Die Rosenflüsterer

Von Regina Kusch und Andreas Beckmann |
Er wollte nie Rosen züchten, sondern den "Idealmenschen" formen, der Arzt Moritz Schreber, geboren vor 200 Jahren in Leipzig. In den posthum nach ihm benannten "Special- und Armengärten" sollte sich die Jugend durch Arbeit im Grünen ertüchtigen und von unkeuschen Gedanken abgebracht werden. Diese ursprüngliche Idee wurde bald vergessen und es blieb eine Oase der parzellierten Naturverbundenheit mit dem Namen Schrebergarten.
Wladimir Kaminer: "Einmal, als ich mit einem russischen Kollegen im Zug saß, meinte dieser anerkennend, es werde in Deutschland doch viel für die Kinder getan. Er zeigte dabei auf Schrebergärten, die er wegen der vielen kleinen Häuschen für Kinderspielplätze hielt. Auf die Idee, dass sich spielwütige Erwachsene dort aufhielten, war er nicht gekommen. Wenn ich ihm den Sinn dieses Spiels nahegelegt hätte – um jeden Preis die Kräuter in einer Linie zu pflanzen und den Rasen zu mähen, ob mit Strom oder Muskelkraft, aber nicht an Sonn- und Feiertagen – , er hätte mir bestimmt nicht geglaubt."

Gabriella Pape: "Hier spricht man ja immer von Gartenarbeit. Das haben die Engländer nicht. Die gärtnern. … I do gardening. Wir gehen joggen und laufen und tanzen aber nicht gärtnern. Wir gehen in den Garten arbeiten."

Doris Krönig: "Dieses spießige Verhalten liegt den Deutschen ja sowieso im Blut, das prägt sich hier geballt aus. … Andererseits finde ich es auch wieder ganz gemütlich, denn die Menschen leben ja miteinander. Und deshalb hält man in diesen Gartenkolonien ja auch viel von Sommerfesten, Pfingstfesten, Kinderfesten und Weihnachtsfeiern für Kinder, das wird alles noch aus Tradition hergestellt, also man feiert noch miteinander."

Isolde Dietrich: "Das war eigentlich der größte Freizeit- und Vergnügensverein der DDR, wo die Leute freiwillig hingingen und gerne hingingen und immer wieder und zur Not, wenn es sein musste, auch mal die Arbeit Arbeit sein ließen, also nicht umsonst waren ja die Laubenpieper als Arbeitsbummelanten verschrien."

Wladimir Kaminer: "Ich hätte noch einiges zu erzählen über die Deutschen und ihre Schrebergärten - mein Bekannter wäre wahrscheinlich vor Lachen aus dem Zug gefallen. Kann es sein, dass dieses andere Deutschland der Gärten untereinander vernetzt ist, mit Wegen und Straßen, die auf keiner Karte eingezeichnet sind und die kein Navigationssystem kennt, und dass ich, wenn ich weiterlaufe, mit Glück irgendwo bei Braunschweig wieder herauskomme?"

Caterina Hildebrand: "Wir befinden uns hier im Vereinshaus des Ersten Deutschen Schrebervereins. Dieser wurde im Jahre 1864 in Leipzig gegründet. Somit kann man mit Fug und Recht behaupten, Leipzig ist die Heimstatt der Kleingärtner bzw. der Schrebergärtner, da von der Schreberbewegung aus sich die Kleingärtnerbewegung in ganz Deutschland entwickelte."

Auf dem Gelände des ersten Schrebervereins befindet sich heute das Deutsche Kleingärtnermuseum. Präsentiert werden fast 200 Jahre deutscher Gemütlichkeit zwischen Hecken und Sträuchern, die sich durch nichts erschüttern ließ, nicht durch Armut, nicht durch Diktaturen und nicht durch Einwanderer, die in den letzten Jahren in den Kolonien heimisch wurden.

Diese Gemütlichkeit ist seit jeher verbunden mit dem Namen von Moritz Schreber, einem Arzt und Pädagogen, der am 15. Oktober 1808 in Leipzig geboren wurde. Dabei war er gar nicht der Begründer der Kleingartenbewegung, erzählt Caterina Hildebrand, die Leiterin des Leipziger Museums.

Caterina Hildebrand: "Das ganze hat begonnen im Jahre 1814 in Kappeln an der Schlei, das ist im heutigen Schleswig-Holstein. Dort wurden die sogenannten Armengärten angelegt. Es wurde quasi Kirchenland an Bedürftige verpachtet, um ihnen dort die Chance zu geben, selbstständig etwas anzubauen."

Die Kleingartenbewegung hat viele Ursprünge. In Berlin beackerte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Grabelandbewegung die wenigen Freiflächen zwischen Fabriken und Mietskasernen. Quer durch Deutschland hatten Eisenbahngesellschaften Land auf Vorrat gekauft, um irgendwann einmal dort Schienen zu verlegen. Bis dahin verpachteten sie es an ihre Arbeiter, damit die für ihre Familien Gemüse anbauen konnten.

Wie viele seiner Zeitgenossen war Moritz Schreber entsetzt darüber, unter welchen Bedingungen die Kinder in den dicht bebauten Innenstädten aufwuchsen, wie krank und körperlich geschwächt viele von ihnen waren. Als Gegenmittel propagierte er das Spiel im Grünen und an der frischen Luft.

Ihn trieb nicht zuletzt die Sorge um die Wehrhaftigkeit der Heimat. Zwei Drittel aller jungen Männer in Sachsen wurden seinerzeit bei der Musterung als untauglich eingestuft. Schreber entwickelte Geräte, mit denen er die Körperhaltung verbessern wollte. Kinder wurden mit Lederriemen an ein Gestell gebunden und mussten mit durchgedrücktem Rücken im Kreis marschieren.

"Gerader Rücken, gerader Geist" lautete sein Motto. Für die damalige Zeit, Mitte des 19. Jahrhunderts, waren seine Methoden fortschrittlich. Man könnte Schreber als einen der ersten Physiotherapeuten bezeichnen. Kinder aus ganz Europa wurden in seine orthopädische Heilanstalt nach Leipzig geschickt.

"Ringe nach voller Herrschaft über Dich selbst. Über Deine geistigen und leiblichen Schwächen und Mängel. Beginne mutig diesen Kampf und bleibe unermüdlich in dem Streben nach dieser wahren Freiheit, nach Selbstveredelung."

Ausdrücklich ging es Schreber auch um die Unterdrückung sexueller Triebe durch anderweitige körperliche Betätigung. Er scheute nicht davor zurück, seine Kinder als Versuchskaninchen für erste Tests der von ihm entworfenen Apparaturen einzusetzen. Sein erster Sohn beging Selbstmord, der zweite landete später in der Nervenheilanstalt.

Schrebers älteste Tochter Anna wurde fast 100 und schwärmte später von einem Garten hinter dem Haus der Familie.

Ob es diesen Garten je gegeben hat, lässt sich heute nicht mehr klären. In Schrebers zahlreichen Büchern findet sich jedenfalls kein Hinweis, dass er selbst jemals Spaß gehabt haben könnte an Rosen oder Tomaten.

Als 1864 schließlich in der Westvorstadt Leipzigs der erste nach ihm benannte Verein gegründet wurde, war Schreber schon drei Jahre tot. Die Mitglieder stellten ein paar Klettergerüste auf eine Wiese und legten am Rand Beete an. Die Kinder sollten neben ihrem Spiel die Pflanzen gießen und dann aufblühen sehen, um so ein Gefühl für die Natur zu bekommen.

Die Idee hat so nicht funktioniert. Schon bald verloren sie das Interesse und es waren die Eltern, die die Beete pflegten. Nach getaner Arbeit machten sie es sich zwischen Rosen und Kohlköpfen gemütlich.

Claire Waldoff: "Wat braucht der Berliner um jlücklich zu sein …"

Doris Krönig: "Ich habe einen alten Unterpachtvertrag von dem Onkel meiner Mutter gefunden. Das war der Bruder meiner Oma und der hat hier mit dem Bezirksverband Wedding im Provinzialverband Groß-Berlin des Reichsverbandes der Kleingartenvereine Deutschland e.V. einen Hauptpachtvertrag abgeschlossen, am 1.4.1928 und dann gibt es da eine Vorgabe: Lauben sind nach dem Zehn-Typen-Auszug zu bauen, farbig zu streichen und der Zaun ist einheitlich zu stellen. Das war die Bedingung und dann gab es noch eine Gartenordnung dazu. Dieser Vertrag wurde damals ausgefüllt, es wurde eine kleine Laube gebaut mit Vorlaube, die dann, als ich das übernommen habe, abgerissen wurde. Also so lange hat sie Bestand gehabt und ich habe den Garten übernommen im November 1994."

Doris Krönig ist die Erste Vorsitzende des Berliner Kleingartenvereins "Kolonie Panke". Als solche muss sie die Einhaltung der Regeln überwachen. Und davon gibt es viele.

"Ein Kleingarten ist ein Garten, der dem Nutzer zur Gewinnung von Gartenbauerzeugnissen für den Eigenbedarf dient. Im Kleingarten ist eine Laube in einfacher Ausführung mit höchstens 24 Quadratmetern Grundfläche einschließlich überdachtem Freisitz zulässig. Sie darf nicht zum dauernden Wohnen geeignet sein."

Zusätzlich zu den Vorschriften des Kleingartengesetzes erlässt jeder Verein noch eigene Satzungen oder Ordnungen. Wie penibel genau die einzuhalten sind, hat der Autor Wladimir Kaminer erfahren, als er vor zwei Jahren eine Parzelle pachtete. In seinem Bestseller "Mein Leben im Schrebergarten" erzählt er von einem Sommer in der Kolonie "Glückliche Hütten".

Wladimir Kaminer: "Parzellen Nr. 56 bis 58! Ihre Gärten sind völlig verwildert! Das Gras meterhoch! Die kleingärtnerische Nutzung ist nicht erkennbar. Parzelle Nr. 79! Man kann nicht einmal den Eingang Ihres Gartens finden! Parzelle Nr. 90! Trotz der stark verschmutzten Fenster sind zerrissene Gardinen gut erkennbar!" … Über unser Grundstück hieß es: "Dieser Garten wurde erst kürzlich an den neuen Pächter übergeben. Auf der Seite links zum Nachbarn wurde eine Ligusterhecke gepflanzt. Das ist laut Gartenordnung nicht statthaft. Auch die Korkenzieherweiden gehören nicht in den Kleingarten. Da die Pächter offensichtlich die Gartenordnung nicht gelesen haben und keine Einsicht zeigen, wird eine Vorladung zur Sprechstunde notwendig."

In der Weimarer Republik entwickelten sich die Kolonien zu einem Ort der kleinen, aber etablierten Leute. Das Gros der Pächter stellten Arbeiter, Angestellte und Beamte. Freigeister, Revoluzzer oder Extremisten zog es selten hierher. Politisch standen viele Vereinsvorstände den bürgerlichen Parteien und vor allem der Sozialdemokratie nahe. Für die Nazis ein Grund, schon im Sommer 1933 die Selbstverwaltung der Vereine aufzuheben, alle Vorstände zu entlassen und sämtliche Kolonien in einem Reichsbund Deutscher Kleingärtner zusammenzufassen. Als Hitler ein Jahr später im Triumphzug durch Hamburg fuhr, konnte der ihn begleitende Radio-Reporter feststellen, dass die Schrebergärtner gleichgeschaltet waren.

Staatsbesuch Hitlers in Hamburg: "Und auf jeder Laube eine Fahnenstange, manchmal sieht man, sie ist erst jetzt angebracht worden, ist noch ganz frisch, groß, … aber es wird nichts vergessen, keine einzige hat vergessen zu flaggen."

Die Blut- und Bodenideologie der Nazis fiel bei vielen Kleingärtnern auf fruchtbaren Boden. Die braunen Funktionäre lobten ihre Liebe zur Scholle und feierten sie als Helden in der Erzeugungsschlacht.

Im Zuge der Kriegsvorbereitungen mussten trotzdem viele Kolonien weichen, weil sie Straßenbauten und Rüstungsprojekten im Wege waren.

Im Krieg garantierten die Nazis dann aber allen Kleingärtnern Kündigungsschutz. Als immer mehr Menschen ausgebombt wurden, durften sie auch dauerhaft in ihren Lauben wohnen. In manchen Kolonien wurden sogar unterirdische Schutzbunker angelegt.

Eine Minderheit hielt Distanz zum Regime. Im Leipziger Kleingärtnermuseum wird an 18 Vereine erinnert, die 1937 allein in Hannover aufgelöst wurden, weil sie von der Gestapo als unzuverlässig eingestuft wurden. Museumsleiterin Caterina Hildebrand kennt noch mehr Geschichten von Widerstand.

Caterina Hildebrand: "In Berlin gab es einen Verein, der nannte sich 'Weiße Taube', das war eine Widerstandsgruppe, und die haben sich dann in einer Kleingartenanlage zusammengefunden und Flugblätter gedruckt. Andererseits gab es auch die, sagen wir mal Widerstände, die damit ausgedrückt wurden, dass dort Leute versteckt wurden, dass auch Juden dort versteckt wurden."

Einer von ihnen war Hans Rosenthal. Jahrzehnte später, als er längst ein beliebter Showmaster war, hat er in einem Film erzählt, wie er gerettet wurde. Er lebte 1943 als Waise in der Nähe von Berlin. Als er abgeholt werden sollte, flüchtete er zu einer alten Freundin seiner Mutter. Diese Freundin hatte eine Laube in der Kolonie Dreieinigkeit in Berlin-Lichtenberg.

Hans Rosenthal: "Sie sagte sofort, Du bleibst hier, ich habe hier ein Zimmer mit einer Tapetentür, das ist gar nicht zu erkennen von außen, das ist direkt am Hühnerstall. Und diese Frau Jauch, sie war so eine kleine Bibelforscherin, sehr engagiert, hat dann mit mir alles geteilt. Ich habe also von früh bis spät, was sollte ich auch machen, versteckt gewesen, habe die Hühner beobachtet und kannte also genau die Hackordnung. Ich konnte Ihnen genau sagen, diese Henne steht an zweiter Stelle, jene Henne an dritter Stelle und man vergleicht sich ja damit, ich kam mir so also vor, als ob ich in jener Hackordnung, ich war ja verfolgt, an letzter Stelle stehe."

Ein paar Mal haben ihn doch Nachbarn gesehen. Frau Jauch stellte ihn dann als ihren Neffen vor, der gerade auf Heimaturlaub sei. Eines Tages musste sie plötzlich ins Krankenhaus und kam nicht mehr zurück.

Hans Rosenthal: "Nach zwei Tagen habe ich mich dann einer Nachbarin, von der ich wusste, dass sie anti-nazistisch eingestellt war, anvertraut, Frau Schönebeck. Sie hatte auch einen Sohn, der war genauso alt wie ich, und eines Tages kam dieser Sohn auf Heimaturlaub, der war natürlich erschrocken, als er mich da sah, und sagte um Gottes Willen, Mutter, wenn das rauskommt, Du kommst ins KZ mit. Und sie sagte, nein, den Jungen, und damit meinte sie mich, den bringe ich durch. Er ging, er hat nie etwas verraten, und ich muss etwas sagen: die Frau hat mich gerettet, ihren Sohn hat sie nie mehr wiedergesehen."

Es sei der Mut und die Hilfsbereitschaft dieser Laubenpieper gewesen, die es ihm möglich gemacht hätten, nach der Befreiung wieder unbefangen und ohne Hass unter Deutschen zu leben, hat Hans Rosenthal später gesagt. Insgesamt haben über 1400 Juden illegal in Berlin überlebt. Viele von ihnen waren zumindest zeitweilig in Lauben untergetaucht.

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs hungerten die Deutschen schlimmer als jemals während des Krieges. In Zeiten, in denen selbst die städtischen Grünanlagen in Rübenäcker verwandelt wurden, waren Kleingärten so wertvoll wie nie.

Doris Krönig: "Meine erste Erinnerung an diesen Garten ist die, dass nach 1946, als wir nach Berlin zurückkamen, alles in Trümmern lag, und der Garten unverändert war. Also so, wie ich ihn als Kleinkind mal gesehen hatte. Hier gab es ab und zu auch Kinderfeste und bei diesen Kinderfesten habe ich mitgemacht. Am Festplatzweg, da wo die alte Eiche steht, dort war so eine Tanzfläche, auf der wir dann alle mit blauen Kleidern aus Krepppapier getanzt haben und zwar die Donauwellen. Das ist meine älteste Erinnerung daran, wie ich mich hier in der Gartenkolonie als Kind bewegt habe."

Für Doris Krönig war der Garten in der Kolonie Panke im Bezirk Wedding ein sicherer Spielplatz in einer Stadt, die voll von Trümmern und Blindgängern war. Im ummauerten West-Berlin wurde er dann zu einer der letzten grünen Oasen, für ihre Eltern sogar zum alljährlichen Urlaubsziel. Die Generationen, denen der Kleingarten über die Not der Nachkriegszeit geholfen hatte, richtete sich jetzt dauerhaft hier ein.

Doris Krönig: "Es gefällt mir daran, dass ich mich sozusagen auch an meine Kindheit erinnern kann, es ist so ein Stück Heimat würde ich sagen. Meiner Mutter lag das so wahnsinnig am Herzen und sie ist ja auch fast 90 geworden und hat jedes Jahr in dem Garten hier ihre Erfüllung gefunden."

So wie die Familie von Doris Krönig haben viele ihre Parzellen über Jahrzehnte behalten.

Spätestens seit den 70er-Jahren hatten die Laubenpieper ihr Spießerimage weg. Ganz so hart will Gabriella Pape nicht urteilen. Sie hat vor 20 Jahren in Hamburg Gartenbau gelernt und später in den angesehensten botanischen Anlagen Englands gearbeitet. Seit einem Jahr betreibt sie in Berlin die Gartenakademie zu Dahlem. Im Vergleich zu den englischen Kleingärten findet sie die deutschen ziemlich langweilig.

Gabriella Pape: "Sie sind halt sehr wenig weitergegangen die Schrebergärten hier. Sie teilen sich halt auch die Blumen, das sieht man, die haben fast alle das gleiche im Beet, und das ist irgendwie so 1975 stehen geblieben. Da hat sich nicht jemand getraut, mal ein paar neue Farben rein zu bringen. Die haben noch nicht die Trendfarben orange und blau viel drin."

Gabriella Pape will ein bisschen frischen Wind hinter deutsche Gartenzäune bringen und dabei auch die Laubenkolonien nicht aussparen.

Gabriella Pape: "Man sollte ruhig für den Garten auch ein bisschen Geld ausgeben. Da kommt so viel Freude zurück. Es gibt halt einfach witzige Sachen und ungewöhnliche Bohnen und Mangold mit gelbem Stamm und rotem Stamm, die kann man auch in die Blumenbeete stellen, das sind Sachen, die in englischen Schrebergärten jetzt ganz in sind. Oder lila Grünkohl, der wird dann im Topf wieder grün, dann ist das Wasser lila. Da gibt es richtige Wettbewerbe, wer jetzt die ungewöhnlichsten Früchte und Gemüse hat. Und dadurch dass Jamie Oliver Kochen so hipp gemacht hat, der hat auch so einen Schrebergarten in der Stadt und zieht da so ungewöhnliche Gemüse an. Aber Rasen und ne Hütte und am Wochenende Kanten stechen, das macht da keiner."

Inge Prüter: "Lieber Genosse Erich Honecker, …
die Mitglieder des Verbandes haben in ihren Wettbewerbsprogrammen für 1982 die Verpflichtung übernommen, ihre sinnvolle Freizeitbeschäftigung noch besser mit noch höheren Leistungen für die allseitige Stärkung unserer DDR zu verbinden. Unter dem bewährten Leitmotiv "Ein schöner Garten ist ein produktiver Garten" oder nach dem Motto "Mach ein Beet mehr" wetteifern die Kleingärtner und Siedler darum, von jedem Quadratmeter Boden, von jedem Obstbaum, jedem Beerenstrauch oder Gemüsebeet wachsende Erträge bei guter Qualität der Produkte zu erreichen. …"

Isolde Dietrich: "Wenn Sie die offiziellen Dokumente von Parteitagen oder Plenartagungen lesen, es vergeht keiner, ohne das die Kleingärtner lobend erwähnt werden und unter diesem Schutzschirm hatten sie nahezu unbegrenzte Freiheiten."

Isolde Dietrich hat nach der Wende am Seminar für Kulturwissenschaften der Humboldt Universität ein Buch über die Kleingartenpolitik der SED geschrieben. Und sie hatte seit 1968 selbst eine Parzelle in Berlin gepachtet. Anfangs war es ihr nur um die Kinder gegangen, für die sie einen sicheren Spielplatz im Grünen suchte. Dann aber entdeckte sie in der Kleingartensparte, wie die Kolonien in der DDR hießen, ein Lebensgefühl, das sie bis dahin nicht gekannt hatte.

Isolde Dietrich: "Ich wäre nie in dem Aufzug, in dem ich im Garten rumlaufe, zu Hause auch nur bis zum Müllschlucker gegangen. Das war eine andere Öffentlichkeit. Man kannte sich, man konnte da mit Lockenwicklern rumlaufen, man konnte auch mit 80 Jahren noch im Bikini gehen, was man im Strandbad, na heute ist das vielleicht auch möglich, aber in den 60er Jahren war das nicht möglich. Es war ein Paradies der Kleingärtner."

Eine Opposition gab es nicht in diesem Paradies, in dem es sich in den 80er-Jahren 1,2 Millionen Laubenpieper und ihre Familien gut gehen ließen. Die DDR galt als Land mit der höchsten Kleingartendichte auf der Welt.

Viele bauten sich ihre Lauben zu schmucken Bungalows aus, die oft 50 Quadratmeter umfassten, manchmal sogar 100. Das nötige Material zweigten sie, wenn möglich, in ihren Betrieben ab. Die Satirezeitschrift "Eulenspiegel" zeichnete häufig Karikaturen mit Kleingärtnern als Langfinger. Doch die Staatsmacht drückte beide Augen zu.

Das war nicht immer so. Zu Ulbrichts Zeiten galten die Kolonien als Überbleibsel einer kleinbürgerlichen Lebensform, für die es in der sozialistischen Stadt keinen Platz mehr geben würde. Erst unter Honecker wurden sie gefördert. Schließlich sollten sie in den 80er-Jahren laut Plan ein Drittel des Gemüse- und ein Achtel des Obstanbaus in der DDR leisten. Und anders als manche Werktätige zeigten viele Laubenpieper großes Interesse an hohen Produktionszahlen, erzählt Isolde Dietrich.

Isolde Dietrich: "Wer Lust hatte oder wer Zeit hatte, der konnte mit seinem Kleingarten so richtig Geld machen, der konnte produzieren, anbauen, Dinge, die auf dem Markt teuer gehandelt wurden. Und die Aufkaufpreise für Kleingartenobst und -gemüse, die lagen ja in der Regel über den Ladenpreisen, also es war für den Handel eigentlich ein Verlustgeschäft, aber damit überhaupt was in die Läden kam, wurde das so gehandhabt."

Seit der Wende ist es vorbei mit den guten Geschäften. Viele fühlen sich aus ihrem Paradies vertrieben, seit sie ihre Lauben nicht mehr aus- sondern zum Teil sogar zurückbauen müssen, seit sie sich ans Bundeskleingartengesetz halten müssen, während es in der DDR gar kein Kleingartengesetz gegeben hatte.

Besonders in den strukturschwachen Gegenden der ostdeutschen Bundesländer sind Kleingärten heute längst nicht mehr so gefragt wie vor zwanzig Jahren, berichtet Caterina Hildebrand vom Deutschen Kleingärtnermuseum.

Caterina Hildebrand: "Mehr so am Stadtrand von Leipzig, da ist viel Leerstand, viele Parzellen werden nicht bewirtschaftet, da hat sich allerdings der Stadtverband Leipzig, wie auch in anderen Verbänden in Deutschland etwas einfallen lassen, und zwar gibt es hier die sogenannten Tafelgärten. Da werden die Parzellen von ABM-Kräften bewirtschaftet, die sind halt richtig auf Ernte ausgelegt und die ganzen Erträgen gehen dann an die Leipziger Tafel hier in Leipzig, also gehen dann wieder den Bedürftigen zu."

In Ballungszentren dagegen bietet sich ein gegenteiliges Bild. Die Generation der klassischen Laubenpieper zieht sich langsam aufs Altenteil zurück. Junge Familien rücken nach, die sich ein Haus im Grünen nicht mehr leisten können, seit Eigenheimzulage und Pendlerpauschale weggefallen sind.

Doris Krönig: "In der heutigen Zeit kommen viele ausländische Mitbewohner und wollen hier ein Stückchen Erde für sich haben und wollen das auch gerne bearbeiten. Die machen in der Regel mehr Gartenanbau, diese kleingärtnerische Nutzung, wie es so schön heißt, die machen die viel intensiver als es die Deutschen machen."

Als Vereinsvorsitzende hat Doris Krönig in der Kolonie Panke heute einiges an Integrationsarbeit zu leisten, denn die vielen Feiern, die immer noch in der Kolonie stattfinden, führen längst nicht mehr alle zusammen.

Doris Krönig: "Ich habe schon mal den ausländischen Mitbürgern geraten, wenn sie sich dann über die laute Feier des deutschen Nachbarn aufregten, dass sie doch mal mitfeiern sollten, das lehnen die empört ab. Empört! Andere, da haben wir so eine Familie aus dem Libanon, die haben allein ungefähr 40 Familienmitglieder und wenn da alle 40 Leute auftauchen auf so einer Parzelle von 250 qm, dann ist das laut, ist es voll, und wenn sie dann auch noch Grillen mit den Holzscheiten, dann gibt es mit den Nachbarn Ärger. Diesen Ärger hatten wir im vorigen Jahr und den habe ich beseitigt, indem ich alle Parteien zu einem Runden Tisch eingeladen habe. Und diese Parteien, da haben wir ein Protokoll gemacht, haben sich versprochen, dass sie so was alles nicht mehr machen. Und das hat auch in diesem Jahr gehalten."

Zwölf Nationalitäten gärtnern und grillen Parzelle an Parzelle. Manche türkische Familie hat schon mehr Gartenzwerge auf dem Rasen als ihre deutschen Nachbarn. In der Kolonie um die Ecke ist sogar ein Türke zum Vereinsvorsitzenden gewählt worden.

Auch Gabriella Pape ist überzeugt, dass sich Gärten gut als Ort der Integration eignen.

Gabriella Pape: "Garten und Essen, das sind eigentlich Themen, wo jeder was zu zu sagen hat. Oder jeder auch ein bisschen was von weiß und kann auch und was so sozial eben ist. Das über Blumen, das hat nichts mit dem Preis zu tun, ob jetzt der große Manager oder die arme kleine Rentnerin oder der Hartz-IV-Empfänger, die können alle über die selbe Blume reden und es ist keine Gesellschaftsform mit verbunden."

Wladimir Kaminer ist längst angekommen in den "Glücklichen Hütten", obwohl er ursprünglich gar nicht dorthin wollte und nur seiner Frau zuliebe mitgegangen ist. Probleme mit Nachbarn, egal ob Deutschen oder Einwanderern, begegnet er mit Humor. Nur mit einigen Gewächsen konnte er sich bis heute nicht anfreunden.

Wladimir Kaminer: "Bevor ich hierherzog, hatte ich keine Ahnung, wie Rhabarber schmeckte, wie er aussah und wozu er gut sein sollte. In der Gartenbeschreibung waren ein paar riesengroße grüne Blätter neben der Biotoilette als Rhabarber eingetragen. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was meine Vorgängerin Frau Pflaume mit diesen Blättern anstellte. Diese Blätter raubten uns nur den Platz im Garten, ich traute mich jedoch nicht, sie mit dem Gasbrenner des Nachbarn anzugehen."

Gabriella Pape: "Wir haben hier sogar Rhabarber-Ziehtöpfe, … die stülpt man im Frühjahr über Rhabarber und dann wächst der über diese bezaubernden Terracotta-Töpfe, die sind oben auf, da macht man ein kleines Hütchen drauf, und dann wird der Rhabarber ganz pink, fast weiß, so wie man den in Delikatesseläden kauft, und dann ist der so süß, weil wenn kein Licht dran kommt, dann ist Rhabarber überhaupt genüsslich."

Wladimir Kaminer: "Gut, dachte ich, irgendwie gehört Rhabarber zur hiesigen Leitkultur. Ich darf ihn nicht ignorieren, ich muss ihn essen. Meine Frau schälte die Stiele, kochte sie fünf Minuten mit etwas Zucker, und ich bekam einen Topf mit einer grün-schleimigen Masse, die aussah wie ... Aber vielleicht ist sie lecker, dachte ich, trank jedoch erst einmal einen Wodka vorweg, zur Desinfektion des Magens. Das Rhabarbermus schmeckte wie Essig mit Zitronensaft - nichts für Gourmets, aber darum ging es mir ja auch nicht. Das zugegeben ziemlich scheußliche Gericht erfüllte mich mit dem Gefühl der Zugehörigkeit. Wir alle machten hier gemeinsame Sache, und das Aufessen der Rhabarberbestände gehörte einfach dazu. Einmal musste man es probieren. Auf jeden Fall würde ich das Rhabarberessen als Teil des Einbürgerungstests für die Bundesrepublik empfehlen, um bei der Vergabe der Staatsangehörigkeit den Kandidaten begreiflich zu machen, dass das Leben in Deutschland kein Zuckerschlecken ist. Ein Kilo pro Einbürgerung müsste reichen. Die deutschen Schrebergärten könnten liefern."