"Die Sache Makropulos" in Wien

Kapitulation vor rabiaten Klangkaskaden

Die Wiener Staatsoper
Die Wiener Staatsoper © AFP / Joe Klamar
Von Jörn Florian Fuchs |
Peter Stein inszeniert Leoš Janáčeks „Die Sache Makropulos“ an der Wiener Staatsoper: mit brillanten Sängern und tollem Bühnenbild, aber einem zu stürmischen Dirigenten.
Kaum war der letzte Ton verklungen, da brach ein Jubelsturm über die Protagonisten herein, der seinesgleichen sucht. Lediglich ein einsamer Buhrufer versuchte hartnäckig, die Dinge in seinem Sinne etwas zurecht zu rücken. Tatsächlich stimmte bei dieser Premiere erstmal vieles, etwa die brillante Sängerbesetzung oder die von Ferdinand Wögerbauer toll gestalteten Bühnenbilder. Von der kafkaesk riesenhaften Anwaltskanzlei geht es in ein auf den Bühnenhintergrund projiziertes Theater, zum Finale sieht man ein recht modernes Hotelloft.
In diesen bis in kleinste Details fein ausdifferenzierten Räumen leidet die weit über 300jährige Emilia Marty an eben diesem langen Leben. Einst gab ihr der Leibarzt Kaiser Rudolfs des Zweiten ein Jugendelixir, nun sucht sie das durch komplizierte Erbschaften verschollene Rezept, da ihre Kräfte allmählich schwinden. Als Emilia Marty es am Ende findet, ist sie des Weiterexistierens allerdings vollständig überdrüssig, die plötzlich uralte Greisin stirbt und das epochale Dokument wird verbrannt.
Standardgesten und bieder-betuliche Bewegungen
Man kann dieses ziemlich seltsame Musiktheaterwerk durchaus "klassisch" inszenieren, allein die Titelfigur ist so überdreht und zugleich präzise gezeichnet, dass eigentlich gar keine besonderen Regieeinfälle nötig sind. Also ist die "Sache Makropulos" ein Idealfall für den Anti-Regietheater-Regisseur Peter Stein – sollte man meinen. Doch leider hat dieser offenkundig weite Teile seines früher zweifellos reichlich vorhandenen Handwerks verlernt. Man sieht in Wien nur Standardgesten, begleitet von bieder-betulichen Bewegungen. Die Beziehungen der Figuren bleiben blass, nichts kommt hier wirklich in Gang, bis auf den Chor, der am Ende im Parkett herum steht und von der Versöhnung des Lebens mit dem Tod singt, wozu grünes Licht den Saal und sogar den Kristalllüster anstrahlt.
Was ist nur mit dem einst wirklich großartigen Peter Stein passiert, warum klebt statt lebt in seinen letzten Arbeiten nur alles so? Vermutlich ist er schlicht ausgebrannt, in diversen Interviews vor der Premiere schimpfte Stein wieder mal über seine Lebenslangeweile, die er mit Inszenierungen halt irgendwie überbrücken müsse. Aber muss er seinen sehr persönlichen Ennui wirklich derart deutlich auf der Bühne zeigen?
Gute Sängerbesetzung, wenig feinfühliger Dirigent
So klammert man sich bei der Wiener Janáček-Premiere an die vorzügliche Laura Aikin, die exakt den mal lyrischen, mal expressiven Ton der Partitur trifft. Auch Ludovit Ludha überzeugt in der Partie des Albert Gregor. Gregor liebt die Marty, Ludha lässt es vokal nur so sprudeln. Heinz Zednik gelingt in der Partie des alten Stenz Hauk-Sendorf ein Paradestück, auch sonst bleiben sängerisch kaum Wünsche offen.
Am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper stand mit Jakub Hrůša leider ein nicht sehr feinfühliger Dirigent, der mit dem Konversationston des Stücks wenig anfangen konnte. Es stürmt und drängt und drängelt aus dem Graben, vielleicht hat man Jakub Hrůša eine falsche Partitur aufs Pult gelegt und so gibt es über weite Strecken ein bisher unbekanntes Stück von Schostakowitsch zu hören. Manch toller Sänger muss unfreiwillig vor den rabiaten Klangkaskaden kapitulieren.
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