Was macht eigentlich das nordische Kino so gut? Oder anders gefragt: Auf welche Zutaten greifen die skandinavischen Filmemacher eigentlich zurück? Johannes Kulms hat sich das Programm der 58. Ausgabe der Nordischen Filmtage in Lübeck näher angesehen.
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Aus der Keksfabrik auf den Regiestuhl
Der große Erfolg von "Essen Schlafen Sterben" hat die Regisseurin Gabriela Pichler selbst überrascht: Ihr preisgekröntes Langfilm-Debüt handelt vom Leben der Einwanderer in Schweden. Das Thema lässt sie auch bei ihrem nächsten Projekt nicht los.
"Es ist recht verrückt, dass ich künstlerisch arbeite ... weil das war nie in meiner Umgebung eine Alternative. Und eigentlich wollte ich ja Fernfahrer werden, weil mein Vater war das eine Zeit und da kam er immer rum in der Welt, er war in Russland, er war in Schweden mit dem LKW und da wollte ich auch die Welt entdecken."
Fernfahrerin ist Gabriela Pichler nicht geworden. Stattdessen wurde sie Regisseurin - und zählt mit 36 Jahren zu den Nachwuchshoffnungen des schwedischen Kinos.
Gleich ihr erster langer Spielfilm brachte für Pichler den Durchbruch: "Äta Sova dö", zu deutsch "Essen Schlafen Sterben" wurde zwei Mal mit dem wichtigsten schwedischen Filmpreis Guldbagge ausgezeichnet und erhielt außerdem den Publikumspreis bei den Filmfestspielen in Venedig.
Im Mittelpunkt steht die 20-jährige Raša. Raša stammt aus Montenegro und lebt mit ihrem Vater zusammen in einem südschwedischen Kaff. Als Raša ihren Job in einer Salatfabrik verliert, bekommt sie zu spüren, dass es mit der vermeintlich so offenen schwedischen Gesellschaft nicht weit her ist.
Der Film ist eher düster, dennoch schwingt immer auch eine gute Portion Humor mit.
Mit leuchtenden Augen und ansteckendem Lachen
Ansteckend ist auch das Lachen der großgewachsenen Frau im Kapuzenpulli auf dem Sofa in der Eingangslobby des schicken Göteborger Hotels.
Pichlers Augen leuchten, wenn sie erzählt - von ihrem österreichischen Vater, der bosnischen Mutter, die beide in den 70er-Jahren nach Schweden kamen:
"Das war halt irgendwie ein Land voller Hoffnungen. Und die verlangten Arbeitskraft. Mein Vater hat als Bauarbeiter gearbeitet und meine Mutter als Putzfrau im Industriebereich und so, Büros."
Pichler kommt 1980 zur Welt und wächst in einem südschwedischen Vorort auf. Die meisten ihrer Mitschüler haben wie sie ausländische Wurzeln:
"Ich glaube, in meine Klasse gingen 24 Studenten, davon waren vielleicht zwei Schweden. Für mich war das das Paradies. Weil man konnte nie irgendwie anders sein. Alle waren irgendwie anders. Ich sagte immer, ich kann acht, neun Sprachen, aha, was kannst du denn? Ich sage, finnisch, türkisch (lacht)."
Auch die meisten Kolleginnen und Kollegen von Pichlers Filmfigur Raša haben einen Migrationshintergrund. Und müssen in der Fabrik hart arbeiten: Salatblätter sortieren, in Plastikschalen verpacken und diese in noch größere Kisten verstauen. Arbeit im Akkord kennt auch die junge Regisseurin. Von ihrem ersten richtigen Job nach der Schule:
"Auf der Seite habe ich dann immer in einer Plätzchenfabrik gearbeitet, die haben Kekse gemacht. Und ich stand bei dem Fließband und habe die gepackt."
Aus Rache auf die Uni
"Wenn ich mit meiner Freundin dann irgendwie rausgegangen bin am Wochenende und man traf wen und er fragt, 'Was machst du denn?' Und ich musste erzählen, dass ich Plätzchen packe bei einer Fabrik, dann war das selten irgendwas, was imponiert hat. Und ich habe da auch einen Minderwertigkeitskomplex, dass keiner das interessant findet. Oder man glaubt, man ist nicht genug intelligent, darum muss man dort arbeiten."
Sie will raus aus der Fabrik. Und fragt sich irgendwann: Warum nicht Film und Literatur studieren? Damit die anderen sehen, was in ihr steckt.
"Das war auch eine Revanche, dass ich das irgendwie von drinnen her zeigen kann. Und auch, welches Talent Leute haben dort drinnen. Und ich glaube, in einer Szene sagt Raša, sie kann, ich weiß nicht, 150 Gramm mit ihrer Hand wiegen ohne zu kontrollieren, ob es stimmt. Weil sie spürt das in den Händen. Und das war bei mir auch so und bei den anderen, die dort gearbeitet haben."
In den Semesterferien jobbt sie weiter in der Keksfabrik. Der Erfolg von "Essen Schlafen Sterben" überrascht sie selbst:
"Ich bin aufgewachsenen mit schwedischen Filmen, die sehr wenig irgendwas über mein Leben gesagt haben. Also, das waren selten Leute mit migrierten Eltern oder anderen Sprachen. Darum war es noch wichtiger für mich, meine Perspektive irgendwie zu thematisieren."
Angst vor faschistischen Tendenzen
Momentan treibt sie das Thema Flüchtlinge um – oder besser der restriktive Kurs der schwedischen Regierung im Umgang mit Flüchtlingen. Woher dieser Wandel in der Einwanderungspolitik kommt, das will sie auch ein Stück weit mit ihrem neuesten Projekt ergründen: Ein Spielfilm, in dem es vor allem um die schwedische Identität gehen wird.
Irgendwie passend, dass sie dafür ins Schwedische wechselt:
"Ich habe Angst, dass die faschistischen Tendenzen wachsen. Aber Angst kann ja auch die Kampfeslust wecken und den Mut stärken, sich noch mehr für die Gegenseite zu engagieren. Aus Angst kann ja auch Empathie und Mitmenschlichkeit werden."