Die Rosen der Verehrer als Grabkränze

Von Bernhard Doppler |
Der Komponist Manfred Gurlitt komponierte parallel zu Alban Berg eine "Wozzeck"-Oper, doch nur Bergs Version ist in Erinnerung geblieben. Nun hat das Theater Erfurt mit "Nana" eine weitere Oper Gurlitts ausgegraben.
Beide haben sie fast zur gleichen Zeit die selben Opernstoffe komponiert: Alban Berg und Manfred Gurlitt. Beide brachten 1926 nach Georg Büchner eine "Wozzeck"-Oper heraus und beide komponierten in den 30 Jahren eine "Lulu"-Oper, denn Emile Zolas Männer verzehrende Prostituierte Nana, die später zum umjubelten Operettenstar wird, ist wohl eine nahe Verwandte von Frank Wederkinds "Lulu", die Alban Berg später vertonte.

Berg und Gurlitt kannten angeblich die Werke des anderen nicht, doch während Alban Berg zum Inbegriff der Opern des 20. Jahrhunderts wurde, kam Manfred Gurlitt – progressiv und gleichzeitig bemüht, einem konservativen Publikumsgeschmack zu entsprechen - unter die Räder. Einmal die Perspektive auf diese Alternative zu lenken, macht die Erfurter Ausgrabung lohnend.

Die verzweifelte Bemühung, sich durchsetzen zu wollen, hat Manfred Gurlitt in "Nana" noch mehr Kompromisse in Richtung Publikumsgeschmack bis zu Operettenmelodien einschlagen lassen als in "Wozzeck". Die Unentschiedenheit seiner Musiksprache ist nun allerdings kein postmodernes Spiel mit Zitaten, sondern scheint Verlegenheit und ermüdet über weite Stellen. Auch das Libretto von Max Brod schwankt mit seinen Reimen etwas unentschieden zwischen Satire und naturalistischen Mitleidsgefühlen.

Aber vielleicht ist es auch eine Frage der Gewöhnung. Im Laufe des recht langen Abends vermag man sich nämlich immer mehr in Gurlitts Welt einzuleben: Nana wird zur Dame der Gesellschaft wie La Traviata, doch im Gegensatz zu ihr ist Nana nicht Opfer, sondern macht Männer zu Opfern. Mit großem Einsatz bewältigen vor allem Ilia Papandreou als Nana und Richard Calucci als Leutnant Hugon ihre schweren Partien mit Leidenschaft, und auch das Orchester unter Enrico Calasso kommt immer mehr in Fahrt.

In der Inszenierung von Michael Schulz wird kein pittoreskes Bild der Belle Epoque vorgeführt, sondern eher ein allegorisches Spiel von Tod und Sexualität. Als Zeichen der Vergänglichkeit geht die alternde Tänzerin Pomare immer wieder bedeutungsschwer über die Szene. In einem Bühnenbild aus Sperrholzplatten ist der Mittelpunkt ein karges Bett, in der Nana oft zum Sex genötigt wird oder selbst verführt. Doch die Blumen der Verehrer sind auch Grabkränze, ein Kindersarg wird vorbeigetragen und auf die Bühne wird bereits im zweiten Akt immer wieder Erde geworfen, das Grab für den Operettenstar Nana.

Operetten, die Tod und Selbstmord bringen – bei Manfred Gurlitts erfolgloser Oper "Nana" ist es eher ein rührendes Ende wie in "La Traviata", ein Memento mori.

Nana
Oper in vier Akten (7 Bildern) von Manfred Gurlitt
Text von Max Brod nach Émile Zola

Aufführung am Theater Erfurt
Enrico Calesso (Musikalische Leitung)
Michael Schulz (Inszenierung)
Dirk Becker (Bühnenbild)
In deutscher Sprache