Die Schriften des Benedikt XVI
Seit Dienstag der vergangenen Woche hat die katholische Welt ihren neuen Papst Benedikt XVI. Nur vier Wahlgänge hatte es gebraucht, um den deutschen Kardinal Joseph Ratzinger mit satter Mehrheit des Konklave auf den Heiligen Stuhl zu setzen.
Mit Ratzinger hat die Kirche von Rom jedoch nicht nur einen Deutschen an ihre Spitze gewählt, sondern auch einen hochgelehrten Theologen, der viele Jahre lang Präfekt der Glaubenskongregation gewesen ist - jener zentralen Instanz des Vatikan, die für die Interpretation und Verteidigung der kirchlichen Lehre verantwortlich zeichnet. Da sich jetzt viele Menschen für das Denken des katholischen Kirchenoberhaupts interessieren, hat ein Run auf seine Bücher eingesetzt. Deutschlandradio Kultur wird in vier Terminen von den wichtigsten und interessantesten Ratzinger-Schriften berichten. Jochen R. Klicker macht heute den Anfang mit einem Band, der gerade neu gedruckt und am kommenden Montag an den Buchhandel ausgeliefert wird.
Ja, und es handelt sich bei diesem Schnellschuss um eines von drei Büchern, die in der Deutschen Verlags-Anstalt in München erschienen und vergriffen waren und nun hurtig wieder auf den Buchmarkt gebracht werden - darunter übrigens auch Ratzingers Autobiographie seiner ersten 50 Lebensjahre. Doch soll uns heute zunächst ein Band beschäftigen, der so etwas wie die Vorstellung der Person des neuen Papstes sowie eine kritische Darstellung seiner Theologie und seiner kirchlichen Arbeit bietet. Titel des Buches: "Salz der Erde - Christentum und katholische Kirche im 21. Jahrhundert". Wobei das besondere an den 18 Kapiteln - von der "Priesterlichen Berufung" bis zur "Kirche der Zukunft" - ihre Form ist: Handelt es sich doch um ein Gespräch; um einen kritischen - und was Ratzinger angeht auch selbstkritischen - Dialog mit dem freien Publizisten Peter Seewald, ehemals Redakteur bei SPIEGEL, stern und Süddeutscher Zeitung. Lesbarkeit und Verständlichkeit - beide gewinnen durch diesen Gesprächscharakter.
Was überrascht: Joseph Ratzinger räumt manche Position des überkommenen Katholizismus. So erklärt er zum Beispiel die Sache der Volkskirche für beendet, spricht fast zärtlich von einer Minderheitenkirche, die klein werden wird, und rät der Amtskirche, dass sie sich langsam auf eine Minderheitensituation, "auf eine andere Position in der Gesellschaft einrichten muss". Aber er insistiert auch wortgewaltig darauf, dass der klassische Kanon kritischer Rückfragen an die Amtkirche - also Frauenordination, Empfängnisverhütung, Zölibat und Wiederverheiratung Geschiedener - eher von sekundärer Bedeutung sei und nicht dafür tauge, "zum einzigen wichtigen Thema der Christenheit gemacht" zu werden. Woher er das wisse? Selbstverständlich von den Bischöfen, deren entscheidende Bedeutung für Information und Handeln der Weltkirche Ratzinger immer wieder betont und gegenüber der Bedeutungslosigkeit des einzelnen Christenmenschen für die kirchliche Wirklichkeit herausstreicht. Und im übrigen in der Hoffnung lebt und arbeitet, dass er selbst mit großer Glaubensgewissheit spüre und erfahre, was Gott mit seiner Kirche wolle. Im übrigen bleibt es trotz aller Beteuerungen des guten Willens zum interreligiösen und interkirchlichen Dialog bei der zentralen Bedeutung der katholischen Kirche für das glaubende Verstehen des Sühnetodes Jesu Christi. Und wenn der Präfekt der Glaubenskongregation - der ehemaligen Inquisition! - auf die Frage "Wie viele Wege gibt es zu Gott?" antwortet "So viele, wie es Menschen gibt.", dann bleibt das ein vereinzelter Lichtblick im sonst eher
düsteren Gebäude augustinisch geprägter Theologie.
A propos Augustin. Schon als junger Professor hatte Joseph Ratzinger seinen Standort gefunden im durchaus komplexen Gefüge der katholischen Theologie. Nicht auf den Spuren des Aristoteles, der Scholastik und des heiligen Thomas von Aquin will er das Geheimnis der Wahrheit enthüllen und das Drama seines Lebens spielen. Ihn zieht es vielmehr zum heiligen Augustin, um den Glauben zu verstehen, diesen als einen Prozess in der Geschichte zu begreifen und auf die Fragen von Existenzphilosophie und Neukantianismus geschichtstheologisch zu antworten. Seine Dissertation aus den 50er Jahren, die er 1992 zu einem Beitrag in den Münchner Theologischen Studien umarbeitet, signalisiert das schon im Titel: "Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche". So, wie Augustin als ein "richtiger Bischof" sein Amt definiert, so will auch Joseph Ratzinger, der sich aufs Bischofsamt nicht so recht verstand, mit den geistigen Strömungen der Zeit umgehen: "Die Unruhestifter zurechtweisen, die Kleinmütigen trösten, die Gegner widerlegen". Und er will mit Hilfe des antiken Vorbildes seine eigene Identität gewinnen: "Bei Augustinus ist immer der leidenschaftliche, leidende, fragende Mensch direkt da, mit dem man sich identifizieren kann." Im übrigen zeigt bereits der junge Ratzinger, dass schon in der Welt der antiken heidnischen Religionen der Glaube etwas vollkommen neues, etwas vollkommen anderes ist, unverwechselbar und einzigartig:
"Die heidnische Religion ist nicht Glaube, sondern Kult. Was einer dabei glaubt, ist vollständig gleichgültig. Seine Glaubensüberzeugung kann ruhig die christlichen Inhalte umfassen, sie kann auch ein metaphysischer Atheismus sein, ... entscheidend ist nur, dass er den Kult der Götter vollzieht. ... Denn für diese Auffassung ist Atheismus nicht eine Überzeugung, sondern lediglich die Verweigerung des Götteropfers." - Dieses und manch anderes überraschende Element einer kenntnisreichen Geschichtstheologie von Joseph Ratzinger ist in der Erzabtei St. Ottilien erschienen, einem Benediktinerkloster. Den Namen des "Patrons" hat sich der neue Papst als Papstnamen gewählt!
Bleibt schließlich daran zu erinnern, dass jeder gute katholische Christ irgendwann einmal schon ein Buch von Joseph Cardinal (sic!) Ratzinger in Händen hatte. Ich meine den "Katechismus der katholischen Kirche", erschienen 1993 und erarbeitet in genau jener Glaubenskongregation, der Ratzinger als Präfekt vorgestanden hat. Viele dieser über 800 Seiten tragen seine redaktionelle Handschrift, manches Kapitel hat er selbst geschrieben. Zum Beispiel dieses, in dem zu glauben geboten wird, dass das Papsttum bleibt. Oder ein anderes, das davon handelt, warum sich das Lehramt der Kirche nicht irren könne: "Was wahr ist, bleibt wahr, aber es können neue Perspektiven auftauchen, die es in ein anderes Licht rücken". Fürwahr schwierige Kost für reformerisch gesonnene Katholiken, für christliche "Geschwister" aus der Ökumene, nicht zuletzt auch für Nicht-Christen, die nichtsdestoweniger mit der Kirche über die Wirklichkeit der Kirche theologisch und politisch reden wollen. Der neue Papst und ehemalige Lehramtspräfekt weiß, was Gott von uns in diesem Zusammenhang wirklich will. In den Worten Goethes: Zu akzeptieren, dass die Geschichte als Ganze Kampf ist zwischen Glaube und Unglaube. Oder noch mal von Augustin her gesehen: Das Drama der Geschichte zu verstehen als den Kampf zwischen der Gottesliebe bis zum Selbstverzicht und der Selbstliebe bis zur Gottesverleugnung.
In der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT hieß es, dass derzeit nur zwei Deutsche zum Kulturschatz der Menschheit gehören - der linke Sozialphilosoph Jürgen Habermas und dieser letztverantwortliche Mann "von tiefem Intellekt und umfassender Bildung" Joseph Ratzinger. "Er schreibt Gedanken auf, vor denen sich die meisten anderen fürchten". Ja, allen voran reformwillige Katholiken von der kritischen Kirche von unten!
Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.: Salz der Erde - Christentum und katholische Kirche im 21. Jahrhundert. Ein Gespräch mit Peter Seewald. Deutsche Verlags-Anstalt München, erscheint am 2. Mai 2005. 304 Seiten, Euro 10.-
Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.: Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche. Münchner Theologische Studien, II. Systematische Abteilung, Band 7. EOS Verlag St. Ottilien, 1992. 356 Seiten, Euro 25.-
Katechismus der katholischen Kirche. Libreria Editrice Vaticana/R. Oldenbourg Verlag München, 1993. 816 Seiten, Euro 12,80
Ja, und es handelt sich bei diesem Schnellschuss um eines von drei Büchern, die in der Deutschen Verlags-Anstalt in München erschienen und vergriffen waren und nun hurtig wieder auf den Buchmarkt gebracht werden - darunter übrigens auch Ratzingers Autobiographie seiner ersten 50 Lebensjahre. Doch soll uns heute zunächst ein Band beschäftigen, der so etwas wie die Vorstellung der Person des neuen Papstes sowie eine kritische Darstellung seiner Theologie und seiner kirchlichen Arbeit bietet. Titel des Buches: "Salz der Erde - Christentum und katholische Kirche im 21. Jahrhundert". Wobei das besondere an den 18 Kapiteln - von der "Priesterlichen Berufung" bis zur "Kirche der Zukunft" - ihre Form ist: Handelt es sich doch um ein Gespräch; um einen kritischen - und was Ratzinger angeht auch selbstkritischen - Dialog mit dem freien Publizisten Peter Seewald, ehemals Redakteur bei SPIEGEL, stern und Süddeutscher Zeitung. Lesbarkeit und Verständlichkeit - beide gewinnen durch diesen Gesprächscharakter.
Was überrascht: Joseph Ratzinger räumt manche Position des überkommenen Katholizismus. So erklärt er zum Beispiel die Sache der Volkskirche für beendet, spricht fast zärtlich von einer Minderheitenkirche, die klein werden wird, und rät der Amtskirche, dass sie sich langsam auf eine Minderheitensituation, "auf eine andere Position in der Gesellschaft einrichten muss". Aber er insistiert auch wortgewaltig darauf, dass der klassische Kanon kritischer Rückfragen an die Amtkirche - also Frauenordination, Empfängnisverhütung, Zölibat und Wiederverheiratung Geschiedener - eher von sekundärer Bedeutung sei und nicht dafür tauge, "zum einzigen wichtigen Thema der Christenheit gemacht" zu werden. Woher er das wisse? Selbstverständlich von den Bischöfen, deren entscheidende Bedeutung für Information und Handeln der Weltkirche Ratzinger immer wieder betont und gegenüber der Bedeutungslosigkeit des einzelnen Christenmenschen für die kirchliche Wirklichkeit herausstreicht. Und im übrigen in der Hoffnung lebt und arbeitet, dass er selbst mit großer Glaubensgewissheit spüre und erfahre, was Gott mit seiner Kirche wolle. Im übrigen bleibt es trotz aller Beteuerungen des guten Willens zum interreligiösen und interkirchlichen Dialog bei der zentralen Bedeutung der katholischen Kirche für das glaubende Verstehen des Sühnetodes Jesu Christi. Und wenn der Präfekt der Glaubenskongregation - der ehemaligen Inquisition! - auf die Frage "Wie viele Wege gibt es zu Gott?" antwortet "So viele, wie es Menschen gibt.", dann bleibt das ein vereinzelter Lichtblick im sonst eher
düsteren Gebäude augustinisch geprägter Theologie.
A propos Augustin. Schon als junger Professor hatte Joseph Ratzinger seinen Standort gefunden im durchaus komplexen Gefüge der katholischen Theologie. Nicht auf den Spuren des Aristoteles, der Scholastik und des heiligen Thomas von Aquin will er das Geheimnis der Wahrheit enthüllen und das Drama seines Lebens spielen. Ihn zieht es vielmehr zum heiligen Augustin, um den Glauben zu verstehen, diesen als einen Prozess in der Geschichte zu begreifen und auf die Fragen von Existenzphilosophie und Neukantianismus geschichtstheologisch zu antworten. Seine Dissertation aus den 50er Jahren, die er 1992 zu einem Beitrag in den Münchner Theologischen Studien umarbeitet, signalisiert das schon im Titel: "Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche". So, wie Augustin als ein "richtiger Bischof" sein Amt definiert, so will auch Joseph Ratzinger, der sich aufs Bischofsamt nicht so recht verstand, mit den geistigen Strömungen der Zeit umgehen: "Die Unruhestifter zurechtweisen, die Kleinmütigen trösten, die Gegner widerlegen". Und er will mit Hilfe des antiken Vorbildes seine eigene Identität gewinnen: "Bei Augustinus ist immer der leidenschaftliche, leidende, fragende Mensch direkt da, mit dem man sich identifizieren kann." Im übrigen zeigt bereits der junge Ratzinger, dass schon in der Welt der antiken heidnischen Religionen der Glaube etwas vollkommen neues, etwas vollkommen anderes ist, unverwechselbar und einzigartig:
"Die heidnische Religion ist nicht Glaube, sondern Kult. Was einer dabei glaubt, ist vollständig gleichgültig. Seine Glaubensüberzeugung kann ruhig die christlichen Inhalte umfassen, sie kann auch ein metaphysischer Atheismus sein, ... entscheidend ist nur, dass er den Kult der Götter vollzieht. ... Denn für diese Auffassung ist Atheismus nicht eine Überzeugung, sondern lediglich die Verweigerung des Götteropfers." - Dieses und manch anderes überraschende Element einer kenntnisreichen Geschichtstheologie von Joseph Ratzinger ist in der Erzabtei St. Ottilien erschienen, einem Benediktinerkloster. Den Namen des "Patrons" hat sich der neue Papst als Papstnamen gewählt!
Bleibt schließlich daran zu erinnern, dass jeder gute katholische Christ irgendwann einmal schon ein Buch von Joseph Cardinal (sic!) Ratzinger in Händen hatte. Ich meine den "Katechismus der katholischen Kirche", erschienen 1993 und erarbeitet in genau jener Glaubenskongregation, der Ratzinger als Präfekt vorgestanden hat. Viele dieser über 800 Seiten tragen seine redaktionelle Handschrift, manches Kapitel hat er selbst geschrieben. Zum Beispiel dieses, in dem zu glauben geboten wird, dass das Papsttum bleibt. Oder ein anderes, das davon handelt, warum sich das Lehramt der Kirche nicht irren könne: "Was wahr ist, bleibt wahr, aber es können neue Perspektiven auftauchen, die es in ein anderes Licht rücken". Fürwahr schwierige Kost für reformerisch gesonnene Katholiken, für christliche "Geschwister" aus der Ökumene, nicht zuletzt auch für Nicht-Christen, die nichtsdestoweniger mit der Kirche über die Wirklichkeit der Kirche theologisch und politisch reden wollen. Der neue Papst und ehemalige Lehramtspräfekt weiß, was Gott von uns in diesem Zusammenhang wirklich will. In den Worten Goethes: Zu akzeptieren, dass die Geschichte als Ganze Kampf ist zwischen Glaube und Unglaube. Oder noch mal von Augustin her gesehen: Das Drama der Geschichte zu verstehen als den Kampf zwischen der Gottesliebe bis zum Selbstverzicht und der Selbstliebe bis zur Gottesverleugnung.
In der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT hieß es, dass derzeit nur zwei Deutsche zum Kulturschatz der Menschheit gehören - der linke Sozialphilosoph Jürgen Habermas und dieser letztverantwortliche Mann "von tiefem Intellekt und umfassender Bildung" Joseph Ratzinger. "Er schreibt Gedanken auf, vor denen sich die meisten anderen fürchten". Ja, allen voran reformwillige Katholiken von der kritischen Kirche von unten!
Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.: Salz der Erde - Christentum und katholische Kirche im 21. Jahrhundert. Ein Gespräch mit Peter Seewald. Deutsche Verlags-Anstalt München, erscheint am 2. Mai 2005. 304 Seiten, Euro 10.-
Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.: Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche. Münchner Theologische Studien, II. Systematische Abteilung, Band 7. EOS Verlag St. Ottilien, 1992. 356 Seiten, Euro 25.-
Katechismus der katholischen Kirche. Libreria Editrice Vaticana/R. Oldenbourg Verlag München, 1993. 816 Seiten, Euro 12,80