Die Stille nach dem Schluss

Mit Gustav Mahlers Neunter dirigiert Claudio Abbado eines seiner Lieblingswerke. Und Pierre Boulez führt drei Orchesterstücke des Lokalmatadors Dieter Ammann auf.
Was hat Udo Lindenberg mit Pierre Boulez zu tun? Bisher nichts – aber bald haben die beiden einen gemeinsamen Bekannten. Denn Dieter Ammann, dessen Musik Pierre Boulez dieses Jahr in Luzern dirigiert, spielte in seiner früheren Zeit für diverse Jazz- und Rock-Formationen, so auch für das Panik-Orchester. Keine Panik dagegen im Lucerne Festival Orchestra: Mit Claudio Abbado wird ein neuer Mahler-Gipfel erklommen.

Lang und ruhmreich ist die Liste derer, die sich in Luzern die Klinke in die Hand geben. Jedes Jahr im Spätsommer treffen am Vierwaldstätter See die großen Orchester und Dirigenten aufeinander. Dabei ist das Schönste am Lucerne Festival immer noch das, was aus Luzern kommt: das Festival-Orchester von Claudio Abbado und die Festival-Akademie von Pierre Boulez. Sie gehören zu den herausragendsten Projekten der Orchesterwelt.

In diesem Jahr setzen sich Boulez und die jungen Akademisten unter anderem mit einem Lokalmatador auseinander: Dieter Ammann. 1962 in Aarau geboren, lernte er früh verschiedene Instrumente, machte sich in der Jazz-Szene einen Namen, ehe er sich in den 90-er Jahren dem Komponieren zuwandte. "Schreibt wenig, weil langsam", so charakterisiert sich Ammann selbst, und wir können gespannt sein, welche Gestalt die Musik dieses in Deutschland kaum bekannten Komponisten unter den Händen von Pierre Boulez annimmt.

Der zweite Teil dieses Festival-Abends gilt einem absoluten Klassiker: Abbado dirigiert Mahlers Neunte. Sie ist eines seiner Lieblingsstücke, oft hat er sie mit den Wiener und Berliner Philharmonikern aufgeführt, auch in Luzern. Nun sitzt das aus internationalen Solisten gebildete Lucerne Festival Orchestra auf der Bühne, das mit Abbados Intentionen so vertraut ist wie kein anderes Ensemble. Abbados Mahler-Aufführungen sind in den letzten Jahren immer fragiler und ätherischer geworden – in Mahlers neunter Sinfonie interessiert den Maestro besonders das am Rande der Stille vagierende Adagio-Finale. Und die Stille im Saal, wenn der letzte Des-Dur-Dreiklang der Streicher endgültig verweht ist und es noch eine halbe Ewigkeit zu dauern scheint, bis sich die erste Hand zum Applaus rührt. Der dann in der Regel tosender und anhaltender ist als in irgendeinem anderen Konzertsaal der Welt.


Lucerne Festival
Kultur- und Kongresszentrum Luzern
Aufzeichnungen vom 20. und 25.8.10

Dieter Ammann
Drei Sätze für Orchester:
»Core«
»Turn« (Uraufführung)
»Boost«

Lucerne Festival Academy Orchestra
Leitung: Pierre Boulez

ca. 20:40 Uhr Konzertpause mit Nachrichten

Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 9 D-Dur


Lucerne Festival Orchestra
Leitung: Claudio Abbado