Die Schwere der Vergangenheit vergessen
Aus Anlass des 50-jährigen Bestehens des Elysée-Vertrags verschwimmen auf der 55. Biennale die nationalen Grenzen. Die Deutsche Susanne Gaensheimer hat den französischen Pavillon kuratiert, die Französin Christine Macel den deutschen. Beide haben den Tausch als große Bereicherung empfunden.
Vladimir Balzer: Bei mir sind jetzt die beiden Kuratorinnen des französischen und des deutschen Pavillons, Christine Macel nämlich, die den französischen Pavillon respektive den deutschen betreibt und auch selber Chefkuratorin am Centre Pompidou ist in Paris. Anri Sala wird hier gezeigt, der Künstler, der Frankreich vertritt. Christine Macel, zunächst an Sie die Frage: Sind Sie glücklich mit dem Tausch.
Christine Macel: Auf jeden Fall. Dieser Tausch wurde uns von Deutschland und Frankreich vorgeschlagen. Susanne Gaensheimer und ich kennen uns als Kollegen schon seit einigen Jahren und hatten immer einen guten Austausch miteinander. Also sind wir sehr froh über diesen Tausch.
Balzer: Ist es denn trotzdem auch ein Pavillon, den Sie gerne bespielen? Er ist ja baulich auch ein bisschen anders, sehr viel strenger natürlich, der französische ist sehr viel leichter und luftiger. Gab es auch eine Herausforderung für Sie, diesen strengen, großen deutschen Pavillon zu bespielen?
Macel: Ja, trotz der aufgeladenen Geschichte des deutschen Pavillons ist die Architektur selbst sehr angenehm, um Kunst zu zeigen. Es ist also eher die Geschichte des Pavillons, die problematisch sein könnte, aber für uns war das überhaupt kein Thema. In Anri Salas Arbeit finden sich viele Aspekte, die sich mit Geschichte auseinandersetzen. Aber er hat den Raum durch Bögen verändert, wir haben die Fenster geöffnet, sodass Licht eindringen kann. Ich finde, es ist sehr schön geworden. Wir haben all das Massive, die Strenge, herausgenommen.
Balzer: Susanne Gaensheimer, wie fühlen Sie sich im französischen Pavillon? Da braucht es ja gar nicht die Schwere groß rauszunehmen, oder?
Susanne Gaensheimer: Ich finde, das ist wirklich eigentlich für mich der interessanteste Aspekt an diesem Tausch, dass man beobachten kann, was verändert sich eigentlich dadurch, dass man sich von seiner eigenen Nationalität löst, ja? Ich habe mich sehr wohl gefühlt im französischen Pavillon, ich habe keine Minute darüber nachdenken müssen, was für eine Geschichte das Gebäude hat.
Es ist einfach eine sehr harmonische Architektur, es sind vier fast gleichgroße Räume, ich konnte also sehr gut auch viel künstlerische Positionen unterbringen, jeder Position einen Raum geben, da gibt es auch keine Dominanz und keine Monumentalität. Und auch die Tatsache, dass es kein historisches Thema gibt, um das ich nicht drum herum komme als Kurator, war für mich wirklich eine Erleichterung, und ich finde es besonders schön zu sehen, wenn man sich die Arbeit von Anri Sala im deutschen Pavillon anschaut, mit welcher Freiheit, mit welchem freien Zugang er da etwas macht, wozu ich glaube, eine deutsche Künstlerin, ein deutscher Künstler oder auch ein deutscher Kurator gar nicht in der Lage wäre, nämlich überhaupt keine Minute über die Geschichte dieses Hauses nachzudenken, und einfach dieses unglaubliche Volumen dieses Raumes zu nützen, um etwas total Eigenständiges, Wunderschönes und auch wirklich sehr, sehr Eindrucksvolles zu machen.
Ich glaube ja, dass ein deutscher Künstler, eine deutsche Künstlerin sich gar nicht trauen würde, etwas Eindrucksvolles in diesem Sinn in diesem Gebäude zu machen. Insofern, das war eine total interessante Erfahrung, die durch diesen Tausch möglich wurde.
Balzer: Sie stimmen also zu, Christine Macel?
Macel: Ja, und ich denke, die nächsten deutschen Künstler, die den Pavillon bespielen, werden sich erinnern, was Anri Sala getan hat, und werden ein anderes Verhältnis zu dieser Architektur haben. Vielleicht können Sie sogar die Schwere der Vergangenheit vergessen. Ich mag es aber auch sehr zu sehen, was Susanne Gaensheimer im französischen Pavillon zeigt. Ich glaube, die Räume werden zum ersten Mal für vier verschiedene Positionen benutzt.
Normalerweise wählen wir immer nur einen Künstler aus, also hätten wir nie eine thematische Ausstellung gemacht. Besonders Ai Weiweis Installation ist fantastisch, wie das Licht durch den Raum und die Hocker fällt, wie ein Labyrinth, und auch eine Art von Kritik an der Globalisierung, denn die Hocker reflektieren die Tradition, die nun zerstört wird. All dies wäre in unserem System, nur einem Künstler zu zeigen, nicht zu sehen gewesen.
Christine Macel: Auf jeden Fall. Dieser Tausch wurde uns von Deutschland und Frankreich vorgeschlagen. Susanne Gaensheimer und ich kennen uns als Kollegen schon seit einigen Jahren und hatten immer einen guten Austausch miteinander. Also sind wir sehr froh über diesen Tausch.
Balzer: Ist es denn trotzdem auch ein Pavillon, den Sie gerne bespielen? Er ist ja baulich auch ein bisschen anders, sehr viel strenger natürlich, der französische ist sehr viel leichter und luftiger. Gab es auch eine Herausforderung für Sie, diesen strengen, großen deutschen Pavillon zu bespielen?
Macel: Ja, trotz der aufgeladenen Geschichte des deutschen Pavillons ist die Architektur selbst sehr angenehm, um Kunst zu zeigen. Es ist also eher die Geschichte des Pavillons, die problematisch sein könnte, aber für uns war das überhaupt kein Thema. In Anri Salas Arbeit finden sich viele Aspekte, die sich mit Geschichte auseinandersetzen. Aber er hat den Raum durch Bögen verändert, wir haben die Fenster geöffnet, sodass Licht eindringen kann. Ich finde, es ist sehr schön geworden. Wir haben all das Massive, die Strenge, herausgenommen.
Balzer: Susanne Gaensheimer, wie fühlen Sie sich im französischen Pavillon? Da braucht es ja gar nicht die Schwere groß rauszunehmen, oder?
Susanne Gaensheimer: Ich finde, das ist wirklich eigentlich für mich der interessanteste Aspekt an diesem Tausch, dass man beobachten kann, was verändert sich eigentlich dadurch, dass man sich von seiner eigenen Nationalität löst, ja? Ich habe mich sehr wohl gefühlt im französischen Pavillon, ich habe keine Minute darüber nachdenken müssen, was für eine Geschichte das Gebäude hat.
Es ist einfach eine sehr harmonische Architektur, es sind vier fast gleichgroße Räume, ich konnte also sehr gut auch viel künstlerische Positionen unterbringen, jeder Position einen Raum geben, da gibt es auch keine Dominanz und keine Monumentalität. Und auch die Tatsache, dass es kein historisches Thema gibt, um das ich nicht drum herum komme als Kurator, war für mich wirklich eine Erleichterung, und ich finde es besonders schön zu sehen, wenn man sich die Arbeit von Anri Sala im deutschen Pavillon anschaut, mit welcher Freiheit, mit welchem freien Zugang er da etwas macht, wozu ich glaube, eine deutsche Künstlerin, ein deutscher Künstler oder auch ein deutscher Kurator gar nicht in der Lage wäre, nämlich überhaupt keine Minute über die Geschichte dieses Hauses nachzudenken, und einfach dieses unglaubliche Volumen dieses Raumes zu nützen, um etwas total Eigenständiges, Wunderschönes und auch wirklich sehr, sehr Eindrucksvolles zu machen.
Ich glaube ja, dass ein deutscher Künstler, eine deutsche Künstlerin sich gar nicht trauen würde, etwas Eindrucksvolles in diesem Sinn in diesem Gebäude zu machen. Insofern, das war eine total interessante Erfahrung, die durch diesen Tausch möglich wurde.
Balzer: Sie stimmen also zu, Christine Macel?
Macel: Ja, und ich denke, die nächsten deutschen Künstler, die den Pavillon bespielen, werden sich erinnern, was Anri Sala getan hat, und werden ein anderes Verhältnis zu dieser Architektur haben. Vielleicht können Sie sogar die Schwere der Vergangenheit vergessen. Ich mag es aber auch sehr zu sehen, was Susanne Gaensheimer im französischen Pavillon zeigt. Ich glaube, die Räume werden zum ersten Mal für vier verschiedene Positionen benutzt.
Normalerweise wählen wir immer nur einen Künstler aus, also hätten wir nie eine thematische Ausstellung gemacht. Besonders Ai Weiweis Installation ist fantastisch, wie das Licht durch den Raum und die Hocker fällt, wie ein Labyrinth, und auch eine Art von Kritik an der Globalisierung, denn die Hocker reflektieren die Tradition, die nun zerstört wird. All dies wäre in unserem System, nur einem Künstler zu zeigen, nicht zu sehen gewesen.
"Kunst kann nicht über Nation definiert werden"
Balzer: Ist damit eigentlich die Idee eines nationalen Pavillons, vielleicht nationaler Repräsentationskunst, komplett obsolet?
Macel: Sie war schon immer obsolet. Ich erinnere gern an das, was der französische Surrealist André Breton in den 30er-Jahren schrieb, als er wie viele Künstler in Südfrankreich war: Kunst kann nicht über Nation definiert werden, sondern nur über Kultur. Was Susanne Gaensheimer und ich und die Künstler ausdrücken wollten, ist: Natürlich werden wir weiterhin auch Geschichte behandeln. Natürlich können wir uns auch verändern, wir sind ja flexibel. Aber niemals kann ein Künstler über Nation bestimmt werden, eher über seine Kultur, oder sogar über mehrere Kulturen. Ich mag das Wort multikulturell nicht, aber ich denke, wir alle sind zu komplex, als dass wir über Nationalität bestimmt werden könnten.
Balzer: Also diese Idee des Nationalen geht für Sie eigentlich eher auf in einer Vielgestaltigkeit, Vielkulturigkeit. Susanne Gaensheimer, Sie wollten noch was ergänzen?
Gaensheimer: Ja, also ich bin prinzipiell ganz der Meinung von Christine Macel, aber es ist natürlich auch interessant zu sehen, wie wichtig die Präsentation hier in Venedig für die Länder der Welt, denn es sind inzwischen 88 Länderpavillons, die im ganzen Stadtraum von Venedig verteilt sind. Das zeigt ja schon, dass es für alle möglichen Länder der Welt sehr, sehr wichtig ist, in diesem Forum präsent zu sein über die Kunst. Und ich finde, es geht ja nicht darum, dass man in einem Länderpavillon ausschließlich Künstler derselben Nation mit dem Passwort des jeweiligen Landes zeigt, sondern es geht darum, wie entscheidet sich ein Land, sich in einem bestimmten Jahr hier in diesem Kontext zu repräsentieren.
Es gibt ja viele Beispiele – Polen zum Beispiel letztes Jahr hat eine israelische Künstlerin gezeigt –, und das finde ich eben eigentlich total spannend zu sehen, wie die Länder sich entscheiden, denn jedes Land hat alle Möglichkeiten, sich in welcher Form, in welcher diversen Form auch immer über die Kunst zu repräsentieren, eine Aussage zu treffen über die Kunst, und das finde ich persönlich eigentlich eine sehr spannende Möglichkeit bei diesen Länderpavillons.
Balzer: Nun ist ja Ai Weiwei, Susanne Gaensheimer, ein Künstler, der in China ansässig ist, das wissen wir, jemand, der aber auch von der chinesischen Obrigkeit drangsaliert wird, der natürlich gerne hergekommen wäre, aber eben nicht ausreisen darf, auch immer wieder bedrängt worden ist und auch Hausarrest bekommen hatte. In welchem Verhältnis steht er für Sie eigentlich zu Deutschland? Wir wissen, dass er in Deutschland sehr stark wahrgenommen worden ist, dass der auf der documenta ausgestellt hat, dass er eine Professur in Berlin hat, aber dennoch: Wie würden Sie das Verhältnis zu Deutschland beschreiben von Ai Weiwei?
Gaensheimer: Ai Weiwei selber sagt von Deutschland, dass es für seine künstlerische Karriere das allerwichtigste Land war. Das finde ich ja schon eine Aussage, die für uns wichtig ist. Die drei internationalen Künstler im deutschen Pavillon, Dayanita Singh, Santu Mofokeng und Ai Weiwei, sind alle in einer solchen Weise mit Deutschland verbunden, dass sie teilhaben an dem institutionellen Kunstleben bei uns, Teil eigentlich auch einer Kunstszene sind, und ich finde, das ist einfach ein Ausdruck einer Diversität, einer kulturellen Vielfalt, die wir haben bei uns in Deutschland.
Ich finde das wahnsinnig wichtig, und darüber hinaus ist es mir auch wichtig, und das ist auch mit ein Grund, warum ich Ai Weiwei eingeladen habe, aber bei weitem nicht der primäre, dass er ja ein politisch verfolgter Künstler ist, und dass Deutschland sich immer zu ihm verhalten hat, immer zu ihm gestanden hat, ungeachtet aller politischen oder wirtschaftlichen Interessen, das ist ein wahnsinnig starkes Statement, eine wahnsinnig starke Haltung, und dass jemand wie Ai Weiwei in Berlin sozusagen eine Zuflucht findet, ist ein wichtiger Aspekt unserer Kulturpolitik. Und auch das, finde ich, kann man in so einem deutschen Pavillon mal zum Ausdruck bringen.
Liane von Billerbeck: Susanne Gaensheimer und Christine Macel, die Kuratorinnen des französischen beziehungsweise deutschen Pavillons auf der Biennale von Venedig waren das, im Gespräch mit meinem Kollegen Vladimir Balzer. Morgen darf die Öffentlichkeit kommen, und wer auf der 55. Biennale den Preis für den besten Pavillon bekommt, das erfahren Sie auch morgen Abend bei uns in unserer Sendung "Fazit".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.