Die Revolution von CoBrA

Von Sven-Claude Bettinger |
Am 8. November 1948 gründeten sechs Dichter und Maler die CoBrA-Gruppe. Mit wilden Bildern, an denen sie oft zusammenarbeiteten, setzten sie sich von Surrealismus und abstrakter Kunst ab – und bereiteten vielen Strömungen der 1960er-Jahre den Weg. Die Königlich-Belgischen Kunstmuseen erinnern in der Retrospektive "CoBrA 1949-1951" an die Avantgardegruppe.
"Die Malerei hat mit ihren eigenen Federn ihr Nest gebaut; die Lyrik hat ihre Federn verloren. Vom einen Bett zum anderen lieben sich die Träume, und die Wörter der unterschiedlichsten Sprachen umarmen sich …"

So definierte der belgische Dichter Christian Dotremont die "Revolution von CoBrA". Zusammen mit Joseph Noiret, ebenfalls Belgier und Dichter, dem dänischen Maler Asger Jorn und den holländischen Doppelbegabungen Constant, Corneille und Karel Appel gründete er die CoBrA-Gruppe. Br, für Brüssel, steht zwischen Kopenhagen und Amsterdam, geographisch völlig falsch, kunsthistorisch ganz richtig, hebt die Kuratorin der großen Brüsseler Gedenkausstellung, Anne Adriaens-Panier, hervor:

"In Brüssel liefen alle Fäden zusammen. Dotremont war die treibende Kraft der Bewegung. Der Brüsseler besaß internationale Ausstrahlung und Kontakte. Dotremont kannte Jorn und die Dänen, die Holländer, er brachte all diese jungen Leute zusammen. Sie besuchten sich gegenseitig, schüttelten die Erinnerung an die schrecklichen Kriegsjahre von sich ab, genossen die Freiheit, und arbeiteten völlig spontan."

Bereits vor der förmlichen Gründung der Gruppe und ihrer Zeitschrift, am 8. November 1948, so illustriert der Auftakt der Ausstellung, schrieb Dotremont witzige Wortspielereien in heftige, blaue Gemälde von Jorn. Etwa "Je lève, tu lèves", wörtlich übersetzt "Ich hebe, Du hebst", aber strenggenommen eine französische Verballhornung des dänischen Künstlermottos "Es lebe das Leben!" Solche spielerischen und zugleich hintergründigen Ko-Produktionen sollten zum bahnbrechenden Markenzeichen von CoBrA werden:

"Ein kleines Gemälde heißt ‚Modifications’. Es illustriert emblematisch die Wut der CoBrA-Künstler auf die abstrakte Malerei, die vorherrschende Strömung jener Zeit. Bei einem Treffen in Dänemark knöpfen sich Jorn, Appel, Constant, Corneille und Pedersen ein abstraktes Gemälde von Richard Mortensen vor. Sie übermalen es wild mit einfachen CoBrA-Symbolen wie Mond, Sonne, wilden Pflanzen, Fabeltieren, Antlitzen, sie ändern die Farben. Absicht und Ausarbeitung zeugen von einer ungeheuerlichen Freiheit – und gleichen damit dem damals noch nicht bekannten ‚action painting’ eines Jackson Pollock."

Die Chronologie vom Anfang bis zum ebenso förmlichen Ende der Gruppe – und insgesamt zwei großen und 13 kleineren Ausstellungen - bildet den roten Faden der Ausstellung. Ganz locker sind daran die wichtigsten Themen der Künstler aufgehängt: Haustiere und Fabelwesen, verzerrte Gesichter von Erwachsenen und Kindern, chaotische Stadtlandschaften und Urwaldszenen, mal grell farbig, mal in Erdtönen, mal flächig dahingeworfen, mal kompliziert strukturiert. Auch hier war ein Belgier wegweisend:

"Eines der Mitglieder von CoBrA war der Ethnologe Luc de Heusch. Er verstärkte das Interesse, insbesondere von Jorn, für die sogenannten primitiven Kulturformen: Die Folklore oder den Karneval bei uns, die Riten im Kongo. Luc de Heusch machte deutlich, dass längst nicht nur die Literatur, sondern ebenso gut der Alltag mit seinen vielfältigen Facetten eine Quelle der Inspiration sein kann."

Unter dem allgemeinen Nenner Freiheit konnten sich bei CoBrA ganz unterschiedliche Temperamente entwickeln. Das führte zu Überraschungen – die der Brüsseler Ausstellung jetzt besondere Akzente verleihen. So stellte der belgische Plastiker Reinhoud D’Haese eine Kinderfigur mit Wasserkopf auf einen mit blauen Kalligraphien verzierten, schlanken, weißen Porzellansockel von Pierre Alechinsky. Die Dänin Else Alfeld malte mit rhythmischen Pinselstrichen abstrakte Kompositionen in luftigen Pastelltönen. Von Sonia Ferlov stammt eine elegant gebogene Bronzeplastik, auf der einen Seite massiger, ab der Mitte zweigliedrig und schlank: Ein rudimentärer Körper. Von dem japanischen CoBrA-Mitglied Tajiri ist eine Eisenplastik zu sehen, die mit ihren kleinen Stücken wie eine strahlende Distel aussieht – ein absolut seltenes Werk, den Tajiri recycelte im allgemeinen nach jeder Ausstellung diese "ephemer" genannten Kreationen. Skurrile Fotos des Belgiers Serge Vandercam oder eine Assemblage aus rostigen Rädern von Kinderwagen und Kinderfahrrädern, Holzabfällen und einem grasgrünen Kotflügel von Henry Herrup illustrieren, dass CoBrA-Künstler den Surrealismus gar nicht so sehr verschmähten wie sie durchweg behaupteten.

"Hier ist der Haarschopf der Dinge mit einem Finger Wasser bedeckt. Meine Phantasie wurde bei CoBrA für die Zukunft geboren, diese Zukunft wurzelt in der Gegenwart, die ich der Zukunft anbiete …"

… dichtete Christian Dotremont ganz zu Recht. In einer etwas verborgenen Ecke der Ausstellung liegen da auf einer Glasscheibe ein paar Kartoffeln – Dotremont und Freunde verzehrten sie 1950 bei einer Ausstellung –, auf dem Boden steht ein Wäschekorb mit schmutzigen Hemden. Titel der von Dotremont angeregten Gemeinschaftsarbeit: "Die Vorräte der Sensibilität". Da kündigen sich bereits Happenings und Installationen oder "arte povera" an – und wird nochmals deutlich, wie stark CoBrA die europäische und internationale Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beeinflusst hat.


Mehr Informationen unter: www.fine-arts-museum.be