Die Rückseite des Gemäldes
Möglichst geräuschlos, ohne Enthüllungsspektakel in den Medien, soll ihre Arbeit vonstatten gehen, als selbstverständlich gewordener Teil des Museumsalltags – das wünschen sich auch in Hannover diejenigen, die große Sammlungen durchforsten, um Werke mit verdächtiger Provenienz aufzuspüren.
In dieser Stadt hatte die aufwendige Forschung 2008, also zehn Jahre nach der Washingtoner Erklärung, institutionelle Formen angenommen. Eine Kunsthistorikerin beim städtischen Kulturdezernat und eine Mitarbeiterin des Niedersächsischen Landesmuseums sind unabhängig voneinander an der Arbeit.
Annette Baumann hat eine Datenbank erstellt mit den von der Stadt nach 1933 erworbenen, vor '45 entstandenen Kunstwerken – dabei ist gleichgültig, wo sie heute untergebracht sind: ob im Sprengel Museum, im Landesmuseum, im Kestner Museum, im Historischen oder im Wilhelm Busch Museum:
"Wir haben über 10.000 städtische Zugänge in dieser Zeitspanne zusammengetragen, und der größte Teil muss geprüft werden, weil die Herkunft dieser Werke nicht im einzelnen dokumentiert ist – dem gehen wir nach."
Zwei Bilder von Lovis Corinth wurden schon in früheren Jahren an die Nachfahren der früheren Besitzer zurückgegeben. Besonders im Blickfeld stehen zur Zeit jene Werke der klassischen Moderne, die bald nach Kriegsende von dem Sammler und Kunsthändler Conrad Doebbeke erworben wurden. Publizisten sprechen hier sogar von einem Skandal, denn die Stadtverantwortlichen hätten seinerzeit, um die Kunstverluste aus der NS-Zeit ausgleichen zu können, Werke mit zweifelhafter Herkunft angekauft. Doebbeke steht da offenbar unter einem Generalverdacht. Diesen Fall genau zu prüfen, hat sich Annette Baumann vorgenommen:
"Im Moment sammeln wir in den Archiven und Institutionen Belege, die das Leben der historischen Person und des Sammlers Conrad Doebbeke nachzeichnen. Und so sind uns einige Wege bekannt, auf denen Doebbeke seine Sammlung von seinerzeit über 500 Werken zusammengetragen hat. Die Stadt hat aus diesem Bestand 1949 rund 120 Werke angekauft. Für uns ist es von großer Bedeutung, verfolgen zu können, wo, bei wem und unter welchen Umständen Doebbeke seine Sammlung erworben hat."
Es wird eine Publikation vorbereitet, die Aufschluss geben soll über die damaligen städtischen Ankäufe – und damit über die Herkunft einzelner Kunstwerke in den Ausstellungshallen und Depots.
Dieses Projekt wird durch die Berliner Arbeitsstelle für Provenienzforschung unterstützt. Wenn im Herbst diese Förderung ausläuft, wird die Tätigkeit der Kunsthistorikerin fest im Haushalt der Stadt Hannover verankert.
An anderer Stelle, in den Gefilden des Niedersächsischen Landesmuseums, analysiert Claudia Andratschke die umfangreichen Bestände, ihre Recherche wird mitfinanziert ebenfalls durch die Berliner Arbeitsstelle. So geht die Historikerin im einzelnen vor:
"Man schaut, welche Dokumentation und welche Materialien es im Haus über ein bestimmtes Bildwerk schon gibt. Das sind die Bestandskataloge und die Ankaufskorrespondenz. Und man sieht sich dann das Werk selber an, insbesondere die Rückseite. Provenienzforscher werden ja auch immer als diejenigen bezeichnet, die sich mehr für die Rück- als für die Vorderseite eines Gemäldes interessieren, und da sucht man nach Etiketten, die möglicherweise Aufschluss über die Herkunft geben können."
Rund 20 Objekte mit fraglicher Provenienz hat sie bislang auf der Internet-Plattform "Lost Art" öffentlich gemacht, damit sich mögliche rechtmäßige Eigentümer melden können.
Welchen Eindruck hat Claudia Andratschke von der allgemeinen Resonanz landauf landab? Wird die aufwendige Provenienzforschung inzwischen als notwendige Aufgabe angesehen?
"Ich finde schon, dass sich in den letzten Jahren auf diesem Gebiet sehr viel getan hat, und dass die Leute nun hellhöriger und hellsichtiger werden und man Zutritt zu Archiven an Orten bekommt, wo es vor einigen Jahren noch nicht möglich war, und dass es eigentlich immer positiver vorangeht."
Ein gehöriges Stück des Weges haben die Provenienzforscher nicht nur in Hannover noch vor sich. Doch diese selbstverständliche Arbeit hat nach jahrzehntelangen Versäumnissen deutliche Fortschritte gemacht.
Manchmal kehren aufgespürte und restituierte Werke auch in die eigene Sammlung zurück, so ein Gemälde von Franz Marc aus dem Jahre 1910: Eine Katze in orange schlummert friedlich unter einem Baum, dessen violettfarbener Stamm die Komposition als Mittelachse durchzieht. Dieses Bild stellt einen Sonderfall dar, weil es dem Sprengel Museum von einer Bank ausgeliehen war. Und die Bank war es dann auch, die das beliebte Kunstwerk an Nachfahren der früheren jüdischen Eigentümer zurückgab, nachdem sich die Zweifel an seiner rechtmäßigen Herkunft nicht zerstreuen ließen. Die Erben stellten es wieder zur Verfügung – im Museum hängt es nun mit einem neuen Schild: als Dauerleihgabe aus einer "Londoner Privatsammlung". Ein schlichter Text mit einem großen historischen Hintergrund.
Ulrich Krempel, Direktor des Sprengel Museums, über die Provenienzforschung:
"Man verzweifelt fast an der Notwendigkeit, darüber heute noch richtig reden zu müssen, weil ich glaube, dass so etwas zum richtig verstandenen Berufsstand des Museumsmenschen dazugehört – zu wissen, woher unsere Sammlungsbestände stammen. Diese berufliche Neugier ist das eine – und in einer politischen Situation, in der unser wiedervereinigtes Deutschland in der Völkergemeinschaft versucht, sich sozusagen als fast unbehelligt von den Schrecken der Geschichte weiterhin zu produzieren, gehört es einfach dazu, dass wir mit den Nachfolgen dieser Zeit, die sich auch in manchen Sammlungen niederschlagen, kenntnisreich umgehen und mit offenem Visier die Dinge gegebenenfalls auch zurückgeben, wenn es denn die Nachforschungen ergeben."
Annette Baumann hat eine Datenbank erstellt mit den von der Stadt nach 1933 erworbenen, vor '45 entstandenen Kunstwerken – dabei ist gleichgültig, wo sie heute untergebracht sind: ob im Sprengel Museum, im Landesmuseum, im Kestner Museum, im Historischen oder im Wilhelm Busch Museum:
"Wir haben über 10.000 städtische Zugänge in dieser Zeitspanne zusammengetragen, und der größte Teil muss geprüft werden, weil die Herkunft dieser Werke nicht im einzelnen dokumentiert ist – dem gehen wir nach."
Zwei Bilder von Lovis Corinth wurden schon in früheren Jahren an die Nachfahren der früheren Besitzer zurückgegeben. Besonders im Blickfeld stehen zur Zeit jene Werke der klassischen Moderne, die bald nach Kriegsende von dem Sammler und Kunsthändler Conrad Doebbeke erworben wurden. Publizisten sprechen hier sogar von einem Skandal, denn die Stadtverantwortlichen hätten seinerzeit, um die Kunstverluste aus der NS-Zeit ausgleichen zu können, Werke mit zweifelhafter Herkunft angekauft. Doebbeke steht da offenbar unter einem Generalverdacht. Diesen Fall genau zu prüfen, hat sich Annette Baumann vorgenommen:
"Im Moment sammeln wir in den Archiven und Institutionen Belege, die das Leben der historischen Person und des Sammlers Conrad Doebbeke nachzeichnen. Und so sind uns einige Wege bekannt, auf denen Doebbeke seine Sammlung von seinerzeit über 500 Werken zusammengetragen hat. Die Stadt hat aus diesem Bestand 1949 rund 120 Werke angekauft. Für uns ist es von großer Bedeutung, verfolgen zu können, wo, bei wem und unter welchen Umständen Doebbeke seine Sammlung erworben hat."
Es wird eine Publikation vorbereitet, die Aufschluss geben soll über die damaligen städtischen Ankäufe – und damit über die Herkunft einzelner Kunstwerke in den Ausstellungshallen und Depots.
Dieses Projekt wird durch die Berliner Arbeitsstelle für Provenienzforschung unterstützt. Wenn im Herbst diese Förderung ausläuft, wird die Tätigkeit der Kunsthistorikerin fest im Haushalt der Stadt Hannover verankert.
An anderer Stelle, in den Gefilden des Niedersächsischen Landesmuseums, analysiert Claudia Andratschke die umfangreichen Bestände, ihre Recherche wird mitfinanziert ebenfalls durch die Berliner Arbeitsstelle. So geht die Historikerin im einzelnen vor:
"Man schaut, welche Dokumentation und welche Materialien es im Haus über ein bestimmtes Bildwerk schon gibt. Das sind die Bestandskataloge und die Ankaufskorrespondenz. Und man sieht sich dann das Werk selber an, insbesondere die Rückseite. Provenienzforscher werden ja auch immer als diejenigen bezeichnet, die sich mehr für die Rück- als für die Vorderseite eines Gemäldes interessieren, und da sucht man nach Etiketten, die möglicherweise Aufschluss über die Herkunft geben können."
Rund 20 Objekte mit fraglicher Provenienz hat sie bislang auf der Internet-Plattform "Lost Art" öffentlich gemacht, damit sich mögliche rechtmäßige Eigentümer melden können.
Welchen Eindruck hat Claudia Andratschke von der allgemeinen Resonanz landauf landab? Wird die aufwendige Provenienzforschung inzwischen als notwendige Aufgabe angesehen?
"Ich finde schon, dass sich in den letzten Jahren auf diesem Gebiet sehr viel getan hat, und dass die Leute nun hellhöriger und hellsichtiger werden und man Zutritt zu Archiven an Orten bekommt, wo es vor einigen Jahren noch nicht möglich war, und dass es eigentlich immer positiver vorangeht."
Ein gehöriges Stück des Weges haben die Provenienzforscher nicht nur in Hannover noch vor sich. Doch diese selbstverständliche Arbeit hat nach jahrzehntelangen Versäumnissen deutliche Fortschritte gemacht.
Manchmal kehren aufgespürte und restituierte Werke auch in die eigene Sammlung zurück, so ein Gemälde von Franz Marc aus dem Jahre 1910: Eine Katze in orange schlummert friedlich unter einem Baum, dessen violettfarbener Stamm die Komposition als Mittelachse durchzieht. Dieses Bild stellt einen Sonderfall dar, weil es dem Sprengel Museum von einer Bank ausgeliehen war. Und die Bank war es dann auch, die das beliebte Kunstwerk an Nachfahren der früheren jüdischen Eigentümer zurückgab, nachdem sich die Zweifel an seiner rechtmäßigen Herkunft nicht zerstreuen ließen. Die Erben stellten es wieder zur Verfügung – im Museum hängt es nun mit einem neuen Schild: als Dauerleihgabe aus einer "Londoner Privatsammlung". Ein schlichter Text mit einem großen historischen Hintergrund.
Ulrich Krempel, Direktor des Sprengel Museums, über die Provenienzforschung:
"Man verzweifelt fast an der Notwendigkeit, darüber heute noch richtig reden zu müssen, weil ich glaube, dass so etwas zum richtig verstandenen Berufsstand des Museumsmenschen dazugehört – zu wissen, woher unsere Sammlungsbestände stammen. Diese berufliche Neugier ist das eine – und in einer politischen Situation, in der unser wiedervereinigtes Deutschland in der Völkergemeinschaft versucht, sich sozusagen als fast unbehelligt von den Schrecken der Geschichte weiterhin zu produzieren, gehört es einfach dazu, dass wir mit den Nachfolgen dieser Zeit, die sich auch in manchen Sammlungen niederschlagen, kenntnisreich umgehen und mit offenem Visier die Dinge gegebenenfalls auch zurückgeben, wenn es denn die Nachforschungen ergeben."