"Die sitzen mit offenen Mündern und Augen da"
Seit elf Jahren präsentieren Regisseur Christian Schuller und die Autorin Elke Heidenreich in Köln Opern für Menschen mit geringem Lebensalter. "Es ist nicht Oper mit Kindern, sondern Oper für Kinder", sagte Heidenreich nun zu ihrem Buch "Das geheime Königreich. Oper für Kinder", das die Arbeit mit der Kinderoper dokumentiert.
Jürgen König: Kann man Kinder für die Oper begeistern? Aber ja doch. Elke Heidenreich und Christian Schuller waren sich da sehr sicher, gründeten die Kölner Kinderoper vor nun elf Jahren. 20 Opern wurden mit Liebe und großer Sorgfalt zur Premiere gebracht und diese ganze schöne Arbeit dokumentiert nun ein Buch, "Das geheime Königreich. Oper für Kinder", erschienen ist es bei Kiepenheuer und Witsch. In einem unserer Kölner Studios hört uns nun Elke Heidenreich. Guten Morgen, Frau Heidenreich.
Elke Heidenreich: Guten Morgen, Herr König.
König: Können Sie sich an ihr erstes Opernerlebnis erinnern?
Heidenreich: Ja, das war wie bei so vielen Kindern die Zauberflöte, weil Erwachsene immer denken, dass wäre eine Oper für Kinder, dabei ist das eine der kompliziertesten Opern überhaupt, hat aber so lustige Figuren wie Papageno und Papagena und so spannende wie die Königin der Nacht, und dann muss man erst mal nicht alles verstehen. Man muss überhaupt nicht alles verstehen in der Oper, wichtig ist, dass der Zauber funktioniert, und das hat er bei mir damals, ich muss so 13 Jahre alt gewesen sein, getan, auch bei der Zauberflöte.
König: Ich vermute mal, Sie wussten mit 13 noch nicht wirklich, was Oper ist. Woher gleich diese frühe Begeisterung?
Heidenreich: Ich mochte immer gerne Musik, und das lag an meiner Mutter, die zu Hause Wunschkonzert gehört hat und mich immer aufmerksam gemacht hat, wann es traurig ist, wann es wild ist, was die pastorale bedeutet, dass wir da verschiedene Stimmungen und Wetter hören. Sie hat mich das Hören gelehrt. Sie war eine einfache, nicht gebildete, aber kluge Frau, und die Musik steckte mir irgendwie in den Knochen. Ich bin auch sehr musikalisch, wie ich dann später gemerkt habe. Ich habe dann später Instrumente gelernt, ich war im Bach-Chor, habe gesungen, ich hatte eine Affinität zur Musik, und ich denke, die muss man mitbringen, und wenn man dann das Gesamtkunstwerk sieht, Musik, Schauspiel, Wörter dazu, also eine Geschichte, ein Bühnenbild, der Samtvorhang, der aufgeht, da kann man nur noch staunen und in diesem Kunstwerk versinken.
König: In Ihrem Buch schreiben Sie "Oper bedeutet Traum, sinnlicher Überfluss, Verschwendung, Tanz mit Tönen." Das heißt, Sie hatten von Anfang an ein Gefühl dafür, ein Wissen um dieses geheime Königreich?
Heidenreich: Ja, ich bin nach Hause gekommen und war nicht mehr dieselbe und ich war lebenslang wirklich infiziert und ich habe die ganze Oper zu Hause nachgesungen, ich habe mir die Schallplatte gekauft, ich hatte so einen Plattenspieler in den 50ern, werden Sie vielleicht gar nicht mehr kennen, den klappte man auf und dann war im Deckel der Lautsprecher, und man musste ein Ärmchen aufsetzten und eine 78 Platte hören und knister, knister, ja, ich war wirklich infiziert, ich habe immer gerne Musik gehört, aber in Oper fand ich alles zusammen, was mich interessierte, die Geschichten, die Magie, die Bilder, die großen Themen, Liebe, Tod, die einen lebenslang ja auch umtreiben.
König: Und die man in der Oper in einer Weise lernt, wie man sie an anderer Stelle nicht lernen kann?
Heidenreich: Ich denke, ja. Natürlich können einen Bilder, vor allem Gedichte auch verzaubern und hinreißen und immer wieder auch die Natur mit ihren gewaltigen Bildern, aber letztlich ist die Oper ein ganz wunderbares Kunstwerk, weil Musik unser Herz unmittelbar erreicht. Wir können gar nicht filtern, es nützt nichts, den Intellekt einzuschalten, es donnert einfach ins Herz, die Arie der Königin der Nacht.
König: Ich glaube, nach dem bisherigen Verlauf unseres Gespräches wird sich niemand mehr wundern, dass Sie sich für die Idee einer Kinderoper begeistert haben. Der Anstoß kam vom damaligen Kölner Opernintendanten Günter Krämer. Die Kinderoper in Köln hat ihren Sitz im oberen Foyer des Opernhauses, dessen Oberspielleiter ist Christian Schuller und mit ihm gemeinsam haben Sie diese Kölner Kinderoper begründet und betreiben sie. Beschreiben Sie uns doch Ihr Theater, Ihre Bühne, Ihr Orchester, den Zuschauerraum.
Heidenreich: Das ist ein kleines Extragebäude in dem großen Foyer, und dieses Gebäude steigt nach hinten an, so wie ein medizinischer oder sonstiger Hörsaal. Es sind rote Bänke, auf denen man unbequem sitzt, weil man sich nicht anlehnen kann, den Kindern ist das wurscht, die Erwachsenen leiden, aber eine Stunde hält jeder aus, und länger als eine Stunde spielen wir nie. Das kleine Häuschen wird mit Vorhängen dann abgeschottet, wenn es losgeht, das heißt, ringsum gehen Vorhänge zu und dann sitzen wir ganz im Dunkeln. Es hat ein kleine Bühne, auf der Bühne wird gespielt, hinter der Bühne sitzen die Musiker, das können bis zu 18 sein, das ist das Maximum, was die Bühne verkraftet. Einmal bei Richard Wagner brauchten wir mehr, da haben wir sie oben drüber gesetzt. Und da wird gespielt, etwa 100 bis 150 mal im Jahr, und es ist nicht Oper mit Kindern, sondern Oper für Kinder. Die Zuschauer sind Kinder, die natürlich nicht alleine kommen, sondern mit ihren Eltern, und das ist der zweite Nebeneffekt: Wir gewinnen nicht nur die Jugend, wir gewinnen auch Erwachsene, die bisher Berührungsangst vor der Oper hatten, mit diesem Haus, die kommen zum ersten Mal in die Oper und stellen fest, ist ja ganz wunderbar und gehen dann auch abends ins große Haus.
König: Wer reagiert wie? Beschreiben Sie uns die Atmosphäre der Vorstellung. Die Frage, die jetzt alle am meisten interessiert, sitzen die Kinder still?
Heidenreich: Aber wie! Die sitzen mit offenen Mündern und Augen da, und manchmal sind sie so verzaubert, dass sie, wenn der Zauberer auf der Bühne sagt, "Folgt mir in den schönen Garten", dann stehen sie auf und gehen auf die Bühne und folgen ihm in den schönen Garten. Dann müssen wir sie ganz sanft wieder da runter holen. Ja, die passen schon auf, die erleben all die Ängste, Schrecken, Überraschungen, die man auch im Theater erlebt, wenn plötzlich böse Figuren kommen oder besonders gute oder besonders witzige, dann wird laut gelacht. Manchmal fürchten sich welche und laufen nach hinten zu ihren Eltern. Wir trennen, wir setzen vorne die Kinder hin und hinten die Großen. Wir haben immer nur gemacht, wir sage ich, ich hatte die kleinste Rolle, ich habe die Libretti bearbeitet, Christian Schuller hat das eigentlich alles gestemmt. Opern des 20. Jahrhunderts, die vergessen waren, und da sieht man einen zweiten Effekt. Wir haben immer diese Berührungsangst mit der sogenannten Moderne. Die Kinder haben das nicht, die haben noch nicht Bach und Melodik und Verdi und Bellcanto im Ohr, die sind ganz offen gegenüber diesen wunderbaren Musiken von Ravel, Strawinsky, Krenek, Hans Gál, vielen jüdischen Komponisten, die die Nazis vertrieben haben, deren Werk fast vergessen wäre, und wir haben das in der Kinderoper wieder ausgegraben, bearbeitet auf eine Stunde, das war dann meine Aufgabe und die eines Komponisten, meine textlich, er musikalisch und haben ganz wunderbare Erfolge damit erzielt. Also einer ist, dass wir mit 200 Schüler-Abos im großen Haus damals anfingen 1996. Jetzt haben wir weit über 2000. Das heißt, Kinder, die mit 8 uns sehen, gehen mit 18 in die große Oper.
König: Toll!
Heidenreich: Ja, ich bin ganz glücklich.
König: Ja, das ist auch eine wunderbare Sache. Warum sind diese Stücke der Komponisten, die Sie genannt haben des 20. Jahrhunderts so geeignet für Kinder?
Heidenreich: Weil die oft kurze Einakter geschrieben haben, witzige präzise Sachen und zwar nicht groß psychologisiert, wie das im 19. Jahrhundert oft war, sondern Typen, der Gute, der Böse, der Witzige, der Gemeine, und das verstehen Kinder gut. Wir haben in nichts gekindertümelt, also wir haben nicht die Musik einfacher gemacht oder duzi-duzi-Texte, wir haben nur aufgepasst, dass das Sujet die Kinder erreicht. Christian bringt immer das Beispiel mit einem Schulbus. Ein Schulbus ist ja wie ein Linienbus gebaut, hat auch nicht nur drei Räder und ein Lenkrad aus Marzipan, er ist ganz genauso, er hält nur an kindgerechten Stationen und so ist das mit der Kinderoper. Die Geschichten müssen für die Kinder verständlich sein, alles andere vermittelt sich von selbst und da haben wir manchmal, wenn die Geschichten etwas zu schwierig waren, ein bisschen nachgeholfen und den Kern herausgearbeitet, also viel Getümmel und Diskussion drum rum weggelassen und die große Liebesgeschichte in der Mitte erzählt.
König: Sie haben es schon angedeutet, aber man muss das noch mal unterstreichen, Sie graben sozusagen nebenbei auch noch alte Theaterschätze wieder aus. Spielen andere Theater das nach?
Heidenreich: Das hoffen wir, dass wir durch dieses Buch, das jetzt endlich mal erreichen und es fängt schon an. Den Merlin von Henri Rabeau spielt jetzt Bremen nach nächstes Jahr. Wir haben das Buch an alle Theater verschickt, mit der flehentlichen Bitte, wenn ihr ein Publikum der Zukunft haben wollt in euren Opernhäusern, und wenn ihr wollt, dass es aufhört mit dem ewigen die Oper zu- und wegsparen, wenn ihr wollt, dass die Bude voll ist, dann macht, arbeitet auch für die jungen Leute, auch für die Kinder. Das geht so bis zwölf Jahre etwa, dann sind sie in der Pubertät, wollen nicht mehr Kinder sein und gehen lieber ins große Haus. Aber bis dahin kann man sie noch kriegen.
König: Vielleicht hören uns ja einige Intendanten zu. Welche Stücke würden Sie ihnen besonders ans Herz legen?
Heidenreich: Da muss ich jetzt mal eben blättern, also auf alle Fälle das, nach dem das Buch heißt, "Das geheime Königreich" von Ernst Krenek, dann kann jeder verstehen, ein großartiges Stück, es war unser erstes, "Die Nachtigall" von Igor Strawinsky, das ist nach Andersens Geschichte von dem Kaiser von China, der wieder gesund wird durch den Gesang der Nachtigall, also Musik rettet Leben, dann Ottorino Respighis hat ein sehr schönes Dornröschen geschrieben, Ravel das Kind und der Zauberspuk, das war nach einem Libretto von Cholette, wir haben das übersetzt. Viele waren auch erst in anderen Sprachen, mussten übersetzt werden und dann mit deutschem Rhythmus saß ich Stunden mit dem Klavierauszug und musste hämmern, dass es auch deutsch singbar ist, dann Lofer, das war der Bruder von Paul Hindemith, der unter dem Namen Hans Lofer arbeitete, "Des Kaisers neue Kleider", auch eine Andersen Geschichte. Die Märchen haben ja eine Ebene für Kinder immer zu verstehen und eine andere für uns, wie eingebildet wir sind, also das erreicht immer beide, solche Sachen, dann haben wir einmal das 19. Jahrhundert bemüht, Richard Wagners erste Oper, die Feen.
König: Tollkühner Akt, stelle ich mir vor.
Heidenreich: Tollkühner Akt, das mussten wir von drei Stunden runterkürzen auf eine. Es sind 70 Minuten geworden, aber es klappt. Wenn man die Kerngeschichte nimmt, die Liebe zwischen Arindal und der Feenkönigin Ada und das Schlachtgetümmel drum rum weglässt, dann funktioniert es. Dann hatten wir eine sehr lustige Geschichte von Hans Gál, einer der von den Nazis vertrieben wurde, "Die heilige Ente", das ist im Grunde eine Geschichte für Erwachsene, Götter sind im Drogenrausch und machen mit den Menschen was sie wollen. Wir haben den Drogenrausch weggelassen und eine Wette zwischen den Göttern, was aus den Menschen wird, wenn sie sie einmal hin und her schieben auf dem Schachbrett. Und dann hatten wir eine Geschichte von Malcolm Fox, "Sid, die Schlange, die singen wollte". Das war die einzige dezidierte Kinderoper, die wirklich von Anfang an für Kinder geschrieben wurde, ganz, ganz simpel, eine Zirkusschlange, die singen lernen möchte und nicht singen kann und dann weint und weint sie so schön, dass man sagt, das ist doch wie Gesang. Und da dachten wir, jetzt haben wir endlich mal für die ganz Kleinen was, die sich oft, wir hatten immer gehofft, sie kommen erst ab sechs, aber sie kamen ab drei, die sich oft langweilen und der Effekt war, dass gar keine Kinder drin waren, sondern jede Vorstellung ausverkauft mit Erwachsenen, die sich beömmelt haben vor Lachen, also auch so was haben wir erlebt.
König: Das Schöne, wenn man Ihnen zuhört, Frau Heidenreich und Ihre Begeisterung selber mitempfindet, ist, dass man selber gar nicht mehr auf die Idee kommt, nach einer gekürzten Zauberflöte oder so was zu fragen.
Heidenreich: Nein, das darf man eigentlich auch nicht machen. Also wenn wir es machen würden, würden wir wahrscheinlich nur die Kerngeschichte, Tamino befreit Pamina, machen, aber die großen Opern, die auch als große Opern geschrieben wurden, da sollte man sich möglichst nicht dran vergreifen, denn die kann man ja im großen Haus dann in voller Länge sehen.
König: Genau.
Heidenreich: Das waren fast alles so etwas längere Einakter, die wir genommen haben. Also wir haben wenig verstümmelt. Die Nachtigall ist ganz original gelaufen, Ravel auch und ich muss noch etwas vielleicht sagen, wir haben auch nicht minderwertige Kräfte nachmittags gehabt, es spielten die selben Musiker aus dem Gürzenich und es sangen die selber Sänger, die abends auch in Salome und in Lohengrin auf der großen Bühne standen. Das muss man sich mal vorstellen, das waren Weltklasse-Leute. Manchmal der Nachwuchs, aber auch der Nachwuchs ist gut, wenn er fertig ausgebildet ist. Aber niemals irgendwelche Laien oder irgendein Getümel, wie Christian das immer nennt. Es war wirklich von der Qualität her erste Klasse, immer, und ist es noch, also ich sage war, weil Christian jetzt leider die Oper verlassen hat, nach 10 Jahren, aber Eike Ecker führt es in seinem Sinne weiter.
König: Man kann Kinder für die Oper begeistern, wie wir gehört und miterlebt haben, Elke Heidenreich und Christina Schuller machen es mit diesem Buch vor, mit dem Buch, das ihre Arbeit in der Kölner Kinderoper aufs Schönste dokumentiert. Es heißt, "Das geheime Königreich. Oper für Kinder" und ist erschienen bei Kiepenheuer und Witsch. Frau Heidenreich, am Ende der Oper wird geklatscht, also Applaus und vielen Dank.
Heidenreich: Danke auch.
Elke Heidenreich: Guten Morgen, Herr König.
König: Können Sie sich an ihr erstes Opernerlebnis erinnern?
Heidenreich: Ja, das war wie bei so vielen Kindern die Zauberflöte, weil Erwachsene immer denken, dass wäre eine Oper für Kinder, dabei ist das eine der kompliziertesten Opern überhaupt, hat aber so lustige Figuren wie Papageno und Papagena und so spannende wie die Königin der Nacht, und dann muss man erst mal nicht alles verstehen. Man muss überhaupt nicht alles verstehen in der Oper, wichtig ist, dass der Zauber funktioniert, und das hat er bei mir damals, ich muss so 13 Jahre alt gewesen sein, getan, auch bei der Zauberflöte.
König: Ich vermute mal, Sie wussten mit 13 noch nicht wirklich, was Oper ist. Woher gleich diese frühe Begeisterung?
Heidenreich: Ich mochte immer gerne Musik, und das lag an meiner Mutter, die zu Hause Wunschkonzert gehört hat und mich immer aufmerksam gemacht hat, wann es traurig ist, wann es wild ist, was die pastorale bedeutet, dass wir da verschiedene Stimmungen und Wetter hören. Sie hat mich das Hören gelehrt. Sie war eine einfache, nicht gebildete, aber kluge Frau, und die Musik steckte mir irgendwie in den Knochen. Ich bin auch sehr musikalisch, wie ich dann später gemerkt habe. Ich habe dann später Instrumente gelernt, ich war im Bach-Chor, habe gesungen, ich hatte eine Affinität zur Musik, und ich denke, die muss man mitbringen, und wenn man dann das Gesamtkunstwerk sieht, Musik, Schauspiel, Wörter dazu, also eine Geschichte, ein Bühnenbild, der Samtvorhang, der aufgeht, da kann man nur noch staunen und in diesem Kunstwerk versinken.
König: In Ihrem Buch schreiben Sie "Oper bedeutet Traum, sinnlicher Überfluss, Verschwendung, Tanz mit Tönen." Das heißt, Sie hatten von Anfang an ein Gefühl dafür, ein Wissen um dieses geheime Königreich?
Heidenreich: Ja, ich bin nach Hause gekommen und war nicht mehr dieselbe und ich war lebenslang wirklich infiziert und ich habe die ganze Oper zu Hause nachgesungen, ich habe mir die Schallplatte gekauft, ich hatte so einen Plattenspieler in den 50ern, werden Sie vielleicht gar nicht mehr kennen, den klappte man auf und dann war im Deckel der Lautsprecher, und man musste ein Ärmchen aufsetzten und eine 78 Platte hören und knister, knister, ja, ich war wirklich infiziert, ich habe immer gerne Musik gehört, aber in Oper fand ich alles zusammen, was mich interessierte, die Geschichten, die Magie, die Bilder, die großen Themen, Liebe, Tod, die einen lebenslang ja auch umtreiben.
König: Und die man in der Oper in einer Weise lernt, wie man sie an anderer Stelle nicht lernen kann?
Heidenreich: Ich denke, ja. Natürlich können einen Bilder, vor allem Gedichte auch verzaubern und hinreißen und immer wieder auch die Natur mit ihren gewaltigen Bildern, aber letztlich ist die Oper ein ganz wunderbares Kunstwerk, weil Musik unser Herz unmittelbar erreicht. Wir können gar nicht filtern, es nützt nichts, den Intellekt einzuschalten, es donnert einfach ins Herz, die Arie der Königin der Nacht.
König: Ich glaube, nach dem bisherigen Verlauf unseres Gespräches wird sich niemand mehr wundern, dass Sie sich für die Idee einer Kinderoper begeistert haben. Der Anstoß kam vom damaligen Kölner Opernintendanten Günter Krämer. Die Kinderoper in Köln hat ihren Sitz im oberen Foyer des Opernhauses, dessen Oberspielleiter ist Christian Schuller und mit ihm gemeinsam haben Sie diese Kölner Kinderoper begründet und betreiben sie. Beschreiben Sie uns doch Ihr Theater, Ihre Bühne, Ihr Orchester, den Zuschauerraum.
Heidenreich: Das ist ein kleines Extragebäude in dem großen Foyer, und dieses Gebäude steigt nach hinten an, so wie ein medizinischer oder sonstiger Hörsaal. Es sind rote Bänke, auf denen man unbequem sitzt, weil man sich nicht anlehnen kann, den Kindern ist das wurscht, die Erwachsenen leiden, aber eine Stunde hält jeder aus, und länger als eine Stunde spielen wir nie. Das kleine Häuschen wird mit Vorhängen dann abgeschottet, wenn es losgeht, das heißt, ringsum gehen Vorhänge zu und dann sitzen wir ganz im Dunkeln. Es hat ein kleine Bühne, auf der Bühne wird gespielt, hinter der Bühne sitzen die Musiker, das können bis zu 18 sein, das ist das Maximum, was die Bühne verkraftet. Einmal bei Richard Wagner brauchten wir mehr, da haben wir sie oben drüber gesetzt. Und da wird gespielt, etwa 100 bis 150 mal im Jahr, und es ist nicht Oper mit Kindern, sondern Oper für Kinder. Die Zuschauer sind Kinder, die natürlich nicht alleine kommen, sondern mit ihren Eltern, und das ist der zweite Nebeneffekt: Wir gewinnen nicht nur die Jugend, wir gewinnen auch Erwachsene, die bisher Berührungsangst vor der Oper hatten, mit diesem Haus, die kommen zum ersten Mal in die Oper und stellen fest, ist ja ganz wunderbar und gehen dann auch abends ins große Haus.
König: Wer reagiert wie? Beschreiben Sie uns die Atmosphäre der Vorstellung. Die Frage, die jetzt alle am meisten interessiert, sitzen die Kinder still?
Heidenreich: Aber wie! Die sitzen mit offenen Mündern und Augen da, und manchmal sind sie so verzaubert, dass sie, wenn der Zauberer auf der Bühne sagt, "Folgt mir in den schönen Garten", dann stehen sie auf und gehen auf die Bühne und folgen ihm in den schönen Garten. Dann müssen wir sie ganz sanft wieder da runter holen. Ja, die passen schon auf, die erleben all die Ängste, Schrecken, Überraschungen, die man auch im Theater erlebt, wenn plötzlich böse Figuren kommen oder besonders gute oder besonders witzige, dann wird laut gelacht. Manchmal fürchten sich welche und laufen nach hinten zu ihren Eltern. Wir trennen, wir setzen vorne die Kinder hin und hinten die Großen. Wir haben immer nur gemacht, wir sage ich, ich hatte die kleinste Rolle, ich habe die Libretti bearbeitet, Christian Schuller hat das eigentlich alles gestemmt. Opern des 20. Jahrhunderts, die vergessen waren, und da sieht man einen zweiten Effekt. Wir haben immer diese Berührungsangst mit der sogenannten Moderne. Die Kinder haben das nicht, die haben noch nicht Bach und Melodik und Verdi und Bellcanto im Ohr, die sind ganz offen gegenüber diesen wunderbaren Musiken von Ravel, Strawinsky, Krenek, Hans Gál, vielen jüdischen Komponisten, die die Nazis vertrieben haben, deren Werk fast vergessen wäre, und wir haben das in der Kinderoper wieder ausgegraben, bearbeitet auf eine Stunde, das war dann meine Aufgabe und die eines Komponisten, meine textlich, er musikalisch und haben ganz wunderbare Erfolge damit erzielt. Also einer ist, dass wir mit 200 Schüler-Abos im großen Haus damals anfingen 1996. Jetzt haben wir weit über 2000. Das heißt, Kinder, die mit 8 uns sehen, gehen mit 18 in die große Oper.
König: Toll!
Heidenreich: Ja, ich bin ganz glücklich.
König: Ja, das ist auch eine wunderbare Sache. Warum sind diese Stücke der Komponisten, die Sie genannt haben des 20. Jahrhunderts so geeignet für Kinder?
Heidenreich: Weil die oft kurze Einakter geschrieben haben, witzige präzise Sachen und zwar nicht groß psychologisiert, wie das im 19. Jahrhundert oft war, sondern Typen, der Gute, der Böse, der Witzige, der Gemeine, und das verstehen Kinder gut. Wir haben in nichts gekindertümelt, also wir haben nicht die Musik einfacher gemacht oder duzi-duzi-Texte, wir haben nur aufgepasst, dass das Sujet die Kinder erreicht. Christian bringt immer das Beispiel mit einem Schulbus. Ein Schulbus ist ja wie ein Linienbus gebaut, hat auch nicht nur drei Räder und ein Lenkrad aus Marzipan, er ist ganz genauso, er hält nur an kindgerechten Stationen und so ist das mit der Kinderoper. Die Geschichten müssen für die Kinder verständlich sein, alles andere vermittelt sich von selbst und da haben wir manchmal, wenn die Geschichten etwas zu schwierig waren, ein bisschen nachgeholfen und den Kern herausgearbeitet, also viel Getümmel und Diskussion drum rum weggelassen und die große Liebesgeschichte in der Mitte erzählt.
König: Sie haben es schon angedeutet, aber man muss das noch mal unterstreichen, Sie graben sozusagen nebenbei auch noch alte Theaterschätze wieder aus. Spielen andere Theater das nach?
Heidenreich: Das hoffen wir, dass wir durch dieses Buch, das jetzt endlich mal erreichen und es fängt schon an. Den Merlin von Henri Rabeau spielt jetzt Bremen nach nächstes Jahr. Wir haben das Buch an alle Theater verschickt, mit der flehentlichen Bitte, wenn ihr ein Publikum der Zukunft haben wollt in euren Opernhäusern, und wenn ihr wollt, dass es aufhört mit dem ewigen die Oper zu- und wegsparen, wenn ihr wollt, dass die Bude voll ist, dann macht, arbeitet auch für die jungen Leute, auch für die Kinder. Das geht so bis zwölf Jahre etwa, dann sind sie in der Pubertät, wollen nicht mehr Kinder sein und gehen lieber ins große Haus. Aber bis dahin kann man sie noch kriegen.
König: Vielleicht hören uns ja einige Intendanten zu. Welche Stücke würden Sie ihnen besonders ans Herz legen?
Heidenreich: Da muss ich jetzt mal eben blättern, also auf alle Fälle das, nach dem das Buch heißt, "Das geheime Königreich" von Ernst Krenek, dann kann jeder verstehen, ein großartiges Stück, es war unser erstes, "Die Nachtigall" von Igor Strawinsky, das ist nach Andersens Geschichte von dem Kaiser von China, der wieder gesund wird durch den Gesang der Nachtigall, also Musik rettet Leben, dann Ottorino Respighis hat ein sehr schönes Dornröschen geschrieben, Ravel das Kind und der Zauberspuk, das war nach einem Libretto von Cholette, wir haben das übersetzt. Viele waren auch erst in anderen Sprachen, mussten übersetzt werden und dann mit deutschem Rhythmus saß ich Stunden mit dem Klavierauszug und musste hämmern, dass es auch deutsch singbar ist, dann Lofer, das war der Bruder von Paul Hindemith, der unter dem Namen Hans Lofer arbeitete, "Des Kaisers neue Kleider", auch eine Andersen Geschichte. Die Märchen haben ja eine Ebene für Kinder immer zu verstehen und eine andere für uns, wie eingebildet wir sind, also das erreicht immer beide, solche Sachen, dann haben wir einmal das 19. Jahrhundert bemüht, Richard Wagners erste Oper, die Feen.
König: Tollkühner Akt, stelle ich mir vor.
Heidenreich: Tollkühner Akt, das mussten wir von drei Stunden runterkürzen auf eine. Es sind 70 Minuten geworden, aber es klappt. Wenn man die Kerngeschichte nimmt, die Liebe zwischen Arindal und der Feenkönigin Ada und das Schlachtgetümmel drum rum weglässt, dann funktioniert es. Dann hatten wir eine sehr lustige Geschichte von Hans Gál, einer der von den Nazis vertrieben wurde, "Die heilige Ente", das ist im Grunde eine Geschichte für Erwachsene, Götter sind im Drogenrausch und machen mit den Menschen was sie wollen. Wir haben den Drogenrausch weggelassen und eine Wette zwischen den Göttern, was aus den Menschen wird, wenn sie sie einmal hin und her schieben auf dem Schachbrett. Und dann hatten wir eine Geschichte von Malcolm Fox, "Sid, die Schlange, die singen wollte". Das war die einzige dezidierte Kinderoper, die wirklich von Anfang an für Kinder geschrieben wurde, ganz, ganz simpel, eine Zirkusschlange, die singen lernen möchte und nicht singen kann und dann weint und weint sie so schön, dass man sagt, das ist doch wie Gesang. Und da dachten wir, jetzt haben wir endlich mal für die ganz Kleinen was, die sich oft, wir hatten immer gehofft, sie kommen erst ab sechs, aber sie kamen ab drei, die sich oft langweilen und der Effekt war, dass gar keine Kinder drin waren, sondern jede Vorstellung ausverkauft mit Erwachsenen, die sich beömmelt haben vor Lachen, also auch so was haben wir erlebt.
König: Das Schöne, wenn man Ihnen zuhört, Frau Heidenreich und Ihre Begeisterung selber mitempfindet, ist, dass man selber gar nicht mehr auf die Idee kommt, nach einer gekürzten Zauberflöte oder so was zu fragen.
Heidenreich: Nein, das darf man eigentlich auch nicht machen. Also wenn wir es machen würden, würden wir wahrscheinlich nur die Kerngeschichte, Tamino befreit Pamina, machen, aber die großen Opern, die auch als große Opern geschrieben wurden, da sollte man sich möglichst nicht dran vergreifen, denn die kann man ja im großen Haus dann in voller Länge sehen.
König: Genau.
Heidenreich: Das waren fast alles so etwas längere Einakter, die wir genommen haben. Also wir haben wenig verstümmelt. Die Nachtigall ist ganz original gelaufen, Ravel auch und ich muss noch etwas vielleicht sagen, wir haben auch nicht minderwertige Kräfte nachmittags gehabt, es spielten die selben Musiker aus dem Gürzenich und es sangen die selber Sänger, die abends auch in Salome und in Lohengrin auf der großen Bühne standen. Das muss man sich mal vorstellen, das waren Weltklasse-Leute. Manchmal der Nachwuchs, aber auch der Nachwuchs ist gut, wenn er fertig ausgebildet ist. Aber niemals irgendwelche Laien oder irgendein Getümel, wie Christian das immer nennt. Es war wirklich von der Qualität her erste Klasse, immer, und ist es noch, also ich sage war, weil Christian jetzt leider die Oper verlassen hat, nach 10 Jahren, aber Eike Ecker führt es in seinem Sinne weiter.
König: Man kann Kinder für die Oper begeistern, wie wir gehört und miterlebt haben, Elke Heidenreich und Christina Schuller machen es mit diesem Buch vor, mit dem Buch, das ihre Arbeit in der Kölner Kinderoper aufs Schönste dokumentiert. Es heißt, "Das geheime Königreich. Oper für Kinder" und ist erschienen bei Kiepenheuer und Witsch. Frau Heidenreich, am Ende der Oper wird geklatscht, also Applaus und vielen Dank.
Heidenreich: Danke auch.