Die rote Kaderschmiede ist passé

Michael Wolff im Gespräch mit Joachim Scholl |
Sie wurde 1971 als "Reformuni" gegründet, galt später als sehr links und ist heute ein führendes Wissenschaftszentrum: die Uni Bremen. Der Filmemacher Michael Wolff studierte dort Sozialwissenschaften, um Revolutionär zu werden - jetzt hat er den Film "Von Marx zu Darwin" gedreht.
Joachim Scholl: Die Universität Bremen, einst galt sie als rote Kaderschmiede, jetzt ist sie ein führendes Wissenschaftszentrum im Norden Deutschlands mit einer beträchtlichen Quote an externen Fördermitteln und rund 50 Forschungsinstituten in einem gesonderten Technologiepark. In diesen Wochen wird die Universität 40 Jahre alt und in ihren ersten Jahren hatte sie auch einen Studenten namens Michael Wolff. Heute ist er Filmemacher und hat jetzt über diese 40 Jahre Entwicklung und Wandel der Universität Bremen einen Dokumentarfilm gedreht. Guten Tag, Herr Wolff!

Michael Wolff: Schönen guten Tag!

Scholl: Sie haben sich 1974 immatrikuliert in Bremen. Was hat Sie an diese Universität gezogen?

Wolff: Na ja, das war ja eine ganz besondere Zeit. Ich habe Sozialwissenschaften im engeren Sinne studiert und ich war damals der Meinung, das wäre die Berufsausbildung zum Revolutionär und bin auch bewusst nach Bremen gegangen, weil, da gab es das "Bremer Modell". Und das hat mich sehr interessiert, weil da natürlich viel im Umbruch war.

Scholl: Auf das "Bremer Modell" kommen wir gleich, aber was hat da so für ein Klima geherrscht, wie haben Sie die Atmosphäre erlebt? Sozialwissenschaften, sagten Sie schon, das war natürlich der Hort auch für den kritischen, politischen Geist.

Wolff: Natürlich. Also, das war, wie viele Interviewpartner in dem Film auch gesagt haben, eine Aufbruchstimmung, das vibrierte alles. Man wollte alles anders machen, man war sehr engagiert, das ging immer bis in die Nacht. So etwas, wie das heute an der Universität ist, dass schon so um fünf oder sechs Uhr da nicht mehr viel los ist, das gab es da nicht.

Scholl: Es sah auch anders aus als heute gemeinhin an den Universitäten. So die Räumlichkeiten waren, wie man in Ihrem Film auch schön sehen kann, ziemlich speziell.

Wolff: Natürlich, das war diese Betonarchitektur, die so einen Gegensatz zu dem Bauhaus sein sollte. Und es war auch so, dass das, was heute ganz wichtig ist in einer Universität, nämlich die Hörsäle, das gab es da nicht. Es waren alles Lehrveranstaltungen, es waren Großräume und diese Großräume, die haben später auch viel Ärger gemacht, weil man gemerkt hat, es funktioniert nicht, Veranstaltungen in einem Großraum zu machen. Die Lärmbelästigung war groß. Und von daher hat sich da sehr viel zurechtgeruckelt und hat sich sehr viel im Laufe der Zeit verändert.

Scholl: Die Uni sollte nach dem Willen ihrer Gründer eine Reform-Uni sein. Man sprach bald überall vom "Bremer Modell", Sie haben den Begriff auch schon erwähnt, Herr Wolf. Was war das für ein Modell, erläutern Sie es uns!

Wolff: Es war natürlich so ein Gegenentwurf zur Ordinarienuniversität. Die Hochschullehrer hatten kleinere Räume, hatten keine eigenen Schreibkräfte, waren eher gleichberechtigt, es gab nicht so etwas wie heute, einen Mittelbau. Es wurde drittelparitätisch bestimmt …

Scholl: … Lehrkräfte, Angestellte und Studierende sollten zu gleichen Teilen bestimmen …

Wolff: … genau, es gab so was wie ein Projektstudium, es gab Interdisziplinarität und es gab so was, was man damals nannte "Forschung im Dienste des Volkes". Das würde man heute natürlich so nicht mehr formulieren.

Scholl: Aber hat diese Drittelparität denn funktioniert? Ich stelle mir jetzt gerade eine Berufung eines Professors vor, wo eben auch dann die Schreibkräfte, Studierende, die ihn vielleicht gar nicht kennen, dann darüber abstimmen über eine, ja, doch wichtige Bestallung.

Wolff: Da gibt es ganz unterschiedliche Positionen. Ich glaube, es hat zu großen Teilen funktioniert, weil natürlich diese besagte Putzfrau in der Regel nicht mit dabei war, denn selbst die Dienstleister in der Universität waren halt schon studierte Menschen und hatten auch einen großen Sachverstand und haben manchmal auch ganz andere Positionen eingebracht, an die die normalen Akademiker nicht so recht gedacht haben.

Scholl: 40 Jahre Universität Bremen, Deutschlandradio Kultur mit dem Filmemacher Michael Wolff im Gespräch, er hat einst in Bremen studiert und jetzt einen Film über die Geschichte der Uni gedreht.

Freie Entfaltung war vorgestern, das hat der frühere Bildungssenator Willi Lemke über die Universität schon vor einigen Jahren gesagt. Ihr Film, Michael Wolff, trägt den bezeichnenden Titel "Von Marx zu Darwin". Warum hat man den alten Marx eigentlich dann doch recht rasch entsorgt in Bremen?

Wolff: Na ja, das war schon in gewisser Weise eine Anpassung an die Verhältnisse. Marx steht ja mehr für Revolution, für Veränderungen der Rahmenbedingungen, und Darwin mehr für Evolution, also eher das Anpassen an die Situation. Häufig wird gesagt, die Universitäten kriegen nur noch einen Schreibtisch und einen Bleistift und alles andere müssen sie sich über Drittmittel selber besorgen.

Scholl: Also, wenn man Ihren Film anschaut und diese Diskrepanz sieht, also, diese Bilder zwischen den 70er- und frühen 80er-Jahren und der heutigen Zeit, wo man also das Gefühl hat, ein Hightech-Wissenschaftspark hat hier Einzug gehalten und hier wird geforscht auf höchstem Niveau: Wie hat sich denn dieser Wandel im Einzelnen vollzogen, wie waren denn da die Schritte?

Wolff: Naja, das begann eigentlich so in den 80er-Jahren. Vorher war die Universität Bremen ja eher als Lehrerausbildungsstätte geplant und dann kam die große Lehrerarbeitslosigkeit und der Senat hat eben auch die Position vertreten, wir wollen keine Akademiker ausbilden, die wir gar nicht mehr gebrauchen können. Und dann wurden quasi die Naturwissenschaften stärker betont, sodass das heute, obwohl das anders scheint, aber eher ein Verhältnis von 50 zu 50 ist und die Naturwissenschaften eine immer größere Bedeutung gekriegt haben, weil sie auch in erster Linie die Bereiche sind, die eben Drittmittel einwerben. Und das ist ganz wichtig, damit die Uni überhaupt existieren kann heute.

Scholl: Nun sprechen Kritiker vom Ausverkauf, also von der Aufgabe des Ideals zweckfreier Forschung. Andersrum könnte man sagen, ja, das war doch die alte linke Idee, Wissenschaft und Praxis eng zu verflechten. Wie sehen Sie es als ehemaliger Studiosus auch?

Wolff: Ich finde, es ist ein bisschen schwer zu sagen. Also, in den 70er-Jahren ist sicherlich einiges schiefgelaufen und man hat das schon auch sehr einseitig gesehen. Auf der anderen Seite ist die Anpassung an die Bedingung, wie das heute ist, auch mit sehr vielen Problemen behaftet. Also, Wissenschaft im Dienste des Volkes, hieß es früher. Und heute, hat ein Professor im Interview gesagt, könnte man eigentlich sagen, es ist Wissenschaft im Dienste des Kapitals, was natürlich so auch nicht stimmt. Denn viele Drittmittel werden über die Forschungsgemeinschaft eingeworben und da ist man eben gar nicht genau festgelegt, was man zu erforschen hat und wie, sondern man stellt einen Antrag, was man für sinnvoll hält, und der wird dann entweder bewilligt oder nicht.

Scholl: Auch die Studentenschaft hat sich stark verändert. Im Uni-Jahrbuch 2008 des AStA steht zwar noch ein revolutionäres Zitat von Jean-Paul Sartre, jetzt zum Jubiläum, ja, da sah man bei einer Veranstaltung ein Grüpplein von 30 Studierenden, die ein Transparent tapfer hochhielten: "Unter den Talaren der Muff von 40 Jahren!" Was würden Sie sagen, was ist so aus dem alten Geist der Kritik geworden, ist er noch in diesen Hallen überhaupt, ja, vorhanden, was haben Sie herausgefunden, als Sie auf dem Campus waren?

Wolff: Also, ich würde sagen, von den Studenten ist es eine ganz andere Situation. Die sind unglaublich eingespannt, also durch das Bachelor-Master-System, die sind sehr unter Druck, und Politik spielt eigentlich gar keine Rolle mehr. Es ist eher die Frage, wie kriege ich mein Studium über die Bühne, sodass ich nachher einen guten Job kriege. Und anhand von Interviews mit Studenten, die auch in dem Film sind, merkt man, das sind einfach Welten, die dazwischen liegen.

Scholl: Im Zuge der Bologna-Reform geht es jetzt also um Cluster, um Exzellenzinitiativen, das Rennen um die sogenannten Drittmittel, Sie haben es schon erwähnt. Wie steht die Universität Bremen eigentlich hier da, zur Exzellenz-Uni hat sie es ja noch nicht geschafft.

Wolff: Sie hat es noch nicht geschafft zur Exzellenz-Uni, das wird sich nämlich erst im Sommer entscheiden. Aber sie hat ganz gute Möglichkeiten. Also, der Rektor Wilfried Müller hat gesagt, wir sind wieder einen sehr provokativen Weg gegangen, auch so ein bisschen in der Geschichte der Universität, und wir werden entweder grandios scheitern oder wir werden es kriegen. Irgendwas dazwischen gibt es nicht. Und das wird man dann im Sommer sehen, wie das aussieht. Man kann da keine Prognose machen.

Scholl: In Ihrem Film dokumentieren Sie die 40 Jahre. Man hört viele, viele Stimmen aus den Jahrzehnten. Sie, Michael Wolff, enthalten sich aber jeden Kommentars, alles bleibt ganz sachlich. Wie sehen Sie diesen Film jetzt eigentlich mit Ihren eigenen Augen? Eher mit wehmütigem Blick auf die wilden Jahre oder doch eher mit dem Einverständnis, so dem positiven Blick in die Zukunft?

Wolff: Vielleicht beides. Also, ich möchte mich da auch gar nicht so genau entscheiden, denn die Sache ist schwierig. Und jeder, der versucht, da so ein Schwarz-Weiß-Bild zu zeichnen, der liegt bestimmt daneben. Es ist viel auf der Strecke geblieben, was toll war und was man hätte erhalten können, aber unter den Bedingungen, unter denen heute Hochschulen arbeiten müssen, war das gar nicht anders möglich. Und von daher sind auch neue Elemente mit reingekommen, die eine Wichtigkeit haben.

Scholl: Die Uni Bremen wird 40 und Michael Wolff, ehemaliger Student, hat den Film "Von Marx zu Darwin. Universität Bremen – eine Zeitreise" gedreht. Schönen Dank für Ihren Besuch, Herr Wolff!

Wolff: Danke!

Scholl: Und die Premiere des Films ist am kommenden Sonntag in Bremen in der Schauburg morgens um elf in einer Matinee und weitere Informationen zu dem Film von Michael Wolff finden Sie auch unter der Filmhomepage.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.