Die Spuren entschlüsseln
Hand- und Fußabdrücke in Höhlen geben Aufschluss über das Leben der Menschen vor Tausenden von Jahren. Doch der Forschung fehlt bislang das richtige Werkzeug, um die Fährten zu lesen. Kölner Forscher haben sich deshalb Hilfe von einem Stamm in Namibia geholt: Den San.
"Die San haben uns in Frankreich die Augen geöffnet, indem sie zu jeder einzelnen Höhle, zu jeder einzelnen Spur plausible Erklärungen geliefert haben, die uns die westliche Wissenschaft nicht geliefert hat."
Es ist das Eingeständnis des Scheiterns: Modernen Wissenschaftlern fehlt das Werkzeug, Fährten wirklich zu verstehen, sagt Andreas Pastoors vom Neanderthal Museum in Mettmann:
"Was westliche Wissenschaftler bisher gemacht haben ist – plump gesagt – nur eine Basis. Nuancen zu lesen und Feinheiten zu erkennen, das wird ein westlicher Wissenschaftler auch durch jahrelanges Messen nicht herausbekommen."
Die San in Namibia haben das Spezialwissen. C/wi G/ago, C/wi Kunta und Tsamkxao Cigae arbeiten als professionelle Fährtenleser. Sie führen Safari-Touristen und Jäger durch die Kalahari-Wüste zu Löwen, Elefanten und Antilopen.
In den Pyrenäen war ihr erster Höhlen-Einsatz. Zu dritt haben sie die Spuren analysiert, Tsamkxao Cigae hat aus der Klicksprache der San ins Englische übersetzt.
"Bei uns Jägern ist es immer so, dass alle den anderen in der Gruppe sagen, was sie gesehen haben. Dann diskutieren wir das. Die Größe des Abdrucks, die Hügel und Täler und was sich daraus schließen lässt. Und wenn wir dann wirklich sicher sind, dann fassen wir das Ergebnis zusammen. Aber erst dann, wenn wir alle drei davon überzeugt sind, dass es stimmt."
Tilman Lenssen-Erz : "”Die San sind in der Beantwortung von Fragen und in der Darlegung von Fakten enorm präzise.""
Es geht darum, die richtigen Fragen zu stellen, sagt Tilman Lenssen-Erz von der Universität Köln. Fragen ohne Vorannahmen und doppelten Boden.
"Es geht immer alles ganz präzise an den Fakten, bleibt immer an dem gestellten Problem, und das wird beantwortet. Es wird da nicht spekuliert, sondern es gibt nur eine klare Aussage – oder man lässt es. Man nimmt keine Eventualitäten oder Wahrscheinlichkeiten auf, sondern das, was man sagen, erkennen und benennen kann."
Was die San aus den Höhlenspuren lesen, weicht oft erheblich ab von früheren Hypothesen. Beispiel: die Pech Merle-Höhle.
Pastoors:"Der Tourist geht dort vor diese Stelle, wo etwa zwölf Fußabdrücke bekannt sind. Da wird ihm erzählt, dass dort ein ritueller Tanz von einer Person durchgeführt wurde. Seit einer Woche wissen wir, dass dort fünf Personen unterschiedlichen Alters lang gegangen sind und überhaupt keine Spur von Tanz ist."
Eine besondere Herausforderung: die Höhle von Fontanet. Dort sind Hunderte oder sogar Tausende von Fußabdrücken. Dicht an dicht. Die San erkennen Spuren von Kindern, Frauen, sogar von einem 60-jährigen Mann. Und sie widerlegen eine Forschungsgewissheit.
"Aus dem einzigen Fußabdruck von einem Mokassin, der in die Literatur eingegangen ist, wurde uns mit einer kurzen Diskussion mit dem Laserpointer gezeigt, dass da doch alle Zehen vorhanden sind."
Aber was haben die Menschen in den Höhlen gemacht? Für die Höhle Tuc d’Audoubert gibt es erste Hinweise.
"Es gab immer viele Spekulationen. Und jetzt haben wir das erste Mal auch eine plausible Geschichte, die uns erzählt, dass dort eine Person und eine zweite Person zu einer Stelle gegangen ist, um Lehm aus dem Boden zu holen, um damit zu arbeiten. Und es ist ganz klar: Auf dem Hinweg sind sie unbeladen, auf dem Rückweg sind sie beladen…"
…also sind diese Fußabdrücke im Lehm etwas tiefer…
"… und solche letztendlich einfachen Geschichten haben wir uns niemals zugetraut zu erzählen, weil wir nicht die Kompetenz dafür haben."
Es sind kurze Handlungssequenzen. Manche dauern nur ein paar Sekunden, andere ein paar Minuten. Zufällige Dokumente aus der Zeit vor 17.000 Jahren. Dennoch erzählen sie auch etwas über die Malereien auf den Wänden .
Lenssen-Erz: "Das war offensichtlich so, dass diese Orte reserviert waren, für das, was man dort hinterlassen hat, nämlich die Felskunst."
Dass Höhlen mit Felskunst auch anders genutzt wurden, war eher die Ausnahme, sagt Tilman Lenssen-Erz. Ein Bruchteil der rund 400 eiszeitlichen Höhlen ist bislang genauer untersucht. Das deutsch-namibische Team hat noch viel vor. Und auch ein zweites Forschungsprojekt steht noch ganz am Anfang: Wie lernen die San das Fährtenlesen?
Tsamkxao Cigae: "Wir haben Erfahrung. Wir haben das Fährtenlesen von unseren Vätern und Großvätern gelernt. Sie haben uns mit auf die Jagd genommen, und sie haben ihr Wissen mit uns geteilt."
Tilman Lenssen-Erz und Andreas Pastoors wollen genauer verstehen, wie die San zu ihren so präzisen Analysen kommen. Sie haben deshalb die Diskussionen der Fährtenleser aufgenommen.
Lenssen-Erz: "Das ist ein Bestandteil unseres Forschungsprojektes, dass wir den Prozess, diesen Wissensgewinnungsprozess mit protokolliert haben, um auch in Zukunft mit der Art und Weise, wie dort in dieser Gesellschaft Wissen generiert wird, auch weiter arbeiten möchten."
Spezialisten helfen Spezialisten. Verblüffend nur, dass erst im 21. Jahrhundert dieser Wissenstransfer erprobt wird.
Es ist das Eingeständnis des Scheiterns: Modernen Wissenschaftlern fehlt das Werkzeug, Fährten wirklich zu verstehen, sagt Andreas Pastoors vom Neanderthal Museum in Mettmann:
"Was westliche Wissenschaftler bisher gemacht haben ist – plump gesagt – nur eine Basis. Nuancen zu lesen und Feinheiten zu erkennen, das wird ein westlicher Wissenschaftler auch durch jahrelanges Messen nicht herausbekommen."
Die San in Namibia haben das Spezialwissen. C/wi G/ago, C/wi Kunta und Tsamkxao Cigae arbeiten als professionelle Fährtenleser. Sie führen Safari-Touristen und Jäger durch die Kalahari-Wüste zu Löwen, Elefanten und Antilopen.
In den Pyrenäen war ihr erster Höhlen-Einsatz. Zu dritt haben sie die Spuren analysiert, Tsamkxao Cigae hat aus der Klicksprache der San ins Englische übersetzt.
"Bei uns Jägern ist es immer so, dass alle den anderen in der Gruppe sagen, was sie gesehen haben. Dann diskutieren wir das. Die Größe des Abdrucks, die Hügel und Täler und was sich daraus schließen lässt. Und wenn wir dann wirklich sicher sind, dann fassen wir das Ergebnis zusammen. Aber erst dann, wenn wir alle drei davon überzeugt sind, dass es stimmt."
Tilman Lenssen-Erz : "”Die San sind in der Beantwortung von Fragen und in der Darlegung von Fakten enorm präzise.""
Es geht darum, die richtigen Fragen zu stellen, sagt Tilman Lenssen-Erz von der Universität Köln. Fragen ohne Vorannahmen und doppelten Boden.
"Es geht immer alles ganz präzise an den Fakten, bleibt immer an dem gestellten Problem, und das wird beantwortet. Es wird da nicht spekuliert, sondern es gibt nur eine klare Aussage – oder man lässt es. Man nimmt keine Eventualitäten oder Wahrscheinlichkeiten auf, sondern das, was man sagen, erkennen und benennen kann."
Was die San aus den Höhlenspuren lesen, weicht oft erheblich ab von früheren Hypothesen. Beispiel: die Pech Merle-Höhle.
Pastoors:"Der Tourist geht dort vor diese Stelle, wo etwa zwölf Fußabdrücke bekannt sind. Da wird ihm erzählt, dass dort ein ritueller Tanz von einer Person durchgeführt wurde. Seit einer Woche wissen wir, dass dort fünf Personen unterschiedlichen Alters lang gegangen sind und überhaupt keine Spur von Tanz ist."
Eine besondere Herausforderung: die Höhle von Fontanet. Dort sind Hunderte oder sogar Tausende von Fußabdrücken. Dicht an dicht. Die San erkennen Spuren von Kindern, Frauen, sogar von einem 60-jährigen Mann. Und sie widerlegen eine Forschungsgewissheit.
"Aus dem einzigen Fußabdruck von einem Mokassin, der in die Literatur eingegangen ist, wurde uns mit einer kurzen Diskussion mit dem Laserpointer gezeigt, dass da doch alle Zehen vorhanden sind."
Aber was haben die Menschen in den Höhlen gemacht? Für die Höhle Tuc d’Audoubert gibt es erste Hinweise.
"Es gab immer viele Spekulationen. Und jetzt haben wir das erste Mal auch eine plausible Geschichte, die uns erzählt, dass dort eine Person und eine zweite Person zu einer Stelle gegangen ist, um Lehm aus dem Boden zu holen, um damit zu arbeiten. Und es ist ganz klar: Auf dem Hinweg sind sie unbeladen, auf dem Rückweg sind sie beladen…"
…also sind diese Fußabdrücke im Lehm etwas tiefer…
"… und solche letztendlich einfachen Geschichten haben wir uns niemals zugetraut zu erzählen, weil wir nicht die Kompetenz dafür haben."
Es sind kurze Handlungssequenzen. Manche dauern nur ein paar Sekunden, andere ein paar Minuten. Zufällige Dokumente aus der Zeit vor 17.000 Jahren. Dennoch erzählen sie auch etwas über die Malereien auf den Wänden .
Lenssen-Erz: "Das war offensichtlich so, dass diese Orte reserviert waren, für das, was man dort hinterlassen hat, nämlich die Felskunst."
Dass Höhlen mit Felskunst auch anders genutzt wurden, war eher die Ausnahme, sagt Tilman Lenssen-Erz. Ein Bruchteil der rund 400 eiszeitlichen Höhlen ist bislang genauer untersucht. Das deutsch-namibische Team hat noch viel vor. Und auch ein zweites Forschungsprojekt steht noch ganz am Anfang: Wie lernen die San das Fährtenlesen?
Tsamkxao Cigae: "Wir haben Erfahrung. Wir haben das Fährtenlesen von unseren Vätern und Großvätern gelernt. Sie haben uns mit auf die Jagd genommen, und sie haben ihr Wissen mit uns geteilt."
Tilman Lenssen-Erz und Andreas Pastoors wollen genauer verstehen, wie die San zu ihren so präzisen Analysen kommen. Sie haben deshalb die Diskussionen der Fährtenleser aufgenommen.
Lenssen-Erz: "Das ist ein Bestandteil unseres Forschungsprojektes, dass wir den Prozess, diesen Wissensgewinnungsprozess mit protokolliert haben, um auch in Zukunft mit der Art und Weise, wie dort in dieser Gesellschaft Wissen generiert wird, auch weiter arbeiten möchten."
Spezialisten helfen Spezialisten. Verblüffend nur, dass erst im 21. Jahrhundert dieser Wissenstransfer erprobt wird.