Die Schriften des Benedikt XVI.

Vorgestellt von Dr. Thomas Kroll |
Es ist keine drei Wochen her, da war aus Rom zu hören: "Habemus Papam ... Dominum Josephum Sanctae Romanae Ecclesiae Cardinalem Ratziger qui sibi nomen imposuit Benedictum XVI." Nur vier Wahlgänge hatte es gebraucht, um den Deutschen mit satter Mehrheit des Konklave auf den Heiligen Stuhl zu setzen.
Mit Ratzinger hat die Kirche von Rom jedoch nicht nur einen Deutschen an ihre Spitze gewählt, sondern auch einen hoch gelehrten Theologen, der viele Jahre lang Präfekt der Glaubenskongregation gewesen ist – jener zentralen Instanz des Vatikan, die für die Interpretation und Verteidigung der kirchlichen Lehre verantwortlich zeichnet. Da sich jetzt viele Menschen für das Denken des katholischen Kirchenoberhaupts interessieren, hat ein Run auf dessen Bücher eingesetzt.

Deutschlandradio Kultur wird in vier Terminen von den wichtigsten und interessantesten Ratzinger-Schriften berichten. Jochen R. Klicker ging am 29. April auf den Interviewband "Salz der Erde" ein sowie auf Ratzingers Dissertation, "Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche". Ferner erinnerte er an den so genannten Weltkatechismus, den Katechismus der katholischen Kirche, bei dessen Entstehung der deutsche Kurienkardinal federführend beteiligt war. (Vgl. www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/371586/) Heute stellt Dr. Thomas Kroll weitere Bücher aus der Feder des ehemaligen Theologieprofessors, Münchner Erzbischofs und Präfekten der Römischen Glaubenskongregation vor.

"Gott und Welt" lautet der Titel eines längeren Interviewbands, in dem Kardinal Ratzinger dem Journalisten Peter Seewald nach der Publikation von "Salz der Erde" erneut Rede und Antwort steht – über Gott und die Welt, ein weites Feld. Entstanden ist eine gut lesbare und leicht verständliche Einführung in das Christentum, bei der die Binnenperspektive überwiegt, eine Art Katechismus, bei dem mehr von Gott – zudem von Glaube, Liebe, Hoffnung sowie von Jesus Christus und von der Kirche – die Rede ist als von der Welt. Daher wundert es nicht, wenn Ratzinger eingesteht: "Sicher hat die Kirche den Sprung in die Gegenwart noch nicht gänzlich geschafft. Die alten, wirklich gültigen und großen Worte wieder so mit Lebenserfahrung zu füllen, daß sie vernehmbar werden, steht als große Aufgabe vor uns. Wir haben da viel zu tun." Das stimmt. Schon vor gut 40 Jahren lautete das Programmwort im Vatikan "Aggiornamento", zu deutsch etwa "Verheutigung" der Kirche und "Vertäglichung" des Glaubens.

Peter Seewald ist eher Stichwortgeber für Ratzingers Ausführungen denn kritisches Gegenüber, das den Kardinal mit skeptischen Fragen Kirchenferner oder mit Vorbehalten Konfessionsloser konfrontiert, die auf der Suche sind und deren kritische Rationalität nicht durchweg zu dem führen muss, was Ratzinger mitunter schwarzweißmalend als Relativismus, Liberalismus, Libertinismus, Marxismus etc. anprangert. Anders gewendet: "Gott und die Welt" ist eine gewinnbringende Lektüre für Kirchgänger sowie für Menschen, die dem Christentum nahe stehen oder sich wohlwollend für dessen Lehre und Praxis interessieren.

Ratzinger antwortet aus dem großen Fundus des gelehrten Theologen. Immer wieder bezieht er sich auf das biblische Fundament und erklärt den tieferen Sinn verschiedener Bibelstellen. Gerne zitiert er bisweilen die so genannten Väter, die Theologen der ersten Jahrhunderte. So etwa Tertullian: "Christus hat nicht gesagt, ich bin die Gewohnheit, sondern die Wahrheit." Um die wahre Lehre, um die rechte Einsicht geht es Ratzinger immerzu; und man wird den Eindruck nicht los, dass er – nunmehr "der Fels" in der Brandung der "Kultur des Todes" – genau weiß, wie zu leben und der Wahrheit zu folgen ist.

Bisweilen glaubt man, bei der Lektüre die Originalstimme des bayrischen Privatmenschen zu hören – etwa wenn Ratzinger durchblicken lässt, dass Gott "viel Humor" habe. "Manchmal gibt er einem auch so einen Stups und sagt, nimm dich nicht so wichtig!" Dann vernimmt man wieder die klaren Worte des Gelehrten, des offiziellen Hüters der Lehre: "Die katholische Kirche weiß im Glauben das, was Gott uns in der Geschichte der Offenbarung gesagt hat. Natürlich bleibt das Verständnis davon – auch das, das die Kirche davon hat – immer hinter der Größe dessen zurück, was Gott geredet hat. Deshalb gibt es die Entwicklung des Glaubens." Das lässt hoffen.

Manche Äußerungen hingegen lassen erkennen, dass in bestimmten Themenfeldern und bei diversen Glaubensfragen auf Seiten des Lehramts weder mit Veränderungen noch mit Neuigkeiten zu rechnen ist. Das gilt sicher für die Ein und Wertschätzung menschlicher Sexualität, sprich: für den Bereich Ehe und Familie. Das gilt ebenso für die Zulassung von Frauen zum Priesteramt.

Die Lektüre von Ratzingers Artikel "Das Priestertum des Mannes – ein Verstoß gegen die Rechte der Frau?" kann hier die Augen öffnen. Sie ermöglicht den Blick auf die unverrückbaren Prämissen, von denen der Theologe ausgeht. Auf elf Seiten kann man viel lernen über Argumentationslinien, nicht zuletzt über Ratzingers Bild der Frau.

Anfangs unterscheidet der Theologe zwei Hauptformen der Grundrechte: Da sind zum einen Grundrechte als Schöpfungsrechte, da sind zum anderen Grundrechte "als reine Setzung des Menschen". Letztere unterliegen dem Prozess der Meinungs- und Mehrheitsbildung. Für die Theologie ist mithin nur der erste Typus von Interesse. Dann stellt Ratzinger heraus: "Das christliche Priestertum folgt nicht aus der Schöpfung". Es ist katholischer Glaubensüberlieferung zufolge vielmehr ein Sakrament und somit der Kirche vorgegeben und ihrer Verfügbarkeit entzogen. Mithin ist das Priestertum weder eine Chance noch ein Recht, das die Kirche vergibt. Gott entscheidet über die Zulassung zum Priestertum durch seinen Ruf, durch die Berufung. Dass nur Männer Priester werden können, ist nach Ratzinger zwar nicht mit "zwingender metaphysischer Notwendigkeit" zu beweisen. Aber die Bindung an die Geschichte, "die Bindung an Gottes konkreten Heilswillen, wie er in dieser Geschichte Gestalt annahm, gehört grundlegend zum Wesen des Sakraments". Apostel und Jünger, Diakone und Älteste, von denen die Bibel berichtet, waren – Männer.

Nicht genug: Mann und Frau sind "Menschen gleichen Rechts und gleicher Würde, aber mit je einer anderen Aussage". Die "besondere Weise und Würde fraulichen Seins" drückt sich Ratzinger zufolge in den Prädikaten "Jungfräulichkeit und Mutterschaft" unumkehrbar aus. Ratzinger entnimmt diese Einsicht der Schöpfungsordnung und folgert daher: Frauen sind zur Jungfräulichkeit und Mutterschaft berufen, nicht aber zum Priesteramt.

Ratzingers Buch über den "Geist der Liturgie" stellt den Versuch dar, Reichtum und Wesen der katholischen Liturgie im Medium der kirchlichen Überlieferung aufzuzeigen. Im Zuge dessen betont der Autor immer wieder den inneren Zusammenhang von Judentum und Christentum, von Synagoge und Ecclesia, von pilgernder und himmlischer Kirche. Angesichts manch fragwürdiger Entwicklungen und Experimente nach der Liturgiereform des II. Vatikanischen Konzils bietet Ratzingers Buch "eine Hilfe zum Verstehen des Glaubens und zum rechten Vollzug seiner zentralen Ausdrucksform in der Liturgie". So weit, so gut.

Fokussiert man Ratzingers Aussagen zur Kirchenmusik – man nehme seine Rede "Liturgie und Kirchenmusik" hinzu –, spürt man einmal mehr, dass hier ein Belesener schreibt, der viel von der Tradition versteht, aber auch äußerste Vorsicht gebietet vor möglichen neuen Formen der Inkulturation des Christentums. So sieht Ratzinger in der Popmusik lediglich einen "Kult des Banalen", in der Rockmusik immerhin den "Ausdruck elementarer Leidenschaften", die jedoch, so seine Worte, "in den Rockfestivals kultischen Charakter angenommen haben, den Charakter eines Gegenkultes zum christlichen Kult". Bleibt einem Katholiken da nur der Rückgriff auf John Coltranes A Love Supreme – freilich außerhalb von Kirchenmauern?

Kurzum: Neuere Forschungen im Dialogfeld "Theologie und Musik" hat Ratzinger nicht rezipiert. Ferner hat es den Anschein, dass der jetzige Papst von unvoreingenommener Wahrnehmung und anschließender durchaus kritischer Reflexion religiöser und christlicher Spuren in der so genannten Popkultur noch weit entfernt ist. Bleibt zu hoffen, dass ihm nicht nur in dieser Hinsicht der von ihm angezielte Dialog mit der Jugend einiges an Herausforderungen und Lernstoff bietet.


Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.: Gott und die Welt. Glauben und Leben in unserer Zeit. Ein Gespräch mit Peter Seewald. Knaur Taschenbuch Verlag München, 2002 [Neuauflage April 2005]. 495 Seiten, Euro 9,90.

Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.: Gott und die Welt. Die Geheimnisse des christlichen Glaubens. Ein Gespräch mit Peter Seewald. Deutsche Verlags-Anstalt München, 2000 [unveränderter Nachdruck 2005]. 395 Seiten, Euro 12,00.

Joseph Ratzinger: Das Priestertum des Mannes – ein Verstoß gegen die Rechte der Frau? In: Gerhard Ludwig Müller (Hg.): Frauen in der Kirche – Eigensein und Mitverantwortung. Echter Verlag Würzburg, 1999. 412 Seiten, Euro 24,50. (Ratzingers Artikel findet sich auf den Seiten 267-277.)

Joseph Kardinal Ratzinger: Liturgie und Kirchenmusik. Vortrag zur Eröffnung des VIII. Internationalen Kongresses für Kirchenmusik in Rom im Europäischen Jahr der Musik am 17. November 1985. Musikverlag Hans Sikorski Hamburg, 1987. 22 Seiten, Euro 8,90.

Joseph Kardinal Ratzinger: Der Geist der Liturgie. Eine Einführung. Verlag Herder, 2000 [6. Auflage 2002]. 208 Seiten, Euro 18,90.