Eine Kathedrale für Bücher
Der Neubau der Stadtbibliothek von Seattle ist eine Pilgerstätte für Buchliebhaber. Nach der Eröffnung war vielen der Bau zu funktional und kalt. Inzwischen aber ist er eine der Sehenswürdigkeiten für Touristen.
Wenn Bücher eine Religion wären, dann sähen die zugehörigen Kathedralen vermutlich so aus wie die Seattle Public Library. Die Zentralbibliothek der Stadt wirkt schon von außen so, als wolle sie nichts mit den langweiligen Bürogebäuden ihrer Nachbarschaft zu tun haben: Umhüllt von einem Netz aus gläsernen Rhomben, bilden die Wände eine Art Zick-Zack-Muster. Im Eingangsbereich: ein ständiges Kommen und Gehen.
"This is my favorite Library!"
Das sei seine Lieblingsbibliothek, sagt Meri Hufein.
"It's beautiful!"
Monica Schlay findet das Gebäude einfach schön - sie ist regelmäßig hier, denn mit ihrer vierjährigen Tochter liest sie so viel, dass sie es sich nicht leisten könnte, alle Bücher zu kaufen.
Die Kinderabteilung beginnt im Erdgeschoss gleich am Haupteingang, und das sei ganz bewusst so eingerichtet, erklärt Bibliothekarin Jodee Denton:
"Die Eltern kommen mit Kinderwagen und Kindern an der Hand, und wir wollen es ihnen so einfach wie möglich machen, schnell zu ihren Büchern und ihren Geschichten zu kommen."
Bill Gates spendete 20 Millionen Dollar
Der Bau ist schon die dritte Bibliothek an dieser Stelle - der Vorgänger aus den 60er-Jahren war in den 90ern einfach zu klein, und so stimmten die Bürgerinnen und Bürger von Seattle 1998 in einem Volksentscheid dafür, 165 Millionen Dollar für den Neubau zu investieren. Computermilliardär Bill Gates spendete 20 Millionen. Die Frage war nur: Wie sollte der Neubau aussehen? Die Bibliothekarin erinnert sich:
"Der Architekt Rem Koolhaas wollte, dass wir gemeinsam mit ihm darüber nachdenken. Wir wollten eigentlich ein Gebäude, das typisch nach dem Nordwesten der USA aussieht, mit dunkelm Holz, Naturstein, Kaminen - ein bisschen wie eine Lodge in einem der Nationalparks. Und er sagte: Ihr liebt eure Bäume - dann lassen wir sie doch dort, wo sie stehen. Und so haben wir gemeinsam ein nachhaltiges Gebäude entwickelt. Das ist gut für die Natur, aber wir sind eine Stadt, also soll es auch aussehen wie eine urbane Bibliothek."
Ein Gebäude aus zehn Ebenen
Bei aller Offenheit des Raums stellt sich dem Besucher aber schon die Frage, wo die ganzen Bücher sind. Jodee nimmt mich mit in einer Art Spirale, die sich in der Mitte des Gebäudes in die Höhe schlängelt: Hier sind auf eher engem Raum die eigentlichen Bücheregale untergebracht. Das Gebäude besteht aus zehn Ebenen, deren Grundflächen jeweils gegeneinander verschoben wurden, wie bei einem Stapel Münzen.
"Indem wir die Plattformen ein bisschen verrückt haben, konnten wir diesen großen, schönen und dramatischen Raum schaffen. Lägen alle übereinander, dann wäre das im Grunde ein Bürogebäude."
Als die Bibliothek 2004 eröffnet wurde, waren die Reaktionen gespalten - vielen schien der Bau zu funktional, zu kalt. Doch inzwischen haben sich die Ausleihzahlen verdoppelt - die Zentralbibliothek kommt an in der Stadt. Und hat sich längst auch zu einer Sehenswürdigkeit für Touristen entwickelt:
"Hi, my name is Jackson."
Der Elfjährige Jackson Burton ist mit seiner Familie aus Los Angeles zu Besuch in Seattle. Am liebsten liest er die "Helden des Olymp" Reihe von Rick Riordan, erzählt er, und weil er fand, dass diese Bibliothek cool aussieht, wollte er sie sich einfach mal anschauen.