Die Stadt als Persönlichkeit
Peter Ackroyd ist mit seinem Buch ein Kunststück gelungen: Ein wundervoll lesbares, kluges Werk, das die Geschichte und Entwicklung Venedigs abhandelt und tief in die Geschichte und Kultur der Stadt und ihrer Bewohner eindringt.
"Venedig. Die Biographie" heißt das Buch, und der Untertitel ist klug gewählt. Denn Ackroyd betrachtet die Stadt als Persönlichkeit, einen Organismus, der sich entwickelt und am Ende seinen Charakter ausgebildet hat. So beginnt er in der Frühzeit, als im 8. vorchristlichen Jahrhundert Vertriebene vom Festland sich der Inselchen in der Lagune bemächtigten. Er beschreibt die Ursprünge der Stadt im 6. Jahrhundert nach Christus:
Wie die Siedler vom Meer nur wenig überspülte Fläche mit Planken einzäunten, sie mit Sand und Schutt auffüllten, das Meer sich das Land wieder nahm und neues gab, wie der große Kanal entstand und das Hochufer; dass Rivoalto später zum Markt, dem Rialto wurde. Wie die Bewohner Stämme tief in den Schlick unter der Wasseroberfläche trieben, um darauf ihre Hütten zu erbauen und wie sie die Inseln immer mehr mit Häusern zustellten. Häuser aus Ziegelsteinen, gebranntem Lehm vom Festland, die dann mit Sandstein und Marmor, beides Sorten, die ihren Ursprung ebenfalls dem Meer verdanken, verkleidet wurden.
Irgendwann war die Stadt fertig – vielleicht ist Venedig die einzige Stadt, die je fertig wurde. Für Ackroyd geschah das am 31. Mai 1585 mit der Grundsteinlegung für die große Brücke, die beim Rialto den Canal Grande überspannt. Die Erschaffung Venedigs war abgeschlossen, und ein Venezianer aus dem 16., 17. oder frühen 18. Jahrhundert könnte sich heute noch prima in seiner Stadt zurechtfinden.
Die Stadtgründer lebten bereits von dem, was Venedig dann später reich, groß und mächtig machte: Vom Handel. Ackroyd beschreibt den Aufstieg der Stadt zur Allerdurchlauchigsten Republik (La Serenissima) und wichtigsten Handelsmacht des Mittelmeeres. Er erzählt von den Konflikten mit anderen Städten wie Byzanz oder Genua und berichtet, wie die Stadtpolitik zur Zeit der Dogen alles der Eigenständigkeit und dem wirtschaftlichen Erfolg der Stadt unterordnete. Gleichzeitig entwickelte sich Venedig aber zu einer einzigartigen Verbindung von Kunst und Leben (und Tod). Der Karneval, die Masken, die Architektur und Glasbläserkunst, die Bilder Tintorettos, Bellinis und Canalettos, die Musik Vivaldis – all das, was den Zauber dieser Stadt ausmacht, wird von Ackroyd getreulich dargestellt.
Hier lässt sich, wenn überhaupt, ein wenig Kritik üben: Ackroyd versteckt sich mitunter zu sehr hinter anderen Autoren. Er zitiert Anton Tschechow und George Sand, Lord Byron und Thomas, Henry James, Jean Cocteau und viele andere – dabei hätte er selbst, Peter Ackroyd, es genauso gut gesagt.
Besprochen von Günther Wessel
Peter Ackroyd: Venedig. Die Biographie
Aus dem Englischen und mit Marginalien versehen von Michael Müller
Knaus Verlag München 2011
592 Seiten; 39,99 Euro
Wie die Siedler vom Meer nur wenig überspülte Fläche mit Planken einzäunten, sie mit Sand und Schutt auffüllten, das Meer sich das Land wieder nahm und neues gab, wie der große Kanal entstand und das Hochufer; dass Rivoalto später zum Markt, dem Rialto wurde. Wie die Bewohner Stämme tief in den Schlick unter der Wasseroberfläche trieben, um darauf ihre Hütten zu erbauen und wie sie die Inseln immer mehr mit Häusern zustellten. Häuser aus Ziegelsteinen, gebranntem Lehm vom Festland, die dann mit Sandstein und Marmor, beides Sorten, die ihren Ursprung ebenfalls dem Meer verdanken, verkleidet wurden.
Irgendwann war die Stadt fertig – vielleicht ist Venedig die einzige Stadt, die je fertig wurde. Für Ackroyd geschah das am 31. Mai 1585 mit der Grundsteinlegung für die große Brücke, die beim Rialto den Canal Grande überspannt. Die Erschaffung Venedigs war abgeschlossen, und ein Venezianer aus dem 16., 17. oder frühen 18. Jahrhundert könnte sich heute noch prima in seiner Stadt zurechtfinden.
Die Stadtgründer lebten bereits von dem, was Venedig dann später reich, groß und mächtig machte: Vom Handel. Ackroyd beschreibt den Aufstieg der Stadt zur Allerdurchlauchigsten Republik (La Serenissima) und wichtigsten Handelsmacht des Mittelmeeres. Er erzählt von den Konflikten mit anderen Städten wie Byzanz oder Genua und berichtet, wie die Stadtpolitik zur Zeit der Dogen alles der Eigenständigkeit und dem wirtschaftlichen Erfolg der Stadt unterordnete. Gleichzeitig entwickelte sich Venedig aber zu einer einzigartigen Verbindung von Kunst und Leben (und Tod). Der Karneval, die Masken, die Architektur und Glasbläserkunst, die Bilder Tintorettos, Bellinis und Canalettos, die Musik Vivaldis – all das, was den Zauber dieser Stadt ausmacht, wird von Ackroyd getreulich dargestellt.
Hier lässt sich, wenn überhaupt, ein wenig Kritik üben: Ackroyd versteckt sich mitunter zu sehr hinter anderen Autoren. Er zitiert Anton Tschechow und George Sand, Lord Byron und Thomas, Henry James, Jean Cocteau und viele andere – dabei hätte er selbst, Peter Ackroyd, es genauso gut gesagt.
Besprochen von Günther Wessel
Peter Ackroyd: Venedig. Die Biographie
Aus dem Englischen und mit Marginalien versehen von Michael Müller
Knaus Verlag München 2011
592 Seiten; 39,99 Euro