Die Stimmen der Tiere

Von Konrad Lindner |
"Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei Mensch und Tier" beschäftigte bereits Charles Darwin im 19. Jahrhundert. Doch erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begannen die Biologen damit, die Laute der Tiere aufzuzeichnen und zu analysieren. Einer der Begründer der Bioakustik ist der Verhaltensforscher Günter Tembrock.
Die Laute der Lurche fielen schon Wilhelm Busch auf. Er schrieb und zeichnete für "größere Kinder” ein "Naturgeschichtliches Alphabet”. Die Unken fehlen nicht. Busch zeichnete ein Männchen, das mit den Füßen im Teich steht. Maul aufgerissen. Mandoline in der Hand. Der Kommentar: "Der Uhu schläft zwölf Stunden täglich, die Unke schreit im Sumpfe kläglich.” Unterhält man sich im Zoologischen Institut der Humboldt-Universität Berlin mit Günter Tembrock über die Stimmen der Tiere, dann zögert er nicht lange und imitiert die Laute der Rotbauchunken.

"Uh, Uh, Uh, Uh, Uh, Uh, Uh, Uh, Uh – das ist von der Körpergröße übrigens abhängig. Die Weibchen ... können sich an der Körpergröße etwas orientieren, weil die Stimme dann ein bisschen tiefer wird. Der Lautcharakter ist also wiederum mit der Größe korreliert."

Wenn ein Weibchen als Partnerin gewonnen werden soll, muss das Männchen durch kraftvolle Laute beweisen, dass es gesund ist, dass es fit ist. Aber noch immer ist es ein Rätsel der Natur, warum sich speziell die Laubfrösche in der Paarungszeit derartig verausgaben.

Die Laubfroschmännchen sind die Rocker unter den Lurchen. Sie setzen auf Krach und Rhythmus. Die Weibchen hören aufmerksam zu. Sie identifizieren den Lärm der Männchen als arteigenes Konzert. Im Normalfall wandern sie zu den lautesten Rufern. Der Laie fragt: Ist das Konzert der Laubfrösche Arbeit oder ist es Vergnügen?

"Man hat dort mal energetische Messungen gemacht. Es gehört zu den größten Aufwänden, die man im Tierreich überhaupt kennt: Die Lautgebung bei Laubfröschen. Da fragt man sich manchmal: Was ist das für ein Riesenaufwand, der da nötig ist, um also die Fortpflanzung zu sichern? Aber Fortpflanzung ist halt das Wichtigste, was ein Tier überhaupt haben kann, um die Kontinuität der Reproduktion damit und die Weitergabe der eigenen Gene, das Überleben der eigenen Gene in den nächsten Generationen, zu sichern. Da muss man also schon sehr viel aufwenden. Die Frage kann sich dort so kaum stellen. Wir meinen, wenn wir singen usw., das ist irgendein Lustgefühl, ein Vergnügen, das man dabei hat. Das ist hier so artlich vorgegeben. Der Aufwand und der Nutzen. Eindeutig ist es ein gewaltiger Aufwand. Die sind dann am Ende der Saison auch runter. Es geht eben um etwas Essentielles für die Selektion und für die Erhaltung der Gene und die Fortpflanzung.”"

Ohne Fortpflanzung keine Evolution. Ohne die Evolution der Organe, mit denen die Geschlechter zusammenfinden keine Fortpflanzung. Wie die Blüten der Pflanzen spielen die Stimmen der Tiere bei der Zusammenführung der Geschlechter eine wichtige Rolle. Die Biologen interessieren sich daher nicht nur für das Erscheinungsbild der Laute, mit denen sich Fische und Vögel, Lurche und Säugetiere verständigen. Sie möchten vielmehr hinter das Erscheinungsbild schauen. Sie möchten herausbekommen, wie die Tiere durch unterschiedliche Laute ihr Verhalten in der Gruppe regeln.
Selbst Forstleute haben diese Laute meist nie zu Ohren bekommen. Die Aufnahme stammt aus dem Frühjahr 1956. Die Tonfolge kommentiert der Berliner Zoologe ein halbes Jahrhundert später so, als wäre sie gestern aufgezeichnet worden.

""Wir haben Fuchswelpen gehört. Es könnte ganz kurz nach der Geburt aufgenommen sein. Diese Laute dienen dazu, daß Pflegeverhalten ausgelöst wird. Die Welpen werden beleckt und dann natürlich auch gesäugt.” "

Wenn Günter Tembrock die Stimmen der Fuchskinder konservierte, hatte das mit Konrad Lorenz zu tun, der das Kindchenschema – großer Kopf und kleiner Körper - entdeckt hatte. Diese Beobachtung übersetzte der Berliner Verhaltensforscher ins Akustische, indem er Fuchskinder mit dem Mikrophon begleitete.

""Wir haben dann Fragebögen gemacht und verschiedenen Leuten Laute von erwachsenen Tieren und von Jungtieren, Neugeborenen und vor allem solche, die sie noch nie gehört haben konnten, vorgespielt. Und da kam statistisch mit Sicherheit heraus, dass bestimmte Eigenschaften, darunter auch die, die wir gerade gehört haben, als Kind indiziert werden. Wer hat schon einmal Fuchswelpen gehört? Wir haben dann aber auch noch ganz andere Laute von anderen Tierarten genommen und mit bestimmten Eigenschaften variiert. So daß also sichtbar wurde, daß da eine ganz bestimmte Auslösung ist, die also auch uns berührt, wenn wir solche Laute hören. Es wird so etwas wie Pflegezuwendung ausgelöst."

In der Verhaltensforschung vollzog sich während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine bioakustische Wende. An dieser Wende wirkte Günter Tembrock federführend mit. Indem er die Kommunikation – das Senden und das Empfangen – von vornherein als Bestandteil der Evolution auffasst, gehört Tembrock zu den Entdeckern der zweiten Natur der Tiere. Die Tiere können nicht sprechen, aber auch sie verständigen sich. Das hat auch für das Menschenbild erhebliche Konsequenzen. Ob wir flüstern oder brüllen, singen oder erzählen, trotz der Differenz zum Tier bleiben wir immer noch Kinder der Natur. In einem seiner Vorträge verglich Günter Tembrock die Stimmakrobatik der Weißhandgibbons sogar mit dem Vibrato der Sängerin Maria Callas.

"… Da können wir jetzt gleich mal Frau Callas hinterher schicken. Da hören wir das dann ganz ähnlich. … Das war noch etwas tiefer, sie kann auch viel höher. … Also Callas und dahinter der letzte, das war der Gibbon. Das könnte man verwechseln."

Dort, wo er 1937 sein Studium begann, im Zoologischen Institut der Berliner Universität, ist Günter Tembrock bis heute in seinem Arbeitszimmer anzutreffen. Noch immer ergründet er umgeben von hohen Bücherregalen und eigenen Zeichnungen, was die Welt der Tiere im Innersten zusammenhält. Und hat seine Freude an der Musikalität der Gibbons.

"Wenn man das analysiert, dann sieht man dieselben Bilder. Da muss man fragen: Hat das ein Sänger gesungen oder hat das ein Gibbon gesungen? Wenn man Feinanalysen macht, sind die individuellen Unterschiede und die Feinstrukturen genau die gleichen. Also das ist der Punkt."