Hier kauften schon die Könige
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Gekrönte Häupter und Kunden aus aller Welt kamen einst nach Berlin gereist, weil sie die Kompetenz der Späth'schen Baumschule schätzten. Das Unternehmen blickt auf eine bewegte 300-jährige Geschichte zurück.
Marlies Willamowski führt über das Gelände, das eher einem Park gleicht als einer Gärtnerei:
"Wir befinden uns hier auf der Staudenfläche. Hier sehen Sie, wie schön es blüht und richtig schnuckelig aussieht. Unser Augenmerk hat sich auch auf die Produktion von Stauden gerichtet, die gerade für Insekten wichtig sind. Wenn sie hier vorne herschauen, haben wir zum Beispiel die Salvia aus Friesland in einem schönen Dunkelblau. Hier sehen Sie ganz viele Bienen umherfliegen, auch dicke Hummeln, die holen sich natürlich das, was sie jetzt auch brauchen im Sommer."
Zwischen blühenden Blumen und Bäumen führt ein breiter Weg zur alten Packhalle. Hier erzählen Fotos an holzgetäfelten Wänden vom Leben bekannter Botaniker und den Pflanzen, die sie aus fernen Ländern mitbrachten.
Im Skulpturengarten schuf ein Künstler überlebensgroße Figuren und Käfer, gebaut aus altem Gartenwerkzeug. Die Verkaufsleiterin Willamowski arbeitet schon mehr als 20 Jahren hier:
"Was jetzt zu Coronazeiten besonders ist: dass die Leute wieder ihre Gärten anfangen zu lieben. Die wollen ihre Gärten schön machen. Die wollen Terrasse und Balkon schön machen. Wir haben hier in diesem Jahr sehr viel zu tun gehabt. Ich finde es sehr schön, dass auch in den Kleingärten wieder sehr viel Obst angebaut wird. Es ist schon sehr schön, dass sie Leute auch Himbeeren und Brombeeren wiederentdecken und nicht nur eine Hollywoodschaukel und nicht nur eine Graslandschaft."
Kunden vertrauen der Beratung
Willamowski kennt ihre Kunden schon seit Jahren. Brigitte Kleszak zum Beispiel kommt dreimal die Woche, nicht nur um Pflanzen zu kaufen. Sie schätzt auch den Hofladen mit Wurst und Brot aus Brandenburg, sitzt im Café oder genießt einfach nur die Natur:
"Was ich hier gut finde, ist nicht nur das Sortiment, sondern auch die Beratung. Oft sieht das Auge mehr, als der Boden vielleicht hergibt. Durch die lange Bekanntschaft mit den Mitarbeitern kennen sie meinen Garten schon ziemlich gut. Gleich am Anfang, als wir in den 80er-Jahren den Garten angelegt haben, da fand ich das auch vertrauensaufbauend, dass man gesagt hat, für kleine Kinder setzen Sie das nicht in Ihren Garten, die sind giftig oder haben später giftige Beeren, das ist zu gefährlich, da warten wir noch eins, zwei Jahre."
Geschäftsführer Holger Zahn: "Ich habe es schon mal rausgeholt, das liegt gleich hinter mir. Hier sieht man, das ist der erste Eintrag von 1884; das heißt Reichskanzler Fürst Bismarck. Hier haben wir königliche Hofgärtner aus Wien plus St. Petersburg, war der Gärtner vom Zaren gewesen."
Stolze Unternehmensgeschichte
Das Gästebuch ist fast 150 Jahre alt. Es zeigt den gesellschaftlichen Rang, den das Unternehmen einst hatte, so Zahn. Er sitzt am antiken Schreibtisch der Familie Späth in dem aus Holz geschnitzten Chefsessel.
Auch Fotos und Gemälde an den Wänden dokumentieren die Unternehmenstradition. Schon der preußische König Friedrich Wilhelm I. soll hier vor 300 Jahren eingekauft haben.
"Das ist praktisch unser Lieblingsbild, weil das das älteste ist, wo der Soldatenkönig durch die Baumschule pilgert und dort, so sagt man, immer wenn er von einer militärischen Übung vom Tempelhofer Feld gekommen ist, hat er Station gemacht bei Späth und hat da sein Gemüse geholt, weil Späth hatte ursprünglich als Gemüsegärtnerei angefangen. Dieser Wechsel ist dann erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts vollzogen worden, dass man anfing, verstärkt Gehölze zu pflanzen, weil auch die Bedeutung der Parkanlagen zunahm und auch die Begrünung der Städte eine andere Rolle spielte."
Am 11. September 1720 hatte Christoph Späth das Unternehmen am Halleschen Tor in Berlin gegründet. Seitdem wechselte es mehrmals den Standort und war einst die größte Baumschule der Welt. Schon damals arbeitete man eng mit Wissenschaftlern zusammen und bereiste ferne Länder und Kontinente auf der Suche nach neuen Pflanzen und Bäumen.
1879 entstand so das Arboretum, ein Baumgarten, in dem Späth'sche Gärtner zusammen mit Wissenschaftlern Gehölze aus allen Kontinenten auf ihre Standortverträglichkeit in Berlin und Brandenburg testeten. Bevor das Arboretum 1961 der Humboldt-Universität angegliedert wurde, züchtete man hier auch eigene Bäume und Pflanzen, um sie in Deutschland, aber auch weltweit zu verkaufen:
"Sanddorn zum Beispiel: Wenn Sie nach China gehen, und die machen eine Sanddornplantage, sind das unsere Sorten. Gehen sie nach den USA, nach Kanada, nach Italien: Das sind immer unsere Sorten, die dort angebaut werde, weil die sich eben bewährt haben."
Züchtungen erinnern an Familienmitglieder
"Wenn sie irgendwo aufmerksam mal durch Gärten gehen, dann sehen Sie einen ganz purpur-dunkel-lilanen Flieder, dann ist das Andenken an Ludwig Späth. Man weiß, das kann bloß Ludwig sein. Da gibt es auch die Rose Dagmar Späth, die Pflaume Anna Späth. Da ist es so, dass wir zum Herbst immer ein Traditionsfest machen. Da kommen viele her, um Frischobst zu kaufen. Wirklich, die Leute stehen nur wegen der Pflaume Anna Späth Schlange hier. Ist irre. Unvorstellbar."
Der Verkauf der Pflaumen und einiger Apfelsorten soll für die entsprechenden Obstbäume werben, alles Züchtungen der Familie Späth. Aber auch Straßenbäume sind gefragt, wie die Spätherle, eine Züchtung von 1908. Zurzeit erlebt sie eine Renaissance als Klimabaum der Zukunft, so Hartmut Balder, emeritierter Professor an der Beuth-Hochschule in Berlin.
"Sie kann Wasser vertragen, sie kann auch mal Frost vertragen, sie kann Hitze vertragen, viel bessere Eigenschaften als das, was man bisher von Erlen kannte, die an der Flusslandschaft stehen. Wir suchen auch weiterhin Pflanzensortimente, die mit den Anforderungen aus der Klimaentwicklung besser zurechtkommen als in der Vergangenheit. Die Spätherle wäre so ein Beispiel, die das scheinbar schafft."
Die Erle als Straßenbegleitgrün
"Das hier ist die Spätherle: Hier sieht man schon, dass sie vom Laub her als Erle gar nicht zu erkennen ist, weil die ganz untypisches Laub hat. Die erinnert einen mehr an einen Kirschlorbeer. Aber wenn man genauer hinguckt, sieht man die Früchte und die Samen, die man so typisch hat bei den Erlen. Was man auch sieht: Der Baum ist nicht geschnitten und der hat so einen ganz gleichmäßigen geraden Stamm bis nach oben in die Krone. Das ist es, was den Baum so spannend macht, so als Straßenbegleitgrün."
Geschäftsführer Zahn arbeitet mittlerweile 33 Jahren bei der Baumschule. Von Anfang an erforschte er die Unternehmensgeschichte. Er hat ein Buch darüber geschrieben, das jetzt zum 300-jährigen Jubiläum erscheint.
Besonders beeindruckt ihn das Schicksal von Hellmut Späth, dem letzten Inhaber. Aus wirtschaftlichem Interesse trat dieser 1933 der NSDAP bei, deren Weltsicht er jedoch später nicht mehr teilte. Auch, weil er in erster Ehe mit einer Jüdin verheiratet war, mit der er eine gemeinsame Tochter hatte, beschäftigte und versteckte er Juden in seinem Betrieb. Er wurde denunziert und im Konzentrationslager Sachsenhausen hingerichtet.
Rückübertragung nach der Wiedervereinigung
1945 wurde die Familie Späth enteignet und die Baumschule Volkseigentum. Zu DDR-Zeiten züchtete man hier hauptsächlich Obstbäume, um die Bevölkerung mit Vitaminen zu versorgen. Nach der Wiedervereinigung versuchte die Treuhand, den Betrieb abzuwickeln, was ihr jedoch nicht gelang. Er wurde an eine Erbengemeinschaft rückübertragen.
Zahn war damals Betriebsratsvorsitzender und rettete, was zu retten war. Später wurde er Geschäftsführer und baute eine Eventkultur auf, die Einnahmen sicherte und die Baumschule und ihre Produkte weiter bekannt machte. Bis zum Ausbruch der Coronapandemie gab es Feste und Märkte, eine Märchenhütte, Tanzkurse und einen Weihnachtsmarkt.
Einige Veranstaltungen finden weiterhin statt: zum Beispiel der Weinmarkt, zu dem Winzer aus ganz Deutschland anreisen.
"Wir sind GWF Winzerkeller Taubertal. Wir sind schon öfter da gewesen und ich finde es ganz toll, das Ambiente hier, die Berliner sind gut drauf, es macht viel Spaß hier!"
Und eine Kundin auf dem Weinfest sagt: "Wir haben erstmal eine kleinere Menge genommen, damit wir zwei verschiedene genießen können. Aber es ist interessant, das zu kosten."
Baumschule hat Bildungsauftrag
2018 musste die Baumschule die Hälfte ihrer Anbaufläche nach Brandenburg verlagern. Grund war eine horrende Gebührenforderung der Berliner Stadtreinigung. Dabei ist ein Gartenbaubetrieb in der Großstadt aus wissenschaftlicher Sicht durchaus sinnvoll und notwendig, so der Baumexperte Balder:
"Wenn eine Pflanze in einer Baumschulregion an der Küste produziert wird, dann hat sie ein ganz anderes Klima als später in der Stadt. Wenn wir natürlich so einen Betrieb wie Späth hier in der Stadt haben, dann kann man die Pflanzen viel besser anpassen als in dieser Luxussituation an der Küste."
Doch nicht nur aus diesem Grund wünscht sich Balder, dass die Baumschule noch lange existiert:
"Wenn man mal schaut, dass so eine Baumschule neben der Produktion auch ein Informationspool ist: Die laden unheimlich viele Gäste ein: Schulklassen bis hin zu großen Festivitäten, wo auch der klassische Großstädter noch erfahren kann, was Pflanzen eigentlich bedeuten. Alles das vermittelt dieser Betrieb in dieser Stadtnähe. Von daher hat er auch einen gesellschaftlichen Auftrag im Sinne von Bildung."