Die strenge Hannah Arendt
Hannah Arendt war im Nachkriegsdeutschland zwar geachtet, eine politische Ikone war sie damals aber nicht. Eigensinnige Menschen taugen nicht zum Vorbild. Doch genau das war Arendts herausragender Charakterzug, sagt die Politologin Cora Stephan: Sie war nicht zu vereinnahmen.
Zu den politischen Ikonen der 70er-Jahre gehörte Hannah Arendt nicht. Warum eigentlich nicht? Wirkte sie zu streng, zu intellektuell, zu abwägend? Simone de Beauvoir ließ sich noch irgendwie als Mutter der Frauenbewegung eingemeinden, was ihr womöglich sogar unrecht tat. Die Arendt aber wirkte fast Furcht einflößend, strömte eine unmütterliche Intellektualität aus, wie man sie auch bei Susan Sontag spürte.
Hochbegabte Frauen machen schon Angst genug, nicht nur den Männern. Und dann war sie auch noch eine jüdische Intellektuelle. Konnte man sich mit so jemandem identifizieren? Nicht wirklich. Hannah Arendt wurde nie zum Vorbild der Frauenbewegung, sie selbst wahrte ihre Distanz auch hier. Eigensinnige Menschen taugen nicht zum Vorbild.
Doch genau das war Hannah Arendts herausragender Charakterzug, ihre Stärke und manchmal auch ihre Schwäche: Sie war nicht zu vereinnahmen. Nicht von der Linken, schon gar nicht von der kommunistischen Linken. Nicht vom Zionismus, obwohl sie sich nach 1933 mehr und mehr zum Judentum bekannt hatte und im französischen Exil für eine jüdische Armee kämpfte. 1948 aber plädierte sie für ein binationales Palästina, bedingungslose Bindung war nicht ihre Sache. Das trug ihr nicht nur Freunde ein.
Und dann 1968. Einerseits begrüßte sie die internationale Studentenbewegung, bewahrte sich doch auch hier ihre tiefe Skepsis: sie spürte, durchaus hellsichtig, Fanatismus und Zerstörungswut. Mit zunehmendem Sektierertum ging man auch bei der Neuen Linken auf Distanz zu ihr. In ihrer Totalitarismustheorie erblickte man die Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Stalinismus. Das war unerwünscht in einer Zeit, in der autoritäre Sehnsüchte neu erwachten, die manch einer in Maos Reich oder in der Sowjetunion aufgehoben sah.
Wer sich dennoch auf Hannah Arendt berief, damals, in der heute so unwirklich gewordenen Welt der Bonner Republik, missverstand sie meist. Wer sie verstand, mochte sie nicht.
Das hieß nicht, dass man sie nicht zitiert hätte. Zum Beispiel und immer wieder ihren Satz von der "Banalität des Bösen", auf Adolf Eichmann gemünzt. Der Bürokrat des Massenmordes sei vor allem beflissen gewesen, ganz ohne eigene Motive, schier gedankenlos, ein Hanswurst, ja: irgendwie komisch. Also – "einer wie wir?"
Die Suche nach dem "Eichmann in jedem von uns" irritierte sie maßlos. In den bewegten Nischen der Bonner Republik aber kursierte in den 70er-Jahren vor allem das: die Suche nicht nur nach dem Eichmann, sondern auch nach dem "Hitler in uns". Niemand hat "die Kollektivschuld" der Deutschen an den unter den Nazis begangenen Verbrechen so internalisiert wie die Sippen und Sekten der Post-68er Szene. Das aber widersprach ganz und gar Arendts Intention: kollektive Schuld gab es für sie nicht, sie pochte auf die Verantwortung eines jeden Einzelnen.
Der "Historikerstreit" 1986 machte jeder fruchtbaren Auseinandersetzung mit Arendts Totalitarismustheorie ein Ende, die, kurz zusammengefasst, besagt, Deutschland unter Hitler und die stalinistische Sowjetunion seien als totalitäre Systeme "Variationen des gleichen Modells". In der Bundesrepublik aber setzte sich die Auffassung des Nicht-Historikers Jürgen Habermas durch, wonach die Verbrechen der Nazis so einzigartig seien, dass ein Vergleich sie notwendigerweise relativiere.
Dieses Vergleichsverbot entlastete faktisch den Stalinismus, der sich, was die Zahl der Ermordeten betraf, mit Hitlers System durchaus messen konnte. Hannah Arendts Totalitarismustheorie wurde damit als obsolet behandelt – und damit auch eine Denkerin, die dem Land gut bekommen wäre.
Schon in der alten Bundesrepublik, erst recht aber nach der Wiedervereinigung, stehen hierzulande Sehnsüchte nach Gleichheit und Gerechtigkeit weit höher im Kurs als liberale Tugenden und Freiheitsrechte. Hannah Arendt aber hielt vom Rule of Law, von der Herrschaft der Gesetze, weit mehr als von moralischen Imperativen. Wie wichtig wäre ihre Stimme heute.
Cora Stephan, Jahrgang 1951, ist promovierte Politikwissenschaftlerin, arbeitet als freie Publizistin und schreibt unter dem Pseudonym Anne Chaplet Kriminalromane. Nach Büchern wie "Der Betroffenheitskult" und "Handwerk des Krieges" heißt ihre jüngste Veröffentlichung "Angela Merkel. Ein Irrtum", erschienen 2011 bei Knaus. Cora Stephan lebt in Frankfurt a.M.
Hochbegabte Frauen machen schon Angst genug, nicht nur den Männern. Und dann war sie auch noch eine jüdische Intellektuelle. Konnte man sich mit so jemandem identifizieren? Nicht wirklich. Hannah Arendt wurde nie zum Vorbild der Frauenbewegung, sie selbst wahrte ihre Distanz auch hier. Eigensinnige Menschen taugen nicht zum Vorbild.
Doch genau das war Hannah Arendts herausragender Charakterzug, ihre Stärke und manchmal auch ihre Schwäche: Sie war nicht zu vereinnahmen. Nicht von der Linken, schon gar nicht von der kommunistischen Linken. Nicht vom Zionismus, obwohl sie sich nach 1933 mehr und mehr zum Judentum bekannt hatte und im französischen Exil für eine jüdische Armee kämpfte. 1948 aber plädierte sie für ein binationales Palästina, bedingungslose Bindung war nicht ihre Sache. Das trug ihr nicht nur Freunde ein.
Und dann 1968. Einerseits begrüßte sie die internationale Studentenbewegung, bewahrte sich doch auch hier ihre tiefe Skepsis: sie spürte, durchaus hellsichtig, Fanatismus und Zerstörungswut. Mit zunehmendem Sektierertum ging man auch bei der Neuen Linken auf Distanz zu ihr. In ihrer Totalitarismustheorie erblickte man die Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Stalinismus. Das war unerwünscht in einer Zeit, in der autoritäre Sehnsüchte neu erwachten, die manch einer in Maos Reich oder in der Sowjetunion aufgehoben sah.
Wer sich dennoch auf Hannah Arendt berief, damals, in der heute so unwirklich gewordenen Welt der Bonner Republik, missverstand sie meist. Wer sie verstand, mochte sie nicht.
Das hieß nicht, dass man sie nicht zitiert hätte. Zum Beispiel und immer wieder ihren Satz von der "Banalität des Bösen", auf Adolf Eichmann gemünzt. Der Bürokrat des Massenmordes sei vor allem beflissen gewesen, ganz ohne eigene Motive, schier gedankenlos, ein Hanswurst, ja: irgendwie komisch. Also – "einer wie wir?"
Die Suche nach dem "Eichmann in jedem von uns" irritierte sie maßlos. In den bewegten Nischen der Bonner Republik aber kursierte in den 70er-Jahren vor allem das: die Suche nicht nur nach dem Eichmann, sondern auch nach dem "Hitler in uns". Niemand hat "die Kollektivschuld" der Deutschen an den unter den Nazis begangenen Verbrechen so internalisiert wie die Sippen und Sekten der Post-68er Szene. Das aber widersprach ganz und gar Arendts Intention: kollektive Schuld gab es für sie nicht, sie pochte auf die Verantwortung eines jeden Einzelnen.
Der "Historikerstreit" 1986 machte jeder fruchtbaren Auseinandersetzung mit Arendts Totalitarismustheorie ein Ende, die, kurz zusammengefasst, besagt, Deutschland unter Hitler und die stalinistische Sowjetunion seien als totalitäre Systeme "Variationen des gleichen Modells". In der Bundesrepublik aber setzte sich die Auffassung des Nicht-Historikers Jürgen Habermas durch, wonach die Verbrechen der Nazis so einzigartig seien, dass ein Vergleich sie notwendigerweise relativiere.
Dieses Vergleichsverbot entlastete faktisch den Stalinismus, der sich, was die Zahl der Ermordeten betraf, mit Hitlers System durchaus messen konnte. Hannah Arendts Totalitarismustheorie wurde damit als obsolet behandelt – und damit auch eine Denkerin, die dem Land gut bekommen wäre.
Schon in der alten Bundesrepublik, erst recht aber nach der Wiedervereinigung, stehen hierzulande Sehnsüchte nach Gleichheit und Gerechtigkeit weit höher im Kurs als liberale Tugenden und Freiheitsrechte. Hannah Arendt aber hielt vom Rule of Law, von der Herrschaft der Gesetze, weit mehr als von moralischen Imperativen. Wie wichtig wäre ihre Stimme heute.
Cora Stephan, Jahrgang 1951, ist promovierte Politikwissenschaftlerin, arbeitet als freie Publizistin und schreibt unter dem Pseudonym Anne Chaplet Kriminalromane. Nach Büchern wie "Der Betroffenheitskult" und "Handwerk des Krieges" heißt ihre jüngste Veröffentlichung "Angela Merkel. Ein Irrtum", erschienen 2011 bei Knaus. Cora Stephan lebt in Frankfurt a.M.