"Die Schutzbefohlenen" im Burgtheater Wien

Werktreu, wie es geschrieben steht

Von Michael Laages |
Mit Regisseur Michael Thalheimer kommen "Die Schutzbefohlenen" an den Ort des ursprünglichen Geschehens: nach Wien. Der Text stammt von Elfriede Jelinek, Thalheimer stellt ihn eins zu eins ins Zentrum der Inszenierung - ohne seine Schwächen zu eliminieren.
Überraschend ist das nicht – gerade mit dem jüngsten Theater-Text, "Die Schutzbefohlenen", mausert sich die österreichische Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek zum Hit im Bühnen-Repertoire. Von einem Thema erzählt sie, dass die wohlsituierten und immer noch unermesslich reichen europäischen Gesellschaften noch lange verunsichern wird: die mit jedem neuen Regionalkonflikt wachsende Zahl von Asylbewerbern in der "Festung Europa".
Anlass für die Dramatikerin für diesen Text war eine Kirchenbesetzung vor drei Jahren Wien; beim Festival "Theater der Welt" in Mannheim wurde der Text vor Jahresfrist uraufgeführt. Nach Inszenierungen in Bremen, Freiburg oder gerade auch in Oberhausen kam das Stück jetzt am Ort des Ursprungskonflikts an: in Wien.
Wer immer sich bisher beschäftigt hat mit diesem Text, hat die zentrale Frage gestellt – wie geht das: die Texte auf die Bühne zu bringen, in denen die Autorin Jelinek erzählt von den fundamentalen Erniedrigungen, dem grundsätzlichen Unwillkommen- und Ausgeschlossen-Sein, wie es Bürgerkriegs- oder Armutsflüchtlinge erleben in der Auseinandersetzung mit der europäischen Gesetzes- und Bürokratie-Maschinerie, wenn es um Anerkennung oder Ablehnung, Bleiberecht oder Abschiebung geht.
Warum sollen nur "echte" Flüchtlinge sprechen?
Sie sind ja den Geflüchteten selbst in den Mund gelegt – lässt sich würdig und angemessen mit ihnen umgehen, ohne dass Betroffene persönlich und stellvertretend mit im Spiel sind? Nur mit ihnen geht's, meinte Uraufführungsregisseur Nicolas Stemann, und viele folgten dieser Haltung; Oberhausens Intendant Peter Carp ging gerade noch weiter – und versetzte die "Ich"- und "Wir"-Texte in die Distanz des "Sie", in die dritte Person – so könnten auch "normale" Schauspieler seriös umgehen mit den fremden Empfindungen.
Diese Herausforderung allerdings – fremdes Empfinden an sich heran zu ziehen mit dem Handwerk des Theaters – meistern Schauspielerinnen und Schauspieler prinzipiell jeden Abend; warum also sollten ausgerechnet Flüchtlingstexte nur mit "echten" Flüchtlingen realisierbar sein; zumal die unüberhörbar künstlich und künstlerisch konstruierten aus Jelineks Schreibwerkstatt? Michael Thalheimer hat für sich und das Burgtheater alle Fragen klar beantwortet, indem er sie gar nicht erst stellt – ein Text wie dieser, sagt die Inszenierung, gehört den Schauspielerinnen und Schauspielern; vor allem dann, wenn sie sich als kollektive Stimme formieren – als Chor.
16 Köpfe stark, neun Männer, sieben Frauen, quellen sie alle aus dem bühnenhohen Kreuz hervor, das Olaf Altmanns sich verengende Bühne nach hinten abschließt ... "Die Schutzbefohlenen" treten sozusagen wieder aus der Votivkirche hervor, die sie damals, im November 2012, besetzt hatten. Und aus der Kirche stürzen sie zurück ins tosende Meer – Altmanns Bühne steht mindestens knöchelhoch unter Wasser; das Ensemble kämpft zunächst mit den Fluten, und immer wieder zappeln alle darin.
Nichts sehen, nichts sagen, nichts hören - und nichts tun
Einzelne Stimmen erzählen einzelne, eigene Geschichten – aber Haltung und Bewusstsein bleiben chorisch kollektiv. Dort: die Geflüchteten, ohne echte Aussicht auf Rettung – hier, im Theater: wir, die wir uns mächtig anstrengen müssen, unbeteiligt zu bleiben – Jelinek hält uns das in beißender Schärfe abendfüllend vor. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – die Regeln der berühmten drei Affen gelten auch für Europas Wohlstandsgesellschaft; die sie ergänzt hat um Regel Nummer Vier: "Nichts tun".
Thalheimers Methodik, im Einklang mit Marcus Cromes engagierter Chor-Leitung, stellt so vor allem den Jelinek-Text selber ins Zentrum; und damit auch seine Schwächen. Unumstritten ist die Berechtigung von Wut und Zorn angesichts der brachialen Abwicklung des Wiener Falles – nerviger als sonst (wenn auch nicht ganz so dominant wie sonst) wirkt demgegenüber das Jelinek-typische Gewitzel aus den tiefsten Tiefen der Wortspielhölle: der Reise-Pass ist auch ein Fussball-Pass, "betreten" wird ein Raum, und "betreten" sind wir, wenn's peinlich wird ... ach wie ist das komisch! Und wie überflüssig gerade in diesem Fall ...
Aber so schreibt sie halt, die Erfolgs- und Repertoire-Autorin: ohne Punkt und Komma, im Gedankenstrom und ohne den eigenen haltlosen Unfug zu eliminieren. Jedem Regisseur, jeder Regisseurin überlässt sie den Text zu beliebiger Verwendung. Sie wollte halt noch nie gefallen – und so scheitert sie im Grunde immer auch an sich selbst. Michael Thalheimers lautstarke, bildhafte Werktreue stellt keine Fragen an den Text, sucht und findet keine Haltung – die Inszenierung stärkt so, im Jubel der Sturzbetroffenen, nur Jelineks ewige Schwächen.
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