Betroffenheit durch Kunstpause
Bundespräsident Joachim Gauck geht - und mit ihm ein ganz spezieller Redestil: pastoral, menschelnd, bedeutungsschwanger. Wie macht er das? Wir haben den Kulturwissenschaftler Gernot Wolfram nach den rhetorischen Kniffen des Präsidenten gefragt.
Für den Inhalt seiner Reden hat Bundespräsident Joachim Gauck im In- und Ausland immer viel Zustimmung erhalten. Mit Recht, meint der Kulturwissenschaftler Gernot Wolfram. Umso härter kritisiert er die Rhetorik des scheidenden Bundespräsidenten:
"Es ist eine funktionalistische Rhetorik, die intellektuell sein möchte, die berühren möchte", sagte Wolfram im Deutschlandradio Kultur. "Sie setzt auch ganz bestimmte Techniken ein, sprachliche Techniken und Kniffe, um diese Betroffenheit zu erzeugen."
Im Gestus des Schriftstellers - nur das Werk fehlt
Zum Beispiel die langen Kunstpausen, die Gauck beim Reden mache. "Wenn Sie in einem Gespräch eine lange Pause machen, dann können Sie auch einen Satz sagen wie 'Ich bin heute früh ... - aufgestanden', und plötzlich bekommt das Bedeutung. Wenn ich sage 'Ich bin heute früh aufgestanden', dann ist das ein ganz normaler Satz." Durch diese Pausen lade Gauck seine Sätze mit einer "unglaublichen Bedeutung" auf. Wenn man sich die Redetexte dann durchlese, sei daran nichts besonders Aufsehenerregendes. "Sie sagen das, was man unterschreiben kann."
Gaucks Reden zeichnen sich Wolfram zufolge auch dadurch aus, dass dieser fast nur in Substantiven spreche. "Es ist immer: die Mitmenschlichkeit, die Ohnmacht, die Wut." Dadurch wirkten die Reden statisch - und es fehle ihnen an besonders glaubwürdigen Momenten.
Von Anfang an habe ihn in an Gaucks Rhetorik der "Gestus des Schriftstellers" gestört, so Wolfram weiter. "Er spricht immer mit so einer literarischen Sprache, er macht ja auch sehr viele Referenzen auf literarische Beispiele – ohne dass dahinter ein Werk stehen würde. Also, er benutzt diese Techniken eines literarischen Sprechens, ohne dass das durch ein Werk legitimiert wäre."
(uko)