschede. Der Leverkusener lernte von früh auf - bedingt auch durch seinen USA-Aufenthalt - den Drehstoß und wurde 2017 deutscher Vizemeister: "Die Vorteile im Drehstoß: Ich kriege da mehr Dynamik rein. Im Angleiten muss man sehr viel durch aktives Strecken im rechten Bein von hinten rausholen."
Mehr Energie, aber auch mehr Fehler
Zugegeben, die Drehstoßtechnik ist etwas störanfälliger. Bei Regen, wenn es schmierig wird im Ring, landet die Kugel nach anderthalb Körperdrehungen schon einmal links oder rechts neben dem Wurfsektor. Also gibt es häufiger ungültige Versuche. Außerdem ist die Motorik höchst komplex, sagt Jan Josef Jeuschede: "Dieser Punkt, den man treffen muss beim Drehstoßen, wo die Kugel wirklich weit hinten ist, ist schon tendenziell schwieriger zu erreichen als die Stoßauslage im Angleiten."
Drehstoßen belastet auch die Hände stark, sagt Simon Bayer. Der Sindelfinger hat sich trotzdem für diese Technik-Variante entschieden und stößt die Kugel damit 19,91 Meter weit - nur neun Zentimeter unter der EM-Norm.
"Angleiten beschleunigt dauerhaft, Drehstoß stoppt kurz vor dem Abstoß und geht dann explosiv weiter. Das heißt Mehrbelastung im Handgelenk, Mehrbelastung im Ellenbogen, das muss man vorbereiten."
Deswegen kräftigt Bayer durch Handstand-Übungen und Barrenturnen die Handgelenke. Wie Bayer, Jeuschede und Kappel zeigen, sind Deutschlands Drehstoßer im Kommen, teilweise gefördert durch den inzwischen 69jährigen Drehstoßpionier Rolf Oesterreich, ein Mentor von Simon Bayer.
Vom Gefühl für das Drehen
"Herr Oesterreich ist mir damals, als ich 14 war, das erste Mal begegnet. Er hat von seiner Geschichte erzählt, von der DDR, wie er damals den Weltrekord nicht anerkannt bekommen hat."
Die beiden besten deutschen Kugelstoßer, die Ex-Weltmeister David Storl und Christina Schwanitz, praktizieren jedoch nach wie vor das Angleiten. Andere Top-Kugelstoßer versuchen zwar den Umstieg, merken jedoch, dass sie die alten tausendfach geübten Bewegungs-muster nicht ablegen können und bleiben Angleiter. Drehstoßen verlangt sehr flinke Beinarbeit.
Es hilft halt schon, wenn man in jungen Jahren Diskus wirft, und so das Gefühl für das Drehen schon hat.
Schaut man in die Rekordbücher, wird klar, wohin die Reise geht: Seit 1990 liegt der Weltrekord bei 23,12 Meter, erzielt durch den US-Drehstoßer Randy Barnes. 2017 im WM-Finale der besten Acht waren nur Drehstoßer vertreten, auch 2018 geben sie weltweit den Ton an. Es wäre sehr überraschend, wenn bei der Europameisterschaft in Berlin ein Angleiter die Nase vorn hätte.