Verkaufen mit Leib und Seele
Sie sind stets gut gelaunt, wirken extrem motiviert und manchmal wie gedopt: Wer für Unternehmen wie Tupperware, Avon, Vorwerk oder Energetix arbeitet, muss ein ausgebuffter Verkäufer sein. Der Direktvertrieb gilt als die Speerspitze des Kapitalismus.
Loriots Vertreterbesuch (Weihnachten bei den Hoppenstedts):
V: Ist das der Wohnraum? Oh, Sie haben Besuch.
H: Das ist Herr Blümel.
L: Angenehm.
V: Jürgs ist mein Name. Sie haben ein sehr gepflegtes Heim, gnä Frau. Das macht viel Arbeit, und wie ist es mit der Frisur? Sehn Sie, die kommt zu kurz! Die Auslegeware wird gesaugt, dann wird das Haar geföhnt. Für unseren Saugblaser Heinzelmann brauchen Sie nur eine Hand bei doppelter Leistung. Der Saugblaser Heinzelmann. Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur blasen kann.
Jeder kennt den Sketch von Loriot: Weihnachten bei Hoppenstedts. Geschildert wird der Besuch von drei Vertretern bei Frau Hoppenstedt. Einer verkauft Wein, einer Versicherungen, einer Staubsauger. Was als Vertreterbesuch beginnt, endet in einer wilden Party.
"Hahahaha… Saugblaser Heinzelmann... Weil ich den Saugblaser liebe und den Heinzelmann... ich bin kein Frosch, fragen Sie Frau Hoppenstedt..."
Loriot war ein Visionär. Was er damals zur lustigen Episode machte, ist heute das zentrale Geschäftsmodell im Direktvertrieb. Die nüchterne Präsentation ist out. Der Trend geht zur Verkaufsparty. Dabei darf es gerne ausgelassen zugehen, so wie bei Frau Hoppenstedt.
Und das funktioniert so:
Nicole Fritz: "Tina kommt noch... ich weiß nicht, ob Kerstin noch kommt. Wir fangen einfach an. Die meisten kennen uns schon. Ich sag mal wer ich bin. Ich bin Nicole Fritz, das ist mein Mann Robert. Wir wollen unseren Schmuck hier mal wieder vorstellen. Hallo..."
Sechs Damen im Alter von 30 bis 60 Jahren haben sich an diesem kühlen Herbstabend in einem Einfamilienhaus in der kleinen Gemeinde Schönefeld nahe Berlin zusammengefunden.
Heute Abend findet im Wohnzimmer von Martina Rückbrodt eine Verkaufsparty statt. In der Mitte ist ein langer Tisch aufgebaut. Darauf legen sich funkelnde Halsbänder kunstvoll um Büsten, in Schmuckschatullen glänzen Ohrringe und Armbändchen. Magnetische Armbänder und Broschen sind an Ständern befestigt. Die Damen warten gespannt in der Sofaecke, nippen am Sekt und knabbern Süßigkeiten und Backwerk.
"Und ihr wisst ja unser Schmuck, das wir hier alles mit Edelstahl haben, Nickel- und allergenfrei, sehr hochwertige Materialien und dass wir auf alles was wir hier haben, zwei Jahre Gewährleistung haben."
Nicole und Robert Fritz vertreiben Modeschmuck der Marke Energetix Bingen. Die Besonderheit: Den Modeschmuck gibt es nicht im Laden zu kaufen. Er ist ausschließlich im Direktvertrieb erhältlich, das heißt: Die Verkäufer haben kein Ladengeschäft, sondern präsentieren und verkaufen das Produkt direkt beim Endkunden. Sie sind selbstständige Unternehmer. Den Schmuck kaufen sie bei Energetix zu günstigen Konditionen ein und vertreiben ihn weiter.
"Der Gastgeber hat heute natürlich auch ein bisschen was davon. Er darf sich nachher Schmuck aussuchen. Er darf sich von dem Umsatz den wir heute haben, zehn Prozent kriegt er davon ab und kann sich Schmuck aussuchen. Wenn vielleicht einer da drunter ist, der sagt er hätte auch gern ne Party und kennt auch viele Leute, der darf sich gern bei uns melden. – Ich würde auch kommen."
Teilnehmerin: "Haaa. Und doppelt hält besser..."
Im Direktvertrieb arbeiten vor allem Frauen
Die Schmuckparty beginnt. Die Teilnehmerinnen spazieren um den Tisch, sehen sich den Schmuck an, legen ihn sich um, probieren einzelne Stücke an. Nicole und Robert Fritz gehen von einem zum anderen, legen Hand an, empfehlen Alternativen. Die Preise sind für Modeschmuck relativ hoch. Für einfache Stücke werden 20 bis 40 Euro verlangt, größere Teile kommen schon mal auf 80 Euro. Im Gegenzug verweisen die Verkäufer darauf, dass der Schmuck in Deutschland entworfen werde und hochwertig gefertigt sei.
Kunde: "Wie geht das auf? Hier ist ein Magnetverschluss drin..."
Nicole und Robert Fritz sind beide Ende 40. Im Hauptberuf arbeitet sie als selbstständige Friseurin, er ist freiberuflicher IT-Fachmann. Seit drei Jahren verkaufen sie zusätzlich Schmuck der Firma Energetix im Direktvertrieb.
Nicole Fritz: "Weil man hier ganz flexibel arbeiten kann. Wir haben ganz viele verschiedene Möglichkeiten. Wir arbeiten gerne auch draußen, da gehen wir auf Messen, die draußen sind im Sommer. Im Winter haben wir natürlich auch Innenräume, da suchen wir uns eigentlich mehr Partys. Weil gerade vor Weihnachten will jeder gerne eine Party machen. Wir sind auch Leute die gern reisen. Also, wir reisen durch ganz Deutschland und machen überall Messen, Stände und auch Partys."
Dem Direktvertrieb haftet das Image an, altmodisch und verstaubt zu sein. Von gestern. Im Gegenteil: Das Geschäftsmodell ist schwer im Kommen. Der Umsatz der der Branchen wuchs seit 2008 im Durchschnitt jedes Jahr um acht Prozent, das hat eine Studie der Universität Mannheim im Auftrag des Bundesverbands Direktvertrieb ergeben. Für 2015 wird sogar ein Umsatzplus von neun Prozent erwartet. Die meisten Direktvertriebler sind … Direktvertrieblerinnen. Und viele machen das in Teilzeit oder nebenberuflich.
Der Direktvertrieb ist ein knallhartes Geschäft. Es gibt keine Jobsicherheit, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keine Arbeitslosenversicherung. Wer im Direktvertrieb arbeitet, bildet die Speerspitze des Kapitalismus: Der Erfolgsdruck ist immens, das Image von Verkäufern in der Bevölkerung ist eher schlecht.
Die Modeschmuckfirma Energetix, mit ihren ungefähr 85 Millionen Euro Umsatz und 4000 aktiven Vertriebsmitarbeitern allein in Westeuropa, ist da eher klein. Konzerne wie Avon, Tupperware, Herbalife oder Vorwerk kommen leicht auf das Zehn- bis zwanzigfache an Personal. Sie vertreiben Haushaltsartikel, Nahrungsergänzungsmittel, Kosmetika, Putzmittel, Ökostrom, Schmuck oder sogar Sexspielzeuge über selbstständige Vertriebsmitarbeiter direkt an den Endkunden. Sie gehen von Tür zu Tür, stehen auf dem Markt oder auf Messen. Sie veranstalten Verkaufspartys. Und sie schwärmen von ihrem Job.
Umfrage: "Freie Zeiteinteilung, Urlaub, wann man möchte. Toll kombinierbar mit Kindern. Passives Einkommen. Man lernt viele Menschen kennen."
"Wenn ich ne Woche keine Lust habe, habe ich keine Lust und dann mache ich die nächste Woche. Es stresst mich nicht."
"Wenn ich mal nicht arbeiten möchte, dann arbeite ich eben nicht."
"Jedes Mal, wenn neue Kunden kommen, man kriegt immer mehr Enthusiasmus, man wird immer begeistert. Und das läuft von alleine."
"Man ist frei. Und wenn man frei ist, ist man motivierter. Und man geht anders an die Sache ran. Es macht Spaß, und wenn es Spaß macht, dann kriegt man auch verkauft."
Der Erfolg der Direktvertriebe fällt ausgerechnet in eine Zeit, in der das Internet den traditionellen Handel stark unter Druck setzt. Für Florian Kraus, Professor für Marketing an der Universität Mannheim, sind die Verkaufspartys eine Art Gegenbewegung:
Kraus: "Wir haben auf der einen Seite Online-Vertrieb, E-Commerce, wo ich sehr effizient meine Produkte online bestellen kann und bekomme sie nach Hause geliefert. Das ist sehr Convenient, sehr praktisch. Das andere Ende des Spektrums sind diese Partys, die Heimvertriebe, ob es die Tupperware-Party ist oder die Mary Kay-Party oder die Thermomix-Vorführung. Das Einkaufserlebnis, das gemeinsame Einkaufen, der Spaß am Einkaufen, das andere Einkaufen – das wollen Menschen auch."
Mehr Ruhe als im Geschäft
Wer soll das kaufen?
Die Schmuckparty in Schönefeld geht weiter. Die Damen legen Schmuck an und diskutieren über das Design. Robert Fritz sitzt am Wohnzimmertisch und schließt derweil die ersten Kaufverträge ab. Eine Nachbarin erzählt, warum sie gern auf Verkaufspartys geht.
"Ich komme gern zu Tina. Wir quatschen gerne und es ist persönlicher. Und man hat auch wesentlich mehr Ruhe. Wenn man ins Geschäft ist, wenn man da einkaufen geht, da hat man doch ein bisschen Zeitdruck. Und das Richtige findet man dann oft doch nicht."
Dass der Direktvertrieb immer erfolgreicher wird, liegt an der wachsenden Zahl der potenziellen Käufer. Viele sind Rentner mit einem starken Bedürfnis nach sozialen Ereignissen. Mit dem demografischen Wandel steigt deren Zahl stark an. Zudem sind viele Käufer weiblich. Sie schätzen das Einkaufen als Gemeinschaftserlebnis in kleiner Runde.
"Ich gehe nicht mehr arbeiten Von daher fehlt mir sowieso der Kontakt zu meinen Kollegen, der tägliche, den 45 Jahren lang hatte. Von daher ist das was, wo man mal rauskommt."
Nicole Fritz erzählt von einer Schmuckpräsentation in einem Ort in Mecklenburg. Sie schildert, wie sie mit ihrem Ehemann den Transporter über einsame Straßen steuerte, wie sie endlich einen kleinen Ort erreichten und am liebsten sofort wieder umgedreht wären.
"Also Redelfing waren wir und ich dachte: Gott, machen wir jetzt eine Messe hier? Wie soll das werden? Woher sollen die Leute kommen? Es war der Hammer. Die Leute sind von überallher gekommen und haben sich gefreut, die Sachen anfassen zu können beraten zu werden und das gleich mitnehmen und kaufen zu können. Und nicht im Internet. Und das ist das Große, wo ich denke, dass es wirklich im Kommen ist."
Wer hat's erfunden?
Endlose Weiten. Einsame Orte, schnurgerade Landstraßen. Die nächste Stadt in weiter Ferne. Das ist der Kosmos, in dem der moderne Direktvertrieb entstanden ist. Im mittleren Westen der USA waren schon im 19. Jahrhundert fliegende Händler im großen Stil unterwegs, um ihre Waren zu den Farmern, Landarbeitern und deren Frauen zu bringen. So wie vor 130 Jahren der legendäre Büchervertreter David McConnell, der über Land zog und Parfüm als Dankeschön an seine Kundinnen überreichte. Er machte das Parfüm zu seinem Kerngeschäft und gründete eines der ältesten und größten Direktmarketing-Unternehmen der Welt: Avon.
Franz: "In Gebieten, wo sehr viel Fläche ist, funktioniert Avon sehr gut. Weil da eben der Drogeriemarkt vielleicht nicht gleich da ist und auch nicht die gut sortierte Parfümerie. Und wo auch die Beziehung der Menschen untereinander vielleicht ein bisschen enger ist in der Stadt."
Avon-Sprecherin Annette Franz arbeitet für einen Konzern mit weltweit sechs Millionen selbstständigen Vertriebspartnern und mehr als zehn Milliarden Dollar Umsatz. Das Geschäftsmodell von Avon fußt im klassischen Network-Marketing.
"Wir haben Beraterinnen, die auch dadurch groß werden dass sie Freunde, Familie und dann Freunde von Freunden ansprechen. Die zum Beispiel Partys machen und sagen: Bring ne Freundin mit, ich mache bei dir eine Party, lade deine Freundinnen ein."
Klar, auch Direktvertriebler nutzen inzwischen das Internet, die sozialen Medien und Online-Verkaufstools. Aber das Kerngeschäft ist und bleibt der Besuch von Kunden zu Hause. Die Einstiegshürde ist niedrig: Wer Avon-Beraterin werden möchte, erhält dafür kostenfrei Informationsmaterial und Kosmetikproben. Wer einsteigen möchte, wird in so genannte Verkaufskampagnen eingetaktet. Alle drei Wochen bringt Avon einen neuen Verkaufskatalog heraus. Gleichzeitig startet eine neue Verkaufskampagne.
"Sie bekommen die ersten sechs Kampagnen, das heißt sechs mal drei Wochen, eine enge Schulung. Sie lernen jede Kampagne etwas dazu. Da gibt es Schulungsmaterial, Trainer, die sich um die neuen Berater kümmern und ihnen genau erklären, was sie tun müssen, um weiterzukommen. Nach diesen sechs Kampagnen, also nach 18 Wochen, sind die meisten Leute so weit, dass sie selbstständig arbeiten können als Avon-Beraterin oder Berater."
Verantwortung liegt bei selbstständigen Vertriebspartnern
Wer wenig verkauft, erhält 20 Prozent vom Umsatz. Wird es mehr, steigt der Anteil bis auf über 40 Prozent.
"Der Plan ist so: Ich habe die Broschüre, ich gehe mit der Broschüre los und zeige die Broschüre meine Kundinnen. Die bestellen etwas bei mir. Dann bestelle ich das bei Avon. Dann habe ich sechs Wochen Zeit, dass ich das Geld einsammeln kann. Es ist wie ein Minikredit, den wir über diese sechs Wochen geben. Weil da kommt schon die Ware, aber die Avon-Beraterin muss uns erst später bezahlen. Man muss sich nie die Garage vollmachen."
Eine Erfolgsgarantie gibt es nicht.
"Ich sehe ja, wie naiv manche Leute anfangen mit solchen Beratertätigkeiten. Die denken wirklich: Jetzt habe ich unterschrieben, ich bin Avon-Beraterin und jetzt verdiene ich das große Geld. Und da sage ich: Nein, du musst auch etwas dafür tun. Du kannst dich nicht zuhause hinsetzen und dann passiert was."
Jeder Bezirk hat einen bei Avon angestellten so genannten Field Zone-Manager, der neue Berater betreut. Er erhält für jeden neu angeworbenen Vertriebspartner einen Bonus vom Unternehmen. Die Berater können auch andere Beraterinnen gewinnen und damit "Sales Leader" werden. Sie erhalten dafür ebenfalls eine Provision vom Unternehmen.
Der Aufbau von eigenen Teams ist ein wichtiger Grundpfeiler des Direktvertriebs und soll bei den Vertriebspartnern einen Anreiz zur Expansion setzen. Sie bauen damit ihr eigenes Vertriebsunternehmen auf. Gleichzeitig minimiert das Unternehmen damit sein Risiko. Die Verantwortung tragen die selbstständigen Vertriebspartner.
Wie komme ich ins Geschäft?
Wer erfolgreich verkaufen will, muss das erst lernen. Und muss die Produktpalette des Unternehmens, für das er arbeitet, genau kennen. Deshalb ruft das Unternehmen Energetix einmal im Jahr seine Vertriebler zusammen und stellt die neue Kollektion vor. Auch das ist eine riesige Verkaufsparty – mit Tänzern und DJs, die auf der Bühne ein riesiges Spektakel veranstalten.
Die bekannte Moderatorin Barbara Schöneberger führt durch das Programm. Sie ist gleichzeitig das Gesicht der neuen Kollektion von Energetix.
Aus Süddeutschland sind Marion Aulbach und Karen Bressner gekommen. Sie sitzen in der Mittagspause am Springbrunnen im Garten und erinnern sich an ihre erste Verkaufspräsentation.
A: "Ich war so aufgeregt, hab meine Mentorin angerufen und gesagt: Ich hasse dich! Ich kann nicht vor Menschen sprechen. Das geht nicht. Wie die Präsentation dann war, hab ich echt zwei Schnäpse erst getrunken. Ich war so aufgeregt. Und dann war ich einfach nur ich."
B: "Wir haben generell viele Trainings. Für den Verkauf. Wie kann man präsentieren? Wie ist deine Ausdrucksweise? Was möchtest du an dir ändern? Willst du etwas ändern? Alles kostenlos. Das ist es."
A: "Ich bin unglaublich gewachsen, ja."
B: "Man lernt sich selbst kennen durch unsere Mentaltrainings. Da hat man vielleicht ne Strecke, die man überstehen darf. Das ist das Wachsen, wie wir sagen."
A: "Das ist das Besondere und Wunderschöne, wenn ich sehe, wer ich war vor sechs Jahren, wer ich war vor vier Jahren, wer ich heute bin."
B: "Du wächst an dir. Und du arbeitest an dir. Und das ist das, was mich für mich selbst erfolgreicher macht. Zusehen: Erstmal Aufräumen im Bekanntenkreis. Wer zieht dich runter? Manche sagen, ich lass sie so wie sie ist. Und andere sagen: Die ist ja nicht mehr die, was sie mal war. Ist ja klar. Weil man wächst. Und andere merken wie sie stehenbleiben. Und schieben aber das Negative auf dich."
A: "Ich bin dieses Jahr zum ersten Mal im Star Club. Hab ich erreicht. Ich fliege in vier Wochen nach Kanada!"
Der Energetix-Geschäftsführer Roland Förster lenkt die Geschicke des Unternehmens von Bingen am Rhein aus. Mit nur 85 Angestellten ist er Herr über viele Tausend selbständige Vertriebspartner in der ganzen Welt. Er stellt heute die besten Verkäufer des Jahres vor. Wer besonders gut verkauft, dem sponsert er eine Fernreise.
Förster: "Das sind Reisen, die Trainingsaspekte haben, also die Kommunikation unter den Besten fördern. Zum zweiten natürlich auch einen Incentive-Charakter haben und einen Teamcharakter haben."
Komplexes Gefecht aus Trainings und Bonusprogrammen
Vertriebspartner durchlaufen ein komplexes Geflecht aus Trainings, Bonusprogrammen und Incentive-Reisen. Manche Unternehmen stellen ihnen ab einem bestimmten Umsatzvolumen einen Firmenwagen zur Verfügung, andere bieten günstige Leasingverträge.
Die Ziele liegen auf der Hand: Die Verkäufer sollen motiviert werden, sich mit dem Unternehmen identifizieren und dadurch den Verkauf ankurbeln. Wenn man mit diesem System gut klarkommt, ergibt sie sich vielleicht, die berühmte "Win-Win Situation".
Und wo ist der Haken an der Sache?
Vorsicht ist dort geboten, wo hohe Einstiegssummen verlangt werden, für Schulungen oder die Vorbestellung von Produkten. Der Bundesverband Direktvertrieb hat dazu Verhaltensstandards erarbeitet. Eine Kommission überprüft deren Einhaltung bei den Mitgliedern.
Auch das Unternehmen Tupperware hat diese Verpflichtung unterzeichnet. 1946 in den USA gegründet und seit über 50 Jahren in Deutschland aktiv darf man inzwischen mit Fug und Recht von "Tupperware" reden. Die Haushaltsartikel kennt jeder, und die allermeisten Haushalte werden wohl eine "Tupperdose" im Schrank haben.
Eine Fernsehdokumentation warf dem Unternehmen kürzlich unlautere Geschäftspraktiken vor. Darin kam eine ehemalige Vertriebspartnerin zu Wort, die sich verschuldet hatte, um sich einen Vorrat an Waren anzulegen. Genau dies sollten doch die Branchenstandards verhindern. Bemängelt wurde eine fehlende kaufmännische Unterstützung durch Tupperware. Dazu der Geschäftsführer von Tupperware Deutschland, Christian Dorner:
"Das kann ich nicht bestätigen. Wir haben eine extra Unternehmensberatung, die macht nichts anderes. Wir haben Vertriebsunterstützung, wir haben Trainings in sämtlichen Bereichen. Natürlich können wir immer nur Hilfe anbieten, und am Ende ist die Frage: Wird die Hilfe so angenommen?"
Auch Tupperware arbeitet mit selbstständigen Vertrieblern zusammen, den so genannten Partymanagern. Sie veranstalten die bekannten Tupper-Partys bei Freunden und Bekannten. In der Regel wird dort gemeinsam gekocht, bei dieser Gelegenheit werden die Tupperware-Produkte eingesetzt. Wer Partymanager werden möchte, muss nur eine der bundesweit 160 Bezirkshandlungen von Tuppeware besuchen. Jeden Montag ist dort Tag der offenen Tür. Daher stammt die Redewendung: "Montag ist Tuppertag." Wer einsteigen möchte, erhält dort ein Starterpaket mit einer Reihe von Tupper-Produkten und Katalogen. Die Kosten für das Starterpaket werden von den ersten Verkaufsprovisionen abgezogen.
"Man hat keine Einstiegskosten und kein finanzielles Risiko. Ich gehe nie in Vorleistung als Partymanager. Ich bezahle die Ware erst, wenn ich sie bezahlt bekommen habe von meinen Kunden. Gebe dann das Geld weiter an meinen Bezirkshändler. So können wir sicherstellen, dass ich kein finanzielles Risiko habe."
Auf einer deutschen Tupperparty wird nach Unternehmensangaben durchschnittlich 400 Euro Umsatz gemacht, der Verkäufer erhält davon 24 Prozent. Wer noch andere Geschäftspartner gewinnt und ein Team anführt, erhält zusätzlich drei Prozent von den Umsätzen seines Teams.
Diese so genannten Multi Level-Systeme sind im Direktvertrieb üblich. Umstritten sind vor allem, wenn die Provisionen auf Kosten der Neuzugänge gehen. Schnell befindet man sich hier in einer Grauzone, in der illegale Pyramiden- oder Schneeballsysteme beginnen. Julia Rehberg von der Verbraucherschutzzentrale Hamburg:
"Unseriöse Angebote zeichnen sich dadurch aus, dass es eigentlich darum geht, dass man nur neue Vertriebspartner wirbt. Dass gar nicht das Produkt im Vordergrund steht, sondern das Kopfgeld, dass man für jeden neu angeworbenen Vertriebsmitarbeiter aufsteigt in dem System."
Anwerbung von Geschäftspartnern Teil des Geschäftsmodells
2011 wurde in Belgien das Unternehmen Herbalife wegen solcher Praktiken verurteilt. Herbalife vertreibt eigentlich Nahrungsergänzungsmittel. Doch das Gericht bemängelte, das Anwerben von neuen Beratern sei für Mitarbeiter mindestens so wichtig wie der Produktverkauf. Auch in den USA steht das 1980 gegründete börsennotierte Unternehmen deshalb unter Druck. Die Staatsanwälte ermitteln – bisher jedoch ohne Ergebnis. Die Ermittlungen gegen Herbalife heizt der Großinvestor Bill Ackman an. Er hat mit seinem Hedgefonds eine Milliarde Dollar auf den Untergang des Unternehmens gesetzt.
Zurück auf der Schmuckparty. Die Anwerbung von anderen Geschäftspartnern ist bei fast allen Direktvertrieben Teil des Geschäftsmodells. Auch bei Energetix.
Robert Fritz: "Wenn irgendeiner dabei ist, der jetzt sich beruflich weiterentwickeln möchte oder noch ein bisschen Zeit übrig hat, vielleicht noch gern mal was anderes machen möchte, der soll uns ja heute ganz genau auf die Finger schauen und kann sich überlegen, ob das was für ihn wäre."
Das Ehepaar Fritz hat Pech gehabt: Beim Umbau ihrer Doppelhaushälfte ist der Bauträger in die Insolvenz gegangen, und jetzt sitzen sie auf einem Berg Schulden. Sie glauben, dass der Direktvertrieb die Chance auf einen Neuanfang bietet.
"Hier haben wir die Möglichkeit, ein Team aufzubauen und über das Team ein passives Einkommen zu genieren, und das gibt natürlich deutlich mehr Sicherheit."
Was, wenn der Verkäufer zu viel verspricht?
Auf der Schmuckparty haben inzwischen viele Stücke den Besitzer gewechselt. Der Schmuck soll in erster Linie gut aussehen. Aber bei Energetix gibt es auch einen Zweiteffekt:
Nicole Fritz: "Das ist Magnetschmuck. Wir haben drei verschiedene Stärken von den Magneten. Wir habe in sämtlichen Schmuckstücken Magnete mit 1200 Gauss. Der Körper spricht ab 800 drauf an. Viele spüren ja auch ein bisschen was. Dann haben wir Powerelemente, da sind 1800 Gauss drin. So, und dann haben wir natürlich unser Herz, was ihr auch alle kennt. Wie ne Brosche sieht das eigentlich aus. Das hat nochmal mehr Gauss. Das Herz hat 2200 Gauss, ist also das stärkste. Wir sagen auch gerne Schmerzherz dazu. Das tun wir immer dorthin, wenn wir irgendwelche besonderen akuten Sachen haben."
Die Magnete im Schmuck sollen Schmerzen lindern und Erkrankungen heilen können. Das wird nicht offiziell gesagt. Denn damit werben dürfen weder das Unternehmen noch seine Vertriebspartner. Aussagen über Heilwirkungen sind laut Heilmittelwerbegesetz nur bei gesetzlich zugelassenen Arzneimitteln erlaubt. Das wissen auch Nicole und Robert Fritz, und sie halten sich an die Sprachregelung. Doch was ihre Kunden erzählen, das unterliegt nicht ihrer Kontrolle.
Martina Rückbrodt: "Es war zum Beispiel so, das sich einen Reizhusten hatte, der nie wegging. Und da hatte sie mir diese Magnetbandage gegeben, und ich habe sie mir nur so raufgelegt. Und wirklich, der Husten ging weg."
Im Direktvertrieb werden viele Produkte angeboten, deren Erfolg auf solchen Zweiteffekten gründet. Meistens sind es Nahrungsergänzungsmittel, denen die Käufer Heilwirkungen zusprechen. Dass viele Kunden auch von seinem Schmuck Heilung erhoffen, ist für Energetix-Geschäftsführer Roland Förster kein Problem. Im Gegenteil.
"Das gesamte Verkaufs-Vertriebsmaterial, das wir haben, dazu gehören auch die Webshops, die sind natürlich geprüft, dass solche Heilaussagen nicht stattfinden. Unabhängig vom Verkauf der Produkte kann ich immer alles sagen, alles schreiben. Es gibt Hunderte Bücher über Magnettherapie. Jeder weiß, wenn er Bauchschmerzen hat, trinkt er einen Kamillentee, und das wirkt, das funktioniert. Das ist zwar seit Jahrhunderten bekannt, aber sowas dürfte nicht beworben werden."
Möglichkeit der Selbstverwirklichung statt steiler Karriere
In der Alternativmedizin ist die Magnettherapie stark verbreitet. Schulmediziner sehen eine Wirkung der Magnete jedoch nicht belegt. Dennoch: Viele glauben daran, und auch andere Schmuckhersteller haben inzwischen Magnetschmuck in ihr Sortiment aufgenommen. Nur: Wer als Kunde dann keine Wirkung verspürt, ist womöglich enttäuscht. Hier liege tatsächlich ein Risiko dieser Vertriebsform, wie Verbraucherschützerin Julia Rehberg erläutert:
"Wir finden am Direktvertrieb schlecht, dass man im Prinzip in seinem Freundes- oder Bekanntenkreis Waren verkauft und dass es natürlich immer nervig werden kann, wenn die Bekannte oder Freunde doch nicht zufrieden sind mit den Produkten und man nicht so den direkten Vergleich hat mit Waren, die man stationär erwerben kann. Dass es also nicht so die Vergleichsmöglichkeiten gibt."
Trotzdem zieht das Geschäftsmodell immer mehr Menschen an. Nach einer Umfrage von Marketingprofessor Florian Kraus unter Direktvertriebs-Unternehmen wächst die Zahl der Direktvertriebler in Deutschland stetig. In den letzten acht Jahren sind 100.000 Vertriebspartner neu dazugekommen. Über 800.000 Deutsche sind demnach im Direktvertrieb tätig. Eine erstaunlich hohe Zahl. Gleichzeitig ist auch die Arbeitslosigkeit stark gesunken. Viele wählten also nicht aus Not, sondern bewusst die Selbstständigkeit, so Florian Kraus.
"Die Generation Y möchte ja Flexibilität haben, hohe Work Life-Balance. Sie definiert sich nicht über steile Karrieren, sondern über die Möglichkeit der Selbstverwirklichung viel stärker. Und diese Möglichkeiten bietet der Direktvertrieb als Alternative zu einer klassischen Karriere im Konzern."
Lohnt sich die Arbeit im Direktvertrieb?
Wieder auf der Schmuckparty in Schönefeld. Viele Stücke haben inzwischen die Besitzer gewechselt. Rund 800 Euro Umsatz haben Nicole und Robert Fritz heute gemacht. 20 bis 40 Prozent davon gehören ihnen. Ähnlich wie bei Avon steigt ihr Gewinnanteil mit ihren Umsätzen. Nicole Fritz ist zufrieden.
"Wenn man das mit Spaß macht, dann wird man auch erfolgreich. Wenn man dahintersteht, dann macht man das gerne. Und wenn man was gerne macht, dann läuft es auch einfach."
Was nach einem Traumjob klingt, hat aber auch Schattenseiten. Davon weiß Gastgeberin Martina Rückbrodt zu erzählen, die nebenberuflich Tupperpartys veranstaltet.
"Das Problem ist, dass es abends stattfindet. Bei mir so nach 18 Uhr, dann bin ich nicht vor 24 Uhr zuhause. Wenn man dann einen Job hat, wo man dann früh um 6 Uhr vielleicht aufstehen muss, ist das schon schwierig."
Um dieser Spirale zu entkommen, möchten Nicole und Robert Fritz in Zukunft noch stärker auf das Geschäftsmodell Direktvertrieb setzen. Ihr Traum: gemeinsam in einem Wohnmobil durch Deutschland reisen und Schmuck verkaufen.
Nicole Fritz: "Man darf nicht aufhören. Man muss immer dran sein, und die Kunden müssen im Vordergrund stehen. Man muss auch Spaß haben und die Kunden einfach dazu motivieren, immer wieder erzählen: Es gibt wieder was Neues, denen das zeigen und dann sind die auch begeistert. Man muss selber begeistert sein dann, und dann kann man es weitergeben, und das merken die Kunden ganz deutlich."