Die Sieger schreiben die Geschichte
Der Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit hat in den 70er-Jahren mit seiner Veröffentlichung "Männerphantasien" seinen Ruhm begründet. Herrschaftsstrukturen sind Theweleits Thema geblieben, so auch in seinem aktuellen Werk "Das Buch der Königstöchter – Von Göttermännern und Menschenfrauen".
Klaus Theweleit, geboren in Ostpreußen, lehrt Kunst und Theorie an der Staatlichen Akademie für Bildende Künste in Karlsruhe. Bekannt wurde er in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts mit seiner Doktorarbeit über Männerphantasien, die er – meist am Beispiel faschistischer Gruppierungen - vor allem als Herrschaftsfantasien deutete. Fast alle folgenden Bücher, z.B. das Buch der Könige, und nun das Buch der Königstöchter – spielen dieses Thema in verschiedenen historischen und theoretischen Kontexten durch.
Seine analytische Methode ist schwer zu kategorisieren, denn Theweleit ist ein "Allesverwerter" (so nannte ihn die Literaturkritikerin Sigrid Löffler); seine Texte verarbeiten von Pop bis Politik, von Mythen und Märchen bis zum Internet, von Sex bis Religion alles irgendwie themenrelevante Material – zu einer Art psychohistorischen Szenarien.
In Theweleits Erstlingswerk, den Männerphantasien, ging es um das Verhältnis von Identität und Herrschaft. Ein Seitentrieb des Grundthemas wurde der Folgeband Buch der Könige – ein Buch der Königinnen übersprang er, um gleich bei den Königstöchtern zu landen – und diese Verschiebung um eine Generation suggeriert auch schon das Thema: Sie sind noch zu haben.
An ihnen spielt Theweleit eine These durch, die von den Anfängen griechischer Mythologie bis zu den Gründungsmythen der sogenannten Neuen Welt einen Subtext als gemeinsamen Nenner entdeckt bzw. konstruiert. In Kurzform: Königstöchter werden in Besitz genommen – manchmal durch Vergewaltigung, manchmal durch Werbung oder Täuschung und manchmal gar durch Liebe – doch jeweils durch Vertreter eines fremden Volkes; und mit den fruchtbaren Töchtern fällt, symbolträchtig, das Land der Väter an die jungen Ehemänner aus der Fremde, die es dem eigenen Volke eingemeinden. Landnahme durch Liebe, Sex und durch die neuen – bzw. die neue – Familienbande.
"Von Göttermännern und Menschenfrauen" lautet der Untertitel. Die einwandernden Griechen als Eroberervolk fanden (wie wir wohl heute sagen würden) das Narrativ, das ihre Landnahmen durch Abkömmlinge der Götter gleichsam als höhere Schicksalslogik auswies. Sie überlagerten die Mythen der eroberten Völker mit ihren eigenen und zwangsassimilierten sie mit Hilfe dieser Hirnwäsche, bis diese die neue Identität übernahmen.
"Die frühesten Erzählungen dessen, was wir heute "griechische Mythologie" nennen, berichten von ortsansässigen Königstöchtern, die von Göttermännern, welche eine einwandernde Population mir anschleppt, beschlafen und geschwängert werden, ... wobei die einheimischen Könige, die Väter dieser Töchter, um ihr Land gebracht werden," so Theweleits Leitmotiv für den Parforce-Ritt durch mehrere tausend Jahre europäischer, einschl. nordamerikanischer Geschichte. Die zahllosen Beispiele suggerieren ein Grundmuster, das Theweleit das Pocahontas-Projekt nennt.
Pocahontas war bekanntlich jene indianische Häuptlings-, also Königstochter, die den englischen Siedler John Smith vor dem Todesurteil ihres Stammes rettete. Prompt revanchierte sich das neue Siedlervolk durch die gewaltsame Landnahme – und zwangsassimilierte zudem die Retterin.
Immer wieder, zeigt Theweleit, ist es eine Geschichte von Liebe und Verrat, zumindest von naivem Wohlwollen und Vertrauensmissbrauch. Der gleichsam klassische Fall ist Medea, Tochter des kolchischen Königs, die den Verrat an ihrer eigenen Familie und sogar den Tod ihres Bruders in Kauf nimmt, um Jason, dem Fremdling, zu jenem legendären goldenen Vlies zu verhelfen, das dieser heimbringen soll – wie die Flagge eines besiegten Volkes.
Und dann verrät er sie doch – und sie rächt sich fürchterlich. Die griechische Mythologie hat die zahllosen exemplarischen Geschichten ebenso geschönt wie die USA den Raub des Landes von der Urbevölkerung. Die Sieger schreiben die Geschichte, und ihr Text bleibt verankert im kollektiven Bewusstsein – auch dem der gedemütigten, geschändeten, ausgelöschten Völker, sie haben ja keinen eigenen Text mehr, sollen keinen haben.
Besprochen von Eike Gebhardt
Seine analytische Methode ist schwer zu kategorisieren, denn Theweleit ist ein "Allesverwerter" (so nannte ihn die Literaturkritikerin Sigrid Löffler); seine Texte verarbeiten von Pop bis Politik, von Mythen und Märchen bis zum Internet, von Sex bis Religion alles irgendwie themenrelevante Material – zu einer Art psychohistorischen Szenarien.
In Theweleits Erstlingswerk, den Männerphantasien, ging es um das Verhältnis von Identität und Herrschaft. Ein Seitentrieb des Grundthemas wurde der Folgeband Buch der Könige – ein Buch der Königinnen übersprang er, um gleich bei den Königstöchtern zu landen – und diese Verschiebung um eine Generation suggeriert auch schon das Thema: Sie sind noch zu haben.
An ihnen spielt Theweleit eine These durch, die von den Anfängen griechischer Mythologie bis zu den Gründungsmythen der sogenannten Neuen Welt einen Subtext als gemeinsamen Nenner entdeckt bzw. konstruiert. In Kurzform: Königstöchter werden in Besitz genommen – manchmal durch Vergewaltigung, manchmal durch Werbung oder Täuschung und manchmal gar durch Liebe – doch jeweils durch Vertreter eines fremden Volkes; und mit den fruchtbaren Töchtern fällt, symbolträchtig, das Land der Väter an die jungen Ehemänner aus der Fremde, die es dem eigenen Volke eingemeinden. Landnahme durch Liebe, Sex und durch die neuen – bzw. die neue – Familienbande.
"Von Göttermännern und Menschenfrauen" lautet der Untertitel. Die einwandernden Griechen als Eroberervolk fanden (wie wir wohl heute sagen würden) das Narrativ, das ihre Landnahmen durch Abkömmlinge der Götter gleichsam als höhere Schicksalslogik auswies. Sie überlagerten die Mythen der eroberten Völker mit ihren eigenen und zwangsassimilierten sie mit Hilfe dieser Hirnwäsche, bis diese die neue Identität übernahmen.
"Die frühesten Erzählungen dessen, was wir heute "griechische Mythologie" nennen, berichten von ortsansässigen Königstöchtern, die von Göttermännern, welche eine einwandernde Population mir anschleppt, beschlafen und geschwängert werden, ... wobei die einheimischen Könige, die Väter dieser Töchter, um ihr Land gebracht werden," so Theweleits Leitmotiv für den Parforce-Ritt durch mehrere tausend Jahre europäischer, einschl. nordamerikanischer Geschichte. Die zahllosen Beispiele suggerieren ein Grundmuster, das Theweleit das Pocahontas-Projekt nennt.
Pocahontas war bekanntlich jene indianische Häuptlings-, also Königstochter, die den englischen Siedler John Smith vor dem Todesurteil ihres Stammes rettete. Prompt revanchierte sich das neue Siedlervolk durch die gewaltsame Landnahme – und zwangsassimilierte zudem die Retterin.
Immer wieder, zeigt Theweleit, ist es eine Geschichte von Liebe und Verrat, zumindest von naivem Wohlwollen und Vertrauensmissbrauch. Der gleichsam klassische Fall ist Medea, Tochter des kolchischen Königs, die den Verrat an ihrer eigenen Familie und sogar den Tod ihres Bruders in Kauf nimmt, um Jason, dem Fremdling, zu jenem legendären goldenen Vlies zu verhelfen, das dieser heimbringen soll – wie die Flagge eines besiegten Volkes.
Und dann verrät er sie doch – und sie rächt sich fürchterlich. Die griechische Mythologie hat die zahllosen exemplarischen Geschichten ebenso geschönt wie die USA den Raub des Landes von der Urbevölkerung. Die Sieger schreiben die Geschichte, und ihr Text bleibt verankert im kollektiven Bewusstsein – auch dem der gedemütigten, geschändeten, ausgelöschten Völker, sie haben ja keinen eigenen Text mehr, sollen keinen haben.
Besprochen von Eike Gebhardt
Klaus Theweleit: Buch der Königstöchter - Von Göttermännern und Menschenfrauen
Stroemfeld, Frankfurt/Main, 2013
736 Seiten, 38 Euro
Stroemfeld, Frankfurt/Main, 2013
736 Seiten, 38 Euro