Andreas Kötzing (Hrsg.): "Bilder der Allmacht: Die Staatssicherheit in Film und Fernsehen"
Wallstein Verlag, Göttingen 2018, 336 Seiten, 34 Euro
"Fast alle DDR-Geschichten sind auch Stasi-Geschichten"
07:03 Minuten
Alljährlich oft rund um den 3. Oktober, kommen Filme über die DDR-Geschichte ins Kino und ins Fernsehen. Ohne das Thema "Stasi" kommt kaum einer davon aus. Andreas Kötzings Buch "Bilder der Allmacht" widmet sich der "Stasi" als Filmmotiv.
Susanne Burg: "Bilder der Allmacht" – so lautet der Titel eines neuen Buches, das gerade erschienen ist. Darin geht es um die Darstellung der Staatssicherheit in Film und Fernsehen. Ein Thema, das durch Filme wie Andreas Dresens "Gundermann" oder "Ballon" von Bully Herbig im Moment große Konjunktur hat. Erleben wir gerade eine Art Revival von Stasi-Filmen, und welche neuen Bilder entstehen dabei über den DDR-Geheimdienst? Antworten gibt der Historiker und Filmjournalist Andreas Kötzing. Er ist Herausgeber des Buches "Bilder der Allmacht". Guten Tag!
Andreas Kötzing: Hallo, Frau Burg!
Burg: "Gundermann" und "Ballon" laufen gerade im Kino beziehungsweise kommen ins Kino, die ARD zeigt zum Jahrestag der Deutschen Einheit die Stasi-Dokumentation "Honeckers unheimlicher Plan", auf Amazon Prime startet in ein paar Wochen die neue Staffel der Stasi-Serie "Deutschland 83", also eine ganze Menge. Täuscht der Eindruck oder ist die Stasi medial gerade so präsent wie selten zuvor?
Kötzing: Sie ist in der Tat gerade sehr präsent, und trotzdem, glaube ich, täuscht der Eindruck, weil sie es schon dauerhaft und sehr lange ist und in Konjunkturen und kleineren Wellen immer mal wieder kommt. Also drum herum um den Jahrestag "3. Oktober" oder "9. November" finden wir eigentlich immer eine ganze Menge an neuen Produktionen zur DDR-Geschichte im Fernsehen und im Kino, und interessanterweise sind fast all diese DDR-Geschichten immer auch irgendwie Stasi-Geschichten. Also das eine Thema ist mit dem anderen sehr eng verzahnt, und das war auch die Ausgangsbeobachtung für dieses Buch, als ich mich ein bisschen intensiver mit dieser DDR-Problematik im Kino beschäftigt hatte und festgestellt habe, dass alle diese Filme immer irgendwie diesen Stasi-Diskurs bedienen, haben wir 2016 mal eine große Konferenz in Leipzig veranstaltet, sehr viele Wissenschaftler eingeladen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, und haben versucht, tatsächlich mal eine längere Perspektive herauszukriegen, wo kommen diese Stasi-Motive eigentlich her, sind sie tatsächlich neu im Kino oder lassen sie sich nicht sogar bis in die Zeit des Kalten Krieges zurückverfolgen, denn interessanterweise gibt es die Stasi als Thema im Kino und im Fernsehen schon deutlich länger. Die ersten Filme sind tatsächlich schon aus den 50er-Jahren. Da war der Geheimdienst gerade erst gegründet worden.
Kein DDR-Thema mehr ohne Stasi-Diskurs
Burg: Zu welchen Erkenntnissen sind Sie dann gekommen, warum ist die Stasi ein so beliebtes Thema für deutsche Geschichtsfilme?
Kötzing: Es lässt sich einfach sehr, sehr viel daran festmachen, und insbesondere nach dem Jahr 89, 90, sind natürlich durch die Öffnung der Archive sehr, sehr viele Themen dadurch virulent geworden, das ganze große Thema des Verrates, die inoffiziellen Mitarbeiter, da worum viele Aufklärungssachen in der Öffentlichkeit gekreist sind, viele Forschungen sich damals darauf rubriziert haben, und dann eben auch früher oder später Film und Fernsehen darauf aufmerksam geworden sind. Eine starke Zäsur war natürlich 2006, als "Das Leben der Anderen" von Florian Henckel von Donnersmarck ins Kino gekommen ist und dieser Film so ein immenser Erfolg war, nicht nur national, sondern auch international, und er hat es geschafft – in Anführungsstrichen – diese beiden Themen so eng miteinander zu verzahnen, dass man seitdem eigentlich fast keine DDR-Themen im Kino mehr erzählen kann, ohne auf diesen Stasi-Diskurs einzugehen. Also Filme zur DDR-Geschichte in den letzten Jahren, in denen die Stasi keine Rolle gespielt hat, die muss man wirklich suchen wie die Nadel im Heuhaufen. Es gab ein paar, "Boxhagener Platz" von Matti Geschonneck zum Beispiel oder auch "Das schweigende Klassenzimmer" im letzten Jahr von Lars Kraume, in denen die Stasi nicht vorkam, aber die letztendendes trotzdem ähnliche Themen berührt haben. Bei Kraume war es ja dann auch wieder das Verratsthema, das im Mittelpunkt stand.
Burg: Es sind immer wieder die gleichen Ansätze, häufig doch auch sehr klischeebehaftet mit dieser Stasi-Figur. Jetzt gibt es ja auch einen Film wie "Gundermann", der durchaus versucht hat, diese IM-Vergangenheit des Liedermachers differenziert darzustellen. Inwieweit ist das ein anderer Blick auf das Stasi-Thema?
Kötzing: Ich finde schon, dass das ein anderer Blick ist. Sie haben es gesagt, Klischees spielen häufig eine ganz starke Rolle, deswegen ja auch Bilder der Allmacht. Das ist immer wieder dieser allmächtige Geheimdienst, der sich in diesen Stasi-Figuren verkörpert. Und Andreas Dresen hat mit "Gundermann" ja mal den Versuch unternommen, gar nicht so sehr ausdrücklich auf die IM-Tätigkeit als solche abzuheben, sondern sich mit dem Mensch Gundermann zu beschäftigen, der auch Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit war, aber das nicht allein nur seine Identität ausmacht, sondern sein Leben als Sänger, seine Liebesgeschichte, seine Arbeit als Baggerfahrer im Braunkohletagebau. All das rückt da ja zusammen, um einen sehr multiperspektivischen Blick auf seine Persönlichkeit wie den Gundermann zu werfen, in dem dann interessanterweise die eigentliche IM-Tätigkeit eher eine Leerstelle bleibt. Das finde ich ganz spannend an dem Film, denn während ja sehr viel drüber geredet wird oder auch sehr viel kurz mal angerissen wird aus seinen Akten heraus, bleibt im Bild eigentlich nicht zu sehen, was er tatsächlich konkret als IM für die Staatssicherheit gemacht hat. Es wäre eine interessante Frage mal an Andreas Dresen, warum er das eigentlich nicht mit ins Bild gerückt hat. Vielleicht hätte das die Figur gekippt, ich bin mir nicht ganz sicher. Vielleicht hätte es diese Ambivalenz nicht mehr so gegeben, wenn die Kamera da tatsächlich hingegangen wäre, an diesen Moment, wo es vielleicht noch ein bisschen schwieriger geworden wäre, seinem Leben gerecht zu werden.
Bei Herbig nun "die altbekannten Allmachtsbilder"
Burg: Ganz anders geht ja jetzt Bully Herbig an das Thema heran. Sein neuer Film "Ballon" kommt ins Kino, da geht es auch um DDR-Geschichte, um die Flucht mit einem Heißluftballon. Er inszeniert diese Flucht zweier Familien als wirklich spannenden Thriller. Die Stasi spielt auch eine Rolle. Wie wird sie dargestellt?
Kötzing: Das ist in der Tat ganz anders natürlich als bei Andreas Dresen, weil Michael Herbig wäre nie auf die Idee gekommen zu sagen, ich will eine authentischen Film über DDR-Geschichte drehen. Nein, er hat genau das gemacht, was Sie eben schon angerissen haben, er wollte einen spannenden Thriller aus dieser Fluchtgeschichte machen, was ihm interessanterweise, wie ich finde, auch gelungen ist. Also der Film ist wirklich sehr spannend geworden, obwohl man die Geschichte kennt, obwohl sie schon 'mal fürs Kino verfilmt worden ist in den 80er-Jahren in einem Hollywoodfilm, und die Stasi - da ist der Film natürlich geschichtspolitisch eher so ein bisschen so ein Rollback in den Kalten Krieg, das sind die bösen Figuren, die verfolgen diese Familien, auch wenn der Hauptstasimajor diesmal keinen grauen, sondern so einen burgunderroten Mantel anhat. Ansonsten gibt es da eigentlich kaum viel Varianz. Das ist im Prinzip eigentlich die ganzen alten Geschichten, die wir kennen von dem Geheimdienst, der dann immer nur an den Fäden ziehen muss, um sofort an die wichtigsten Informationen zu kommen. Da findet man ein paar Medikamente, schon weiß man, welche Apotheke dafür zuständig ist, dann sind es nur noch drei Schritte, bis man der Familie schon auf den Fersen ist. Also das sind so ein bisschen diese altbekannten Allmachtsbilder, die er dann wieder aufgegriffen hat, um die Staatssicherheit dazu inszenieren. Er macht letztendlich eine Genregeschichte daraus, was auch interessant ist. Mittlerweile ist man vielleicht auch so weit, dass die Stasi soweit historisiert ist, dass man auch Genregeschichten machen kann wie diesen Thriller. Ich meine, denken wir an "Kundschafter des Friedens" von Robert Thalheim im letzten Jahr, der hat eine Stasi-Komödie gemacht. Also die Stasi ist sehr offen, sage ich mal, als Erzählfigur, um da verschiedene Dinge hineininterpretieren zu können.
Burg: Wenn man sich jetzt mal überlegt, wie viele Filme es schon über die DDR-Vergangenheit gibt und wie häufig dabei auf die Stasi und die Themen "Verfolgung", "Verrat" abgehoben wurde, fragt man sich schon, ob das Thema nicht irgendwann mal auserzählt ist.
Kötzing: Offenbar nicht. Es geht ja immer munter weiter. Sie haben die Beispiele erwähnt, "Deutschland 83" wird fortgesetzt, da ist sogar schon die nächste Staffel in Auftrag gegeben worden. Also ich glaube, da ist noch lange kein Ende in Sicht, da sind noch viele Geschichten da, die immer weitererzählt werden. Das, was wir jetzt gemacht haben mit dem Buch ist eigentlich eine lose Bestandsaufnahme, eine vorläufige Bestandsaufnahme, wo ich mir ziemlich sicher bin, dass wir in zwei, drei Jahren schon über eine Neuauflage oder weitere Kapitel nachdenken können mit den Stasi-Filmen, die wir dann gesehen haben, die vielleicht demnächst erst im Fernsehen oder im Kino zu sehen sein werden.
Burg: Und der von Ihnen eben erwähnte Band, der heißt "Bilder der Allmacht: Die Staatssicherheit in Film und Fernsehen", ist gerade im Wallstein-Verlag erschienen. Andreas Kötzing ist der Herausgeber, und Ihnen vielen Dank für das Gespräch!
Kötzing: Sehr gerne!
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