Die Sicherheitsgesellschaft des Geheimen
Nationale und supranationale Gesetze und Verordnungen haben dem Recht die Sprache verschlagen. Immer neue Formen der Überwachung werden entwickelt. Wir brauchen eine neue Aufklärung, fordert Strafrechtler Peter Alexis Albrecht.
Wenn jemand so tut, als tue ihm etwas leid, fließen Krokodilstränen. Zurzeit schwimmt die politische Öffentlichkeit in einem Tränenmeer. Die Empörung über die Geheimdienste ist allerdings Heuchelei.
Schon lange erobern Sicherheitskonzepte die Gesellschaft. Sie haben den Rechtsstaat kontinuierlich ausgehöhlt und bald beseitigt. Denn in der Sicherheitsgesellschaft hat sich längst das Prinzip des Geheimen eingerichtet und die Transparenz in die Rechtsgeschichte verdammt.
Nationale und supranationale Gesetze und Verordnungen haben dem Recht die Sprache verschlagen. Sie sind kaum noch zu zählen. Seit dem "Deutschen Herbst 1977" und nochmals seit dem 11. September 2001 wurden zentrale Lebensbereiche mit einem Netz engmaschiger Kontrollen überzogen – und das im Geheimen. Fast alle politischen Parteien haben sich an den Strickmustern beteiligt. In Sorge um die Bekämpfung von Terrorismus – einem weltweiten Angstsyndrom.
Ausgangspunkt für die Sicherheitsproduktion ist der Unilateralismus der Vereinigten Staaten von Amerika. Das Wirken um globale Vorherrschaft exportiert ökonomischen und politischen Druck, der in aller Welt gewichtig und einflussreich ist.
Der Staat schafft traditionelle Ordnungsmuster ab, er dereguliert. Ungezügelter Neoliberalismus weitet sich aus, moralisch-religiöser Fundamentalismus bildet unheilvolle Allianzen. Alte Institutionen wie Kirche und Familie bauen sich ab. Konfliktherde entstehen, ja blutige Gewalt.
Und dann wird interveniert: vorgeblich aus Notwehr, aus humanitären Gründen, auch um Demokratie und Selbstbestimmung willen werden Völker mit Kriegen überzogen. Beides, Strukturwandel sowie Waffengewalt, führt zu enormer globaler Unsicherheit, die rechtsstaatlich nicht mehr eingrenzbar ist. So entsteht der Sicherheitsstaat, der Bürgerrechte einschränkt, ohne das Leben sicherer zu machen.
Der Geist hat die Flasche längst verlassen hat und treibt nun sein Unheil. Immer neue Formen und Methoden der Überwachung werden entwickelt, um schon im Ansatz und flächendeckend Risiken zu bekämpfen. Feinde werden ausgemacht und von vornherein ausgegliedert, Gefährdungslagen beschrieben und vorsorgend bekämpft. Soziale Kontrolle beherrscht die Gesellschaft.
Das zeigt sich in der Renaissance der Sicherungsverwahrung, die als gefährlich eingestufte Straftäter noch über eine Freiheitsstrafe hinaus, vielleicht sogar lebenslänglich, hinter Gittern hält. Es zählen da nicht mehr Tatsachen, es zählt primär die Furcht vor Bedrohung. Hier haben auch die Medien ihren Anteil.
Der Teufelskreis ist kaum noch zu durchbrechen. Die permanente Suche nach Schutz reklamiert den schützenden Staat. Aber der deregulierte Staat kann dauerhaften Schutz gar nicht leisten. Das führt zu "symbolischem Regieren", zum "Regieren aus der Distanz". Die heuchlerische oder zumindest hilflose Empörung von Koalition und Opposition über das Schnüffeln der Geheimdienste belegt die politische Ohnmacht.
Und noch etwas: Dieser Ohnmacht soll sich der Bürger möglichst freiwillig unterwerfen, also auf Rechte verzichten, sich persönlich rechtlos und damit schutzlos machen - für einen Schutz vor Unsicherheit, der nicht hält, was er verspricht.
Denn die Sicherheitsgesellschaft legitimiert sich, indem sie von jedem einzelnen, jedem Rechtsunterworfenen Zustimmung erwartet – mal mit eigener Unterschrift, mal mit der Wahlstimme. Wer nichts zu verbergen habe, brauche Überwachung nicht zu fürchten. Diese gefährliche Parole wirbt um alle, die sich für billig und gerecht denkend halten.
Es wird ein böses Erwachen geben. Allerdings ist es dann für die Freiheit zu spät. Wir brauchen eine neue Aufklärung. Was war doch deren Losung? Nur das Recht darf gelten, nicht das Recht des Stärkeren.
Peter-Alexis Albrecht, geboren 1946, ist Jurist, Sozialwissenschaftler und Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Seine Forschungsgebiete sind das Strafrecht in seinen Bezügen zur Kriminologie, zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie sowie die Methoden empirischer Sozialwissenschaften zur Erforschung der Wirkungsweisen des Kriminaljustizsystems.
Veröffentlichungen u.a.: "Die vergessene Freiheit" (3. Auflage, 2010) und "Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft – Auf der Suche nach staatskritischen Absolutheitsregeln" (2010).
Er ist Herausgeber und Schriftleiter der Zeitschrift "Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft".
Schon lange erobern Sicherheitskonzepte die Gesellschaft. Sie haben den Rechtsstaat kontinuierlich ausgehöhlt und bald beseitigt. Denn in der Sicherheitsgesellschaft hat sich längst das Prinzip des Geheimen eingerichtet und die Transparenz in die Rechtsgeschichte verdammt.
Nationale und supranationale Gesetze und Verordnungen haben dem Recht die Sprache verschlagen. Sie sind kaum noch zu zählen. Seit dem "Deutschen Herbst 1977" und nochmals seit dem 11. September 2001 wurden zentrale Lebensbereiche mit einem Netz engmaschiger Kontrollen überzogen – und das im Geheimen. Fast alle politischen Parteien haben sich an den Strickmustern beteiligt. In Sorge um die Bekämpfung von Terrorismus – einem weltweiten Angstsyndrom.
Ausgangspunkt für die Sicherheitsproduktion ist der Unilateralismus der Vereinigten Staaten von Amerika. Das Wirken um globale Vorherrschaft exportiert ökonomischen und politischen Druck, der in aller Welt gewichtig und einflussreich ist.
Der Staat schafft traditionelle Ordnungsmuster ab, er dereguliert. Ungezügelter Neoliberalismus weitet sich aus, moralisch-religiöser Fundamentalismus bildet unheilvolle Allianzen. Alte Institutionen wie Kirche und Familie bauen sich ab. Konfliktherde entstehen, ja blutige Gewalt.
Und dann wird interveniert: vorgeblich aus Notwehr, aus humanitären Gründen, auch um Demokratie und Selbstbestimmung willen werden Völker mit Kriegen überzogen. Beides, Strukturwandel sowie Waffengewalt, führt zu enormer globaler Unsicherheit, die rechtsstaatlich nicht mehr eingrenzbar ist. So entsteht der Sicherheitsstaat, der Bürgerrechte einschränkt, ohne das Leben sicherer zu machen.
Der Geist hat die Flasche längst verlassen hat und treibt nun sein Unheil. Immer neue Formen und Methoden der Überwachung werden entwickelt, um schon im Ansatz und flächendeckend Risiken zu bekämpfen. Feinde werden ausgemacht und von vornherein ausgegliedert, Gefährdungslagen beschrieben und vorsorgend bekämpft. Soziale Kontrolle beherrscht die Gesellschaft.
Das zeigt sich in der Renaissance der Sicherungsverwahrung, die als gefährlich eingestufte Straftäter noch über eine Freiheitsstrafe hinaus, vielleicht sogar lebenslänglich, hinter Gittern hält. Es zählen da nicht mehr Tatsachen, es zählt primär die Furcht vor Bedrohung. Hier haben auch die Medien ihren Anteil.
Der Teufelskreis ist kaum noch zu durchbrechen. Die permanente Suche nach Schutz reklamiert den schützenden Staat. Aber der deregulierte Staat kann dauerhaften Schutz gar nicht leisten. Das führt zu "symbolischem Regieren", zum "Regieren aus der Distanz". Die heuchlerische oder zumindest hilflose Empörung von Koalition und Opposition über das Schnüffeln der Geheimdienste belegt die politische Ohnmacht.
Und noch etwas: Dieser Ohnmacht soll sich der Bürger möglichst freiwillig unterwerfen, also auf Rechte verzichten, sich persönlich rechtlos und damit schutzlos machen - für einen Schutz vor Unsicherheit, der nicht hält, was er verspricht.
Denn die Sicherheitsgesellschaft legitimiert sich, indem sie von jedem einzelnen, jedem Rechtsunterworfenen Zustimmung erwartet – mal mit eigener Unterschrift, mal mit der Wahlstimme. Wer nichts zu verbergen habe, brauche Überwachung nicht zu fürchten. Diese gefährliche Parole wirbt um alle, die sich für billig und gerecht denkend halten.
Es wird ein böses Erwachen geben. Allerdings ist es dann für die Freiheit zu spät. Wir brauchen eine neue Aufklärung. Was war doch deren Losung? Nur das Recht darf gelten, nicht das Recht des Stärkeren.
Peter-Alexis Albrecht, geboren 1946, ist Jurist, Sozialwissenschaftler und Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Seine Forschungsgebiete sind das Strafrecht in seinen Bezügen zur Kriminologie, zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie sowie die Methoden empirischer Sozialwissenschaften zur Erforschung der Wirkungsweisen des Kriminaljustizsystems.
Veröffentlichungen u.a.: "Die vergessene Freiheit" (3. Auflage, 2010) und "Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft – Auf der Suche nach staatskritischen Absolutheitsregeln" (2010).
Er ist Herausgeber und Schriftleiter der Zeitschrift "Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft".