Die Rolle der Religionen in der internationalen Politik
Lange glaubten viele Politikwissenschaftler die weltweite Säkularisierung werde die Rolle der Religionen in der internationalen Politik verringern. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 beobachten Experten aber eine Renaissance der Religionen und ihrer Bedeutung für die Politik.
Beim Stichwort Religion denken in Deutschland viele an etwas Vergeistigtes, an Spirituelles und Privates. Weltweit betrachtet, ist genau das Gegenteil der Fall, sagt die Politikwissenschaftlerin Claudia Baumgart-Ochse.
Claudia Baumgart-Ochse: "Man spricht seit den 90er Jahren von der sogenannten Renaissance des Religiösen in der Politik, dass die Religion zurückkehrt auf die politische Bühne, national, international und wieder wichtiger wird. Denken Sie an die Demokratiebewegungen in Osteuropa, in Polen. Da hat die katholische Kirche natürlich eine große Rolle gespielt. Oder die Evangelikalen in den USA. Oder die Revolution im Iran. Alles das hat mir Politik zu tun. Von daher ist das für Politikwissenschaftler interessant."
So tagten am vergangenen Wochenende in Frankfurt Politologen, aber auch Religionsphilosophen und Theologen, um diese Renaissance des Religiösen in den Blick zu nehmen. Auffallend war bei der Tagung der Evangelischen Akademie Villigst in der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung: Das Religiöse zeigt ein Doppelgesicht. Es gibt Fanatismus mit politischen Ansprüchen, die ins Totalitäre gehen. Aggressiv geht man gegen sogenannte Ungläubige vor, die bekehrt oder auf lange Sicht auszurotten sind. Und es gibt eine friedliche Seite der Religionen. Claudia Baumgart-Ochse:
""Sie haben die dunkle Seite, die uns Angst macht. Aber Sie haben auch die positive Seite. Natürlich gibt es Leute wie Gandhi, wie Bischof Tutu, es gib all diese Leute, die uns sehr imponieren. Und die ganz klar sagen: "Das kommt aus meiner Religion!" Oder Martin Luther King. Aber auch heute, der Dalai Lama. Sie kommen von ihrer Religion her bringen sehr Positives ins öffentliche Leben ein. So gibt es beide Seiten. Die Frage natürlich ist: Warum ist das so? Da gibt es in der Wissenschaft leider noch keine Klarheit, keinen Konsens."
Im Mittelpunkt der Tagung stand weniger die Suche nach den Gründen dieser religiösen Ambivalenz, sondern die Frage, wie sich die friedlichen Kräfte stärken lassen: Soll man darauf vertrauen, dass in den Religionen Werte wie Empathie oder Liebe konstitutiv angelegt sind? Heinz-Günther Stobbe, Professor für Systematische Theologie und Friedensforschung an der Universität Siegen:
Heinz-Günther Stobbe: "Ich halte unnachgiebig daran fest, dass Religionen heute diese Fähigkeit einüben müssen. Ich halte aber nichts davon anzunehmen, dass das den Religionen angeboren wäre. Das stimmt einfach nicht. Die Geschichte lehrt uns doch, dass auch Religionen sehr stark an ihrer eigenen Partikularität interessiert sind und es manchmal sehr lange dauert, bis man überhaupt auf den Gedanken kommt, sich in den Anderen hineinzuversetzen."
Sich heute in den Anderen hineinversetzen beginne in der Nachbarschaft, wo oft die verschiedensten Religionen zu finden seien, sagt Heinz-Günther Stobbe: Wichtig etwa: Einander die Gebetsstätten zeigen und erklären. Zu Festen einladen. Und Einladungen auch annehmen. Wichtig sei auch der Wille, den eigenen religiös-kulturellen Blickwinkel permanent zu hinterfragen.
Heinz-Günther Stobbe: "Ich kenne zum Beispiel einen syrisch-orthodoxen Priester. Der regt sich mit Recht maßlos darüber auf, wie wir hier in Deutschland über den Islam reden. Der sagt: ´Wir leben seit 1000 Jahren mit Muslimen. Wand an Wand, Familie an Familie. Ihr müsst uns bitteschön nicht beibringen wollen, wie man interreligiös zusammenlebt!` Das sagt der als Christ! Als Angehöriger einer der ältesten christlichen Kirchen auf diesem Erdball.
Der hat überhaupt keine Probleme mit Muslimen, obwohl er überhaupt kein Muslim ist und auch nie sein wird und nicht sein will. Aber es gibt eine lange und selbstverständliche Tradition gegenseitigen Respekts und der Toleranz, die es ermöglicht hat, dass man dort leben konnte: Und zwar gut. Und was den stört, ist nicht der Islam, sondern sind bestimmte islamistische Strömungen, die genau dieses friedliche Zusammenleben zerstören wollen."
Fundamentalistische Kräfte bilden immer nur einen Teil einer Glaubensgemeinschaft. Aber auch bei den Dialogbereiten handelt es sich nur um einen Teil der jeweiligen Religion, sagt Martin Bauschke, Leiter des Berliner Büros der Stiftung Weltethos. Diese Gesprächsbereiten werden oft angegriffen – aus den eigenen Reihen:
Martin Bauschke: "Fällst du da nicht vom Glauben ab statt die reine Wahrheit zu proklamieren? Sprichst du mit den andern, gestehst du den anderen auch ihre religiöse Wahrheit zu?" Also diese Diskussionen müssen Pioniere oder Akteure des Dialogs leider sehr oft führen, sodass man sagen muss: Interreligiöser Dialog ist schön und gut, aber noch viel schwieriger, und ergänzend dazu muss ein intrareligiöser Dialog geführt werden: Mit den Falken, mit den Hardlinern in den je eigenen Reihen. Und das ist natürlich ganz, ganz schwierig. Man gehört zwar nominell tatsächlich zur selben Religionsgemeinschaft, ist aber in der Theologie, der Grundauffassung vielleicht meilenweit voneinander entfernt und eher den Liberalen in den anderen Religionen näher als den eigenen Leuten, die quasi zu einem anderen Milieu gehören."
Der inter- und intrareligiöse Dialog sei ein entscheidendes Instrument, um politisch deeskalierend zu wirken. Darin war man sich auf der Tagung einig. Wie dieser Dialog geführt werden soll, war allerdings strittig: Man müsse die Unterschiede benennen und bestehen lassen, meinten einige: Sie sogar zelebrieren! Andere waren überzeugt: Besser an Gemeinsamkeiten anknüpfen! Wie etwa an der Goldenen Regel, die man hierzulande vor allem als Reim des Volksmundes kennt: "Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu." Diese Regel sei ein Eckpfeiler in allen Religionen, aber auch in der philosophischen Ethik, beispielsweise bei Vorsokratikern oder Konfuzius. Und auch im heutigen Alltag, hat Martin Bauschke von der Stiftung Weltethos beobachtet:
Martin Bauschke: "´Bitte verlassen Sie diesen Raum so, wie Sie ihn gerne vorfinden möchten!"` So heißt es in der ICE-Zugtoilette. Das finde ich ganz klasse. Und dann auch noch in vier Sprachen! Das ist Weltethos. Das ist die Goldene Regel ganz konkret und so, dass es jeder kapieren kann."
Im Dialog an Gemeinsamkeiten anknüpfen, das heißt noch lange nicht, die Verschiedenheit der Religionen leugnen zu müssen.
Martin Bauschke: "Natürlich sollen die Differenzen im weltanschaulichen Bereich bestehen und die Vielfalt, die bunte, wunderbare Vielfalt der Religionen und Kulturen erhalten bleiben. Wir dürfen nur nicht im Umkehrschluss zu einer Diktatur der Differenzen kommen. Das ist nämlich genau die Art und Weise, wie Fanatiker vorgehen. Die sich nämlich immer erst Mal abgrenzen und sagen: Wir sind die Gläubigen. Ihr seid die Ungläubigen. Wir sind die Männer, ihr seid die Frauen. Wir sind die Weißen, ihr seid die Schwarzen, wir sind die Deutschen, ihr seid die Franzosen.
Und wie immer diese Antagonismen hießen, wo dann die Identität reduziert wird auf ein Merkmal, das dann gleich in Anschlag gebracht wird gegen die jeweils Anderen. Da sind wir doch heute weiter: schon in der Menschrechtserklärung. Es gibt einfach eine gemeinsame Grundidentität, und das ist die, Mensch zu sein und entsprechende Menschenwürde und Menschenrechte zu haben. Das muss uns erst einmal alle verbinden."
Claudia Baumgart-Ochse: "Man spricht seit den 90er Jahren von der sogenannten Renaissance des Religiösen in der Politik, dass die Religion zurückkehrt auf die politische Bühne, national, international und wieder wichtiger wird. Denken Sie an die Demokratiebewegungen in Osteuropa, in Polen. Da hat die katholische Kirche natürlich eine große Rolle gespielt. Oder die Evangelikalen in den USA. Oder die Revolution im Iran. Alles das hat mir Politik zu tun. Von daher ist das für Politikwissenschaftler interessant."
So tagten am vergangenen Wochenende in Frankfurt Politologen, aber auch Religionsphilosophen und Theologen, um diese Renaissance des Religiösen in den Blick zu nehmen. Auffallend war bei der Tagung der Evangelischen Akademie Villigst in der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung: Das Religiöse zeigt ein Doppelgesicht. Es gibt Fanatismus mit politischen Ansprüchen, die ins Totalitäre gehen. Aggressiv geht man gegen sogenannte Ungläubige vor, die bekehrt oder auf lange Sicht auszurotten sind. Und es gibt eine friedliche Seite der Religionen. Claudia Baumgart-Ochse:
""Sie haben die dunkle Seite, die uns Angst macht. Aber Sie haben auch die positive Seite. Natürlich gibt es Leute wie Gandhi, wie Bischof Tutu, es gib all diese Leute, die uns sehr imponieren. Und die ganz klar sagen: "Das kommt aus meiner Religion!" Oder Martin Luther King. Aber auch heute, der Dalai Lama. Sie kommen von ihrer Religion her bringen sehr Positives ins öffentliche Leben ein. So gibt es beide Seiten. Die Frage natürlich ist: Warum ist das so? Da gibt es in der Wissenschaft leider noch keine Klarheit, keinen Konsens."
Im Mittelpunkt der Tagung stand weniger die Suche nach den Gründen dieser religiösen Ambivalenz, sondern die Frage, wie sich die friedlichen Kräfte stärken lassen: Soll man darauf vertrauen, dass in den Religionen Werte wie Empathie oder Liebe konstitutiv angelegt sind? Heinz-Günther Stobbe, Professor für Systematische Theologie und Friedensforschung an der Universität Siegen:
Heinz-Günther Stobbe: "Ich halte unnachgiebig daran fest, dass Religionen heute diese Fähigkeit einüben müssen. Ich halte aber nichts davon anzunehmen, dass das den Religionen angeboren wäre. Das stimmt einfach nicht. Die Geschichte lehrt uns doch, dass auch Religionen sehr stark an ihrer eigenen Partikularität interessiert sind und es manchmal sehr lange dauert, bis man überhaupt auf den Gedanken kommt, sich in den Anderen hineinzuversetzen."
Sich heute in den Anderen hineinversetzen beginne in der Nachbarschaft, wo oft die verschiedensten Religionen zu finden seien, sagt Heinz-Günther Stobbe: Wichtig etwa: Einander die Gebetsstätten zeigen und erklären. Zu Festen einladen. Und Einladungen auch annehmen. Wichtig sei auch der Wille, den eigenen religiös-kulturellen Blickwinkel permanent zu hinterfragen.
Heinz-Günther Stobbe: "Ich kenne zum Beispiel einen syrisch-orthodoxen Priester. Der regt sich mit Recht maßlos darüber auf, wie wir hier in Deutschland über den Islam reden. Der sagt: ´Wir leben seit 1000 Jahren mit Muslimen. Wand an Wand, Familie an Familie. Ihr müsst uns bitteschön nicht beibringen wollen, wie man interreligiös zusammenlebt!` Das sagt der als Christ! Als Angehöriger einer der ältesten christlichen Kirchen auf diesem Erdball.
Der hat überhaupt keine Probleme mit Muslimen, obwohl er überhaupt kein Muslim ist und auch nie sein wird und nicht sein will. Aber es gibt eine lange und selbstverständliche Tradition gegenseitigen Respekts und der Toleranz, die es ermöglicht hat, dass man dort leben konnte: Und zwar gut. Und was den stört, ist nicht der Islam, sondern sind bestimmte islamistische Strömungen, die genau dieses friedliche Zusammenleben zerstören wollen."
Fundamentalistische Kräfte bilden immer nur einen Teil einer Glaubensgemeinschaft. Aber auch bei den Dialogbereiten handelt es sich nur um einen Teil der jeweiligen Religion, sagt Martin Bauschke, Leiter des Berliner Büros der Stiftung Weltethos. Diese Gesprächsbereiten werden oft angegriffen – aus den eigenen Reihen:
Martin Bauschke: "Fällst du da nicht vom Glauben ab statt die reine Wahrheit zu proklamieren? Sprichst du mit den andern, gestehst du den anderen auch ihre religiöse Wahrheit zu?" Also diese Diskussionen müssen Pioniere oder Akteure des Dialogs leider sehr oft führen, sodass man sagen muss: Interreligiöser Dialog ist schön und gut, aber noch viel schwieriger, und ergänzend dazu muss ein intrareligiöser Dialog geführt werden: Mit den Falken, mit den Hardlinern in den je eigenen Reihen. Und das ist natürlich ganz, ganz schwierig. Man gehört zwar nominell tatsächlich zur selben Religionsgemeinschaft, ist aber in der Theologie, der Grundauffassung vielleicht meilenweit voneinander entfernt und eher den Liberalen in den anderen Religionen näher als den eigenen Leuten, die quasi zu einem anderen Milieu gehören."
Der inter- und intrareligiöse Dialog sei ein entscheidendes Instrument, um politisch deeskalierend zu wirken. Darin war man sich auf der Tagung einig. Wie dieser Dialog geführt werden soll, war allerdings strittig: Man müsse die Unterschiede benennen und bestehen lassen, meinten einige: Sie sogar zelebrieren! Andere waren überzeugt: Besser an Gemeinsamkeiten anknüpfen! Wie etwa an der Goldenen Regel, die man hierzulande vor allem als Reim des Volksmundes kennt: "Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu." Diese Regel sei ein Eckpfeiler in allen Religionen, aber auch in der philosophischen Ethik, beispielsweise bei Vorsokratikern oder Konfuzius. Und auch im heutigen Alltag, hat Martin Bauschke von der Stiftung Weltethos beobachtet:
Martin Bauschke: "´Bitte verlassen Sie diesen Raum so, wie Sie ihn gerne vorfinden möchten!"` So heißt es in der ICE-Zugtoilette. Das finde ich ganz klasse. Und dann auch noch in vier Sprachen! Das ist Weltethos. Das ist die Goldene Regel ganz konkret und so, dass es jeder kapieren kann."
Im Dialog an Gemeinsamkeiten anknüpfen, das heißt noch lange nicht, die Verschiedenheit der Religionen leugnen zu müssen.
Martin Bauschke: "Natürlich sollen die Differenzen im weltanschaulichen Bereich bestehen und die Vielfalt, die bunte, wunderbare Vielfalt der Religionen und Kulturen erhalten bleiben. Wir dürfen nur nicht im Umkehrschluss zu einer Diktatur der Differenzen kommen. Das ist nämlich genau die Art und Weise, wie Fanatiker vorgehen. Die sich nämlich immer erst Mal abgrenzen und sagen: Wir sind die Gläubigen. Ihr seid die Ungläubigen. Wir sind die Männer, ihr seid die Frauen. Wir sind die Weißen, ihr seid die Schwarzen, wir sind die Deutschen, ihr seid die Franzosen.
Und wie immer diese Antagonismen hießen, wo dann die Identität reduziert wird auf ein Merkmal, das dann gleich in Anschlag gebracht wird gegen die jeweils Anderen. Da sind wir doch heute weiter: schon in der Menschrechtserklärung. Es gibt einfach eine gemeinsame Grundidentität, und das ist die, Mensch zu sein und entsprechende Menschenwürde und Menschenrechte zu haben. Das muss uns erst einmal alle verbinden."