Die Schweiz im Zweiten Weltkrieg
Das Buch von Thomas Maissen stellt ausführlich die Auseinandersetzungen um die nachrichtenlosen Vermögen von Holocaust-Opfern und das Verhalten der Schweiz im Zweiten Weltkrieg dar. Ausgehend von Interviews, die mit den Protagonisten der Auseinandersetzungen geführt wurden, hat der Autor ein tiefgründiges Werk geschaffen.
1,25 Milliarden Dollar - diese astronomische Summe mussten Schweizer Banken nach einem gerichtlichen Vergleich vom August 1998 an Nachkommen jüdischer NS-Opfer zahlen. Wie kam es dazu?
Die Schweiz, das denkt man gern und vor allem glauben dies die Schweizer selbst, spielte zur Zeit des Faschismus eine rühmliche Ausnahmerolle; am deutschen Eroberungskrieg und am Vernichtungsfeldzug gegen die Juden war der neutrale Kleinstaat – Sinnbild der Demokratie in Europa, Hort des Humanismus – angeblich nicht einmal indirekt beteiligt.
Ein Mythos.
Die Wirklichkeit sah anders aus. Es gab Kollaborateure, Nutznießer und Geschäftemacher, in Armee, Staat und Industrie.
Kritiker aus aller Welt haben auf die Kluft zwischen Schein und Sein beständig hingewiesen.
Israel Singer, der Vorsitzende des Jüdischen Weltkongresses, betonte kürzlich, "that Swiss 'neutrality' in the face of evil was a crime" ("dass die Schweizer ‚Neutralität’ im Angesicht des Bösen ein Verbrechen war").
Mittlerweile ist erwiesen: Auch Schweizer Banken verdienten an den Beutezügen der Nazis. Sie verwalteten die Konten der Täter - und die Tausender verfolgter Juden. Seit 1945 und verstärkt seit 1989 machten Gerüchte die Runde, es gebe in helvetischen Tresoren "nachrichtenlose Vermögen" von Holocaust-Opfern, Geld- und Sachwerte in Millionenhöhe, um die die Erben von den Banken geprellt worden seien. Jüdische Organisationen und Juristen verlangten von den Bankhäusern die Herausgabe der Opfer-Guthaben, zumindest aber eine Geste des Bedauerns und der Wiedergutmachung durch Einrichtung eines Fonds zugunsten der Nachkommen. Doch die Finanzinstitute lehnten ab. Erst Sammelklagen in den USA bewegten sie zum Einlenken; am Ende stand der Vergleich von 1998...
In der Schweiz ist der Streit um die "nachrichtenlosen Vermögen", um das Raubgold und die fragwürdige Flüchtlingspolitik nach 1995 rasch ausgeufert zu einer veritablen, in aggressivem Ton geführten "Weltkriegsdebatte".
Außenpolitisch geriet das Land durch die rechthaberische und selbstgefällige Haltung von Bankiers und Politikern in die größte Krise seit 1945. Das Image des Kleinstaats erlitt einen dauerhaften Schaden.
Der Schweizer Historiker Thomas Maissen, Jahrgang 1962, hat die Konfrontation in einer 700 Seiten starken Monographie rekonstruiert. Über weite Strecken liest sich die Arbeit wie ein Thriller. Die Debatte der Neunziger begleitete Maissen als Mitarbeiter der "Neuen Zürcher Zeitung" in zahlreichen Artikeln. Heute ist er ordentlicher Professor für Neuere Geschichte an der Universität Heidelberg.
"Verweigerte Erinnerung"?
Der Titel von Maissens Studie zielt nicht nur auf das Verhalten der Banker im Vermögensstreit. Ausdrücklich, so der Autor, sei dies "ein Buch über die Schweiz und die Schweizer".
"Man kann es nicht deutlich genug sagen: Bei der Auseinandersetzung mit jüdischen Organisationen ging es letztlich nicht um die Sünden der Vergangenheit. Sie waren Ausgangspunkt und Thema des Konflikts, aber nicht dessen Motor. Diesen lieferte das Verhalten von repräsentativen Schweizern in den Jahren ab 1995. Sie verweigerten sich ausdrücklich, durch Worte und Gesten, einer Umschreibung ihrer Geschichte."
Thomas Maissen: "Verweigerte Erinnerung. Nachrichtenlose
Vermögen und die Schweizer Weltkriegsdebatte 1989-2004"
Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2005. 729 Seiten, € 47,00.
Die Schweiz, das denkt man gern und vor allem glauben dies die Schweizer selbst, spielte zur Zeit des Faschismus eine rühmliche Ausnahmerolle; am deutschen Eroberungskrieg und am Vernichtungsfeldzug gegen die Juden war der neutrale Kleinstaat – Sinnbild der Demokratie in Europa, Hort des Humanismus – angeblich nicht einmal indirekt beteiligt.
Ein Mythos.
Die Wirklichkeit sah anders aus. Es gab Kollaborateure, Nutznießer und Geschäftemacher, in Armee, Staat und Industrie.
Kritiker aus aller Welt haben auf die Kluft zwischen Schein und Sein beständig hingewiesen.
Israel Singer, der Vorsitzende des Jüdischen Weltkongresses, betonte kürzlich, "that Swiss 'neutrality' in the face of evil was a crime" ("dass die Schweizer ‚Neutralität’ im Angesicht des Bösen ein Verbrechen war").
Mittlerweile ist erwiesen: Auch Schweizer Banken verdienten an den Beutezügen der Nazis. Sie verwalteten die Konten der Täter - und die Tausender verfolgter Juden. Seit 1945 und verstärkt seit 1989 machten Gerüchte die Runde, es gebe in helvetischen Tresoren "nachrichtenlose Vermögen" von Holocaust-Opfern, Geld- und Sachwerte in Millionenhöhe, um die die Erben von den Banken geprellt worden seien. Jüdische Organisationen und Juristen verlangten von den Bankhäusern die Herausgabe der Opfer-Guthaben, zumindest aber eine Geste des Bedauerns und der Wiedergutmachung durch Einrichtung eines Fonds zugunsten der Nachkommen. Doch die Finanzinstitute lehnten ab. Erst Sammelklagen in den USA bewegten sie zum Einlenken; am Ende stand der Vergleich von 1998...
In der Schweiz ist der Streit um die "nachrichtenlosen Vermögen", um das Raubgold und die fragwürdige Flüchtlingspolitik nach 1995 rasch ausgeufert zu einer veritablen, in aggressivem Ton geführten "Weltkriegsdebatte".
Außenpolitisch geriet das Land durch die rechthaberische und selbstgefällige Haltung von Bankiers und Politikern in die größte Krise seit 1945. Das Image des Kleinstaats erlitt einen dauerhaften Schaden.
Der Schweizer Historiker Thomas Maissen, Jahrgang 1962, hat die Konfrontation in einer 700 Seiten starken Monographie rekonstruiert. Über weite Strecken liest sich die Arbeit wie ein Thriller. Die Debatte der Neunziger begleitete Maissen als Mitarbeiter der "Neuen Zürcher Zeitung" in zahlreichen Artikeln. Heute ist er ordentlicher Professor für Neuere Geschichte an der Universität Heidelberg.
"Verweigerte Erinnerung"?
Der Titel von Maissens Studie zielt nicht nur auf das Verhalten der Banker im Vermögensstreit. Ausdrücklich, so der Autor, sei dies "ein Buch über die Schweiz und die Schweizer".
"Man kann es nicht deutlich genug sagen: Bei der Auseinandersetzung mit jüdischen Organisationen ging es letztlich nicht um die Sünden der Vergangenheit. Sie waren Ausgangspunkt und Thema des Konflikts, aber nicht dessen Motor. Diesen lieferte das Verhalten von repräsentativen Schweizern in den Jahren ab 1995. Sie verweigerten sich ausdrücklich, durch Worte und Gesten, einer Umschreibung ihrer Geschichte."
Thomas Maissen: "Verweigerte Erinnerung. Nachrichtenlose
Vermögen und die Schweizer Weltkriegsdebatte 1989-2004"
Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2005. 729 Seiten, € 47,00.