Die Stadt von morgen

Von Kirsten Heckmann-Janz · 04.07.2007
Und was wird mit der Frisiertoilette, fragten Frauen ihre Männer, als sie Ende der 50er Jahre in die "Musterstadt für modernes Wohnen", das Berliner Hansaviertel, einzogen. In einer von Gartenarchitekten gestalteten Parklandschaft hatten die bedeutendsten Baumeister der Moderne wie Oscar Niemeyer, Hans Scharoun oder Alvar Aalto ein- bis 17-geschossige Neubauten im sozialen Wohnungsbau errichtet.
Bei späteren Befragungen lobten die Bewohner die Vorzüge, die verkehrsgünstige Lage, das Wohnen im Grünen, die großzügigen Grundrisse und den technischen Komfort. Aber manches Detail gab auch Anlass zur Klage: "Einbauküchen? Ja gern, aber bitte ohne Heizungsrohre im Speiseschrank!" Dreißig Jahre später entstand zwischen den Altbauten der Kreuzberger Admiralstraße im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1987 wiederum ein in vieler Hinsicht experimenteller Neubau. In ein Gerüst aus Stahlbeton, das "Regal", bauten sich die künftigen Mieter nach eigenen Vorstellungen ihre Wohnungen, fast ausschließlich aus Holz. Kaum einer ist bis heute ausgezogen.

"Die Stadt Berlin begrüßt die Ausstellung mit besonderer, stolzer Freude. Sie ist glücklich über das Geschenk eines einzigartigen neuen Stadtviertels. Sie ist stolz, diesem kühnen Experiment der internationalen Bauwelt einen Beitrag von geistigem Rang liefern zu können. Sie ist überzeugt, dass die Ausstellung intensiv nach dem Osten ausstrahlen und die Leistungen der westlichen Welt beweisen wird. Sie hofft für sich selbst, mit diesem richtungweisenden Werk die Stellung der deutschen Hauptstadt neu zu befestigen."

Der Regierende Bürgermeister von West-Berlin, Otto Suhr, eröffnet am 6. Juli 1957 die Internationale Bauausstellung Interbau. Die Auftragskomposition "Perspektiven für großes Orchester" von Max Baumann wird uraufgeführt. Vom Schloss Bellevue blicken die Festgäste über den noch fast kahlen Tiergarten hinüber zur Baustelle im Hansaviertel. Vier Jahre zuvor - 1953 - hatte der Berliner Senat einen "Wettbewerb zum Wiederaufbau des Hansaviertels" ausgeschrieben. Im Jahr darauf trafen sich prominente Architekten aus acht Ländern zur ersten Vorbesprechung, unter ihnen der Italiener Luciano Baldessari und der Finne Alvar Aalto.

Aalto: "Ich fühle mich sehr glücklich, mich zu beteiligen mit einer Arbeit. Ich finde, es ist mehr, als ich mich von den alten Zeiten erinnere, mehr Luft, Wasser und Parkmöglichkeiten, als ich glaubte."

Baldessari: "Ich habe Ehre und Freude mitarbeiten zu können. Ich möchte sagen, ich bin froh, auch wieder anzufangen mit der Aufbau dieses Berlin, das ist wirklich phantastisch."

53 Architekten aus 14 Ländern und zehn Gartengestalter sind eingeladen, im Zentrum Berlins auf den Trümmern eines zerstörten Quartiers zu bauen. Das alte Hansaviertel war durch Bombenangriffe stark beschädigt, nur wenige der Gründerzeithäuser waren noch bewohnbar.

"Das alte Hansaviertel war ein Wohnquartier der gehobenen Klasse. Es waren sieben bis neun Zimmer, die Häuser waren sehr schön dekoriert. Das alte Hansaviertel war ausgesprochen stattlich."

Die Architekturhistorikerin Gabriele Dolff-Bonekämper.

"Es war allerdings wirklich sehr stark beschädigt, insoweit war es sicher eine nahe liegende Wahl, an dieser städtebaulich so hervorragenden Stelle am Parkrand komplett neu zu konzipieren, was die aufgelockerte und durchgrünte Stadt der Nachkriegsmoderne werden sollte."

Im Ausschreibungstext für die Interbau forderte der West-Berliner Senat die Architekten auf, ein Quartier zu gestalten, das "als Ausdruck einer baulichen Gesinnung den Denk- und den Lebensformen der freien Völker entspricht".

In der geteilten Stadt machten sich der Kalte Krieg und der "Wettbewerb der Systeme" auch im Wohnungsbau bemerkbar.
Im Februar 1952 hatte DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl in Ost-Berlin den Grundstein für 3000 neue Wohnungen an der Stalinallee gelegt. Elf Monate später zogen die ersten Mieter ein. Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 nahm in der Stalinallee seinen Anfang.

"Die Gegensätze zwischen Stalinallee und Hansaviertel sind vielfältig. Der erste Gegensatz ist natürlich der gesamträumliche. Die Stalinallee ist eine Magistrale, und das Hansaviertel ist eine Stadt am Parkrand und durchgrünt und aufgelockert. Das heißt, städtebaulich sind das schon zwei völlig verschiedene Dinge. Die Stalinallee wird von den Architekten, die dafür tätig sind, mit Ornament und mit narrativen Reliefs, also, es wird erzählt in diesen figürlichen Reliefs. Und dem tritt nun die Architektur des Hansaviertels mit einem vollkommen anderen Formenvokabular entgegen. Im Hansaviertel sollte nichts Ornamentales sein, hier geht es um Modernität, um Verzicht auf Ornament, um Farbigkeit, um Leichtigkeit, um Offenheit und nicht um das Pathos, das irgendwie auf Goethe verweist, sondern um das Leichte, Offene, das irgendwie auf Modernität verweist."

Vielfältige Gebäudeformen sollen auf dem Gelände zwischen S-Bahntrasse, Spree und Tiergarten für die "Stadt von morgen" entstehen. Punkthochhäuser mit 16 und 17 Stockwerken, Laubenganghäuser, drei- bis viergeschossige Gebäudezeilen, acht- bis zehngeschossige sogenannte Gebäudescheiben. Dazu Einfamilienhäuser, darunter vier Atriumhäuser. Die Namen der Architekten sind prominent: Luciano Baldessari aus Italien, Bakema und van den Broek aus den Niederlanden, aus Frankreich Lopez, Beaudouin und Vago, die Deutschen Hassenpflug, Schwippert, Max Taut und Egon Eiermann, Kay Fisker und Arne Jacobsen aus Dänemark, Oscar Niemeyer aus Brasilien, aus Finnland Alvar Aalto, aus den USA der Bauhausgründer Walter Gropius, aus Schweden Sten Samuelson, der sich gemeinsam mit seinem aus Deutschland emigrierten Kollegen Fritz Jaenicke beteiligt.

Auch die Infrastruktur des Viertels wird geplant: Ein Kindergarten, zwei Kirchen, ein Einkaufszentrum mit Kino und eine Bücherei. Außerhalb des eigentlichen Ausstellungsgeländes entstehen eine Grundschule, die Kongresshalle sowie eine 17-geschossige Gebäudescheibe mit 530 Wohnungen nach dem Entwurf des Franzosen Le Corbusier.

Die Auswahl unter den eingereichten Arbeiten trifft ein sogenannter "Leitender Ausschuss" unter dem Vorsitz von Otto Bartning, seinerzeit Präsident des Bundes Deutscher Architekten.
Der jüngste unter den Wettbewerbsteilnehmern ist Hans C. Müller mit einem Entwurf für ein Wohnhaus. Zwei Jahrzehnte später wird er als Senatsbaudirektor eine weitere Internationale Bauausstellung in West-Berlin initiieren.

"Also, ich habe 1950 in der Akademie mein Examen gemacht und habe im Rahmen eines Nachsemesters, gewissermaßen für Meisterschüler, einen Wettbewerb gewonnen für ein Studentenheim in Eichkamp. Und deshalb habe ich im Hansaviertel gewissermaßen an der Stelle, die ja auch schwierig erschien, am Bahndamm, diesen Auftrag gekriegt. Es ist auch gut von der Hand gegangen, und für mich war es tatsächlich das erste Haus, das ich überhaupt selber baute, bis dahin habe ich immer in Büros gearbeitet. Für mich war das natürlich eine Ehre, das muss man schon sagen, so als junges Mitglied da dann aufzutreten, und ich bin da also - soweit es ging - im Verbund dieser Generation vor mir in einer guten Gesellschaft gewesen."

"Ich glaube, das Vorwärtspathos, was in diesem Hansaviertel-Projekt insgesamt steckt, das ist auch etwas, was ganz viele mitgerissen hat. Die Vorstellung, Zukunft zu gestalten."

Gabriele Dolff-Bonekämper.

"Und sich abzuwenden vom Ruinösen, von all dem, was unerfreulich war in der Frage der Selbstbesinnung auf Nazizeit und Krieg."

Den Architekten, die im nationalsozialistischen Deutschland geblieben sind und nicht emigrierten wie viele ihrer Kollegen, gibt die Zusammenarbeit mit den internationalen Stars der modernen Architektur das Gefühl, wieder dazuzugehören.
Die West-Berliner Bevölkerung sieht das Prestigeprojekt Interbau als Zeichen, dass die Stadt, die "Insel im roten Meer", von den Politikern der Bundesrepublik nicht aufgegeben wird.

Doch dann kann der Termin für die Internationale Bauausstellung - Sommer 1956 - nicht eingehalten werden. Hinter den Kulissen wird bereits seit längerem gemunkelt, dass die Entwürfe einiger berühmter Architekten verändert wurden. Ob da etwas Wahres dran sei, will ein RIAS-Reporter vom Ausschussmitglied Fritz Schoszberger wissen.

"Sicher, das ist nicht nur ein unbestätigtes Gemunkel, sondern diese Nachricht stimmt. Sehen Sie, wenn es sich nur darum handeln würde, eine Siedlung des sozialen Wohnungsbaus für 3000 Leute hinzustellen, das wäre einfach, dann könnten die Projekte einfach auf Einhaltung der Bestimmungen durchgesehen werden, sie werden genehmigt, und es kann gebaut werden. Aber hier im Hansaviertel, das sind 40 individuelle Künstler, jeder baut etwas ganz anderes. Wenn man sie ganz so bauen ließe, wie ihre Entwürfe aussehen, dann wäre das ein furchtbares Durcheinander von verschiedenen Stilen und Formen und schließlich müssen ja Menschen darin wohnen."

Für Le Corbusier und Oscar Niemeyer sind die Veränderungen derart gravierend, dass beide sich von ihren Berliner Bauten distanzieren.

"Bei jedem Hausbau, bei jedem Stadtbau muss viel nachgedacht und gestritten werden."

Das ist die Erfahrung des späteren Senatsbaudirektors Hans C. Müller.

"Da war die Stadtverwaltung, und die hatten natürlich auch andere politische Ängste, Stalinallee und was da so aufblühen kann. Der Senator Schwedler ist also zu einem großen Kurfürsten auferstanden und hat das durch seine Persönlichkeit sehr glatt geleistet. Und da gibt es dann noch den Architekten Bartning, die sehe ich da noch, also auf dem freien Gelände stehen, und da wurde - bei welchem Wetter auch immer - geredet und geredet und gemacht und gemacht."

Mit den Anforderungen der Auftraggeber zurechtzukommen, sei auch für die Architekten der Interbau eine Herausforderung gewesen.

"Sie haben alle irgendwo gezeigt, wie in ihrer Idealisierung sie real fertig werden mussten mit Dingen, die die Leute nicht verstanden, was sie eigentlich damit erreichen wollten. Mir ist es auch so gegangen, ich habe eben in meiner Bauzeit teilweise so kleine Raumeindrücke gehabt, dass ich gesagt habe, das geht so nicht, und als die Mittagspause machten, bin ich mit nem großen Stück Holz hingegangen und habe ein paar Wände umgeschlagen und habe gesagt, das wird jetzt ein Raum, und eine Tür ist zuviel. So, das wurde mir dann später überreicht, als das Haus fertig war: Ihr Honorar haben wir gekürzt um so und so viel, und die Türen, die sie damals geändert haben, die können Sie sich abholen."

Reporter: "Wohl kein Stadtteil unseres Berlins hat so eine emsige Betriebsamkeit wie das Berliner Hansaviertel und, kein Wunder, es sind ja nur noch ein paar Stunden bis die Ehrengäste eintreffen, bis unser Bundespräsident, Professor Heuss, die größte Ausstellung nach dem Kriege in Deutschland überhaupt, die Interbau 1957, in Berlin eröffnen wird.
Fahnen aller Nationen flattern in der leichten Mitternachtsbrise.
Und in den Häusern von Gropius, von Alvar Aalto, von Vago und von Jaenicke/Samuelson brennt in den ersten Stockwerken überall Licht, so als wollten diese Häuser sagen, bitte schmückt uns doch noch, bitte, zeigt, dass alles klappt, dass wir morgen wirklich parat sind, dass wir bereit sind für den großen Strom der Gäste."

Die Interbau gleicht einem Volksfest. Zu den Attraktionen gehören ein Hebekran, von dem aus die Gäste das gesamte Gelände überblicken können, und eine Seilbahn mit zweisitzigen Gondeln, die für 1 Mark 50 die Besucher in zehn Minuten vom Bahnhof Zoo in das Hansaviertel bringt.

"Schon sind wir in alpinen Höhen, jetzt kommt gleich der erste Höcker. So, die erste Stütze haben wir passiert.
Wie schön und idyllisch unser Tiergarten wieder ist, erkennt man, wenn man die ersten zwei Minuten durchfahren hat, und man die kleinen Wasserstraßen sieht mit den Booten, wenn man die Menschen sieht, die in dem wieder ergrünten Tiergarten spazieren gehen. Und dann kommt der erste Blick auf die Silhouette der Hochhäuser. Das Objekt 1 von Müller-Rehm schon fertig, bezugsfertig eigentlich, dahinter das Objekt von Gropius und das Finnenhaus von Alvar Aalto. Von unserer Warte aus, hier also aus der Vogelperspektive, kann man jetzt schon erkennen, wie interessant es sein wird für die vielen internationalen und westdeutschen Besucher, von hier aus zu sehen, wie diese neue Stadt im Hansaviertel wächst."

Zur Eröffnung der Interbau am 6. Juli 1957 ist ein Drittel der Gebäude fertig gestellt. An den übrigen werden unterschiedliche Stadien des Bauens demonstriert. Auf dem Gelände im Tiergarten sind provisorische Pavillons mit Sonderschauen aus verschiedenen Ländern errichtet worden. Durch die Ausstellung "Die Stadt von morgen" begleitet der Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung Berlin GmbH, Karl Mahler, den RIAS-Reporter.

"Hier im Hansaviertel soll gerade das vermieden werden, was früher beim Bauen, beim Wohnungsbau gesündigt worden ist, dass nämlich Hinterhöfe da sind und dass enge Straßen vorhanden sind. Es soll hier im Hansaviertel der Tiergarten erweitert werden und hineingezogen werden in die Bebauung, sodass die Kinder im Freien spielen können und in guter Luft aufwachsen."

Auf dem Ausstellungsgelände und in den Hallen drängen sich bis Ende September rund eine Million Besucher. Etwa ein Drittel der Gäste kommt aus Ost-Berlin, knapp 90.000 sind aus dem Ausland angereist.
Vor den Musterwohnungen, die von in- und ausländischen Architekten eingerichtet wurden, stehen die Menschen Schlange. Die Möbel hier sind leicht und flexibel.

Dolff-Bonenkämper: "Alle diese Häuser haben ja die Stockwerkshöhe der normalen Sozialwohnungen, es ist also nicht mehr als 2,50 Meter, vielleicht irgendwo 2,60 Meter, aber bestimmt nicht 4,20 Meter, wie in den Gründerzeithäusern der prächtigeren Art in Berlin. Da kann man also die großen, alten Möbel nicht unterbringen und entsprechend braucht man auch ganz neues Mobiliar. Es wird ja auch zum Teil von den Architekten selbst entworfen, Alvar Aalto ist nicht nur Architekt, sondern auch Designer, genauso Arne Jacobsen und genauso viele andere von den Architekten des Hansaviertels, und haben damit auch ein ganz anderes Lebensgefühl erzeugen wollen, ohne Wolkenstores und ohne Gelsenkirchener Barock. Keine Erbstücke, sondern alles neu."

Einbauküchen mit moderner Technik, geflieste Bäder, Zentralheizung, ungewöhnliche Wohnideen und Grundrisse wie in den Musterwohnungen des Schweizer Architekten Otto Senn sind Attraktionen in einer Stadt, die immer noch vom Krieg gezeichnet ist, in der immer noch zigtausend Menschen in Provisorien leben müssen.

Beate Bach: "Der Wohnraum ist besonders interessant dadurch, dass er nicht viereckig im Grundriss ist, sondern fünf- oder sogar mehreckig. Dadurch ergibt sich eine Neuerung, die wir an sich auf der Interbau ein bisschen vermisst haben, nämlich drei große Wände, die man als sehr gute Stellwände verwenden kann."

Architekt: "Wir waren zuerst etwas skeptisch, wie in solchen freien Grundrissen, die fast sternförmig verlaufen, mit einer schrägen Wand drin, möbliert werden kann. Aber man sieht in diesen drei Wohnungen, die hier als Musterwohnungen mit schweizerischen Serienmöbeln und Produkten eingerichtet sind, dass sich jede Wohnung auch mit den modernen Typen-Möbeln sehr individuell und praktisch einrichten lässt."

Beate Bach: "Im Schlafzimmer sagte vorhin eine Betrachterin: Man scheint in der Schweiz auch sehr zu arbeiten, denn hier im Schlafzimmer sind zwei Arbeitsplätze vorgesehen, einmal ein regulärer Schreibplatz und dann ein Platz für die Nähmaschine und die Stopfarbeiten der Hausfrau."

Architekt: "Ja, eigentlich dient bis jetzt das Schlafzimmer immer nur zum Übernachten. Aber ist das nicht ein Luxus? Wir sollten eigentlich diesen Raum, der ja groß genug ist, so einrichten, dass eine kleine Ecke für die Hausfrau da ist, wo sie wirklich arbeiten kann, ungestört, und ihre Nähsachen liegen lassen kann, auch wenn Besuch kommt."

Eine für Nachkriegsdeutschland ebenfalls noch ungewöhnliche Nutzung des Wohnzimmers zeigen die skandinavischen Architekten: Den Allraum. Es ist der zentrale Raum in der Wohnung, erläutert die Soziologin Stefanie Schulz.

"Ein Raum für alle, es ist sozusagen die Demokratisierung des deutschen Wohnzimmers, könnte man vielleicht sagen. Die Kinder sollten dort spielen, das war der Aufenthaltsraum für die ganze Familie."

Auch Maisonette-Wohnungen sind für die Interbau-Besucher neu und ungewohnt. Berlins damaliger Bausenator Rolf Schwedler äußert sich verhalten diplomatisch, als er mit einem Reporter durch das Corbusier-Haus geht.

Reporter: "Wenn wir nun in eine der Wohnungen hineingehen, so sehen wir rechts gleich eine Küche, die recht komfortabel eingerichtet ist, Elektroherde mit Schnellkochplatten, Bratofen, 100-Liter-Kühlschrank, und dann stehen wir an einem Geländer, da geht die Treppe hinunter in den Schlafraum, denn wir sind jetzt hier in einer Zweizimmerwohnung, die aus einem großen Wohnraum mit der Küche und unten dem Schlafraum mit Bad und Toilette besteht. Ist nun diese Treppe, die man hinuntergehen kann, ein großer Gewinn, Herr Senator?"

Schwedler: "Nun, Gott, man kann darüber ganz verschieden denken, ob sie ein Gewinn ist. Es ist zweifelsohne eine Art des Wohnens, wie wir sie auch im Einfamilienhaus haben. Es ist eine Art des Wohnens, die natürlich eine ganz andere Aufteilung ermöglicht. Ich finde es also durchaus amüsant, ich kann nicht einmal sagen, ob ich es persönlich für meine Wohnbedürfnisse schön finden würde. Ich würde, muss ich sagen, das Wohnen in einer Ebene doch vorläufig noch bevorzugen."

Reporter: "Ja, der Vorzug ist zweifellos, dass beide Räume, die nun übereinander liegen, viel Licht haben, aber wenn nun die Kinder diese Treppe rauf und runter rasen, dann dröhnt das ja doch ganz schön."

"Wie wohnt man im Hansaviertel?" Das will ein knappes Jahr nach der Interbau der Bundesbauminister von den ersten Bewohnern wissen. Das Ergebnis der Befragung: Im Großen und Ganzen sind die Mieter zufrieden, Kritik gibt es eher an Details.

"Einbauküche? Ja - aber ohne Zentralheizungsrohre im Speiseschrank!"

Auch die damals so beliebte Frisiertoilette macht Probleme. Der Interviewer notiert:

"Frisiertoilette verstellt Fenster im Schlafraum.
Frisiertoilette verstellt Tür zur Loggia.
Frisiertoilette musste im Zimmer des Hausherren untergestellt werden."

In manchen Wohnungen wird die Durchreiche zwischen Küche und Essplatz kritisiert, weil auf beiden Seiten eine Abstellmöglichkeit fehlt. Andere nehmen es mit Humor.

"Ein Hausherr meint, dass seine Frau besonders attraktiv im Rahmen der Durchreiche aussähe.
Für einen anderen ist die Öffnung wie geschaffen, seinen Kindern Kasperletheater vorzuspielen."

"Es war natürlich gewöhnungsbedürftig, das war natürlich jetzt was ganz, ganz anderes. Auch die Grundrisse waren natürlich gewöhnungsbedürftig, wenn man die sich mal ansieht, sehr viel Maisonnetten und große Fenster, hohe Fenster."

Die Soziologin Stefanie Schulz.

"Nachdem die Bewohner gemerkt haben, in welchem Viertel sie wohnen, und man auch dann wusste, es sind bekannte Architekten, kam man eben dazu, dass man nicht mehr sagte, man wohnt in der Klopstockstraße 2 oder in der Bartningallee 4, sondern hinter Samuelson, vor Samuelson, bei Vago und so weiter, und da, denke ich, begann so eine wirkliche Identifizierung der Bewohner mit dem Quartier."

"Ich finde das ganz verständlich, dass damals die Stadt alles tat, um den Schatten, vom Osten kassiert zu werden, wegzudrücken und der Welt zu zeigen, dass hier freier Geist waltet. Und das hat gewissermaßen das Hansaviertel politisch betont. Und dieses Politikum ist im Unterschied zu der Ausstellung, die ich dann selber inszeniert habe, also '85, eben eine politisch bestimmte Position, während wir '85 tatsächlich die Probleme der Innenstadt angesprochen haben, denn das Hansaviertel ist wunderbar, aber wir wohnen nicht in einem Park, sondern in Berlin, und bei aller Nachsicht muss ich sagen, 50 Jahre "Die Stadt von morgen" ist insofern eine Legende, als wir damals schon wussten, morgen wird es nicht so aussehen, wir haben Hinterhöfe, und es gibt ganz andere seelische Belastungen."

Das sagt der Initiator der Internationalen Bauausstellung der 80er Jahre, Hans C. Müller. Nach den Großprojekten am Stadtrand - Märkisches Viertel und Gropiusstadt - steht die Stadtmitte im Zentrum des Interesses. "Die Innenstadt als Wohnort" ist jetzt das Thema.

"Das war im Grunde genommen eine Reaktion auf die Kahlschlagsanierung, die in Kreuzberg ja sehr intensiv stattgefunden hat, und eine Unzufriedenheit, wie man eigentlich jetzt mit der gebauten Stadt, also der Gründerzeitstadt eigentlich umgeht. Und in diesem Zusammenhang gab es die ersten Proteste, später eskalierte das auch in der Hausbesetzerbewegung, die dann eben diese leer stehenden Gebäude, Fabriketagen usw. besetzten und damit ihren Protest dargestellt haben."

Die Architektin und Stadtplanerin Karin Ganssauge war als IBA-Gutachterin und Mitglied der Bürgerinitiative SO 36 an dem Prozess beteiligt.

"Das war im Grunde genommen die Kehrtwende, dass man sagte, also, wir wollen uns doch besinnen auf die historische Entwicklung, also kam dieses Bewusstsein, sich auf den alten Stadtgrundriss wieder zu beziehen, der ja auch seine Qualitäten hat. Es war auch bei der behutsamen Stadterneuerung nicht nur der gestalterische oder historische Bezug sondern eben auch, dass man so mit Menschen nicht umgehen kann, die ja in diesen Häusern wohnen."

Die Internationale Bauausstellung 1987 hat zwei Schwerpunkte. Die sogenannte "IBA neu", die unter der Leitung von Josef Kleihues für Neubauvorhaben zum Beispiel in der südlichen Friedrichstadt und im südlichen Tiergartenviertel zuständig ist, und die "IBA alt", unter Leitung von Hardt-Waltherr Hämer zuständig für die behutsame Stadterneuerung in den Altbauquartieren.

Karin Ganssauge: "Und dann wurden eben zwölf Grundsätze zur behutsamen Stadterneuerung, was also auch beinhaltet, behutsam, eben keine Zerstörung, möglichst die Bevölkerung zu erhalten, mit der Bevölkerung zusammen zu arbeiten, die einbeziehen in den Planungsprozess, ja, das war eigentlich so der Ansatz, also so 'ne sozial gerechte, behutsame Stadterneuerung zu praktizieren."

Führung Regalhaus: "Mein Name ist Peter Bruns, ich bin seit 1984 in der Selbstbaugenossenschaft, die auch damals gegründet wurde. Es ist so eine Gründung im Prinzip zur Bauausstellung in Berlin '86, die das innerstädtische Wohnen zum Thema hatte. Also, eine andere Form der Bauträgerschaft, Selbstbestimmtheit und vor allem auch Selbsthilfe."

Berlin-Kreuzberg, Admiralstraße. In einer Baulücke zwischen sanierten IBA-Altbauten steht das sogenannte "Regalhaus". Die Bewohner haben Mitte der 80er Jahre die 22 Wohnungen des Neubaus in Selbsthilfe errichtet - nicht auf den Trümmern des Krieges, sondern auf den Trümmern der Kahlschlagsanierung. Ein Haus zu entwerfen, das Laien tatsächlich zum großen Teil selbst bauen konnten, war das Ziel der Architekten Kjell Nylund, Christof Puttfarken und Peter Stürzebecher.

Führung Regalhaus: "Die zweite Sache ist, dass über Kjell Nylund, der Norweger ist, wo auch die Selbsthilfe eine große Tradition hat, und eben auch das Thema Holz, Holz als ein Material, das sehr gut in Selbsthilfe verarbeitet werden kann, wurde hier auch das Thema gebracht, wir machen so viel wie möglich Holz. Und es gibt einen Satz, der damals in den Zeitschriften stand: Mehr Holz nach Kreuzberg.
Es ist ein Gebäude, das aus einem Stahlbetonskelett besteht. Es sind Stützen, zweigeschossig hohe Stützen, und jede zweite Decke ist nur eine Betondecke, und da es fast alles Maisonnette-Wohnungen hier sind... Es ist im Prinzip warum das Wort Regal heißt, das bedeutet, jeder kriegt zweigeschosshohe Einschubregale, in denen er faktisch seine Vorstellungen von Wohnen und Leben, seine Wohnung einschiebt."

Das mittlerweile 20 Jahre alte Regalhaus ist ein Erfolgsmodell. Rund 90 Prozent der Genossenschafterinnen und Genossenschafter sind hier wohnen geblieben.
Selbstbestimmtes und gemeinsames Planen, Bauen und Leben ist zwei Jahrzehnte nach der zweiten West-Berliner Internationalen Bauausstellung ein Thema für Gesamtberlin. Im Bezirk Prenzlauer Berg wurden bereits kurz nach der Wende die ersten Mieter- und Selbstbaugenossenschaften gegründet. Ihr Ziel war es, preisgünstige Wohnungen in einem individuell gestalteten und selbstbestimmten Wohnumfeld zu schaffen und gleichzeitig kulturelle, soziale und handwerkliche Projekte zu unterstützen.

Die wachsende Zahl älterer Menschen in Berlin, der Zuzug vieler junger, kreativer, die hohe Zahl leer stehender Industriegebäude, für die dringend eine sinnvolle Umnutzung geplant werden muss - das sind heute die Herausforderungen für Stadtplaner und Architekten. Braucht Berlin vielleicht wieder eine Internationale Bauausstellung?