Die Schlucht des Grauens
Die Schlucht Babij Jar gehört heute zum Stadtgebiet von Kiew. 1941 lag sie außerhalb, inmitten von Friedhöfen und Wäldern. Ein Ort der Stille – zugleich mit über 33.000 Toten der Schauplatz des größten Massakers an Juden nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion.
"Ich erinnere mich an den Morgen des 22. Juni. Flugzeuge am Himmel, Bomben regnen auf Kiew. Alle unsere Nachbarn rennen im Hof rum und schreien 'Krieg, es ist Krieg!' So habe ich zum ersten Mal das Wort 'Krieg' gehört."
Als der Krieg ausbrach, war Victoria Iwanowa neun. Sie wuchs wohlbehütet in einer privilegierten Kiewer Familie auf. Ihr Vater Peter, ein Bulgare, war ein bekannter Schneider - er nähte Uniformen für Generäle der Roten Armee in Kiew. Die Mutter Pascha stammte aus einer armen jüdischen Familie. Die älteren Schwestern, Anna und Nadja, waren bereits verheiratet und hatten eigene Kinder.
Vor dem Krieg lebten in Kiew etwa 150 000 Juden. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurden gesunde jüdische Männer zur Roten Armee einberufen, ein Teil der jüdischen Bevölkerung – Facharbeiter, Parteifunktionäre - wurde evakuiert. Etwa 50 000 Juden blieben jedoch in Kiew - vorwiegend Alte, Frauen und Kinder. Auch Victorias Eltern blieben in der Stadt - die Mutter wollte Kiew nicht verlassen. Dass es für sie als Jüdin und ihre Kinder ein fataler Fehler sein könnte, wurde Victorias Mutter bald nach der deutschen Besetzung Kiews am 19.September klar:
"Vier bis fünf Tage nach dem Einmarsch begannen die Deutschen in Kiew eine Treibjagd auf jüdische Männer. Sie wurden aus den Häusern rausgeschleppt, auf die Knie gezwungen, und die Deutschen schlugen mit Kolben auf ihre Rücken. Dann wurden sie wie Müllsäcke auf Lastwägen geschmissen und weggefahren. Niemand weiß wohin. Das war wohl die Vorbereitung dessen, was sie vorhatten."
Kurz nach der deutschen Besetzung explodierten zahlreiche Gebäude im Zentrum Kiews - die Rote Armee hatte sie vor ihrem Rückzug vermint. Hunderte Wehrmachtsangehörige und etliche Einwohner kamen dabei ums Leben. Sofort setzte der Ortskommandant von Kiew, Generalmajor Kurt Eberhard, am 26. September 1941 eine Besprechung mit der Wehrmacht und der SS an. Die Teilnehmer beschlossen, alle Kiewer Juden zu töten. Mit der Durchführung wurde das Sonderkommando 4a unter SS-Standartenführer Paul Blobel beauftragt.
Legitimiert wurde der geplante Mord als "Vergeltung" für die Sprengstoffattacken. Das Massaker sollte als Evakuierung getarnt werden. Am Abend des 28.September fanden sich an jeder Straßenkreuzung in Kiew Plakate. Darauf stand, dass am nächsten Morgen alle Juden Kiews sich an einem bestimmten Platz zu versammeln hätten. Wer nicht folgte, würde erschossen.
Victoria Iwanowa: "Ich erinnere mich gut an diese Aushänge. Aber meine Mutter entschloss sich, nicht hinzugehen. Sie hoffte, dass wir uns verstecken könnten, sie dachte, ihr Mann ist Bulgare, sie werden sie in Ruhe lassen. Aber meine Oma ging hin. Am nächsten Morgen wogte ein Menschenmeer durch die Kiewer Straßen. Aus jedem Haus kamen Juden mit ihren Habseligkeiten und reihten sich ein. Mama und ich gingen, uns von Oma zu verabschieden. Sie stand schon vor ihrem Haus - so steht sie heute noch vor meinen Augen. Als die Menschenmenge an Omas Haus vorbeiging, reihte auch sie sich ein. Ich weiß noch, wie sie meiner Mutter zurief: 'Pascha, ich gehe jetzt!' Und Mama weinte.
Wir gingen auf der anderen Straßenseite mit den Menschen durch das Zentrum von Kiew, durch den Kalininplatz, Mihajlowskajastraße. Und als wir schon fast oben beim Babij Jar angelangt waren, hörten wie plötzlich Schüsse.
Die Masse wurde unruhig, es sei die falsche Richtung, man führte sie woanders hin. Fast wären wir in die Menge reingepresst worden. Doch meine Mutter zog mich an der Hand und wir sind in die umgekehrte Richtung gerannt. Zu Hause angekommen versteckten sich meine Mutter, meine Schwester und ich im Keller unserer Nachbarin. Jetzt wussten wir, was diese Aussiedlung bedeutete."
Was sich in dem Moment in Babij Jar abspielte, lässt sich anhand der Aussage von Kurt Werner beim Nürnberger Prozess 1947 rekonstruieren. Werner war Mitglied des Sonderkommandos 4a, dass maßgeblich an dem Mord beteiligt war:
"Die Juden mussten in der Nähe der Schlucht ihre Wertsachen abgeben und sich ausziehen, dann wurden sie in die eigentliche Schlucht geführt. Sie mussten sich mit dem Gesicht zur Erde an die Muldenwände hinlegen. In der Mulde befanden sich drei Gruppen mit Schützen. Gleichzeitig sind diesen Erschießungstrupps von oben her laufend Juden zugeführt worden. Die nachfolgenden Juden mussten sich auf die Leichen der zuvor erschossenen Juden legen. Die Schützen standen jeweils hinter den Juden und haben diese mit Genickschüssen getötet."
In nur zwei Tagen, am 29. und 30 .September 1941, wurden in Babij Jar über 33.000 Juden erschossen. Viele, vor allem kleine Kinder, wurden lebendig begraben, weil die Schüsse sie nicht getötet hatten. Anschließend sprengte die Wehrmacht die Ränder des Massengrabes, um die Leichen zu verschütten.
Dem Massaker in Babij Jar folgten weitere Vernichtungsaktionen an sowjetischen Juden: Im November 1941 in Dnepropetrowsk mit 11.000 Toten, am 30. November und 08. Dezember in Riga mit 27.000 Toten, im Dezember in Odessa mit 26.000 und in Charkow mit 12.000 Toten.
Die 3.000 Männer der vier Einsatzgruppen und ihre freiwilligen Helfer von der örtlichen Polizei brachten bei ihren Vernichtungsaktionen in der Sowjetunion insgesamt fast eineinhalb Millionen Juden um.
Die Schlucht Babij Jar blieb ein Ort für Erschießungen. Im Frühjahr 1942 wurde oberhalb der Schlucht ein Außenlager des Konzentrationslagers Sachsenhausen eingerichtet. Bis zu Kiews Befreiung 1943 wurden dort rund 200.000 Menschen ermordet, zum Großteil Juden aus der Kiewer Umgebung. Auch Victorias Mutter starb dort.
Ein Jahr lang hatte sie sich mit ihren beiden Töchtern im Keller einer Nachbarin verstecken können. Der Vater lebte allein drei Stockwerke höher. Dann wurden sie verraten. Als sich Mutter und ältere Tochter eines Morgens in die Wohnung schlichen, um sich zu waschen, wartete bereits die Polizei. Doch im allgemeinen Chaos gelang der Mutter die Flucht:
"Der Polizist sagte: 'Die ältere Tochter nehmen wir mit. Wenn die Mutter in zwei Stunden nicht bei uns ist, wird die ganze Familie erschossen. Kommt sie, wird die Schwester freigelassen.' Ich fand Mama bei ihrer Freundin und erzählte ihr das. Sie hat nur geweint. Sie wusste nicht, was tun. Schließlich kamen wir heim. Und dann brach Mama zusammen. Ein hysterischer Anfall. Sie schrie, sie riss sich die Haare raus, sie kniete von der Nachbarin, die uns versteckte: 'Maria Jakowlewna, bitte retten Sie mich, ich will leben!' Auch heute kann ich es ohne Tränen nicht erzählen. Sie war doch erst 45 Jahre alt!
Dann sagte der ukrainische Polizist: 'Es reicht, gehen Sie und ziehen sich an.' Sie zog sich an, verabschiedete sich von meinem Vater, küsste ihn und wollte mich küssen. Ich ließ es aber nicht zu, ich schrie nur: 'Mama, du kommst zurück!' So habe ich mich nicht von ihr verabschiedet. Bis zum Ende des Krieges wartete ich auf sie, hoffte, dass sie zurückkommt."
1943, nach der verlorenen Schlacht um Stalingrad, war unübersehbar, dass die Wehrmacht gegen die Rote Armee nicht gewinnen konnte. In Berlin hielt man es für besser, alle Beweise für in der Sowjetunion begangene Verbrechen zu vernichten. 300 KZ-Gefangene mussten die Leichen in Babij Jar ausgraben und auf Scheiterhaufen aus benzingetränkten Eisenbahnschwellen verbrennen. Nach vier Wochen war von den Massengräbern nichts mehr zu sehen.
Das Massaker von Babij Jar. war einer der Anklagepunkte beim Nürnberger Einsatzgruppenprozess 1947. Von den 24 angeklagten Ex-Kommandeuren der Einsatzgruppen wurden vier Einsatzgruppenführer 1951 in Landberg gehenkt, unter ihnen auch Paul Blobel. Die meisten Täter von Babij Jar wurden in den 50er-Jahren aus dem Gefängnis entlassen und blieben unbehelligt.
In Babij Jar selbst gab es lange kein Denkmal für die ermordeten Juden. Es war eine politisch gewollte Einebnung des Holocaust seitens der UdSSR. Der Antisemitismus Stalins spielte dabei eine wichtige Rolle. Versammlungen an der Massakerstelle waren verboten. Victoria Iwanowa kam immer heimlich an den Ort, an dem ihre Mutter getötet wurde. Victoria studierte in Kiew Englisch, arbeitete als Englischlehrerin, gründete eine Familie. Ihr Sohn wanderte Anfang der 90er-Jahre ausgerechnet nach Deutschland aus. Zehn Jahre später folgte sie ihm. Heute lebt sie in München.
Als Victoria Iwanowa bei einem Treffen mit deutschem Publikum ihre Lebensgeschichte erzählte, wurde sie von einem Zuhörer gefragt, wie sie es ertragen kann, nach dieser Tragödie im Land der Täter zu leben:
"Ich antwortete ihm: Stellen Sie sich vor, ihr Vater ist ein SS-Mann, meiner zum Beispiel ein jüdischer Kommunist. Warum muss ich Sie hassen? Was haben denn Sie damit zu tun? Sie müssen doch nicht die Verbrechen Ihres Vaters verantworten! Ich will Sie nicht hassen. Kinder sollen nicht für die Taten ihrer Eltern büßen."
Als der Krieg ausbrach, war Victoria Iwanowa neun. Sie wuchs wohlbehütet in einer privilegierten Kiewer Familie auf. Ihr Vater Peter, ein Bulgare, war ein bekannter Schneider - er nähte Uniformen für Generäle der Roten Armee in Kiew. Die Mutter Pascha stammte aus einer armen jüdischen Familie. Die älteren Schwestern, Anna und Nadja, waren bereits verheiratet und hatten eigene Kinder.
Vor dem Krieg lebten in Kiew etwa 150 000 Juden. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurden gesunde jüdische Männer zur Roten Armee einberufen, ein Teil der jüdischen Bevölkerung – Facharbeiter, Parteifunktionäre - wurde evakuiert. Etwa 50 000 Juden blieben jedoch in Kiew - vorwiegend Alte, Frauen und Kinder. Auch Victorias Eltern blieben in der Stadt - die Mutter wollte Kiew nicht verlassen. Dass es für sie als Jüdin und ihre Kinder ein fataler Fehler sein könnte, wurde Victorias Mutter bald nach der deutschen Besetzung Kiews am 19.September klar:
"Vier bis fünf Tage nach dem Einmarsch begannen die Deutschen in Kiew eine Treibjagd auf jüdische Männer. Sie wurden aus den Häusern rausgeschleppt, auf die Knie gezwungen, und die Deutschen schlugen mit Kolben auf ihre Rücken. Dann wurden sie wie Müllsäcke auf Lastwägen geschmissen und weggefahren. Niemand weiß wohin. Das war wohl die Vorbereitung dessen, was sie vorhatten."
Kurz nach der deutschen Besetzung explodierten zahlreiche Gebäude im Zentrum Kiews - die Rote Armee hatte sie vor ihrem Rückzug vermint. Hunderte Wehrmachtsangehörige und etliche Einwohner kamen dabei ums Leben. Sofort setzte der Ortskommandant von Kiew, Generalmajor Kurt Eberhard, am 26. September 1941 eine Besprechung mit der Wehrmacht und der SS an. Die Teilnehmer beschlossen, alle Kiewer Juden zu töten. Mit der Durchführung wurde das Sonderkommando 4a unter SS-Standartenführer Paul Blobel beauftragt.
Legitimiert wurde der geplante Mord als "Vergeltung" für die Sprengstoffattacken. Das Massaker sollte als Evakuierung getarnt werden. Am Abend des 28.September fanden sich an jeder Straßenkreuzung in Kiew Plakate. Darauf stand, dass am nächsten Morgen alle Juden Kiews sich an einem bestimmten Platz zu versammeln hätten. Wer nicht folgte, würde erschossen.
Victoria Iwanowa: "Ich erinnere mich gut an diese Aushänge. Aber meine Mutter entschloss sich, nicht hinzugehen. Sie hoffte, dass wir uns verstecken könnten, sie dachte, ihr Mann ist Bulgare, sie werden sie in Ruhe lassen. Aber meine Oma ging hin. Am nächsten Morgen wogte ein Menschenmeer durch die Kiewer Straßen. Aus jedem Haus kamen Juden mit ihren Habseligkeiten und reihten sich ein. Mama und ich gingen, uns von Oma zu verabschieden. Sie stand schon vor ihrem Haus - so steht sie heute noch vor meinen Augen. Als die Menschenmenge an Omas Haus vorbeiging, reihte auch sie sich ein. Ich weiß noch, wie sie meiner Mutter zurief: 'Pascha, ich gehe jetzt!' Und Mama weinte.
Wir gingen auf der anderen Straßenseite mit den Menschen durch das Zentrum von Kiew, durch den Kalininplatz, Mihajlowskajastraße. Und als wir schon fast oben beim Babij Jar angelangt waren, hörten wie plötzlich Schüsse.
Die Masse wurde unruhig, es sei die falsche Richtung, man führte sie woanders hin. Fast wären wir in die Menge reingepresst worden. Doch meine Mutter zog mich an der Hand und wir sind in die umgekehrte Richtung gerannt. Zu Hause angekommen versteckten sich meine Mutter, meine Schwester und ich im Keller unserer Nachbarin. Jetzt wussten wir, was diese Aussiedlung bedeutete."
Was sich in dem Moment in Babij Jar abspielte, lässt sich anhand der Aussage von Kurt Werner beim Nürnberger Prozess 1947 rekonstruieren. Werner war Mitglied des Sonderkommandos 4a, dass maßgeblich an dem Mord beteiligt war:
"Die Juden mussten in der Nähe der Schlucht ihre Wertsachen abgeben und sich ausziehen, dann wurden sie in die eigentliche Schlucht geführt. Sie mussten sich mit dem Gesicht zur Erde an die Muldenwände hinlegen. In der Mulde befanden sich drei Gruppen mit Schützen. Gleichzeitig sind diesen Erschießungstrupps von oben her laufend Juden zugeführt worden. Die nachfolgenden Juden mussten sich auf die Leichen der zuvor erschossenen Juden legen. Die Schützen standen jeweils hinter den Juden und haben diese mit Genickschüssen getötet."
In nur zwei Tagen, am 29. und 30 .September 1941, wurden in Babij Jar über 33.000 Juden erschossen. Viele, vor allem kleine Kinder, wurden lebendig begraben, weil die Schüsse sie nicht getötet hatten. Anschließend sprengte die Wehrmacht die Ränder des Massengrabes, um die Leichen zu verschütten.
Dem Massaker in Babij Jar folgten weitere Vernichtungsaktionen an sowjetischen Juden: Im November 1941 in Dnepropetrowsk mit 11.000 Toten, am 30. November und 08. Dezember in Riga mit 27.000 Toten, im Dezember in Odessa mit 26.000 und in Charkow mit 12.000 Toten.
Die 3.000 Männer der vier Einsatzgruppen und ihre freiwilligen Helfer von der örtlichen Polizei brachten bei ihren Vernichtungsaktionen in der Sowjetunion insgesamt fast eineinhalb Millionen Juden um.
Die Schlucht Babij Jar blieb ein Ort für Erschießungen. Im Frühjahr 1942 wurde oberhalb der Schlucht ein Außenlager des Konzentrationslagers Sachsenhausen eingerichtet. Bis zu Kiews Befreiung 1943 wurden dort rund 200.000 Menschen ermordet, zum Großteil Juden aus der Kiewer Umgebung. Auch Victorias Mutter starb dort.
Ein Jahr lang hatte sie sich mit ihren beiden Töchtern im Keller einer Nachbarin verstecken können. Der Vater lebte allein drei Stockwerke höher. Dann wurden sie verraten. Als sich Mutter und ältere Tochter eines Morgens in die Wohnung schlichen, um sich zu waschen, wartete bereits die Polizei. Doch im allgemeinen Chaos gelang der Mutter die Flucht:
"Der Polizist sagte: 'Die ältere Tochter nehmen wir mit. Wenn die Mutter in zwei Stunden nicht bei uns ist, wird die ganze Familie erschossen. Kommt sie, wird die Schwester freigelassen.' Ich fand Mama bei ihrer Freundin und erzählte ihr das. Sie hat nur geweint. Sie wusste nicht, was tun. Schließlich kamen wir heim. Und dann brach Mama zusammen. Ein hysterischer Anfall. Sie schrie, sie riss sich die Haare raus, sie kniete von der Nachbarin, die uns versteckte: 'Maria Jakowlewna, bitte retten Sie mich, ich will leben!' Auch heute kann ich es ohne Tränen nicht erzählen. Sie war doch erst 45 Jahre alt!
Dann sagte der ukrainische Polizist: 'Es reicht, gehen Sie und ziehen sich an.' Sie zog sich an, verabschiedete sich von meinem Vater, küsste ihn und wollte mich küssen. Ich ließ es aber nicht zu, ich schrie nur: 'Mama, du kommst zurück!' So habe ich mich nicht von ihr verabschiedet. Bis zum Ende des Krieges wartete ich auf sie, hoffte, dass sie zurückkommt."
1943, nach der verlorenen Schlacht um Stalingrad, war unübersehbar, dass die Wehrmacht gegen die Rote Armee nicht gewinnen konnte. In Berlin hielt man es für besser, alle Beweise für in der Sowjetunion begangene Verbrechen zu vernichten. 300 KZ-Gefangene mussten die Leichen in Babij Jar ausgraben und auf Scheiterhaufen aus benzingetränkten Eisenbahnschwellen verbrennen. Nach vier Wochen war von den Massengräbern nichts mehr zu sehen.
Das Massaker von Babij Jar. war einer der Anklagepunkte beim Nürnberger Einsatzgruppenprozess 1947. Von den 24 angeklagten Ex-Kommandeuren der Einsatzgruppen wurden vier Einsatzgruppenführer 1951 in Landberg gehenkt, unter ihnen auch Paul Blobel. Die meisten Täter von Babij Jar wurden in den 50er-Jahren aus dem Gefängnis entlassen und blieben unbehelligt.
In Babij Jar selbst gab es lange kein Denkmal für die ermordeten Juden. Es war eine politisch gewollte Einebnung des Holocaust seitens der UdSSR. Der Antisemitismus Stalins spielte dabei eine wichtige Rolle. Versammlungen an der Massakerstelle waren verboten. Victoria Iwanowa kam immer heimlich an den Ort, an dem ihre Mutter getötet wurde. Victoria studierte in Kiew Englisch, arbeitete als Englischlehrerin, gründete eine Familie. Ihr Sohn wanderte Anfang der 90er-Jahre ausgerechnet nach Deutschland aus. Zehn Jahre später folgte sie ihm. Heute lebt sie in München.
Als Victoria Iwanowa bei einem Treffen mit deutschem Publikum ihre Lebensgeschichte erzählte, wurde sie von einem Zuhörer gefragt, wie sie es ertragen kann, nach dieser Tragödie im Land der Täter zu leben:
"Ich antwortete ihm: Stellen Sie sich vor, ihr Vater ist ein SS-Mann, meiner zum Beispiel ein jüdischer Kommunist. Warum muss ich Sie hassen? Was haben denn Sie damit zu tun? Sie müssen doch nicht die Verbrechen Ihres Vaters verantworten! Ich will Sie nicht hassen. Kinder sollen nicht für die Taten ihrer Eltern büßen."