Die Schwarzen als Opfer
New Orleans ist sieben Jahre nach der Katastrophe durch den Hurrikan Katrina wohlhabender und weißer geworden. Denn die meisten Menschen, die nach der Zerstörung ihrer Häuser nicht mehr zurückgekehrt sind, sind schwarz.
Ausgelassene Stimmung an einem sonnigen Sonntagnachmittag im Ninth Ward, einem Bezirk im Südosten von New Orleans. Junge und Alte – fast ausnahmslos Afroamerikaner – gehen oder tanzen in einem kilometerlangen Zug hinter einer Second Line. Second Line, so heißt die Parade, bei der eine Blaskapelle auf Wagen sitzt und langsam die Straßen entlang fährt. Festlich gekleidete Musiker spielen die Rhythmen, die Touristen sonst während des Mardi Gras, dem berühmten Karneval, hören. Hier wird "Big Easy", wie die größte Stadt Louisianas auch genannt wird, greifbar. Big Easy steht für die leichtlebige, manchmal auch sündige Seite von New Orleans, das jährlich etwa neun Millionen Touristen anzieht.
Sieben Jahre ist es jetzt her, dass 80 Prozent der Stadt am Mississippi durch den verheerenden Hurrikan Katrina überflutet wurden, dass New Orleans nicht aus den weltweiten Schlagzeilen kam, 1.800 Menschen starben und eine Million Menschen im Staat Louisiana obdachlos wurden. Vor Katrina lebten im Ninth Ward, dem geografisch größten Distrikt der Stadt, etwa 100.000 Einwohner beziehungsweise 15.000 Familien, heute sind es nur noch 6.000 Familien. Viele Einwohner, vor allem Afroamerikaner, kehrten nach Katrina nicht hierher zurück, weil sie es sich nicht leisten konnten, ihre zerstörten Häuser zunächst selbstfinanziert wieder aufzubauen, bevor Hilfe aus dem staatlichen Renovierungsfonds eintraf. Sie leben inzwischen verstreut überall in den USA, wo sie versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen.
Am schlimmsten betroffen von Katrina war der sogenannte Lower Ninth Ward, der als Problemviertel mit hoher Kriminalität und schwindender Einwohnerzahl gilt. Hier wohnen ebenfalls hauptsächlich Afroamerikaner. In der Tupelo Straße lebt Vanessa Gueringer mit ihrem Mann und den beiden Kindern im Teenageralter in ihrem inzwischen wieder renovierten Haus. Die Innenräume hatte das Wasser fast gänzlich zerstört, die Wände schimmelten. Zwar hat das Aufräumen Monate gedauert, die Renovierung mehr als ein Jahr, aber die Gueringers hatten Glück im Unglück: Sie bekamen dafür Geld aus verschiedenen Kompensationstöpfen.
Die Afroamerikanerin war vor Katrina Hausfrau und Mutter, heute ist Vanessa das, was man eine toughe Aktivistin nennt. Die temperamentvolle Endvierzigerin sitzt in ihrer modernen Küche und gestikuliert lebhaft mit beiden Händen, um zu beschreiben, was sie in den vergangenen sieben Jahren an Ungerechtigkeit erlebt hat. Seit dem Hurrikan engagiert sie sich für eine Aufwertung ihres Wohnviertels, kämpfte schon für die Wiederinbetriebnahme der Müllabfuhr und den Anschluss an das Wasser- und Telefonnetz, das die Stadtpolitiker nach Katrina ausgesetzt hatten. Sie gießt sich Kaffee nach.
Vanessa Gueringer: "Die Grundsteuer hat sich verdreifacht, seit wir nach Katrina zurückgekommen sind. Gerade jetzt wehren wir uns gegen die Tariferhöhung des Wassers, die in fünf oder zehn Jahren so hoch wäre, dass sie sich viele nicht leisten werden können. Wir glauben, dass diese Dinge absichtlich geschehen, um uns zu sagen: Es sind nicht genug von euch weggeblieben und wir möchten, dass ihr wisst, wenn ihr nicht irgendwo außerhalb der Stadt leben wollt, werdet ihr es euch hier nicht mehr leisten können. Und das ist es, was hier geschieht."
Vanessa Gueringer sitzt im Vorstand verschiedener sozialer Gruppierungen wie "A Community Voice", filmt mit ihrer Videokamera die Missstände in ihrem riesigen Bezirk und veröffentlicht sie auf YouTube. Vor Katrina gab es fünf Schulen im Lower Ninth Ward. Alle waren sie überflutet worden, aber nur eine – die Martin Luther King Charter School – wurde wieder aufgebaut. Ein großer Teil der Kinder muss nun in die Schulen benachbarter Bezirke fahren und pro Wegstrecke bis zu zwei Stunden täglich zurücklegen. Über 94 Millionen Dollar wurden für die durch den Hurrikan beschädigten Schulen von der Regierung in Washington zur Verfügung gestellt. In den Wiederaufbau der King School flossen davon weniger als zehn Millionen Dollar. Die Investitionen generell für die Errichtung neuer Schulen in New Orleans betrugen 1,8 Milliarden Dollar.
Im Lower Ninth Ward gab und gibt es allerdings keine Pläne, neue Schulen zu eröffnen, klagt Vanessa Gueringer und steht kurz auf, um die Katze vor die Tür zu lassen. 500 Kinder stehen aktuell auf der Warteliste der King School. Viele Familien, die wegen der Zerstörung nach dem Hurrikan wegziehen mussten und ursprünglich wieder in ihren alten Bezirk zurückkehren wollten, machten einen Rückzieher, weil sie ihren Kindern die lange Anreise zur Schule nicht zumuten wollen. Man will uns loswerden, behaupten viele Einwohner und fühlten sich 2006, ein Jahr nach Katrina, bestätigt, als der republikanischen Kongressabgeordnete Richard Baker in einem Gespräch mit Lobbyisten sagte:
"Letztlich haben wir mit dem sozialen Wohnungsbau aufgeräumt. Wir haben es nicht geschafft, aber Gott hat es."
Ein Satz, der durch die Presse ging und in vielen von Afroamerikanern bewohnten Gebieten für Empörung sorgte. Tatsächlich ist die Stadt wohlhabender und weißer geworden nach Katrina. Heute leben knapp 207.000 Schwarze in New Orleans, im Jahr 2000 waren es noch 323.000.
Vanessa Gueringer: "Wir waren in dieser Stadt nicht willkommen. Von Anfang an war der Sturm eine Möglichkeit für diese Stadt, die große Zahl der Bewohner von Sozialbauten loszuwerden. Das war wie von Gott gesandt für diese Lokalpolitiker. Das war das erste; das zweite war, diese Gebiete werden immer wieder überflutet. Deshalb gehen wir auch weg. Also begannen sie mit ihren Wohnbauprojekten, und sie fingen an, diese grünen Punkte auf den Plänen zu verzeichnen: Hier wird eine Grünfläche entstehen und hier und hier."
Im benachbarten Viertel St. Bernard leben über 88 Prozent Weiße. Es gab ebenso viel Zerstörung und Überflutung wie im Lower Ninth Ward, dem Problemviertel der Stadt. In St. Bernard allerdings gibt es sie, die neuen Schulen, Geschäfte und Restaurants. "Auf unsere Kosten", ist Vanessa überzeugt, die sich als Vizepräsidentin auch bei der Organisation ACORN für leistbare Wohnungen für Einkommensschwache einsetzt:
"Wir haben viele Dinge verändert. Ich meine, allein die Tatsache, dass wir hier in meiner Küche sitzen, ist ein großer Sieg, weil wir um diesen Sieg gekämpft haben. Als man uns sagte: euer Viertel wird in Grünflächen umgewandelt, sagten wir sofort: Was meint ihr damit? Andere können in ihre Häuser zurück und wir nicht? In unser Eigentum? Also war das sofort eine Schlacht. Eine riesige Schlacht an jeder Front. Und wir wollen das Recht, in unsere Viertel zurückzukehren. Als wir zurückgekommen sind, sagten sie: Ja, ihr könnt einen Wohnwagen auf diese Seite der Gemeinde stellen, aber nicht auf die andere, weil das Wasser nicht als unbedenklich zertifiziert wurde. Und wir antworteten: Alle Rohre sind miteinander verbunden, wie könnt ihr uns erzählen, dass das Wasser bei uns nicht trinkbar ist? Also haben wir diese Schlacht geschlagen und einen Sieg errungen und FEMA hat Wohnwagen auf der Nordseite aufgestellt."
FEMA ist die viel kritisierte Federal Emergency Management Agency. Die nationale Koordinationsstelle für Katastrophenhilfe wurde bis zum Hurrikan von Amateuren geleitet und war 2005 mit dem Ausmaß an Zerstörung ganzer Stadtteile überfordert. Sie befand sich dabei in guter Gesellschaft mit der damaligen demokratischen Stadtregierung unter Bürgermeister Ray Nagin und diversen Lokalpolitikern sowie mit der Regierung in Washington.
Henry Irving wird von den Einheimischen inoffiziell der "Bürgermeister des Lower Ninth Ward” genannt. Der gemütliche ältere Herr mit weißen Haaren liebt den Blues und pfeift zu der CD, die bei ihm immer im Auto läuft. Er kennt Gott und die Welt und weiß zu jeder Familie hier eine Geschichte. Viele Leute winken ihm im Auto zu, als er durch die Straßen fährt. Hie und da hält er an, plaudert ein paar Worte mit ihnen. Das Haus des 76-Jährigen ist das letzte der Straße, rundherum leere Grünfläche, alles Grundstücke, die ehemals bebaut waren.
Henry Irving: "Sehen Sie, vor 5, 6 Jahren gab es hier eine Diskussion um öffentliche Grünflächen. Sie wollten uns einfach nicht zurückkehren lassen. Ich habe einmal gehört und ich kann keinen bestimmten Namen nennen, dass jemand sein Lebensmittelgeschäft nach Katrina wieder aufsperren wollte. Ihm wurde gesagt: Machen Sie das nicht, weil wir werden die nicht zurückkommen lassen."
Viele Sozialbauten, die Katrina zerstörte, wurden erst gar nicht wieder aufgebaut und abgerissen. Von ehemals 6.600 Sozialbau-Wohneinheiten sind nach den Sanierungen in ganz New Orleans nur noch etwa 2.700 übrig geblieben, die neu errichteten 1.800 Wohnungen werden zum Marktpreis vermietet. So beherbergte zum Beispiel die Wohnsiedlung St. Thomas 1.500 Wohnungseinheiten für Einkommensschwache. Katrina zerstörte St. Thomas weitgehend, im 2009 eröffneten Komplex "River Gardens” gibt es nur noch 150 solcher Wohneinheiten. Mit Projekten wie "River Gardens" will die Stadtregierung, die seit 2010 dem demokratischen Bürgermeister Mitch Landrieu untersteht, die Gebiete aufwerten. Kritik musste er unlängst auch für seine Pläne einstecken, Geld für die Erneuerung der Straßen des Bezirkes anstatt für eine Klinik oder neue Schulen auszugeben.
Für Henry Irving steckt allerdings Kalkül hinter diesen Plänen, denn Misstrauen und Ängste sind geblieben. Relikte aus einer Zeit, als 1927 Deiche absichtlich gesprengt wurden, um die von Weißen bewohnten Gebiete vor der Flut zu schützen, oder als schwarze Menschen 2005 während Katrina in New Orleans keinen Einlass in den Zufluchtsort, das Stadion Superdome, fanden.
Henry Irving: "Die Weißen sind die Minderheit, aber sie sind die dominierende Bevölkerung hier. Wir Schwarzen stimmen nicht gemeinsam, wir sind zu gespalten. Wir haben einen Staatsanwalt und einen Bürgermeister, die weiß sind. Ich habe Fotos von uns, wie wir auf der Veranda sitzen und reden. Wissen Sie, Gott hat mich nicht ohne Grund auf der Welt gelassen. Rassismus ist eine Sache, die nie ausstirbt. Er ist für eine Zeit lang eingeschlafen, aber hier und da hebt er seinen Kopf wieder. Wissen Sie, was im Superdome passiert ist, hätte nie passieren dürfen. Die Regierung und alle anderen waren nicht vorbereitet auf so etwas. Selbst Hurrikan Betsy war nicht so schlimm oder Andrew. Aber wir hatten dieses Problem noch nie gehabt und dann wiederum wurden viele Probleme von Menschen selbst verursacht."
Viele Hausbesitzer in den sogenannten schlechteren Vierteln etwa bekamen nach den Überflutungen von vornherein geringere Kompensationen, hatten aber dieselben Handwerkskosten wie die Hausbesitzer in reicheren Gegenden. Zur Naturkatastrophe kamen persönliche Schicksalsschläge. Der Tod von Angehörigen, die Ignoranz der Behörden, der Verlust des eigenen Heims. Manche hatten dazu das Pech, von Handwerkern betrogen zu werden. Arbeiter verschwanden mit dem vorgeschossenen Geld auf Nimmerwiedersehen. Für viele der Mindestverdiener oder Arbeitslosen war ein Wiederaufbau damit ausgeschlossen.
Solche Geschichten kennt Katy Reckdahl. Bis vor einem halben Jahr arbeitete die energische Alleinerziehende als Journalistin bei der New Orleanser Zeitung "Times Picayune" und war spezialisiert auf Themen wie Wohnungsbau und Obdachlosigkeit. Nach einem Eigentümerwechsel erscheint die Zeitung nur noch drei Mal wöchentlich statt täglich, hat den Internetauftritt fokussiert und das Team reduziert. Sie war unter jenen, die den Hut nehmen mussten. Heute arbeitet Katy Reckdahl für Unity, eine Organisation, die Obdachlosigkeit bekämpft:
"Noch immer herrscht ein großer Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Ich arbeite jetzt für Unity, die ehemaligen Obdachlosen Wohnungen besorgt, und sie hat ein Haus gebaut mit 30 Wohnungen für ehemaligen Obdachlose und 30 für einkommensschwache Leute – so wie die Frau, die Ihnen im Hotel das Bett macht. Einige Woche nach der Eröffnung wurde die Warteliste mit über 500 Anmeldungen geschlossen. Die Mittelschicht findet inzwischen wieder Wohnungen, aber die Mindestverdiener haben Schwierigkeiten, ihre Miete zu zahlen."
Katy Reckdahl glaubt weniger an bloßen Rassismus als vielmehr an mühselige Bürokratie, wenn es um mangelnde Kooperation mit dem Lower Ninth Ward, dem Problembezirk im Südosten der Stadt, geht. Diskriminierung gebe es natürlich schon, sagt sie, aber die Unfähigkeit der Regierung zu handeln könne – alles in allem – als eine Überforderung des Verwaltungsapparats gepaart mit Überheblichkeit verstanden werden.
Katy Reckdahl: "Ich weiß nicht, ob das stimmt oder nicht – aber das Endresultat, denke ich, ist, dass die arme Bevölkerung, und die ist in New Orleans zumeist schwarz, am schwersten betroffen war und es am schwersten hatte zurückzukommen. 99 Prozent derer, die in Sozialwohnungen leben, waren schwarz, deshalb verwundert es nicht, dass die Schwarzen am schwersten von Katrina getroffen wurden. Weiße litten auch, natürlich, aber weil die Armen meist schwarz sind in New Orleans, litten sie schlimmer."
Sieben Jahre ist es jetzt her, dass 80 Prozent der Stadt am Mississippi durch den verheerenden Hurrikan Katrina überflutet wurden, dass New Orleans nicht aus den weltweiten Schlagzeilen kam, 1.800 Menschen starben und eine Million Menschen im Staat Louisiana obdachlos wurden. Vor Katrina lebten im Ninth Ward, dem geografisch größten Distrikt der Stadt, etwa 100.000 Einwohner beziehungsweise 15.000 Familien, heute sind es nur noch 6.000 Familien. Viele Einwohner, vor allem Afroamerikaner, kehrten nach Katrina nicht hierher zurück, weil sie es sich nicht leisten konnten, ihre zerstörten Häuser zunächst selbstfinanziert wieder aufzubauen, bevor Hilfe aus dem staatlichen Renovierungsfonds eintraf. Sie leben inzwischen verstreut überall in den USA, wo sie versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen.
Am schlimmsten betroffen von Katrina war der sogenannte Lower Ninth Ward, der als Problemviertel mit hoher Kriminalität und schwindender Einwohnerzahl gilt. Hier wohnen ebenfalls hauptsächlich Afroamerikaner. In der Tupelo Straße lebt Vanessa Gueringer mit ihrem Mann und den beiden Kindern im Teenageralter in ihrem inzwischen wieder renovierten Haus. Die Innenräume hatte das Wasser fast gänzlich zerstört, die Wände schimmelten. Zwar hat das Aufräumen Monate gedauert, die Renovierung mehr als ein Jahr, aber die Gueringers hatten Glück im Unglück: Sie bekamen dafür Geld aus verschiedenen Kompensationstöpfen.
Die Afroamerikanerin war vor Katrina Hausfrau und Mutter, heute ist Vanessa das, was man eine toughe Aktivistin nennt. Die temperamentvolle Endvierzigerin sitzt in ihrer modernen Küche und gestikuliert lebhaft mit beiden Händen, um zu beschreiben, was sie in den vergangenen sieben Jahren an Ungerechtigkeit erlebt hat. Seit dem Hurrikan engagiert sie sich für eine Aufwertung ihres Wohnviertels, kämpfte schon für die Wiederinbetriebnahme der Müllabfuhr und den Anschluss an das Wasser- und Telefonnetz, das die Stadtpolitiker nach Katrina ausgesetzt hatten. Sie gießt sich Kaffee nach.
Vanessa Gueringer: "Die Grundsteuer hat sich verdreifacht, seit wir nach Katrina zurückgekommen sind. Gerade jetzt wehren wir uns gegen die Tariferhöhung des Wassers, die in fünf oder zehn Jahren so hoch wäre, dass sie sich viele nicht leisten werden können. Wir glauben, dass diese Dinge absichtlich geschehen, um uns zu sagen: Es sind nicht genug von euch weggeblieben und wir möchten, dass ihr wisst, wenn ihr nicht irgendwo außerhalb der Stadt leben wollt, werdet ihr es euch hier nicht mehr leisten können. Und das ist es, was hier geschieht."
Vanessa Gueringer sitzt im Vorstand verschiedener sozialer Gruppierungen wie "A Community Voice", filmt mit ihrer Videokamera die Missstände in ihrem riesigen Bezirk und veröffentlicht sie auf YouTube. Vor Katrina gab es fünf Schulen im Lower Ninth Ward. Alle waren sie überflutet worden, aber nur eine – die Martin Luther King Charter School – wurde wieder aufgebaut. Ein großer Teil der Kinder muss nun in die Schulen benachbarter Bezirke fahren und pro Wegstrecke bis zu zwei Stunden täglich zurücklegen. Über 94 Millionen Dollar wurden für die durch den Hurrikan beschädigten Schulen von der Regierung in Washington zur Verfügung gestellt. In den Wiederaufbau der King School flossen davon weniger als zehn Millionen Dollar. Die Investitionen generell für die Errichtung neuer Schulen in New Orleans betrugen 1,8 Milliarden Dollar.
Im Lower Ninth Ward gab und gibt es allerdings keine Pläne, neue Schulen zu eröffnen, klagt Vanessa Gueringer und steht kurz auf, um die Katze vor die Tür zu lassen. 500 Kinder stehen aktuell auf der Warteliste der King School. Viele Familien, die wegen der Zerstörung nach dem Hurrikan wegziehen mussten und ursprünglich wieder in ihren alten Bezirk zurückkehren wollten, machten einen Rückzieher, weil sie ihren Kindern die lange Anreise zur Schule nicht zumuten wollen. Man will uns loswerden, behaupten viele Einwohner und fühlten sich 2006, ein Jahr nach Katrina, bestätigt, als der republikanischen Kongressabgeordnete Richard Baker in einem Gespräch mit Lobbyisten sagte:
"Letztlich haben wir mit dem sozialen Wohnungsbau aufgeräumt. Wir haben es nicht geschafft, aber Gott hat es."
Ein Satz, der durch die Presse ging und in vielen von Afroamerikanern bewohnten Gebieten für Empörung sorgte. Tatsächlich ist die Stadt wohlhabender und weißer geworden nach Katrina. Heute leben knapp 207.000 Schwarze in New Orleans, im Jahr 2000 waren es noch 323.000.
Vanessa Gueringer: "Wir waren in dieser Stadt nicht willkommen. Von Anfang an war der Sturm eine Möglichkeit für diese Stadt, die große Zahl der Bewohner von Sozialbauten loszuwerden. Das war wie von Gott gesandt für diese Lokalpolitiker. Das war das erste; das zweite war, diese Gebiete werden immer wieder überflutet. Deshalb gehen wir auch weg. Also begannen sie mit ihren Wohnbauprojekten, und sie fingen an, diese grünen Punkte auf den Plänen zu verzeichnen: Hier wird eine Grünfläche entstehen und hier und hier."
Im benachbarten Viertel St. Bernard leben über 88 Prozent Weiße. Es gab ebenso viel Zerstörung und Überflutung wie im Lower Ninth Ward, dem Problemviertel der Stadt. In St. Bernard allerdings gibt es sie, die neuen Schulen, Geschäfte und Restaurants. "Auf unsere Kosten", ist Vanessa überzeugt, die sich als Vizepräsidentin auch bei der Organisation ACORN für leistbare Wohnungen für Einkommensschwache einsetzt:
"Wir haben viele Dinge verändert. Ich meine, allein die Tatsache, dass wir hier in meiner Küche sitzen, ist ein großer Sieg, weil wir um diesen Sieg gekämpft haben. Als man uns sagte: euer Viertel wird in Grünflächen umgewandelt, sagten wir sofort: Was meint ihr damit? Andere können in ihre Häuser zurück und wir nicht? In unser Eigentum? Also war das sofort eine Schlacht. Eine riesige Schlacht an jeder Front. Und wir wollen das Recht, in unsere Viertel zurückzukehren. Als wir zurückgekommen sind, sagten sie: Ja, ihr könnt einen Wohnwagen auf diese Seite der Gemeinde stellen, aber nicht auf die andere, weil das Wasser nicht als unbedenklich zertifiziert wurde. Und wir antworteten: Alle Rohre sind miteinander verbunden, wie könnt ihr uns erzählen, dass das Wasser bei uns nicht trinkbar ist? Also haben wir diese Schlacht geschlagen und einen Sieg errungen und FEMA hat Wohnwagen auf der Nordseite aufgestellt."
FEMA ist die viel kritisierte Federal Emergency Management Agency. Die nationale Koordinationsstelle für Katastrophenhilfe wurde bis zum Hurrikan von Amateuren geleitet und war 2005 mit dem Ausmaß an Zerstörung ganzer Stadtteile überfordert. Sie befand sich dabei in guter Gesellschaft mit der damaligen demokratischen Stadtregierung unter Bürgermeister Ray Nagin und diversen Lokalpolitikern sowie mit der Regierung in Washington.
Henry Irving wird von den Einheimischen inoffiziell der "Bürgermeister des Lower Ninth Ward” genannt. Der gemütliche ältere Herr mit weißen Haaren liebt den Blues und pfeift zu der CD, die bei ihm immer im Auto läuft. Er kennt Gott und die Welt und weiß zu jeder Familie hier eine Geschichte. Viele Leute winken ihm im Auto zu, als er durch die Straßen fährt. Hie und da hält er an, plaudert ein paar Worte mit ihnen. Das Haus des 76-Jährigen ist das letzte der Straße, rundherum leere Grünfläche, alles Grundstücke, die ehemals bebaut waren.
Henry Irving: "Sehen Sie, vor 5, 6 Jahren gab es hier eine Diskussion um öffentliche Grünflächen. Sie wollten uns einfach nicht zurückkehren lassen. Ich habe einmal gehört und ich kann keinen bestimmten Namen nennen, dass jemand sein Lebensmittelgeschäft nach Katrina wieder aufsperren wollte. Ihm wurde gesagt: Machen Sie das nicht, weil wir werden die nicht zurückkommen lassen."
Viele Sozialbauten, die Katrina zerstörte, wurden erst gar nicht wieder aufgebaut und abgerissen. Von ehemals 6.600 Sozialbau-Wohneinheiten sind nach den Sanierungen in ganz New Orleans nur noch etwa 2.700 übrig geblieben, die neu errichteten 1.800 Wohnungen werden zum Marktpreis vermietet. So beherbergte zum Beispiel die Wohnsiedlung St. Thomas 1.500 Wohnungseinheiten für Einkommensschwache. Katrina zerstörte St. Thomas weitgehend, im 2009 eröffneten Komplex "River Gardens” gibt es nur noch 150 solcher Wohneinheiten. Mit Projekten wie "River Gardens" will die Stadtregierung, die seit 2010 dem demokratischen Bürgermeister Mitch Landrieu untersteht, die Gebiete aufwerten. Kritik musste er unlängst auch für seine Pläne einstecken, Geld für die Erneuerung der Straßen des Bezirkes anstatt für eine Klinik oder neue Schulen auszugeben.
Für Henry Irving steckt allerdings Kalkül hinter diesen Plänen, denn Misstrauen und Ängste sind geblieben. Relikte aus einer Zeit, als 1927 Deiche absichtlich gesprengt wurden, um die von Weißen bewohnten Gebiete vor der Flut zu schützen, oder als schwarze Menschen 2005 während Katrina in New Orleans keinen Einlass in den Zufluchtsort, das Stadion Superdome, fanden.
Henry Irving: "Die Weißen sind die Minderheit, aber sie sind die dominierende Bevölkerung hier. Wir Schwarzen stimmen nicht gemeinsam, wir sind zu gespalten. Wir haben einen Staatsanwalt und einen Bürgermeister, die weiß sind. Ich habe Fotos von uns, wie wir auf der Veranda sitzen und reden. Wissen Sie, Gott hat mich nicht ohne Grund auf der Welt gelassen. Rassismus ist eine Sache, die nie ausstirbt. Er ist für eine Zeit lang eingeschlafen, aber hier und da hebt er seinen Kopf wieder. Wissen Sie, was im Superdome passiert ist, hätte nie passieren dürfen. Die Regierung und alle anderen waren nicht vorbereitet auf so etwas. Selbst Hurrikan Betsy war nicht so schlimm oder Andrew. Aber wir hatten dieses Problem noch nie gehabt und dann wiederum wurden viele Probleme von Menschen selbst verursacht."
Viele Hausbesitzer in den sogenannten schlechteren Vierteln etwa bekamen nach den Überflutungen von vornherein geringere Kompensationen, hatten aber dieselben Handwerkskosten wie die Hausbesitzer in reicheren Gegenden. Zur Naturkatastrophe kamen persönliche Schicksalsschläge. Der Tod von Angehörigen, die Ignoranz der Behörden, der Verlust des eigenen Heims. Manche hatten dazu das Pech, von Handwerkern betrogen zu werden. Arbeiter verschwanden mit dem vorgeschossenen Geld auf Nimmerwiedersehen. Für viele der Mindestverdiener oder Arbeitslosen war ein Wiederaufbau damit ausgeschlossen.
Solche Geschichten kennt Katy Reckdahl. Bis vor einem halben Jahr arbeitete die energische Alleinerziehende als Journalistin bei der New Orleanser Zeitung "Times Picayune" und war spezialisiert auf Themen wie Wohnungsbau und Obdachlosigkeit. Nach einem Eigentümerwechsel erscheint die Zeitung nur noch drei Mal wöchentlich statt täglich, hat den Internetauftritt fokussiert und das Team reduziert. Sie war unter jenen, die den Hut nehmen mussten. Heute arbeitet Katy Reckdahl für Unity, eine Organisation, die Obdachlosigkeit bekämpft:
"Noch immer herrscht ein großer Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Ich arbeite jetzt für Unity, die ehemaligen Obdachlosen Wohnungen besorgt, und sie hat ein Haus gebaut mit 30 Wohnungen für ehemaligen Obdachlose und 30 für einkommensschwache Leute – so wie die Frau, die Ihnen im Hotel das Bett macht. Einige Woche nach der Eröffnung wurde die Warteliste mit über 500 Anmeldungen geschlossen. Die Mittelschicht findet inzwischen wieder Wohnungen, aber die Mindestverdiener haben Schwierigkeiten, ihre Miete zu zahlen."
Katy Reckdahl glaubt weniger an bloßen Rassismus als vielmehr an mühselige Bürokratie, wenn es um mangelnde Kooperation mit dem Lower Ninth Ward, dem Problembezirk im Südosten der Stadt, geht. Diskriminierung gebe es natürlich schon, sagt sie, aber die Unfähigkeit der Regierung zu handeln könne – alles in allem – als eine Überforderung des Verwaltungsapparats gepaart mit Überheblichkeit verstanden werden.
Katy Reckdahl: "Ich weiß nicht, ob das stimmt oder nicht – aber das Endresultat, denke ich, ist, dass die arme Bevölkerung, und die ist in New Orleans zumeist schwarz, am schwersten betroffen war und es am schwersten hatte zurückzukommen. 99 Prozent derer, die in Sozialwohnungen leben, waren schwarz, deshalb verwundert es nicht, dass die Schwarzen am schwersten von Katrina getroffen wurden. Weiße litten auch, natürlich, aber weil die Armen meist schwarz sind in New Orleans, litten sie schlimmer."