Mit Gefühlen in den politischen Aufbruch
Martin Schulz auf allen Kanälen, der "Spiegel" feiert ihn als "Sankt Martin". Schulz selbst betont derzeit vor allem die eigene Herkunft und die Empathie als Notwendigkeit - ist er damit ein Populist? Antworten vom Politikwissenschaftler Claus Leggewie.
Martin Schulz erobert Deutschland. Doch womit wickelt er uns um den Finger? Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie sieht den SPD-Kanzlerkandidaten "in der Tradition des Populismus" stehen. Dieser weise vor allem zwei Merkmale auf: Eine "Politik der Gefühle" und "das Signal eines Aufbruchs gegen die vermeintliche Alternativlosigkeit".
Die Leute trauen Schulz den Wandel zu
Schulz gelte derzeit als einer, der den Wandel herbeiführen kann, sagte Leggewie. Dieser Glaube sei für den Erfolg von Populisten in den vergangenen Jahren wichtig gewesen: Es könne nicht alles so bleiben, wie es ist - "deswegen muss jemand her, der es ändert."
Schulz sei nicht von den Entscheidungen der Großen Koalition belastet und könne plausibel machen, dass er die Sprache des Volkes verstehe, betonte der Politikwissenschaftler.
Politisch verankere sich Schulz in der linken Mitte. Die Herausforderung bestehe jetzt darin, nicht in eine Richtung zu gehen, die bereits andere linke populistische Parteien in Europa eingeschlagen hätten. Als Beispiel nannte Leggewie Syriza in Griechenland. Die Frage an Schulz sei, "ob er die Mitte neu definieren kann".
Ökologie und Generationengerechtigkeit fehlen
Was ihm persönlich bei Schulz fehle, sei ein Wort zu den ökologischen Herausforderungen, kritisierte Leggewie. Auch richte sich dessen sozialpolitisches Programm nur auf die Besitzstandwahrung oder die Wiederherstellung von Besitzständen der älteren Generation - ein Blick auf Generationengerechtigkeit und die jüngeren Menschen sei nicht vorhanden.
Schulz stehe Leggewie zufolge vor einer schweren Aufgabe. Denn die Politikverdrossenheit sei inzwischen tief verankert in der Gesellschaft - es gebe eine Entfremdung vom politischen Betrieb, die "im Grunde genommen kaum noch einzufangen ist oder sich derart radikalisiert, wie man das jetzt in den Vereinigten Staaten sieht". Die Wut wieder in konstruktiven "politischen Mut" zurückzuübersetzen werde nicht leicht. (ahe)